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Samstag, 27. August 2011

Islamische Philosophie - 3. Teil

Ibn Ruschd (Averroës)
Detailansicht aus der Schule von Athen
(Raphael Santi, Stanzen des Vatikans)


Fortsetzung der Artikelserie mit einführenden Zitaten zur islamischen Philosophie. Der erste Teil kann hier, der zweite hier nachgelesen werden.

Aus: Lexikon des Mittelalters. 2000.

(Beim Scannen gingen die diakritischen Zeichen verloren, Transkription ist nach der DMG)

Arabische Philosophie:

1. Allgemeine Charakterisierung: 
Als arabische Philosophie bezeichnet man die Tradition rationaler Seinserklärung, die seit dem 9. Jh. im islamischem Kulturkreis gepflegt worden ist. Ihr Ursprung lag in der Begegnung mit dem griechischem Denken. Ihr Ziel war es, eine umfassende philosophische Deutung des Diesseits und Jenseits vorzulegen, die mit den Prinzipien der islamischen Religion vereinbart werden konnte. Aufgrund dieses universalen Anspruches jedoch und infolge ihrer Verwurzelung in einer als fremd empfundenen Tradition wurde die arabische Philosophie nicht in den Kanon der eigtlichen islamischen Wissenschaften aufgenommen. Sie begleitete, wie schon in der Spätantike, als weltanschauliche Orientierung die Naturwissenschaften, vor allem die Medizin. Aber sie blieb getrennt von den Disziplinen, in denen die religiös inspirierte Metaphysik zum Ausdruck kam (Theologie, Mystik). Erst ab dem 12. Jh. fand philosophisches Lehrgut auch hier Eingang, allerdings nur in ausgewählter Form und um den Preis seiner Einordnung in ein bereits festgelegtes gedankliches System.



2. Etappen der Entwicklung: 
Die Grundlegung der arabischen Philosophie erfolgte durch die umfangreiche Übersetzungstätigkeit des 9. und 10. Jh., in deren Verlauf zahlreiche griechiche Werke (oft über die Vermittlung des Syrischen) auf Arabisch zugänglich gemacht worden sind. Im Zentrum des Interesses stand dabei das Corpus Aristotelicum, das nahezu vollständig mitsamt den Kommentatoren des Peripatos (Alexander v. Aphrodisias, Themistios) und der spätantiken Schulen (v. a. Alexandrias) übertragen worden ist. Platons Schriften wurden ebenfalls z. T. bekannt, blieben aber mit Ausnahme der politischen Dialoge (Politeia, Nomoi) ohne tiefere Wirkung.
Einflußreich waren dagegen die neuplatonischen Autoren, insbesondere Plotin und Proklos. Ihre Werke sind im Arabischen jedoch nicht in ihrer ursprünglichen Form überliefert, sondern in theistisch und kreation. umgedeuteten Paraphrasen (Theologia Aristotelis, Liber de Causis u. a.), die zumeist Aristoteles zugeschrieben wurden. Daß damit Divergenzen im Bild des Stagiriten auftraten, führte bei den Muslimen kaum zu Irritationen, da man die Philosophie als universale Weisheit betrachtete und speziell im Falle Platons und Aristoteles' (im Gefolge spätantiker Tradition) von einer prinzipiellen Übereinstimmung ausging.
Der erste islamische Philosoph, al-Kindi (gest. gegen 870), gehört noch in die Frühzeit der Übersetzungsperiode und ist in seinem Denken von der Heterogenität der neuen Eindrücke geprägt. Er verbindet platonische Seelenlehre und Ethik mit elementarer aristotelischer Logik und Intellekttheorie (Unterscheidung zw. intellectus in potentia, adeptus, demonstrativus und agens). V. a. aber möchte al-Kindi die philosopischen Lehren nur als Ergänzung zur geoffenbarten Religion sehen und hält daher in wesentlichen Punkten gegen die griechiche Tradition an islamischen Vorstellungen fest (creatio ex nihilo; Auferstehung des Leibes; Gottes Kenntnis der Partikularia).
Al-Farabi (gest. 950) dagegen, dem die antike Überlieferung bereits in ihrer ganzen Breite vorliegt, versteht die Philosophie als systematische Grundlage aller Wissenschaften (auch der religiösen). Die demonstrative Logik (nach Aristoteles) sichert nach seiner Überzeugung dem philos. Gebildeten einen allgemeingültigen Zugang zur Wahrheit. Alle anderen Menschen bedürfen der Offenbarung, die ihnen dieselbe Wahrheit in bildhafter und symbolischer Form (und damit partikular) nahebringt. Verwirklicht wird das wahrheitsgemäße Leben im vollkommenen Staat, den al-Farabi in seinem Hauptwerk (»Die Ansichten der Bürger des vortreffl. Staates«) nach platon. Vorbild konzipiert: Seine Gründung soll auf einen Philosophen-Propheten zurückgehen, seine Führung, wenn möglich, einem Philosophen-Kg. obliegen; sein Gesetz achtet die Vorschriften der Religion, damit jedem Bürger die Anleitung zum rechten Leben garantiert ist.
Die Hinordnung der allegorisch gedeuteten Offenbarung auf eine universale, rational demonstrable Wahrheit bleibt fortan ein Grundzug der arabischen Philosophie. Die Priorität des Politischen dagegen wird schon von Ibn Sina (Avicenna; gest. 1037) wieder aufgegeben, der die Philosophie im islamischen Kontext neu formuliert und in klassischen Werken zusammenfaßt (v. a. das »Buch der Heilung«), deren Systematik, Klarheit und sprachliche Anmut seiner Lehre bleibende Wirkung sichern. Von Bedeutung ist Ibn Sinas Ontologie, die das Sein nach den Kategorien der Notwendigkeit und Möglichkeit analysiert und bei den Dingen zw. dem reinen Begriff (essentia), der Existenz in unserer Vorstellung und der konkreten Existenz unterscheidet. Noch einflußreicher dürfte jedoch seine neuplaton. angeregte Psychologie gewesen sein, die dem Individuum Ort und Bestimmung im Universum zuweist. Sie gründet auf einer ausgefeilten Theorie der Erkenntnis (Intellektlehre; Betonung der Intuition) und gipfelt in faszinierenden Beschreibungen über den Abstieg des göttl. Intellekts und den Aufstieg der geläuterten rationalen Seele, der allein Unsterblichkeit verheißen wird.

Ibn Sinas inspirierte Darstellung zentraler metaphysischer Themen konnte nicht ohne Reaktionen bleiben. Deren heftigste äußerte der Theologe und Mystiker al-Gazzali (gest. 1111), der die Philosophie mit scharfsinnigen skeptischen Argumenten angreift. Er bezweifelt nicht generell die Möglichkeit rationaler Beweisführung (sondern setzt sich sogar für die Anwendung aristotel. Logik in der islam. Theol. ein). Aber er bestreitet in seinem Werk »Die Inkohärenz der Philosophen«, daß Ibn Sina und dessen Vorgängern tatsächlich ein Beweis ihrer weitreichenden Thesen gelungen sei. Das ganze philosische Lehrgebäude beruhe vielmehr auf Scheinargumenten und inneren Widersprüchen. Außerdem führe es zu häret. Vorstellungen (z. B. der Lehre vom notwendigen Kausalzusammenhang, die al-Gazzali einer berühmten Kritik unterzieht), wenn nicht gar zum offenen Unglauben (bei 3 Thesen: Ewigkeit der Welt; Unsterblichkeit der Seele ohne den Leib; Gottes Kenntnis der Partikularia auf nur allgemeine Weise).
Andere Reaktionen, diesmal von philosophischer Seite, kommen aus Spanien. Dort versucht zunächst Ibn Bagga (Avempace, gest. 1138), in der Tradition al-Farabis die Philosophie als apodiktische Wissenschaft zu verteidigen. Ibn Tufayl (Abubacer; gest. 1185) bemüht sich dann (in dem Roman »Haiy Ibn Yaqzan«) um eine Synthese zwischen Ibn Sina und al-Gazzali, indem er den Weg der Erkenntnis als eine Verbindung von rationalem Begreifen und mystischer Schau beschreibt.
Der wichtigste Beitrag stammt jedoch von Ibn Rusd (Averroes, gest. 1198). Er wendet sich sowohl gegen Ibn Sina als auch gegen al-Gazzali und will noch einmal eine streng an Aristoteles orientierte philosopische Wissenschaft etablieren. Ibn Sina wirft er u. a. vor, die Regeln logischer Demonstration mißachtet zu haben (was die Philosophie angreifbar gemacht habe) und von der wahren aristotelischen Lehre durch neuplatonische Emanationstheorien und die Auflösung des Substanzbegriffes abgewichen zu sein. Gegen al-Gazzali lautet das Argument (in »Die Inkohärenz der Inkohärenz«), das Sein weise sehr wohl intelligible Strukturen und kausale Zusammenhänge auf, die man mit Begriffen und logische Schlüssen erfassen könne. Dabei entwirft Ibn Rusd scheinbar radikal antireligiöse Thesen wie die berühmte Lehre von der Universalität des materiellen Intellekts, die eine Unsterblichkeit des einzelnen Menschen ausschließt. Aber hinter diesem Konzept steht nicht die Kritik an religiösen Vorstellungen, sondern eher der Versuch, die Möglichkeit objektiver rationaler Erkenntnis durch eine überindividuelle Instanz abzusichern.

3. Wirkung: 
Ibn Rusds Werk ist imposant, verfehlt jedoch seine Absicht und kann nicht verhindern, daß die Philosophie als eigenständige Wissenschaft im islamischen Kulturkreis keine Fortsetzung findet. Sie befruchtet dafür seit dem 12. Jh. Theologie und Mystik und findet später ihren Widerhall in theosophischen Spekulationen, wobei die Anregungen immer wieder von Ibn Sinas Denken ausgehen.
Ebenfalls im 12. und stärker noch im 13. Jh. gewinnt die arabische Philosophie Bedeutung für das europäische Mittelalter, wo sie, ins Lateinische übersetzt, als Bewahrerin und Interpretin des griechischen Denkens verstanden wird. Hier spielen Ibn Sina und Ibn Rusd die zentrale Rolle, wobei sich ersterer aufgrund seiner neuplatonischen Ausrichtung eher mit der augustinischen Tradition verbindet, während Ibn Rusd für die Aristotelesauslegung maßgebl. wird. Aber auch die Werke früherer arabischer Autoren (etwa zur Intellekttheorie) werden ins Lat. übertragen. Im 14. Jh. lernt man schließlich die Philosophiekritik al-Gazzalis kennen, die offenbar bei Nikolaus v. Autrecourt auf fruchtbaren Boden fällt.

 (Bildquelle: Wikipedia Commons)

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