Dienstag, 19. Juli 2011

Feindbild Westen bei einem Teil der Muslime 1. Teil

Propaganda-Grafitti an der Botschaft der USA in Teheran, Iran
Ich habe hier im Blog ja schon mehrfach Feindbilder thematisiert, die in Deutschland oder allgemein im Westen gegenüber den Muslimen und dem Islam vorhanden sind. Siehe die Rubriken bzw. Tags oder Labels auf der rechten Seite. Dieses ist auch wichtig, denn wenn man weiß, woher diese Feindbilder kommen, wie diese Klischees entstehen, dann kann man leichter diesem Denken entfliehen und ein realeres Bild der Welt erhalten. Zu diesem Vermeiden von Feindbildern und Stereotypen gehört ein trainiertes differenziertes Denken. Dieses wird je mehr trainiert, je höher die Schulbildung ist. So ist es kein Wunder, dass man tendenziell bei höheren Bildungsabschlüssen weniger undifferenzierte Ressentiments oder Schwarz-Weiß-Denken vorfindet; wobei Ausnahmen wie immer die Regel bestätigen. Denn ich möchte hier mal darstellen, wie denn die "Gegenseite" von Schubladendenken, von Feindbildern geprägt ist. Also wie sehen Muslime "den Westen", wie stehen sie zu Juden, wie zu säkularen Umständen dieser Gesellschaft? Und wenn man von hiesigen Migranten ausgeht, und meine obige Feststellung zum differenzierten Denken hinzufügt, ergibt sich zwangsläufig das Bild, dass bei Migranten ein Denken in Schubladen prozentual weiter verbreitet ist, als bei den "Durchschnittsdeutschen", einfach weil deren Bildungsgrad prozentual niedriger ist. Dieses soll keine Entschuldigung sein, sondern vielmehr eine Erklärung, warum in Diskussionen im Internet oder auf der Straße nicht selten gewisse Teile der Migranten ähnliches Denken zeigen, wie gewisse Teile der Deutschen. Also genau dieses tun, was sie "den" Deutschen manchmal vorwerfen. Auch bei Migranten gilt selbstverständlich, dass mit höherem Bildungsgrad eine gewisse Differenziertheit des Blicks auf die Welt einhergeht. Da aber der Anteil der Abiturienten oder Akademiker bei Migranten geringer ist, findet man seltener - je nachdem wo man sich gerade aufhält - diese Stimmen jenseits von vereinfachenden Pauschalisierungen bis hin zu rassistischem Gedankenguts.
Dieses kann man sicherlich sowohl für Migranten in Deutschland, als auch für die Diskussionen in dem Nahen Osten feststellen.

Dazu in loser Folge einige interessante Artikel, Bücher, Internetseiten, die dieses Thema näher beleuchten:




Der Westen als Feind

Die politische Alternative zur Bewunderung des Westens ist  dessen Verteufelung. Diese intellektuelle Strömung hat insbesondere mit dem Niedergang des Arabischen Nationalismus - der ja selbst in gewissem Maße eine Adaptation westlicher Vorstellungen war - an Boden gewonnen. Sie gibt es in einer säkularen und einer islamistischen Strömung, wobei letztere gegenwärtig im Vorteil ist. Der anti-westliche Affekt stützt sich, wie sein prowestlicher Zwillingsbruder durchaus auf reale Erfahrungen und zutreffende Einschätzungen. So wird gern auf den europäischen Kolonialismus als antidemokratische Gewaltherrschaft verwiesen, auf das westliche Interesse an der Kontrolle der Energieressourcen der Region, an die Unterstützung der Regierungen in Washington, Paris und London für zahlreiche Diktaturen der Region.

Diese und andere Vorwürfe sind berechtigt oder zumindest diskutabel. Der anti- westliche Affekt geht darüber allerdings hinaus: Er nimmt solche Argumente oft nur zum Ausgangspunkt weitergehender ideologischer Muster, die sich von den Realitäten lösen. Verschwörungstheorien, Trotzreflexe, eine Belagerungsmentalität und andere Erscheinungen mischen sich mit zum Teil antisemitischen Politikmustern, die sich als antizionistisch verkleiden  und mit der Politik Israels begründet werden. Der Westen wird als Lager des Imperialismus betrachtet, das die Welteroberung zum Ziel hat, er erscheint als machtpolitische, zugleich aber ideologischkulturelle Bedrohung, der auf beiden Ebenen begegnet werden müsse. Die Gesellschaften des Nahen und Mittleren Ostens sollen danach stark sein oder werden, zugleich muß aber ihre Identität gefestigt werden. In diesem Kontext gewinnt der Islam besondere Bedeutung: Er symbolisiert das Eigene, er ist nichtwestlich, er betont die Einheit der verschiedenen Klassen, Ethnien und Gesellschaften des Nahen und Mittleren Ostens gegen die 'christlichen' oder atheistischen Europäer/Nordamerikaner, er soll ein Bollwerk gegen deren ideologische Subversion darstellen.
Auffällig an der anti-westlichen Strömung ist, daß auch sie ein Element der Bewunderung enthält. 'Dem Westen' wird nicht sein 'moderner' Charakter vorgeworfen, und in aller Regel sind die Kritiker aus dieser Strömung das Gegenteil von Bilderstürmern.

Meist werden der technische Fortschritt und die Wissenschaft des Westens nicht nur akzeptiert, sondern als anzustrebendes Vorbild betrachtet. Weder der Westen noch die Modernität seien als solche schlecht.

Statt dessen werden zwei Vorwürfe erhoben: Erstens wolle der Westen durch seine imperiale Politik die nahöstlichen, muslimisch geprägten Gesellschaften gerade von den Früchten des Fortschritts ausschließen, er wolle sie monopolisieren und als Machtinstrument für sich behalten. Zweitens aber lasse sich im Westen ein moralischer Verfall beobachten, ein Niedergang der Werte, und eine allgemeine Dekadenz greife um sich. Alkohol und Drogen, sexuelle Freizügigkeit, Homosexualität bei Männern und Frauen, Pornographie und andere Erscheinungen werden in diesem Kontext meist betont.

Dem Westen wird also machtpolitisches Dominanzstreben plus moralischer Verfall vorgeworfen - wobei auffällt, daß der erste Vorwurf von vielen Linken in Europa und den USA, der zweite von vielen Rechten dort geteilt wird. Beide Vorwürfe werden im Nahen Osten dann aber gern und schnell mit der Vernachlässigung der Religion allgemein oder mit dem nicht (bzw. anti-) islamischen Charakter des Westens in Zusammenhang gebracht.
Die anti-westliche Ideologie im Nahen und Mittleren Osten kann in einem gewissen Sinne als Haßliebe begriffen werden, zum Teil als enttäuschte Liebe - ähnlich, wie der emotionale Anti-Amerikanismus in Europa. Ein eigentlich bewundertes Vorbild ist durch sein Handeln und seine Unterlassungen entzaubert worden, und der eklatante Widerspruch zwischen überspannten Erwartungen und einer tief enttäuschten Hoffnung führt zur emotionalen Besetzung dieser Fremdwahrnehmung. Im westlichnahöstlichen Verhältnis wird diese Spannung durch die reale Erfahrung eines drastischen Machtungleichgewichtes weiter akzentuiert. Das früher bewunderte und heute gehaßte Gegenüber ist zugleich machtpolitisch von erdrückender Überlegenheit, eine Erfahrung, die sich von der Zeit des Kolonialismus bis zum zweiten Golfkrieg und der israelischen Politik in der Westbank und im Libanon immer wieder reproduziert hat. Die dauerhafte Unterlegenheit unter einen moralisch korrupten, aber machtbesessenen Gegner - so läflt sich die Weltsicht der meisten Vertreter dieser Strömung zusammenfassen.


Perzeptionsbedingungen

Einige Dinge sind hier noch nachzutragen:
Erstens sind die pro- und die anti-westlichen Klischees nicht auf mangelnde Kenntnis des Westens zurückzuführen. Im Gegenteil: Die Träger der beiden scheinbar so gegensätzlichen Strömungen verfügen oft über überdurchschnittliche Kenntnisse und über Erfahrungen mit 'dem Westen'. Es ist keine Seltenheit, dafl die Vertreter der entsprechenden ideologischen Eliten selbst länger im Westen gelebt haben oder dort ausgebildet wurden.
Zweitens sollte daran erinnert werden, daß die Sichtweise auf den Westens durch die Bevölkerungsmehrheit - insbesondere die Landbevölkerung - sich von der ihrer Eliten graduell unterscheidet: Sie scheint stärker pragmatisch und eher von Neugierde geprägt, dafür weniger ideologisiert zu sein. Je stärker allerdings die lokalen Eliten in einem Austausch mit der eigenen Bevölkerung stehen (das ist abhängig von den politischen Bedingungen, dem Alphabetisierungsgrad, Bildungsniveau, der Rolle religiöser Eliten etc.), um so geringer dürften diese Unterschiede ausgeprägt sein.
Drittens darf natürlich nicht vergessen werden, daß diese beiden hier idealtypisch unterschiedenen Strömungen nicht die einzigen Sichtweisen auf den Westen sind. Es gibt sowohl westlich geprägte, als auch lokal sozialisierte Elitegruppen, die weder zu pro-, noch anti-westlichem Fundamentalismus neigen, sondern sich erfolgreich um eine nüchterne Auslotung der Potentiale von Konflikt und Kooperation bemühen.
Diese Sektoren gibt es in säkularem und religiösem Gewand, und sie wären die eigentlich attraktiven potentiellen Dialogpartner westlicher Akteure. Diese finden es allerdings oft bequemer, mit den prowestlichen Fundamentalisten, als ihren eigenen karikierten Spiegelbildern, einen 'Dialog' zu führen.
Viertens darf nicht übersehen werden, daß die bisher benutzte Perspektive 'nahöstliche Perzeptionen des Westens' sehr häufig nur vorgeschoben ist. In der Regel werden hinter dieser Fassade tatsächlich innenpolitische Kontroversen im Nahen Osten (oder im Westen) ausgetragen: Man schlägt beispielsweise rhetorisch auf 'den Westen' ein, um in Wirklichkeit deren lokale Bewunderer oder unabhängige, säkulare Intellektuelle zu treffen. Oder umgekehrt kann die Bewunderung des Westens
durch lokale Eliten ein Mechanismus sein, sich von der ('rückständigen') eigenen Bevölkerung abzukoppeln und sich demokratischer Rechenschaftspflicht dieser gegenüber zu entziehen. Der frühere Begriff 'Entwicklungsdiktatur' für diesen Tatbestand ist etwas aufler Mode gekommen. Schließlich muß daran erinnert werden, daß die Perzeption des Westens im Nahen und Mittleren Osten auch die Wahrnehmung von Konzepten der Demokratie und Menschenrechte prägt. Natürlich werden staatliche Morde, Folter und andere Menschenrechtsverletzungen auch im Nahen und Mittleren Osten abgelehnt und nicht etwa als 'Bestandteile der eigenen Kultur' gerechtfertigt. Die Tatsache, daß die Diktatoren der Region dies gern anders sehen, ändert daran nichts. Allerdings werden die Begriffe von Demokratie und Menschenrechten im Nahen und Mittleren Osten nicht selten mit großer Skepsis betrachtet. Es handele sich um 'westliche' Konzepte, die von den Staaten Europas und Nordamerikas benutzt würden, um ihre Vorherrschaft und Einmischungspolitik zu rechtfertigen. Der Westen selbst nehme diese Vorstellungen aber nicht ernst, er sei in Fragen der Menschenrechte und Demokratie scheinheilig und unglaubwürdig, verwende doppelte Maßstäbe nach politischen Nutzen - weshalb man in diese 'Falle' nicht tappen dürfe. Durch diese Wahrnehmung haben es Menschenrechtsgruppen im Nahen Osten besonders schwer: Sie müssen ständig nachweisen, sich tatsächlich für die Menschen ihrer eigenen Länder zu engagieren, und nicht bloß der Menschenrechtsheuchelei westlicher Regierungen in die Hände zu spielen.

aus:
Jochen Hippler/Andrea Lueg (Hrsg.):
Feindbild Islam - oder Dialog der Kulturen. Hamburg 2002. (inkl. einiger sehr renommierter Autoren wie Reinhard Schulze, P. Kappert, usw.)
S. 248 ff.

Weitere Leseprobe aus obigen Buch:
Der Islam, der Westen und die politische Gewalt in den internationalen Beziehungen
(PS. Seite Scheint gerade offline zu sein. Ggf. später nochmals versuchen, ansonsten befindet sich der Text hier im google-Cache oder bei www.archive.org mal schauen.)

Wie kann man diese Argumentationsmuster durchbrechen, wie die Vorurteile ändern?
Welche Muster sind euch so begegnet? Seid ihr auch schon in diverse Argumentationsfallen getappt?

(Bildquelle: flickr, pooyan)

2 Kommentare:

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