Ein Spaziergang führte mich im September 2016 durch wenig von Touristen bevölkerte Viertel Istanbuls. Dieser ca. fünf bis sechs Kilometer lange Weg beginnt beim Alt-Istanbuler Kopf der Galatabrücke, der den Eingang des Goldenen Hornes in den Bosporus markiert, führt entlang des südlichen Ufers des Goldenen Horns und knickt dann in südlicher Richtung hinein in die verwinkelten Gassen Alt-Istanbuls auf Höhe des Atatürk Boulevards und endet etwa beim Ratshaus der Megametropole. Neben einer meist kunsthistorischen Betrachtung, verbunden mit der Frage, was denn das eine oder andere Bauwerk so besonders macht, versuche ich durch das zahlreiche Einbetten von meinen Fotos, das Beschriebene greifbar zu machen (Fotos sind anklickbar zum Vergößern).
Der Spaziergang dargestellt in Google Maps |
Dabei könnten diese Rastenden den Blick von links nach rechts schweifen lassen, entlang der Galatabrücke zur direkt am Ufer gelegenen hoch aufragenden Yeni Cami ("Neue Moschee", 17. Jh.), zum dahinter liegendem ersten von sieben Stadthügel, mit dem thronendem Topkapi Palast der osmanischen Sultane, der rechts daneben liegenden majestätischen Hagia Sophia, den Spitzen der Minarette der Sultan Ahmet I. Moschee, dann wieder den Blick herab senkend auf den Eingang des Ägyptischen Basars, und während man noch die rechts befindliche auffällige Silhouette des Kuppelgebirges der Sultan Süleyman I. Moschee auf dem dritten Stadthügel bewundert, nimmt einen die Kuppel der Rüstem Pascha Moschee davor in Beschlag. Der Blick wandert weiter Richtung Westen zum Goldenen Horn und an den Ufern befindlichen Landmarken während in der Ferne die weiteren Sultans-Moscheen auf den Hügeln thronen.
Topkapi Palast vom Goldenen Horn aus gesehen, rechts der Korbmacher Pavillon (16. Jh.), seit 2011 Sitz des grünen Halbmondes (Anti Drogen NGO) |
Rechts vom Topkpapi Serail blitzen die Kuppeln der Hagia Irene und der Hagia Sophia über den Gülhane Park hervor |
Links unter dem roten Plakat der Ägyptische Basar, dahinter der Beyazit-Turm, die Galatabrücke, darüber die Sultan Süleyman I. Moschee |
Eingang zum Ägyptischen Basar, wo es besonders viele Gewürze gibt (wird zurzeit restauriert und steht voller Gerüste) |
Die Süleymaniye genannte Sultan Süleyman I. Moschee, umgeben von osmanischen Universitäten, etwas tiefer die Moschee seines Schwiegersohnes, Rüstem Pascha. Im Vordergrund das Gitter der Galatabrücke |
Galatabrücke vom Süden aus gesehen. Aus der Richtung des großen gedeckten Basars. Im Vordergrund sieht man das Dach des Ägyptischen Basars |
Das Viertel, wo wir starten, ist vielleicht einer der farbigsten von Istanbul: Eminönü. Ich komme darauf vielleicht noch einmal in einem anderen Spaziergangs-Artikel zu sprechen, möchte hier aber schon mal einige Hintergrundinformationen mitteilen. Im spätbyzantinischen Reich hatten nämlich hier die italienischen Stadtstaaten ihre Viertel verpachtet bekommen. Die Marktzone rechts der Brücke erhielten die Venezianer, die links der Brücke die Kaufleute aus Amalfi. Noch weiter links lagen dann die Kontorhäuser und Lagerhäuser von Genua und Pisa, die allerdings ansonsten eher nördlich des Goldenen Horns ihr Zentrum hatten - in Pera / Beyoğlu. Dort, wo heute die Yeni Moschee steht, befand sich im Mittelalter das Viertel der karäischen jüdischen Kaufleute, das wie ein Keil zwischen denen von Venedig und Amalfi lag. Anders als die Italiener, die nach der Eroberung der Stadt durch die Osmanen 1453 ihre Niederlassungen bis auf die in Pera verloren hatten, durften die jüdischen Kaufleute dort noch bis zum Brand 1660 Handel treiben. Danach wurden auch sie aufgrund der Moscheebaupläne der Yeni Moschee umgesiedelt, ins drei Kilometer stromaufwärts des Goldenen Horns gelegenen Viertels Hasköy. Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts mögen dort noch gelegentlich ihre Nachkommen anzutreffen sein. Ansonsten erlebte auch Istanbul ab Mitte des 20. Jh. und im 21. Jahrhundert die Flucht großer Teile der Juden - wie überall in mehrheitlich muslimischen Gesellschaften.
Von den Bauten der italienischen Stadtstaaten finden sich heute keine Spuren mehr südlich des Goldenen Hornes.
Noch immer gibt es Schuhputzer rund um die Yeni Moschee. Mit Lizenz. |
angebliches Grab von Cafer Baba im Gefängnisturm |
Grab von Cafer Baba |
Der große Reisende, Schriftsteller und als "kleiner osmanischer Münchhausen" geltende Evliya Çelebi (1611 - 1683) schreibt:
Cafer Baba wurde im Kerker der Ungläubigen in einem Winkel begraben, wo bis zum heutigen Tage seinem Namen Schimpf widerfährt durch all diese glaubenslosen Malefizbuben, Schuldner, Mörder - und was sonst noch -, die hier in Banden lagen. Als aber - Gott sei gelobt! - Istanbul erobert ward, wurde des Cafer Babas letzte Ruhestatt im Turm des Bagno ein Zielort frommer Wallfahrer, vornehmlich solcher, die aus Gefängnissen entlassen waren, und die nun, den Flüchen der Ungläubigen zum Spott, hier ihre Segenswünsche rufen.
Ahi Çelebi Moschee mit Kuppeln des Portikus rechts, dahinter die Sultan Süleyman Moschee |
Ahi Çelebi Moschee von innen. Mächtige gedrungene Pfeiler stützen die Spitzbögen. Das bekommen die osmanischen Baumeister später eleganter hin. |
Besonders erwähnenswert oder besuchenswert ist die Moschee eigentlich nicht, wäre da nicht eine Anekdote des oben erwähnten Evliya Çelebi, die diesen Ort zum Leben erweckt, und wie so oft in Istanbul unscheinbare "tote Steine" zum Leben erweckt, und man hinter jeder Ecke der Stadt plötzlich die Vergangenheit vor sich abspielen sieht, sofern man denn darüber sich etwas angelesen hat. Die Moschee selbst ist unspektakulär: Eine Kuppel wird durch vier Schildwände, bekrönt von Spitzbögen, gestützt. Gedrungene Pfeiler trennen zwei Seitenschiffe vom Hauptraum ab, so dass sich ein querrechteckiger Raum ergibt. Evliya schreibt also im Buch der Reisen (Seyahatname), wie er Zwanzigjährig in einer Nacht des Fastenmonats 1631 einen Traum gehabt habe. Er befände sich damals in dieser Moschee beim Gebet, als plötzlich die Moschee sich füllte mit "strahlenden heiligen Männern", und auf dem Schlachtfeld gefallener Helden beziehungsweise Märtyrer. Zuletzt trat sogar der Prophet Muhammad persönlich in die Moschee ein, um Evliya zu verstehen zu geben, dass dieser sein Leben auf Reisen widmen sollte. Evliya konnte es kaum glauben, was er da geträumt hatte, und so beschloss er einen Traumdeuter in der damaligen Vorstadt Kasım Paşa auf der anderen Seite des Goldenen Horns aufzusuchen, der außerdem Gesichter deuten konnte. Wie konnte es anders sein, als dass er seine Bestimmung, seinen Traum, bestätigte, woraufhin Evliya beschloss, sein Leben den Reisen und der Geschichtsschreibung und Erlebnisberichten zu widmen - manchmal mit einem Augenzwinkern geschrieben, weshalb man nicht alles ernst nehmen darf was er so berichtet. Dennoch sind seine Bücher unschätzbare Quellen über das osmanische Reich des 17. Jahrhunderts.
Ich war zufällig zur Gebetszeit wochentags anwesend, und die Beobachtung in dieser kleinen Moschee, wie auch in anderen größeren Moscheen Istanbuls waren immer dieselben: Richtig voll waren fast keine der Moscheen. Voller wurden sie nur am Freitag, dem "islamischen Sonntag".
Am Rande des Basarviertels, wo es gelegentlich vorkommt, dass sich eine Straße auf eine Ware oder eine Produktgattung spezialisiert hat - z. T. bis heute |
Gehen wir weiter an der Uferstraße des Goldenen Horns entlang, erreichen wir drei der ältesten Moscheen der Stadt, alle unscheinbar, aber doch die Vergangenheit dieser Gegend lebendig werden lassend. Dabei können wir auch durch die nördlichen Gassen des Basarviertels streifen, der den gesamten zweiten Stadthügel umfasst, mit dem Zentrums des großen gedeckten Basars (Kapalı Çarşı) und der Nuru Osmaniye Moschee auf dem Gipfel des Hügels. Hier unten am Ufer sind die äußersten Ausläufer dieses Basarviertels.
Minarett der kleinen Kantacılar Mescidi |
Als erstes erreichen wir die Kantacılar Mescidi, den "Gebetssaal der Waagenmacher", deren Zunft hier seit Jahrhunderten ansässig war. Sarı Demirci (Feinschmied) Mevlana Mehmed Muhittin hat sie während der Herrschaft Sultan Mehmed II. errichten lassen (15. Jahrhundert). Als Mescit wird in der Türkei eine kleinere Moschee bezeichnet, die, im Unterschied zur Cami, nicht für das Freitagsgebet bestimmt ist und deshalb keine Predigerkanzel (minbar), jedoch immer eine Gebetsnische (mihrab) enthält. Wie man sieht, hat der Innenraum umfangreiche Umbauten in jüngerer Zeit gesehen, und es erinnert Innen nichts mehr an das Jahrhunderte währende Alter der Moschee. Alles ist in der Moderne restauriert worden, wobei es auch geboten erschien, dieser Mescit einen Minbar (Predigerkanzel) zu spendieren.
Kantacılar Mescidi von innen, mittig Gebetsnische (mihrab) und Predigerkanzel (minbar) |
Die Wände sind über und über mit Fliesen im klassischen osmanischen Iznik Stil gefüllt, allerdings Produkte der modernen Massenproduktion des 20. Jahrhunderts, und mit wenig Kunstverstand ausgewählt, denn dadurch erinnert stellenweise das Innere mehr einem Badezimmer, als an eine osmanische Moschee. Nach dem Motto Viel hilft Viel, wurde hier ein- und dasselbe Muster repetitiv viel zu viel gefliest, außerdem mit einer Fliese, die wenig Weiß enthält, und dadurch den Arabesken keine Luft zum Atmen lässt, und durch die Wiederholung diesen gedrungenen Effekt noch verstärkt. Die Restauratoren haben wohl leider nur oberflächlich die Osmanische Kunst verstanden. Ähnliche wirkende Ver(sch)wendung von Fliesendekor in Moscheen lässt sich auch in deutschen Moscheen beobachten. Übrigens kann man als Laie recht einfach erkennen, aus welcher Zeit eine Iznik Fliese stammt. Klassische Iznik Fliesen der Blütezeit des 16. Jahrhunderts haben ein leuchtendes sogenanntes Bolusrot. Vor dieser Blütezeit und danach, wurde dieses Rot nie mehr erzielt, bis auf die letzten Dekaden, wo dieses Rot durch Kunsthandwerker wieder hergestellt werden konnte. Flachdächer sind übrigens nicht nur für Mescits öfters eine Wahl des Baumeisters gewesen, sondern gelegentlich auch bei den größeren Freitagsmoscheen, also Camis.
Kantacılar Mescidi von innen, Flachdach. Mit Ventilatoren. |