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Dienstag, 12. Oktober 2010

Warum Eugenik unmöglich ist

Ich habe kürzlich einen interessanten Artikel in einem Wissenschaftsblog gelesen. Es wurde schon mehrfach auch in Massenmedien darauf hingewiesen, dass in dem Buch "Deutschland schafft sich ab" von Thilo Sarrazin seine Kapitel, die sich mit der Steuerung der Bevölkerungsentwicklung auseinandersetzen, Konzepte oder Thesen herangezogen werden, die mehr als veraltet und wirkungslos sind, abgesehen von den ethischen Fragen, die sich daraus ergeben.

Euthanasie Propaganda Poster der Nazis um 1938 mit dem Text:
"60000 RM (Reichsmark) kostet dieser Erbkranke
die Volksgemeinschaft auf
Lebenszeit Volksgenosse das ist auch Dein Geld.

Einige Ausschnitte:

Warum Eugenik unmöglich ist
von Michael Blume.

(...)
Rote und braune Sozialisten vertraten "eugenische" Konzepte
Im deutschen, historischen Gedächtnis sind politische Forderung nach "Eugenik" - der gezielten, politischen Einflussnahme auf die Fortpflanzung von Menschen zur Hervorbringung vermeintlich "besserer" Generationen - vor allem mit dem Regime des nationalen Sozialismus verbunden. Aber vor, während und nach dem NS-Regime wurden eugenische Programme auch von linken Sozialisten und anderen politischen Gruppen eingefordert und teilweise umgesetzt. Und so bezieht sich auch der langjährige, sozialdemokratische Finanzsenator einer rot-roten Regierung Thilo Sarrazin in seinem Buch und seinen Forderungen ebenso locker auf Gunnar Myrdal wie z.B. auf Volkmar Weiss, der sich für die NPD Sachsen in die Landes-Enquetekommission "Demographischer Wandel" berufen ließ. Wenn es um eugenische Vorstellungen geht, lassen sich rinks und lechts nicht velwechsern. Und dafür gibt es einen schlichten Grund.


A) Der Glaube an die politische Planbarkeit des Lebens (z.B. Gunnar Myrdal)
Der grandiose Irrtum sowohl rechter wie linker (und anderer) Vertreter von Eugenik besteht darin, an die wissenschaftliche Planbarkeit des Lebens zu glauben. Sie waren und sind davon überzeugt, über ausreichend wissenschaftliche Erkenntnis zu verfügen, um nicht nur die gesamte Geschichte zu verstehen, sondern die Zukunft planen zu können. Beispielsweise meinen sie sagen zu können, welche Eigenschaften des Menschen je gut (eugenisch) oder schlecht (dysgenisch) zu bewerten und also im Hinblick auf kommende Generationen zu fördern oder zu unterdrücken seien.
(...)
Wo immer eugenische, planwirtschaftliche und andere Zentralplanungsprogramme bisher eingesetzt wurden, haben sie furchtbar versagt und unfaßbares Leid über die Menschen gebracht. Dennoch wollen uns auch heute noch immer wieder Leute davon überzeugen, "jetzt" lägen endlich die richtigen, wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, die "nur noch" politisch umgesetzt werden müssten. Man vergleiche auch die Titel - zwischen "Die Krise der Bevölkerungspolitik" (Schweden 1934) und "Deutschland schafft sich ab" (2010) hat sich nicht wirklich viel getan. Es gibt nunmal wenig Neues in der eugenischen Bewegung.
Der Liberalismus widerspricht dem - damals wie heute. Denn Vertreterinnen und Vertreter dieser Weltanschauung wissen:
B) Alles menschliche Wissen ist vorläufig und fehlbar (z.B. Friedrich August von Hayek)

(...) Erst in der Vielfalt werden sich jene Lösungen herausfinden lassen, die tragen. Die Anmaßung von Wissen, und damit der Glaube, diese Vielfalt und also Freiheit nicht zu benötigen, ist dagegen der "Fatale Dünkel" autoritärer Ideologen (...)
Weil die letzte Wahrheit heute ebenso wenig besitzbar ist wie zu Zeiten des Gamaliel, können und sollen gewachsene Traditionen und Religionen ihren Wert im freien Wettbewerb Generation für Generation erweisen. Dass sie über Jahrhunderte und Jahrtausende bestehen können, sollte auch Religionskritikern zu denken geben (so kam der Agnostiker von Hayek in seinem Spätwerk auf die Spur evolutionärer Religionsforschung). Und nie (mehr) sollte Wissenschaft als vermeintliche Rechtfertigung dafür herhalten, den vermeintlichen Lebenswert von Menschen zu ermitteln und auf dieser Basis ihre Freiheiten einzuschränken.
Eine Liberale wird sagen: Woher weiß Sarrazin beispielsweise, dass der IQ der entscheidende Maßstab für den "eu-" oder "dysgenischen" Fortpflanzungswert eines Menschen sei? Warum nicht Kreativität, Musikalität, Sportlichkeit, Religiosität oder Altruismus (Nächstenliebe)? Wäre ein hoch intelligenter Verbrecher wirklich per se wertvoller zu nennen als ein vielleicht einfacherer, aber herzensguter Mensch? Wir haben Intelligenz (wie auch z.B. Sprache) für die erhabensten und furchtbarsten Zwecke (z.B. Atomwaffen) eingesetzt und es ist denkbar, dass wir unsere Welt damit retten oder zerstören werden. Können wir wissen, welche Merkmale nutzen und schaden, welche Herausforderungen auf unsere Enkel und Urenkel warten werden?
Fortschritt nur in kleinen Schritten
Wir können es nicht. (...) In der Wissenschaft werden alte Hypothesen so lange heraus gefordert, bis sie durch neue, bessere ersetzt werden können. (...) In Fragen der Religion und Weltanschauung wachsen Vielfalt und Wettbewerb in jeder Gesellschaft, die freiheitlich ist - während religiöse oder weltanschauliche Monopole erstarren und verfallen. (...)
Die Planwirtschaftler, Eugeniker und sonstigen "Sozialingenieure" haben aber bisher immer versagt und würden auch weiterhin versagen. Sie maßen sich ein Wissen an, dass sie nicht haben und nicht haben können. Die Evolution eignet sich nicht zur Rechtfertigung politischer Ideologien. Sie ist vielmehr das stärkste Argument für menschliche Bescheidenheit, Freiheit und Vielfalt.
komplett lesen:
Warum Eugenik unmöglich ist

(Bildquelle: Wikimedia Commons)

2 Kommentare:

  1. Blumes Beitrag fängt mit der leidlichen Umdeutung des Nationalsozialismus als nationalen Sozialismus an, der Blume nach offenkundig nur eine rechte Spielart des etwas abgesetzten linken Sozialismus wäre. Dazu gehört auch, dass er den NS beständig als besonders "zentral" geplante Herrschaftsform charakterisiert. Jeder, der mit den historischen Standardwerken zum NS (von Ian Kershaw, Hans Mommsen, Yehuda Bauer etc.) vertraut ist, weiß, dass das ein gut gepflegter Mythos ist und nicht dem aktuellen Forschungsstand entspricht.

    Wissenschaftliche Literatur anzuführen, geht natürlich am Kern vorbei, weil Blume auf eine politische Polemik aus ist: Auf der einen Seite stehen die verbrecherischen autoritären Regime mit ihren szientistisch legitimierten eugenischen Programmen, auf der anderen Seite dagegen findet man die aufgeklärten mit dem Christentum assoziierten (und wahrscheinlich auch erleuchteten) Liberalen.
    So ein manichäisches wie absurdes Weltbild hat die Geschichtswissenschaft freilich nicht anzubieten.

    Wie absurd das ist, zweigt sich schon daran, dass heute in den meisten liberalen Demokratien eugenische Verfahren wie Pränataldiagnostik etabliert sind. Deren Zweck ist es, Frauen zu erlauben Kinder mit Behinderungen, genetischen Krankheiten (in manchen Ländern Mädchen) frühzeitig zu erkennen und abzutreiben.

    Ernsthafte Denker -- wie z.B Francis Fukuyama in "Our Posthuman Future" -- haben schon lange eine Renaissance der Eugenik festgestellt bzw. vorausgesagt. Was sich tatsächlich geändert hat, ist eine Hinwendung zur Privatisierung der Eugenik. Das wirft ernsthafte Fragen auf. Dabei sind aber Sarrazin und Blume keine Hilfe -- sie stellen nicht mal vernünftige Fragen, sie zu beantworten wird dann unmöglich.
    Eugenik wird schon jetzt tagtäglich praktiziert (in Deutschland!). Um noch mal die Blüten Blume'scher Redeweise aufzulesen:
    "In der biblischen Apostelgeschichte wird eine der ältesten, evolutionären Begründungen für Religionsfreiheit beschrieben."
    Auf jeden Fall ist es ziemlich originell, was Blume da unter einer "evolutionären Begründung" verstehen will.Nicht nur, dass in diesem Zitat gar nichts Evolutionäres zu finden ist, rein zufällig bedient sich Blume auch wieder der christlichen Heilsgeschichte, wo so ein Denken mit zuerst auftreten würde.

    "Dass sie [Traditionen und Religionen] über Jahrhunderte und Jahrtausende bestehen können, sollte auch Religionskritikern zu denken geben (so kam der Agnostiker von Hayek in seinem Spätwerk auf die Spur evolutionärer Religionsforschung)."
    Die absolute Mehrheit der Menschen in den neuen Bundesländern ist keiner Religion zugehörig. Die Mitgliederzahlen der Kirchen in den alten Bundesländern sinkt kontinuierlich -- eine Trendwende zeichnet sich nicht ab. Es ist wahrscheinlich, dass mittelfristig auch die Mehrheit der Deutschen insgesamt sich keiner Religion mehr zugehörig fühlt.
    Viel eher stellt doch die Tatsache, dass das Christentum in nur einem Bruchteil der Menschheitsgeschichte überhaupt eine Rolle spielt, jemanden, der eine evolutionäre Adaption von Religion (und dabei zunächst das Christentum im Hinterkopf hat) ausgeht, vor große logische Probleme.
    Blume könnte sich ja mal von Richard Dawkins Evolutionsbiologie erklären lassen. :D

    Für die Evolutionspsychologie gilt ganz nebenbei (ganz im Gegensatz zur Evolutionsbiologie!), was Stephen M. Downes in der Stanford Encyclopedia of Philosophy schreibt: "For philosophers of science —mostly philosophers of biology—evolutionary psychology provides a critical target. There is a broad consensus among philosophers of science that evolutionary psychology is a deeply flawed enterprise."
    http://plato.stanford.edu/entries/evolutionary-psychology/
    Bei Blumes vulgarisierter Form von Evolutionspsychologie kann man sicherlich noch einen Schritt weiter gehen und von Pseudowissenschaft sprechen.
    Ich mag die Rederei von Sarrazin und Blume nicht; dazu sind die Theman zu wichtig! ;)

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  2. Wow, was für ein ausführlicher Kommentar. Dafür erstmal ein großes Dankeschön. Ich hoffe, ich finde noch die Zeit dir zu antworten. Du gehst ja auch auf Punkte ein, die ich nicht zitierte und geflissentlich ausgelassen habe. Meine größere "Sorge" beim Lesen des Artikels lag eher darin, dass vielleicht einige Leser seine Worte als Bestätigung auffassen könnten, dass Wissenschaft per se zu nix nutze sei. Sie also z.B. bei Verschwörungstheorien oder anderen dubiosen Behauptungen in ihrem Glauben bestärkt würden, wissenschaftliche Expertise extrem skeptisch bis ablehnend gegenüber zu stehen. Bis hin zu Aussagen von H. M. Broder bei der Talkshow von Maybrit Illner, wo er eben meinte, wissenschaftliche Erkenntnisse sind nach wenigen Jahren sowieso veraltet, also brauche er auch gar nichts davon zur Kenntnis nehmen, was z.B. die Politologin Naika Foroutan zu ihm sagte. Dein Kommentar geht weit über diese Oberflächlichkeit meinerseits hinaus. Und daher braucht es Zeit, nochmals den Originalartikel zu lesen, und deine Replik.

    Danke dir jedenfalls vorab dafür. :)

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