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Sollten sich "anständiger Bürger" wegen der Überwachung sorgen? – Ein Erfahrungsbericht aus den Schattenkriegen
von Michael Blume, 06. Juli 2013, 13:52
Wir sollen uns doch bitte nicht
so aufregen. Vor ein bisschen Überwachung und ausufernden
Sicherheitsbehörden hätten "anständige Bürger" doch gar nichts zu
befürchten. Wir sollten doch laut Sylvia Braun auf FOCUS.de
einfach einsehen, dass "es gut ist, bestimmte Daten der User im Netz zu
speichern." Wenn es beim Fangen von Terroristen und Kriminellen hilft,
sollte es uns doch Recht sein! Und es übertreiben halt mal wieder die
USA, vielleicht auch Chinesen und Russen – aber wir feinen Europäer doch nicht.
So klingt es beschwichtigend in vielen Texten und Gesprächen in diesen
Tagen und es ist klar: in wenigen Wochen werden wieder andere Themen
die Medien und Politikforen dominieren.
Manchmal, wenn ich dieses
leichtfertige Verspielen unserer Bürgerrechte nicht mehr aushalte,
erzähle ich von dem, was ich selbst erlebt habe. Und das will ich, aus
Respekt vor dem Mut von Edward Snowden, heute erstmals auch online tun.
Es geschah im Jahr 2003 – wie inzwischen aufflog, zog damals der NSU auch nach allerlei Hinweisen unbehelligt von Sicherheitsbehörden mordend durch die Republik und den Südwesten und ein Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg warnte eine Zelle des Ku-Klux-Klans
vor einer anstehenden Polizeiaktion. Statt dieser und anderer
Extremisten bekam ich das "Vergnügen" der "Aufmerksamkeit" von Akteuren,
die doch angeblich unsere Sicherheit und Verfassung beschützen.
Ich war damals Mitte 20 und darf wohl
behaupten, so ziemlich das Musterbeispiel eines „anständigen Bürgers“
abgegeben zu haben: Abiturient und Scheffelpreisträger mit blütenweißem
Führungszeugnis, aktiv als Orts- und Kreisvorstand der Jungen Union,
ehemaliger Jugendgemeinderat sowie gewählter Jung-Stadtrat (CDU) in
meiner Heimatstadt Filderstadt. Hinzu kam eine Finanzausbildung mit
Auszeichnung („Spitzenazubi“) bei der Landesbank Baden-Württemberg,
gefolgt von einem Studienstipendium der Begabtenförderung der
Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Ich war (und bin) praktizierender
Christ in der evangelischen Landeskirche, Gründungsvorsitzender einer
jungen, interreligiösen Initiative aus Christen, Muslimen und Juden,
Magister der Religions- und Politikwissenschaft in Tübingen, jung
verheiratet mit einer Deutsch-Türkin und frisch Vater einer süßen
Tochter. Auch, dass ich die Welt nur in rosarot gesehen hätte, lässt
sich schlecht behaupten: Die Bilder von den Flugzeugattentaten des 11.
September 2001 erreichten mich an der Evangelischen Akademie Bad Boll,
in der wir gerade eine Sommerakademie vorbereiteten mit dem Titel:
„Christen und Muslime – Gemeinsam Gewalt verhindern“. Und dann hatte
ich mit einer Ausarbeitung über „Heimat und Identität“ auch noch einen 3. Preis des Bundesministerium des Inneren gewonnen; die vom damaligen Minister Otto Schily (SPD) unterzeichnete Urkunde bewahre ich bis heute auf.
Über diese Auszeichnung hatte der
damalige baden-württembergische Staatsminister Dr. Christoph Palmer
(CDU) in der "Stuttgarter Zeitung" gelesen – und so bekam ich einen
Anruf seines Büros, ob ich nicht Lust und Zeit hätte, mit dem mir bis
dahin persönlich unbekannten Minister einen Kaffee zu trinken.
Natürlich hatte ich! Nach einem ausführlichen, intensiven und guten
Gespräch kam er zur Sache: Es mache ihm Sorgen, dass es bislang in der
Landesverwaltung praktisch nur Islamexperten aus dem Sicherheitsbereich
gebe; aber noch keinen zivilgesellschaftlichen Dialog mit der großen,
friedliebenden Mehrheit der Muslime. Wann ich denn mit dem Studium
fertig sei?
Und so trat ich also 2003 meine erste,
halbe und befristete Stelle an – überglücklich und noch überhaupt
nicht ahnend, dass ich damit Interessengruppen in den Weg geraten war,
die es gar nicht toll fanden, dass ein „ziviler Grünschnabel“ und
„Moslemversteher“ ihre Pfründe bedrohen könnte. Ich war insofern
tatsächlich "naiv", dass ich meinte, jede(r) müsse Dialog,
Verständigung und den Abbau von gegenseitigen Vorurteilen und Ängsten
doch letztlich gut finden. Nun sollte ich auf die harte Tour lernen,
dass ganze Institutionen und Karrieren auch genau von Ängsten leben!
Während ich also noch völlig
ahnungslos meinen Arbeitsbereich aufbaute, begannen "Kollegen" der
Sicherheit schon auf eigene Faust "belastendes" On- und Offlinematerial
(einschließlich eMails) zusammen zu tragen und schließlich
Journalisten sowie Oppositionsabgeordnete damit „zu füttern“. Ich weiß
bis heute nicht, auf welcher Rechtsgrundlage diese Leute überhaupt gegen
einen unbescholtenen Mitarbeiter "ermittelten" - und dann Auswahlen
ihrer "Funde" auch noch weitergaben! Nun, sie taten es einfach - und
eröffneten damit die Jagd.
Ich werde nie den Anruf eines
Journalisten von den „Stuttgarter Nachrichten“ vergessen, in dem mich
dieser allen Ernstes fragte, ob ich ihm denn „beweisen“ könne, Christ
zu sein – schließlich sei ich „doch mit einer Muslimin verheiratet“. Ob
ich nicht zugeben wolle, „heimlich konvertiert“ und in die
Landesverwaltung „eingeschleust worden“ sei? Ob ich denn "ausschlien
könne", dass ein muslimischer Freund "Mitglied bei Milli Görüs war oder
noch ist?" (War er nie - aber da schlucken Sie erstmal...) Ob meine Frau
eigentlich Kopftuch trägt? (Nein. Und wenn?)
.
Immerhin: Seitdem kann ich
existentiell nachvollziehen, was es für religiöse Minderheiten
bedeutet, von Verschwörungstheorien eingedeckt zu werden...
In einem großen – inzwischen vom Netz
genommenen – Artikel mit bedrohlich inszeniertem Foto wurde ich sodann
zum „umstrittenen Islamberater“ ernannt, gestützt auf
Verfassungsschutzquellen, die sich verächtlich über mein
interreligiöses Engagement, meine Magisterarbeit und meine mutmaßliche
„Naivität“ im Umgang mit Muslimen ausließen. Auch der Verweis auf meine
„türkische Ehefrau“ durfte selbst in "seriösen" Zeitungen damals nicht
fehlen. (Dass auch sie in Deutschland geboren und längst deutsche
Staatsbürgerin war, ihr Abi an einem katholischen Gymnasium gemacht
hatte etc. interessierte dabei naturgemäß überhaupt nicht. Mit
"türkischer Ehefrau" wurden die entsprechenden Bilder beschworen - und
eine Prise Rassismus macht so eine Story ja nur noch würziger.
Vergleiche: "Dönermorde"...)
.
Weitere Zeitungen wie die rechtsgerichtete „Junge Freiheit“ – Storytitel: „Mit Allah in die Staatskanzlei“
- und die türkisch-kemalistische „Cumhurriyet“ stiegen begeistert ein.
Obskure deutsche und türkische „Journalisten“ tauchten auch bei uns
daheim auf und boten an, mich zu „beschützen“, wenn ich ihnen nur „mehr
Material“ gäbe. Äußerte ich mich nicht, so wurde mir das negativ
ausgelegt ("...verweigerte jede Auskunft."). Äußerte ich mich, nicht
weniger. ("...stritt alles ab.") Wir erhielten Drohanrufe und –mails, so
dass wir die Polizei einschalten und eine nichtöffentliche
Telefonnummer beantragen mussten. Der Abgeordnete Stephan Braun (SPD)
assistierte mit einer Landtagsanfrage zum „Fall Michael B.“, die zur Diskussion meiner Magisterarbeit im Landtag führte.
Ein „anständiger Bürger“ blickt plötzlich in den Abgrund
Vielleicht wollen Sie einen Moment
innehalten und sich vorstellen, wie (auch) Sie sich gefühlt hätten: als
völlig unbescholtener, „anständiger“ Jungbürger, der vielfach belobigt
und nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten, nun aber über Nacht zur
Jagd freigegeben war. Abgesehen davon, was das emotional und sozial mit
einem macht – ich hatte eine Frau, ein kleines Kind und nur eine
befristete, halbe Stelle. Familie, Freunde und auch unser damaliger
Vermieter fragten, ob ich „in Schwierigkeiten“ sei. Und das war eben
nicht nur ich, das waren wir ohne Zweifel. Hätten die selbsternannten
Jäger damals Erfolg gehabt, so hätte ich meine Anstellung verloren und
wir wären noch dazu ein Leben lang beruflich und öffentlich
gebrandmarkt gewesen – ohne jedes faire Gerichtsverfahren, ohne jede
rechtsstaatliche Verurteilung und gezeichnet für das gesamte, restliche
Leben. Und es war den Jägern völlig egal. Aus ihrer Sicht hatte ich
mich für die falschen Themen engagiert, die falsche Frau geheiratet und
vor allem das falsche Stellenangebot angenommen. Das reichte schon.
Doch nach dem ersten Schrecken
sammelten sich damals auch couragierte Demokraten. Minister Palmer
wollte von mir wissen, ob „sie“ denn noch „etwas finden“ würden – was
ich aus Überzeugung verneinen konnte. Dann stellte er sich hinter mich,
ebenso wie Freundinnen und Freunde aus verschiedenen demokratischen
Parteien, aus Kirchen, islamischen und jüdischen Gemeinden, aus der
Universität Tübingen und der Bürgerschaft. Das war politisch, aber auch
emotional und sozial wichtig – ich geriet trotz allem nicht in Panik
(dass ich manche Nacht wach lag und wie es mir und meiner Familie ging,
können Sie sich sicher vorstellen). Als die „Jäger“ auch nach intensiven
und teilweise abenteuerlichen Recherchen partout nichts „Belastendes“
mehr finden konnten, brach die Sache schließlich in sich zusammen.
Im Juli 2003 veröffentlichten Staats-
und Innenministerium B.-W. dann eine gemeinsame Freispruch-Erklärung,
die freilich von keiner Zeitung jemals wiedergegeben, sondern am Ende „nur“ auf islam.de eingestellt wurde:
„Als „abwegig und an den Haaren herbeigezogen“ weisen das Staatsministerium und das Innenministerium die Veröffentlichung einer Tageszeitung zur Beschäftigung des Islam-Experten Michael Blume im Staatsministerium zurück. Der Verfasser werfe sogar spekulativ Behauptungen in Frageform auf, für die er jeglichen Beleg schuldig bleibe und erwecke so den falschen Eindruck, als würden seitens des Landes islamistische Bestrebungen toleriert.Das vom Verfasser vielfach ins Feld geführte Landesamt für Verfassungsschutz habe zu keinem Zeitpunkt Bedenken gegen die Verfassungstreue von Herrn Blume selbst geltend gemacht: “Weder er noch die von ihm mitinitiierte und -gegründete Christlich-Islamische Gesellschaft - so das Landesamt für Verfassungsschutz – „waren und sind Beobachtungsobjekte.“Aufgabenbedingt könne es naturgemäß unterschiedliche Einschätzungen zu Chancen und Risiken des interreligiösen Dialogs im muslimischen Umfeld geben. [Das ist mein Lieblingssatz!, Anm. Blume] Während Herr Blume den Auftrag habe, Politikberatung zu betreiben, sei es Auftrag des Landesamtes für Verfassungsschutz, verfassungsfeindliche Bestrebungen öffentlich aufzudecken und die Bekämpfung von Gefahren zu ermöglichen. Der interreligiöse Dialog müsse ein kritischer Dialog sein. Einerseits sei es zwingende Aufgabe der Politik, durch den interkulturellen und interreligiösen Dialog die Integration von ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit Daueraufenthaltsrecht in Deutschland zu befördern. Gleichzeitig müsse die Politik aber auch mit Nachdruck darauf achten, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen frühzeitig erkannt und unterbunden würden.“
So weit, so klar. Nach einigen harten
Monaten war es einigermaßen überstanden. Zwei hochrangige Kollegen der
Sicherheit entschuldigten sich schließlich, wenn auch zähneknirschend.
Ob es wenigstens eine interne Aufarbeitung oder Disziplinarmaßnahmen
gab, habe ich nie erfahren - ich bezweifele es auch, zumal ich damals
selbst noch der Meinung war, hier liege nur ein unglücklicher,
bedauerlicher Einzelfall vor. Immerhin: Der (inzwischen leider aus dem
Parlament geschiedene) Abgeordnete Braun merkte auch ganz ohne Order
von weiter oben, dass er für eine miese Sache eingespannt worden war
und suchte das klärende Gespräch – was ich ihm bis heute politisch und
auch menschlich hoch anrechne. Kein Wort des Bedauerns und keine
Klarstellung gab es dagegen bis heute von den beteiligten Journalisten –
für einen eingefleischten Zeitungsleser wie mich war das die
vielleicht härteste Enttäuschung. Schade.
Denn selbstverständlich verschwanden
die Anschuldigungen jener Zeit nie wieder ganz aus dem Netz, sondern
werden seitdem (seit 10 Jahren!) von Rechtsextremen immer wieder
vorgebracht und weiter gesponnen. Auf der rechtsgerichteten Prangerseite „Nürnberg 2.0“ habe ich inzwischen sogar einen eigenen „Steckbrief“,
der mir und weiteren Demokratinnen, Wissenschaftlern, Politikerinnen
usw. für die Zukunft eindeutig Gewalt androht – dessen Betreiber von den
weiter wachsenden Sicherheitsapparaten aber leider, leider irgendwie
nie ausfindig gemacht werden konnten.
Die Sache ist überstanden – oder!?
Zehn Jahre sind seit dieser Vorfälle
vergangen – aber selbstverständlich sind sie nie vorbei, denn das
Internet vergisst nicht. Immer mal wieder werde ich auch heute noch
darauf angesprochen, manchmal versucht noch ein Journalist darauf „aufzubauen“
("Islamexperte im Zwielicht") und manchmal versucht sich, etwa beim
Anruf eines Redakteurs zu einem ganz anderen Thema, die existentielle
Angst und das Misstrauen jener Monate in mein Leben zurück zu
schleichen.
Daher entschied ich so ab 2004, mich
einfach nie wieder einschüchtern zu lassen und gerade auch die Netzwelt
nicht den Jägern und Hatern zu überlassen; ich begann zu bloggen und zu schreiben,
Freiheiten mit mehr Lust denn je auszufüllen. Beruflich habe ich nicht
nur überlebt, sondern unfreiwillig reifer und gestählter die Karriere
fortsetzen können – inzwischen bin ich Referatsleiter und Landesbeamter
im höheren Dienst und arbeite zudem wann immer möglich auch forschend,
schreibend und lehrend wissenschaftlich weiter. Gerade der damalige,
so plötzliche Blick in den Abgrund hat mich gelehrt, die guten Tage
bewusster zu erleben und zu gestalten – man weiß nie, wie viele man noch
hat.
Ich weiger(t)e mich, Leben und
Freiheit an die Logik aus dem Ruder laufender Sicherheitsapparate
abzugeben, die Bedrohungsszenarien, Terroristen und Extremisten als
Existenzberechtigung und Karrieretickets geradezu benötigen.
Strukturell ist es schon wegen dieser Interessenskonflikte schwer zu
vermeiden, dass sich gerade auch solche Dienste in dubiose Koalitionen
verwickeln, Verschwörungstheorien gegen religiöse und ethnische Minderheiten
schüren und die vermeintliche „Naivität“ von Dialog- und
Demokratieaktiven mehr oder weniger offen verachten. Und
selbstverständlich gibt es bewussten und vorbewussten Rassismus auch in Sicherheitsapparaten
– dort arbeiten schließlich keine fiktionalen TV-Überhelden, sondern
echte Menschen, die noch dazu über Jahre hinweg auf bestimmte Milieus
angesetzt werden und dabei Gruppendynamiken und Erfolgsdruck ausgesetzt
sind. Menschen mit Skrupeln oder gar Reformer geraten da schnell an den
Rand. Wundert Sie denn wirklich noch das rechtsstaatlich dubiose Verfahren gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König, während die bundesweiten NSU-Verflechtungen noch immer nur unzureichend aufgeklärt sind?
Was wird die Zukunft bringen?
In allen demokratischen Parteien habe
ich über die Jahre Leute kennen gelernt, die sich über diese
Entwicklungen wirklich Sorgen machen, andere, die sich von den neuen
Möglichkeiten neue Macht versprechen (und noch nicht begreifen, dass
auch sie selbst oder ihre Kinder die nächsten Opfer sein können) - und
viele, denen das Thema einfach gleichgültig oder zu komplex ist. Die
parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste ist in Europa, im Bund und
vor allem in den Ländern noch immer schwach bis mager – und was Dienst
A aufgrund ärgerlicher Bürgerrechte nicht selbst erledigen kann, lässt
sich eben durch Kollegen aus Staat B oder durch „private Unternehmer“
per „Informationsaustausch“ einholen. "Wir" dürfen z.B. nicht foltern?
Dann überlassen wir halt Verdächtige diversen „Verbündeten“, die es
dürfen und uns danach an den „Ergebnissen“ beteiligen.
Das Recht von Nationalstaaten hält
kaum mehr stand. Auch wir Deutschen finden es ja mehrheitlich einfach
super, gegen Schweizer Recht Steuer-CDs zu kaufen; verdrängend, dass
ebenso auch unsere eigenen, intimsten Daten längst „auf dem Markt“
sind. Die „Jäger“ von 2013 haben heute noch unendlich viel mehr
Möglichkeiten als es jene von 2003 hatten; und wenn Sie auch noch so
eine „anständige Bürgerin“, ein „anständiger Bürger“ sind, so mag sich
in Ihren wachsenden Daten schon das blöde Bild, der blöde Text, das
peinliche Vergehen oder auch einfach der falsche Kontakt verbergen, den
man eines Tages gegen Sie verwenden kann. Dazu wird man bald auch
nicht mal mehr eine mehr oder weniger seriöse Zeitungsredaktion anrufen
müssen, sondern – wie etwa in Russland schon üblich – einfach ein paar
anonyme Blogs „füttern“, Stalker ansetzen und Ihre Reputation und
Lebensbezüge aus dem Dunkel heraus angreifen. „Etwas“ bleibt selbst
nach einem "Freispruch" immer hängen, liebe anständige Bürgerinnen und
Bürger – auch das kann ich aus eigenem Erleben leider bestätigen...
Umso mehr wir aber einander und
unseren gewählten Abgeordneten misstrauen, umso schwächer wird auch
unsere Freiheit, unsere Widerstandskraft und unsere Demokratie. Es ist
das große Paradox unserer Zeit, dass gerade der Individualismus unsere
Freiheitsrechte untergräbt – denn alleine kann im Zweifel keine(r)
wachsenden Apparaten widerstehen. Umso mehr wir uns alle verängstigt
auf den Staat verlassen, umso mehr Macht übertragen wir ihm auch.
Nicht also eine von irgendwo zentral
gelenkte Superverschwörung, sondern eine schleichende, rational
interessengeleitete Verflechtung von legaler, halb- und illegaler
Überwachung samt ständiger Einschüchterung der Öffentlichkeit durch
ehren- und hauptamtlich agierende Extremisten (so treffend die heute-show)
führen zu einer Angst, die sich in Ihr Leben schleicht und die Sie
sich schließlich selbst-zensieren lässt: längst nicht mehr nur in der
Türkei, in Russland oder China, sondern längst auch hier, bei uns. Ob
und wann wir merken werden, dass wir einmal freier waren?
Und, nein, diesen Text schrieb eben
kein utopischer Anarchist, sondern ein braver, verfassungstreuer Christ
und Demokrat – nicht ein sozial isolierter Nerd, sondern ein
glücklicher Familienvater – nicht ein beruflich Gescheiteter, sondern
ein leitender Beamter – nicht ein fachlicher Dilettant, sondern ein
seit Jahrzehnten im Dialog Aktiver und inzwischen mehrfach
ausgezeichneter Wissenschaftler. Ich habe damals (fürs Erste) diese
Verflechtungen und ihre Methoden knapp überlebt, die inzwischen zu
einem Teil unserer gemeinsamen Realität geworden sind. Wenn Ihnen also
das nächste Mal irgendjemand erzählt, „anständige Bürger“ hätten von den
ausufernden Methoden „der Sicherheit“ doch überhaupt gar nichts zu
befürchten und Bürger- und Parlamentsrechte sowie Datenschutz seien
langweilige Sonderthemen oder blanker "Täterschutz", geben Sie ihm oder
ihr doch bitte den Link zu diesem Erfahrungsbericht.
Was getan werden sollte?
Am liebsten würde ich hier enden –
aber will es natürlich nicht bei Klagen belassen. Falls Sie noch
interessieren sollte, was denn meines Erachtens getan werden könnte und
sollte, so will ich drei Punkte nennen, die ich persönlich für zentral
und wirkungsvoll halte. Denn ich glaube trotz allem, dass die
Schattenkriege um unsere Bürgerrechte noch nicht völlig verloren sind.
- Getrennt werden wir geschlagen. Wir brauchen mehr interkulturellen und internationalen Dialog
Die ausufernden Überwachungen und
Maßnahmen werden mit „der Sicherheit“ gerechtfertigt – und zwar
gegenseitig. Unter dem Label des „Kampfes gegen den Terrorismus“ (oder
auch gegen Steuerhinterziehung, sexuellen Missbrauch, Cybermobbing
etc.) verstehen die USA, China, Russland, Israel, die Türkei, arabische
Staaten und auch Europa dabei auch je völlig unterschiedliche Gruppen
und Aktionen. Des einen Oppositionellen ist des anderen Kriminellen.
Umso wichtiger scheint es mir zu sein, dass Demokratinnen und
Demokraten aller Länder, Kulturen und Religionen gegenseitige
Feindbilder und Verschwörungstheorien überwinden, Extremismen die Stirn
bieten und auch darüber sprechen, wie viel Macht und Kompetenzen wir
unseren Sicherheitsapparaten eigentlich übertragen wollen. Klar bleibt
das eine millionenfache Jahrhundertaufgabe: Aber wenn
zwischenmenschliche Dialoge nichts fruchten würden, würden ihre Gegner
sie auch nicht immer wieder verächtlich zu machen und zu unterbinden
versuchen. Lasst uns miteinander reden, gerade wenn wir uns noch fremd
sind – denn getrennt werden wir auf jeden Fall geschlagen!
2. Abgeordnete können mehr als Stimmvieh sein - stärken wir die Guten!
Gerade auch die internen Zerwürfnisse
der Piraten haben gezeigt: Individuen haben auch in der digitalen
Welt unterschiedliche Zeitbudgets, Kompetenzen und Interessen. Von
potentiell allen gewählte Abgeordnete können eben nicht durch
Online-Debatten ersetzt werden; sondern sollten mit ihnen verbunden
sein. Gerade auch in der Verteidigung unserer Bürgerrechte, in der
Kontrolle und Aufklärung von Staatshandeln gewinnen engagierte
Abgeordnete und ihre Mitarbeitenden neue Bedeutung. Niemand muss gleich
all ihren anderen Ansichten zustimmen – aber für glaubwürdig
aufklärende Abgeordnete wie Sebastian Edathy (SPD), Clemens Binninger (CDU) oder auch hartnäckig "die Sicherheit" Nervende wie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Christian Ströbele (Grüne)
bin ich als Demokrat dankbar. Aktive Parlamentarier, Kontrollgremien
und Untersuchungsausschüsse sind heute wichtiger denn je. Umso stärker
wie auch die entsprechenden Leistungen einzelner Parlamentarierinnen
und Parlamentarier über Parteigrenzen hinweg anerkennen und würdigen,
umso stärker und unabhängiger können diese auch auftreten. Auch Online-Petitionen an die Parlamente halte ich für sinn- und wirkungsvoll!
3. Unabhängiger, qualitativ hochwertiger Journalismus sollte uns etwas wert sein!
Vielleicht erwarten Sie nach den o.g.
Schilderungen von mir wohlfeile Schelte über die „Journaille“. Aber ich
halte gerade auch nach diesen Erfahrungen Qualitätsmedien weiterhin
für unverzichtbar. Und ich glaube nicht, dass dort grundsätzlich
schlechtere oder bessere Menschen arbeiten, sondern dass wir auch hier
nach Strukturen fragen müssen. Auch viele Journalistinnen und
Journalisten leiden unter zunehmend brutalem Zeit- und Spardruck und
sind also auf vorgekochte Infohappen und –quellen mehr denn je
angewiesen; da bleibt die eigene Recherche notgedrungen oft auf der
Strecke, steht die Überschrift schon am Beginn der Story fest. Wer
kann da schon Nein sagen, wenn der "Freund von der Sicherheit" immer
wieder Informationen, Einladungen und auch mal eine "heiße Geschichte"
parat hat? Und wo sich Medien wirtschaftlich gar nicht mehr lohnen,
leiden Vielfalt und Wettbewerb – wenn sie nicht gar nur noch als
Nebenangebote von Staats- und Multikonzernen „gehalten“ werden, die für
ihr Geld dann aber auch „Gegenleistungen“ erwarten.
Hochwertiger,
unabhängiger Journalismus ist in Zeiten der Informationsüberfülle
notwendiger denn je; und er darf, ja muss uns durch alte oder neue
Bezahlmodelle etwas kosten. Ich sehe nicht ein, warum Sportler und
Talkshow-Moderatoren Millionäre werden dürfen, herausragend
recherchierende Journalistinnen aber nicht. Auch Whistleblower wie
Edward Snowden brauchten stets glaubwürdige, seriös hinterfragende und
engagierte Journalisten – und haben sie Gott sei Dank auch (noch)
gefunden. Ja, ich wünsche mir natürlich, dass auch Medienschaffende
insgesamt fairer mit Menschen umgehen und Fehler, die überall
passieren, auch eingestehen oder korrigieren. Aber es liegt gerade auch
an uns als Kunden, dafür zu sorgen, dass sich Arbeitsbedingungen in
Medien wieder verbessern und sich gute, glaubwürdige Arbeit auch für
die Beteiligten lohnt.
So, das musste ich loswerden. Und jetzt mal schauen, was passiert…
Falls Ihr bald nichts mehr von mir hört, wisst Ihr Bescheid! ;-)
"
Zitat Ende.
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