Sonntag, 22. April 2012

Antimuslimischer Rassismus - Medien zwischen Breivik-Schlagzeilen, Salafisten und Blindheit

Antimuslimischer Rassismus - Medien zwischen Breivik-Schlagzeilen, Salafisten und Blindheit


Anders Behring Breivik
Produkt unserer Gesellschaft?

Ich bekam heute Post. Ich wurde gefragt, ob ich nicht unten stehenden Artikel veröffentlichen wolle. Einige kennen ihn schon von diversen anderen Blogs, dieser hier ist jedoch vom Autoren und weiter unten von mir noch erweitert worden. Da ich mich im Blog z. B. schon hier Artikelserie: Feindbild Islam ausführlich mit dem Phänomen der Islamhasser und selbsternannten Islamkritikern auseinandersetzte, sowie auch Anders Breivik mehrfach thematisierte, zudem kürzlich im ZEIT-Blog von Jörg Lau ein ähnlich gelagertes Posting recht zutreffend fand (mehr dazu unten), komme ich dieser Bitte gerne nach. Thematisch passende "Gastautoren" sind immer willkommen:

(Anmerkung: Einige Links führen ggf. zu Hetzseiten über einen Anonymisierungsdienst.)
Der Prozess gegen den rechtsextremen Islamhasser Anders Breivik in Norwegen hat in Europa die Schlagzeilen in den vergangenen Tagen beherrscht. Doch über die Ideologie, die Breivik und viele andere rassistische “Islamkritiker” vertreten, liest man wenig.
Von Roland Sieber

Gökalp Babayigit begründet in einer Kolumne auf Sueddeutsche.de: „Wieso wir Anders Breivik zeigen“ , im Feuilleton der FAZ schreibt Nils Minkmar: „Die Aufgabe der Medien kann nicht das Ausblenden des Übels sein.“. Er schließt damit ab, dass die vornehmste Aufgabe der Medien eine klare und schonungslose Berichterstattung in Wort und Bild sei. Verantwortungsbewusst berichtet bis jetzt auch Spiegel Online. Die Medienberichterstattung kommentierte auch Dietmar Näher in seinem Blog. Anders als viele Medien berichtet er jedoch kontinuierlich über die Ideologie hinter den Terroranschlag und Massenmord in Oslo und auf Utöya. Diese ist auch in Deutschland verbreitet. Der Politblogger titelte passend: „RBB: Auf dem rechten Auge blind“ zu der Abendschau vom Samstag.

Aufruf von Michael Mannheimer
zu einem gewaltsamen Aufstand.
In einem Beitrag werden die salafistischen Koranverteiler in Berlin zu Recht kritisch dargestellt. Dahingegen konnte Lena Duggen vom Berliner Landesvorstand der ultrarechten Kleinstpartei „Die Freiheit“ ihren antimuslimischen Rassismus öffentlich in dem Beitrag verbreiten. Nicht das Interview mit ihr an sich ist dabei zu kritisieren, sondern die Tatsache dass die Zuschauer nicht auf die Parteizugehörigkeit und den ideologischen Hindergrund aufmerksam gemacht werden. Es wurden eben nicht nur zufällig vorbeikommende Passanten, sondern auch Aktivisten einer organisierten antiislamischen Hetzkampagne befragt. Diese Information wird in der Abendschau bewusst oder aus Unwissenheit unterschlagen und somit das Ereignis einseitig verzerrt dargestellt.
Das nach der Frankfurter Rundschau „Netz der Islamfeinde“ wurde so eine kostenlose Plattform in einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender gegeben. Laut dem größten Blog der Islamhassszene, „Politically Incorrect“ (PI) waren an der Berliner Aktion die PI-Gruppe Berlin, die Bürgerbewegung Pax Europa (BPE), Die Freiheit, die Sarraziner und das „Netzwerk Demokratischer Widerstand“ beteiligt.  Auf letztgenannten befindet sich auch der Internetpranger „Nürnberg 2.0“. Es gibt Hinweise, die darauf hindeuten, dass hinter diesem virtuellen Volksgerichtshof der Hassblogger Karl-Michael Merkle steckt, der öffentlich nur mit seinem Künstlernamen Michael Mannheimer als Sprecher der Initiative1683 in Erscheinung tritt.



Durch seine Auftritte beim Europatreffen der fanatischen Muslimenhasser am 31. März im dänischen Aarhus sowie am vergangenen Samstag in Ludwigshafen verhärtete er den Verdacht, dass er einer der Macher des Internetprangers gegen seine vermeintlichen politischen Gegner ist: Journalisten, Politiker, Wissenschaftler, Juristen, Richter und Personen die nicht seine antiislamische Weltsicht teilen. Bereits im April 2011, also vor Breiviks-Massenmord rief er zum „Widerstand gegen das politische Establishment gemäß Art.20 Abs.4 GG“ auf. So berichte auch der Watchblog NPD-Blog.info darüber: „Rechtsradikaler Blogger rief zu den Waffen“.
Wie aber berichtete die Presse von der rassistisch-antimuslimischen Veranstaltung auf den Berliner Platz in Ludwigshafen? Entweder gar nicht oder wie die Regionalzeitung Rheinpfalz so: „Gegen die Islamisierung Europas hat der Verein >Bürgerbewegung Pax Europa< am Samstag Polizeiangaben zufolge von 10 bis etwa 15.30 Uhr demonstriert. Die Veranstaltung mit rund 80 Personen sei friedlich und ohne besondere Vorkommnisse verlaufen.“ (Druckausgabe der Rheinpfalz vom 17.4.2012, Seite 22). Auf der radikal-linken Openposting-Plattform indymedia wurde vor der Veranstaltung kurzfristig unter der Überschrift „[Lu] Heute rassistische Veranstaltung“ zu Protesten aufgerufen. Nach Zeugenaussagen aus dem „Netzwerk gegen rechte Gewalt und Rassismus Ludwigshafen“ sowie dem „Bündnis Mannheim gegen Rechts“ lief die Veranstaltung folgendermaßen ab:
Wie auch der gerade in Oslo vor Gericht stehende Terrorist und Massenmörder, sehen sich auch einige Anhänger der selbsternannten rechtspopulistischen „Bürgerbewegung“ Pax Europa in einer Notwehrsituation gegen die angebliche Islamisierung Europas. Die ca. 50 Anhänger von BPE, PI-Gruppe Rhein-Neckar, German Defence League (GDL) und der ultrarechten Kleinstpartei „Die Freiheit” haben von ca. 10:30 bis etwa 15.30 Uhr demonstriert. Am Rande der Veranstaltung wurden immer wieder vorbeikommende Passanten angehalten, provoziert und rassistisch beleidigt sowie verlautbarte Mannheimer über Mikrofon:
„Wir werden eine große Aktion machen, wo wir alle deutschen Politiker, alle Medien des Völkermordes besichtigen, anklagen und sie vor sämtliche Gerichte ziehen. Was können wir als Einzelne tun? Ich kann ihnen nur empfehlen: Schließen sie sich einer islamkritischen Organisation an […]“
(Quelle ab Minute 29:18 des YouTube-Videos: „Veranstaltung 14.04.2012 in Ludwigshafen: Rede Michael Mannheimer“).


Vorher redete er davon, dass Deutschland eine linksgerichtete Diktatur sei, wo es keine Meinungsfreiheit gebe.
Die Demo eröffnete laut PI der stellvertretende Leiter der Veranstaltung und Parteilandesvorsitzender der Freiheit Baden Württemberg, Edgar Baumeister. Es folgten Reden von Sandro Sergio Marzio, Michael Mannheimer, Wilfried Puhl-Schmidt von Pax Europa und laut PI auch Mitglied der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM). Hauptredner war neben Michael Merkle auch der Bayerischer Landesvorsitzender der Partei „Die Freiheit“, für die er auch im Bundesvorstand sitzt. Dieser rief über die Lautsprecheranlage: „Wir können den Salafisten dankbar sein […] Und deshalb einen kleinen Applaus für die Salafisten, macht weiter so […]“ und einige Minuten später: „Deutschland schafft sich ab, in ungefähr vierzig bis siebzig Jahren, je nachdem wie es sich in den nächsten Jahrzehnten entwickelt, werden wir muslimische Mehrheiten haben und dann haben wir mit absoluter Sicherheit einen islamischen Gottesstaat. Wollt ihr das?“ Publikum: „Nein!!!“ (Quelle: YouTube-Video „ZusammenfassungLudwigshafen vom 14.04.2012“, ab Minute 4:35 und 08:02)

Auf PI stellt er sich selbst als Held der Bewegung dar und blogt unter Klarnamen oder seinem Pseudonym „byzanz“. Ebenfalls auf der Ludwigshafener Demo waren der Gründer der PI-Gruppe Rhein-Neckar, Emil Kahlmann sowie die Rhein-Main-Division der Hooligan-Schutztruppe „German Defense League“ (GDL) um Christopher von Mengersen aus Frankfurt am Main, dem ehemaligem kommissarischen Vorsitzende der Parteijugend „Generation Freiheit“. In einem YouTube-Video aus dem Bus zu der oben genannten Demo vom 31. März im dänischen Aarhus ist er mit der Aussage zu hören, dass sich „die Völker Europas nicht widerstandslos unterdrücken lassen wollen, sei es durch eine pseudoreligiöse Diktatur einer religiösen Ideologie oder einer EU-Diktatur, die Diktatur einer kleinen Minderheit um eine große Mehrheit die komplett unmündig ist“. (Quelle: Video „Islam in Europe - AarhusDenmark 31.3.2012 - 45 min“)
Die antimuslimisch-rassistische Hassbloggerin Ilona Schliebs alias Kybeline von der BPE Stuttgart schrieb nach ihrer Teilnahme an der Veranstaltung: „Che Guevara ist so ein Terrorist die inwzischen zum Held hochgelobt wurde. Wer weiß, vielleicht ist Breivik auch nur der Nelson Mandela oder der Che Guevara des nächsten Jahrzehnts? Heute Mörder, morgen Held?“ (Rechschreibfehler wie im Original).

Der Attentäter inszeniert sich als "Marxist Hunter" - alles unpolitisch?


In der Presse ist davon nichts zu lesen. Ja, es ist richtig über den norwegischen Prozess gegen Breivik zu berichten und dabei auch dessen Ideologie öffentlich zu machen. Ja, der Massenmörder ist ein sich selbstüberschätzender Selbstdarsteller der das Gericht als Bühne für seine Propaganda benutzt. Ob er dies aus politischer Ideologie heraus oder einer psychischer Krankheit ist, darüber urteilen Psychiater und Richter im Laufe des Gerichtsverfahrens. Aber auch in Deutschland und fast allen europäischen Ländern verbreiten tausende Menschen diese politische Ideologie und Verschwörungstheorien gegen einen vermeintlichen Islam - wie in noch nicht einmal radikale und gefährliche religiöse Gruppen wie z.B. die Salafisten fordern - gegen ein angebliches kommunistisches und multikulturelles Europa, dass angeblich die Meinungsfreiheit der Patrioten und Islamkritiker einschränkt um für einen angeblichen einheitlichen politischen Islam die europäische Bevölkerung auszurotten.

So auch die Gruppierung „Reichsbewegung“, die auf ihrer Homepage das Pamphlet „Ausweisung aus Deutschland“ mit dem Datum vom 1. Februar 2012 online stellte. (Quelle: Apabiz und hier, inzwischen offline, schaut bitte im googlecache nach) Dieses wurde als Drohbrief an Moscheen und Personen die in Flüchtlingsheim arbeiten gesendet. Auf der Website wurde auch der Aufbau von „Freie-Reichs-Streitkräfte“ angekündigt und Empfehlungen zur Vorbereitung eines Bürgerkriegs gegeben. (Quelle: hier, inzwischen offline, schaut bitte im googlecache nach).

Auf „Politically Incorrect“ und von dessen Personenumfeld werden ständig bekannte Freund-/Feind-Bilder und Verschwörungstheorien angedeutet, die durchaus an antisemitische Ideologien erinnern. Dabei ist die häufig hervorgeholte Gleichsetzung „des Islams“ mit den NS-Verbrechen durch die Islamhasser eine Relativierung und Verharmlosung der Shoah. PI-News bietet den antisemitischen und sexistischen Ideologien von kreuz.net und der Priesterbruderschaft St. Pius X eine breite Plattform an. Von daher gibt es innerhalb der Islamhassszene neben dem vorherrschenden antimuslimischen Rassismus auch unterschwelligen bis offenen Antisemitismus.
Auch wenn dies überwiegend nur auf Internetplattformen ausgelebt wird und diese Personen den Sprung in die Parlamente nicht schaffen – wie die Niederlagen der rechtspopulistischen Parteien von Pro, Freiheit und REP bis auf wenige regionale Ausnahmen, wie z.B. die Bürger in Wut (BIW) Bremen und Pro Köln zeigen - sollten die Medien sachlich und kontinuierlich darüber Berichten. Die Gefahr einer großen politischen Islamhassbewegung ist aufgrund der internen Streitigkeiten zwischen den zahlreichen Splittergruppen, den genannten Parteien aber auch solchen Blogs wie Quotenqueen, blu-News und PI in Deutschland sehr unwahrscheinlich. Zumal dies durchaus eine Internetbewegung ist, aus der sich aber verhältnismäßig wenige Personen für reale politische Aktionen mobilisieren lassen. Eins wurde uns durch die schrecklichen Ereignisse in Norwegen aber vor Augen geführt: Auch über das Internet fanatisierte Einzeltäter können viele Menschen verletzten und töten. Gegen menschenverachtende Ideologien und menschenfeindliche Einstellungen helfen weniger Verbote als vielmehr Aufklärung. Dieser Verantwortung sollte sich die Presse beim antimuslimischen Rassismus auch Abseits der Schlagzeilen bewusst sein.
Dieser Artikel steht unter CC-Lizenz und kann gerne (mit Namensnennung) übernommen werden.

Quelle ist Publikative.org und eine erweiterte Fassung davon.
Oben erwähnte ich schon einen hervorragend selbstreflexiven Artikel von Jörg Lau aus der ZEIT, hier einige Appetithäppchen:

Dröhnendes Schweigen aus der Islamhasserszene begleitet den Breivik-Prozess. Verständlich. Denn was der Massenmörder da zur Begründung seiner Taten ausbreitet, enthält so viele Grundüberzeugungen der Szene, dass es einem den Atem verschlägt. (...)

All das kommt einem nun aus dem Osloer Gericht entgegen in verdichteter Form und zugespitzt mit der Pointe – um eine deutsche Theoretikerin der Entgrenzung zu zitieren – “natürlich kann geschossen werden“. Kann? Muss. Das sollen wir Breivik am Ende abnehmen.

Ich habe es schon früher geschrieben und bleibe dabei: Breivik hat sich die Legitimationsgrundlage seiner Taten nicht herbeihalluziniert, er konnte sie im Netz zusammenbasteln. Er praktiziert in seinem Manifest einen Copy-und-Paste-Faschismus auf über 1.000 Seiten.

Wenn Breivik aufgrund seines apokalyptischen Weltbildes – in dem es gilt, einem alles verschlingenden Multikulturalismus auch mit Waffengewalt zu wehren – psychotisch ist und an paranoider Schizophrenie leidet, dann bewegen sich viele, die ihr Gift in den entsprechenden Foren verspritzen, ebenfalls am Rande der Geisteskrankheit.

Der Blick in den Gerichtssaal von Oslo ist der Blick in einen Zerrspiegel.

Vielleicht ist auch gerade deshalb der Begriff Islamophobie genau richtig, weil in einer Phobie kein großer Rationalismus mehr zu finden ist, und wer die Realität anschaut, und danach dann denkt, (fast) alle Medien, (fast) alle Politiker, und alle Muslime würden einer geheimen Verschwörung der "Islamisierung Europas" anhängen, wer sich allen sachlichen dagegen stehenden Fakten konsequent verweigert, der lebt offensichtlich in einer hoch emotionalisierten irrationalen Parallelwelt.
 
Weitere Hintergründe erfährt man auch in diesem schon älteren Artikel:

Islamhasser Mannheimer, die Kirche und sein Internetpranger
Von Roland Sieber 11.08.2011

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