Montag, 31. Juli 2017

Istanbul Spaziergang - Von der Galatabrücke zum Valens Aquädukt - 1. Teil


Blick über Istanbul vom Süden aus. Links der Galata Turm, dann
die Galatabrücke mit der Mündung des Goldenen Horns,
die Yeni Moschee direkt am Ufer,
 rechts der Bosporus mit der Bosporusbrücke im Hintergrund


Ein Spaziergang führte mich im September 2016 durch wenig von Touristen bevölkerte Viertel Istanbuls. Dieser ca. fünf bis sechs Kilometer lange Weg beginnt beim Alt-Istanbuler Kopf der Galatabrücke, der den Eingang des Goldenen Hornes in den Bosporus markiert, führt entlang des südlichen Ufers des Goldenen Horns und knickt dann in südlicher Richtung hinein in die verwinkelten Gassen Alt-Istanbuls auf Höhe des Atatürk Boulevards und endet etwa beim Ratshaus der Megametropole. Neben einer meist kunsthistorischen Betrachtung, verbunden mit der Frage, was denn das eine oder andere Bauwerk so besonders macht, versuche ich durch das zahlreiche Einbetten von meinen Fotos, das Beschriebene greifbar zu machen (Fotos sind anklickbar zum Vergößern).


Der Spaziergang dargestellt in Google Maps


Links die Yeni Moschee, dann mit einem roten Banner verdeckt,
der Eingang zum Ägyptischen Basar, dahinter der Beyazit-Turm
der Istanbuler Uni, rechts auf dem 3. Stadthügel die
Sultan Süleyman I. Moschee
Der Kopf der Galatabrücke ist Ausgangspunkt einiger Spaziergänge durch die Stadt, kreuzen sich hier doch viele Verkehrswege zu Wasser und zu Lande. Entsprechend geschäftiges Treiben ist auch zu beobachten, wenn die Fähren vom Bosporus oder dem alten natürlichen Hafen des Goldenen Hornes ihre Passagiere in Schüben ausspeien, diese dann eilig versuchen die Metro, die Busse, die Straßenbahn oder die Minibusse zu erreichen, während andere erst einmal bei einem Fischbrötchen Rast machen. Frisch gefangen und gegrillt auf einen der manchmal prächtig dekorierten Boote, die entlang des Goldenen Hornes ankern.

Dabei könnten diese Rastenden den Blick von links nach rechts schweifen lassen, entlang der Galatabrücke zur direkt am Ufer gelegenen hoch aufragenden Yeni Cami ("Neue Moschee", 17. Jh.), zum dahinter liegendem ersten von sieben Stadthügel, mit dem thronendem Topkapi Palast der osmanischen Sultane, der rechts daneben liegenden majestätischen Hagia Sophia, den Spitzen der Minarette der Sultan Ahmet I. Moschee, dann wieder den Blick herab senkend auf den Eingang des Ägyptischen Basars, und während man noch die rechts befindliche auffällige Silhouette des Kuppelgebirges der Sultan Süleyman I. Moschee auf dem dritten Stadthügel bewundert, nimmt einen die Kuppel der Rüstem Pascha Moschee davor in Beschlag. Der Blick wandert weiter Richtung Westen zum Goldenen Horn und an den Ufern befindlichen Landmarken während in der Ferne die weiteren Sultans-Moscheen auf den Hügeln thronen.


Topkapi Palast vom Goldenen Horn aus gesehen,
rechts der Korbmacher Pavillon (16. Jh.),
seit 2011 Sitz des grünen Halbmondes (Anti Drogen NGO)



Rechts vom Topkpapi Serail blitzen die Kuppeln der Hagia Irene
und der Hagia Sophia über den Gülhane Park hervor


Links unter dem roten Plakat der Ägyptische Basar, dahinter
 der Beyazit-Turm, die Galatabrücke, darüber
die Sultan Süleyman I. Moschee


Eingang zum Ägyptischen Basar, wo es besonders viele Gewürze gibt
(wird zurzeit restauriert und steht voller Gerüste)


Die Süleymaniye genannte Sultan Süleyman I. Moschee, umgeben von
osmanischen Universitäten, etwas tiefer die Moschee seines
Schwiegersohnes, Rüstem Pascha. Im Vordergrund das Gitter
der Galatabrücke


Auf dem vierten von sieben Stadthügeln thront
die Sultan Mehmet II., Fatih Moschee, die im 18, Jh. nach einem Erdbeben
 fast komplett neu gebaut werden musste. Rechts darunter
die Molla Zeyrek Moschee, ehemals Pantokrator Kirche, ein Ziel dieser
Wanderung. Rechts neben den Segelmasten ein Rest eines Turmes
der byzantinischen Seemauern, das als Gefängnis genutzt wurde.


Auf dem fünften Stadthügel, weiter stromaufwärts das Goldene Horn entlang,
liegt die Sultan Selim I. Moschee. Davor drei Türben (Mausoleen).
Im Vordergrund die Galatabrücke, dahinter die neue Metrobrücke


Galatabrücke vom Süden aus gesehen. Aus
der Richtung des großen gedeckten Basars.
Im Vordergrund sieht man das Dach
des Ägyptischen Basars

Das Viertel, wo wir starten, ist vielleicht einer der farbigsten von Istanbul: Eminönü. Ich komme darauf vielleicht noch einmal in einem anderen Spaziergangs-Artikel zu sprechen, möchte hier aber schon mal einige Hintergrundinformationen mitteilen. Im spätbyzantinischen Reich hatten nämlich hier die italienischen Stadtstaaten ihre Viertel verpachtet bekommen. Die Marktzone rechts der Brücke erhielten die Venezianer, die links der Brücke die Kaufleute aus Amalfi. Noch weiter links lagen dann die Kontorhäuser und Lagerhäuser von Genua und Pisa, die allerdings ansonsten eher nördlich des Goldenen Horns ihr Zentrum hatten - in Pera / Beyoğlu. Dort, wo heute die Yeni Moschee steht, befand sich im Mittelalter das Viertel der karäischen jüdischen Kaufleute, das wie ein Keil zwischen denen von Venedig und Amalfi lag. Anders als die Italiener, die nach der Eroberung der Stadt durch die Osmanen 1453 ihre Niederlassungen bis auf die in Pera verloren hatten, durften die jüdischen Kaufleute dort noch bis zum Brand 1660 Handel treiben. Danach wurden auch sie aufgrund der Moscheebaupläne der Yeni Moschee umgesiedelt, ins drei Kilometer stromaufwärts des Goldenen Horns gelegenen Viertels Hasköy. Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts mögen dort noch gelegentlich ihre Nachkommen anzutreffen sein. Ansonsten erlebte auch Istanbul ab Mitte des 20. Jh. und im 21. Jahrhundert die Flucht großer Teile der Juden - wie überall in mehrheitlich muslimischen Gesellschaften.
Von den Bauten der italienischen Stadtstaaten finden sich heute keine Spuren mehr südlich des Goldenen Hornes.

Konstantinopel zu byzantinischer Zeit. Auch wie es über die
Jahrhunderte durch die Kaiser erweitert wurde. Man sieht hier recht gut die
sieben Stadthügel, die sich in der Stadtsilhouette aber nur gering abheben.
Dennoch kann man diese erkennen, da auf deren Kuppen meist
repräsentative Gebäude errichtet wurden.



Noch immer gibt es Schuhputzer rund um die Yeni Moschee. Mit Lizenz.
Bis Ende der 1980er Jahre reichten die Bauten der Geschäfte, der Fabriken, der Manufakturen, der Kaianlagen, der Werften teilweise bis an das Ufer des Goldenen Hornes heran. Im Zuge einer umfassenden und teilweise auch rabiaten Stadtsanierung rund um das Goldene Horn, wurden diese oft entfernt, mitsamt damals noch stehenden Teilen der großen byzantinischen Seemauern sowie weiterer Bauten. Ersetzt wurden diese mit einem Stadtpark und Grünanlagen, die nun das südliche Ufer des Goldenen Hornes dominieren, sowie mit einer Sanierung des stinkendem faulendem Gewässers des Goldenen Horns, und dennoch findet man am Ufer noch einige interessante Bauwerke.



angebliches Grab von Cafer Baba im Gefängnisturm
Beginnen wir also mit dem Platz, der heute von Parkplätzen dominiert ist und Zindan Kapı heißt, zu deutsch, Gefängnistor. Hier sehen wir wie altersschwach angelehnt an ein Gebäude, tatsächlich noch einen Überrest der byzantinischen Seemauer: Einen Turm. Er scheint jahrhundertelang von den Byzantinern bis zu den Osmanen als Gefängnis gedient zu haben, und hier wurde in wundersamer Weise nach der Eroberung der Stadt 1453 von den Osmanen das Grab von Cafer Baba wiederentdeckt. Der Turm - der über Kerker errichtet wurde - verschmilzt mit dem Gebäude des Zindan Hans, einem Bauwerk des 19. Jh., welches auch als Han der Juweliere diente, und heute ein Restaurant mit guter Aussicht beherbergt (Surplus Restaurant). Das Grab dient bis heute als Stätte frommer Verehrung, und rettete wohl den Gefängnisturm vor der Zerstörung. Cafer Baba soll nach einer lokalen Legende als Gesandter Harun ar-Raschids nach Konstaninopel gekommen sein, wurde jedoch in Ketten gelegt und soll hier verstorben sein.


Grab von Cafer Baba


Der große Reisende, Schriftsteller und als "kleiner osmanischer Münchhausen" geltende Evliya Çelebi (1611 - 1683) schreibt:

Cafer Baba wurde im Kerker der Ungläubigen in einem Winkel begraben, wo bis zum heutigen Tage seinem Namen Schimpf widerfährt durch all diese glaubenslosen Malefizbuben, Schuldner, Mörder - und was sonst noch -, die hier in Banden lagen. Als aber - Gott sei gelobt! - Istanbul erobert ward, wurde des Cafer Babas letzte Ruhestatt im Turm des Bagno ein Zielort frommer Wallfahrer, vornehmlich solcher, die aus Gefängnissen entlassen waren, und die nun, den Flüchen der Ungläubigen zum Spott, hier ihre Segenswünsche rufen.

Früher soll der Heilige im oberen Stockwerk des Turmes begraben worden sein, heute befindet sich sein Grab im Erdgeschoss.



Ahi Çelebi Moschee mit Kuppeln des Portikus rechts,
dahinter die Sultan Süleyman Moschee
Auf dem Weg zur Ahi Çelebi Moschee gleich in der Nähe, können wir Überreste alter Gemäuer entdecken, wahrscheinlich eines der Seetore aus byzantinischer Zeit. Nach der Eroberung der Stadt nannten hier ansässige Griechen das Tor als "Tor der Karavellen" wegen der Schiffe, die hier festmachten. In türkischer Zeit hieß dieses Yemiş Iskelesi (Obst-Kai), wegen all der Schiffe die Obst zum Großmarkt brachten. Wie schon erwähnt, gibt es aber heute keine Anleger mehr, jenseits von Fähranleger für Passagiere am Goldenen Horn und einigen wenigen Werften. Heute gelangen wie überall in der industrialisierten Welt die Obst- und Gemüsewaren mittels Container in den Großhandel. Kurz darauf sehen wir die kleine gedrungene Moschee des Ahi Çelebi ibni Kemal, die im typisch byzantinischem Stil beeinflusst ist, den wir so häufig in Istanbul antreffen: Der abwechselnde Schichtwechsel der Mauern von Haustein und rotem Ziegelstein, der Bauten bei Erdbeben besonders widerstandsfähig macht. Wann die Moschee errichtet wurde, ist nicht bekannt. Ahi Çelebi war Chefarzt im Krankenhaus des Sultans Mehmed II, des Eroberer (reg. 1451 - 1481), und starb 1523 nach seiner Rückkehr der Pilgerfahrt nach Mekka. Eine Besonderheit stellt der  Portikus dar, der geschlossen ist und höhlenartig eng wirkt, weil er durch zwei massive Stützpfeiler in der Raummitte verstellt wird. Diese tragen zusammen mit den entsprechenden Pilastern an den Wänden sechs Kuppeln.


Ahi Çelebi Moschee von innen. Mächtige gedrungene Pfeiler stützen die
Spitzbögen. Das bekommen die osmanischen Baumeister später eleganter hin.


Besonders erwähnenswert oder besuchenswert ist die Moschee eigentlich nicht, wäre da nicht eine Anekdote des oben erwähnten Evliya Çelebi, die diesen Ort zum Leben erweckt, und wie so oft in Istanbul unscheinbare "tote Steine" zum Leben erweckt, und man hinter jeder Ecke der Stadt plötzlich die Vergangenheit vor sich abspielen sieht, sofern man denn darüber sich etwas angelesen hat. Die Moschee selbst ist unspektakulär: Eine Kuppel wird durch vier Schildwände, bekrönt von Spitzbögen, gestützt. Gedrungene Pfeiler trennen zwei Seitenschiffe vom Hauptraum ab, so dass sich ein querrechteckiger Raum ergibt. Evliya schreibt also im Buch der Reisen (Seyahatname), wie er Zwanzigjährig in einer Nacht des Fastenmonats 1631 einen Traum gehabt habe. Er befände sich damals in dieser Moschee beim Gebet, als plötzlich die Moschee sich füllte mit "strahlenden heiligen Männern", und auf dem Schlachtfeld gefallener Helden beziehungsweise Märtyrer. Zuletzt trat sogar der Prophet Muhammad persönlich in die Moschee ein, um Evliya zu verstehen zu geben, dass dieser sein Leben auf Reisen widmen sollte. Evliya konnte es kaum glauben, was er da geträumt hatte, und so beschloss er einen Traumdeuter in der damaligen Vorstadt Kasım Paşa auf der anderen Seite des Goldenen Horns aufzusuchen, der außerdem Gesichter deuten konnte. Wie konnte es anders sein, als dass er seine Bestimmung, seinen Traum, bestätigte, woraufhin Evliya beschloss, sein Leben den Reisen und der Geschichtsschreibung und Erlebnisberichten zu widmen - manchmal mit einem Augenzwinkern geschrieben, weshalb man nicht alles ernst nehmen darf was er so berichtet. Dennoch sind seine Bücher unschätzbare Quellen über das osmanische Reich des 17. Jahrhunderts.
Ich war zufällig zur Gebetszeit wochentags anwesend, und die Beobachtung in dieser kleinen Moschee, wie auch in anderen größeren Moscheen Istanbuls waren immer dieselben: Richtig voll waren fast keine der Moscheen. Voller wurden sie nur am Freitag, dem "islamischen Sonntag".

Am Rande des Basarviertels, wo es gelegentlich vorkommt, dass sich eine Straße
auf eine Ware oder eine Produktgattung spezialisiert hat - z. T. bis heute

Gehen wir weiter an der Uferstraße des Goldenen Horns entlang, erreichen wir drei der ältesten Moscheen der Stadt, alle unscheinbar, aber doch die Vergangenheit dieser Gegend lebendig werden lassend. Dabei können wir auch durch die nördlichen Gassen des Basarviertels streifen, der den gesamten zweiten Stadthügel umfasst, mit dem Zentrums des großen gedeckten Basars (Kapalı Çarşı) und der Nuru Osmaniye Moschee auf dem Gipfel des Hügels. Hier unten am Ufer sind die äußersten Ausläufer dieses Basarviertels.


Minarett der kleinen Kantacılar Mescidi

Als erstes erreichen wir die Kantacılar Mescidi, den "Gebetssaal der Waagenmacher", deren Zunft hier seit Jahrhunderten ansässig war. Sarı Demirci (Feinschmied) Mevlana Mehmed Muhittin hat sie während der Herrschaft Sultan Mehmed II. errichten lassen (15. Jahrhundert). Als Mescit wird in der Türkei eine kleinere Moschee bezeichnet, die, im Unterschied zur Cami, nicht für das Freitagsgebet bestimmt ist und deshalb keine Predigerkanzel (minbar), jedoch immer eine Gebetsnische (mihrab) enthält. Wie man sieht, hat der Innenraum umfangreiche Umbauten in jüngerer Zeit gesehen, und es erinnert Innen nichts mehr an das Jahrhunderte währende Alter der Moschee. Alles ist in der Moderne restauriert worden, wobei es auch geboten erschien, dieser Mescit einen Minbar (Predigerkanzel) zu spendieren.

Kantacılar Mescidi von innen, mittig Gebetsnische (mihrab) und
Predigerkanzel (minbar)


Die Wände sind über und über mit Fliesen im klassischen osmanischen Iznik Stil gefüllt, allerdings Produkte der modernen Massenproduktion des 20. Jahrhunderts, und mit wenig Kunstverstand ausgewählt, denn dadurch erinnert stellenweise das Innere mehr einem Badezimmer, als an eine osmanische Moschee. Nach dem Motto Viel hilft Viel, wurde hier ein- und dasselbe Muster repetitiv viel zu viel gefliest, außerdem mit einer Fliese, die wenig Weiß enthält, und dadurch den Arabesken keine Luft zum Atmen lässt, und durch die Wiederholung diesen gedrungenen Effekt noch verstärkt. Die Restauratoren haben wohl leider nur oberflächlich die Osmanische Kunst verstanden. Ähnliche wirkende Ver(sch)wendung von Fliesendekor in Moscheen lässt sich auch in deutschen Moscheen beobachten. Übrigens kann man als Laie recht einfach erkennen, aus welcher Zeit eine Iznik Fliese stammt. Klassische Iznik Fliesen der Blütezeit des 16. Jahrhunderts haben ein leuchtendes sogenanntes Bolusrot. Vor dieser Blütezeit und danach, wurde dieses Rot nie mehr erzielt, bis auf die letzten Dekaden, wo dieses Rot durch Kunsthandwerker wieder hergestellt werden konnte. Flachdächer sind übrigens nicht nur für Mescits öfters eine Wahl des Baumeisters gewesen, sondern gelegentlich auch bei den größeren Freitagsmoscheen, also Camis.


Kantacılar Mescidi von innen, Flachdach. Mit Ventilatoren.