Thilo Sarrazin war der bisher "ranghöchste" selbsternannte "Islamkritiker" Deutschlands |
Ich hoffe, dass nun nach den Attentaten des Terroristen Anders Behring Breivik in Oslo eine breitere Diskussion angestoßen wird, wie man den Rechtspopulismus zähmen kann, wie man illegitime pauschalisierende Kritik an "dem" Islam vom Benennen einiger Probleme bei Migranten jeglicher Religion (auch Chinesen oder sehr bibeltreue Evangelikale leben in Parallelwelten, und das muss auch kein Problem sein) trennen kann. Es muss das "Feindbild Islam" mit allen argumentativen Mitteln dekonstruiert werden, sachlich, möglichst wissenschaftlich fundiert, und zwar ohne ein neues Zerrbild der Realität von einem vermeintlichen "Eitel-Sonnenschein" zu zeichnen. Die Entstehung, die Charakterisierung und die immer nähere Angleichung des "Zerrbildes Islam" an den Antisemitismus des 19. und auch des frühen 20. Jahrhunderts wurde hier in der Artikelserie "Feindbild Islam" schon einige Male angesprochen.
Nun scheint es so zu sein, dass auch die breitere mediale Öffentlichkeit jenseits des Feuilletons erfährt, dass vielleicht das Bild, welches sie sich von "dem" Islam machen, ein wenig schief bis verzerrt ist. Es wird sicherlich in den Feuilletons verstärkt darüber debattiert werden, wo Kritik aufhört, und Hetze beginnt, wie es dieses schon zuletzt heftig 2010 gegeben hatte - Stichwort "Dschihad im Feuilleton" (PDF).
Dabei ist diese Aufklärung über das "Feindbild Islam", welches die selbsternannten sogenannten "Islamkritiker" wie Henryk M. Broder, Thilo Sarrazin oder Necla Kelek verbreiten gar kein neues Thema, denn schon seit Jahren warnen aufmerksame Beobachter vor der undifferenzierten Sicht auf den Nahen Osten und den Islam.
So zum Beispiel der Politologe und Orientalist Olivier Roy, der durchaus auch islamkritisch sein kann, aber eben nicht in der Weise, wie oben genannte Laien, die dem kundigen Leser oder Hörer immer wieder ihre Unkenntnis selbst banalster sachlicher Fakten vor Augen führen. Da diese selbsternannten "Islamkritiker" sich meistens gegenseitig in ihren Werken zitieren, fallen ihnen diese Sachfehler gar nicht auf, aber vermutlich eher noch: Sie wollen sie gar nicht sehen, denn diese würden ja ihrem zurecht gezimmertem Weltbild widersprechen.
In diesem Zusammenhang ist diese Dokumentation recht interessant, die etwas mehr die historische Dimension beleuchtet:
Nicht zuletzt weist der Islamwissenschaftler Stefan Weidner in seinem Artikel der Süddeutschen Zeitung darauf hin, dass die "Islamkritiker" sich vor allem in ihrem Feindbild selber spiegeln, so wie es Feindbilder eben so an sich haben. Das es mehr um sie selbst, um unsere Gesellschaft, als um "den Islam" geht, wie nun auch der Anschlag von Anders Breivik grausam zeigte, der eben nicht gegen Muslime ging, sondern wie bei den Dschihadisten im Nahen Osten sich meist gegen die eigene Bevölkerung richtet, diese Erkenntnis dürfte nun nicht nur Spezialisten der Feindbild-Forschung vorbehalten sein.
Ich zitiere den Anfang des Artikels, bitte aber den ganzen Artikel zu lesen, denn einzelne Absätze herauszulösen wäre hierbei zu schade da viele Absätze wichtig für das Verständnis sind:
Nach den Anschlägen in NorwegenWeiter im Link.
Das Dilemma der Islamkritiker
Das Massaker von Norwegen enthüllt die gravierenden Irrtümer der Islamkritiker: Nicht etwa ein Muslim zog in den Krieg gegen den Westen - der Täter gehört vielmehr derselben Denkschule an wie sie selbst. Damit wird deutlich: Die wahren Gegner der Anti-Islam-Bewegung sind nicht die Muslime. Es sind die eigenen Mitbürger.
Wäre der Anlass nicht so verstörend, man könnte es für eine Ironie der Geschichte halten, dass die Islamkritik über Nacht in dieselbe Rechtfertigungsnot katapultiert wurde, in die sie den Islam seit jeher zu bringen suchte. Nachdem sich der norwegische Massenmörder Anders Breivik so nachdrücklich auf die von ihr seit Jahren propagierte Weltsicht beruft, fordert sie für sich eben die Unterscheidung zwischen radikal und gemäßigt, gewaltbereit oder eher diskursorientiert ein, die sie ihrem imaginierten Gegner, dem ideologisch vermeintlich geschlossenen Islam, stets verweigerte.
Jedem jedoch, der die Islamkritik für ihre undifferenzierte Haltung zum Islam und den Muslimen bislang aus guten Gründen angegriffen hat, sei jetzt empfohlen, der Islamkritik dieselbe Differenzierung nicht vorzuenthalten - selbst dann nicht, wenn diese lauthals jede Verantwortung für die Tat in Norwegen ablehnt und sich der Aufarbeitung der eigenen Positionen sowie der Abgrenzung gegen radikale Tendenzen noch verweigert.
Ganz unabhängig also davon, was die Islamkritik selbst an Aufarbeitung leistet oder nicht, gestehen wir ihr, ja sogar ihren abgedrehteren Vertretern zu: Dies haben sie nicht gewollt. Nur was wollen sie dann? Auf unerwartete Weise könnte uns die Tat von Anders Breivik eine Richtung weisen. [...]
Es gibt noch so furchtbar viele weitere gute Artikel zum Thema die letzten Tage, doch belasse ich es erstmal mit diesen beiden Videos und dem SZ-Artikel, der es treffend zusammenfasst.
Die Serie wird aber noch fortgesetzt, z.B. mit Auszügen aus einer wissenschaftlichen Betrachtung zum Feindbild Islam.
(Bildquelle: Wikimedia Commons)
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