Montag, 18. Juni 2012

Was ist Wissenschaft? Die Kunst der Wissenschaft, Unsinn zu entlarven

Carl Sagan, 1980


Es ist leider festzustellen, dass in breiten Bevölkerungsschichten die Schere zwischen Wissenschaft und dessen Rezipienten immer weiter auseinander geht. Dieses ist einerseits das Versäumnis vieler Wissenschaftler, ihren Stoff populärwissenschaftlich aufzubereiten, dass auch ein Laie dem folgen könnte, andererseits der Entwicklung der Medienlandschaft und des Internets geschuldet. Man kann zwar die Demokratisierung des Wissens zum Beispiel durch das Internet durchaus begrüßen, dennoch zeigt sich exemplarisch anhand der Wikipedia, wie das Niveau von Wissen verflachen kann, verglichen mit den professionell redaktionell betreuten Enzyklopädien in den Bücherregalen. Besonders in den geisteswissenschaftlichen Bereichen der Wikipedia oder den Bereichen, wo wenig Expertise durch echte Fachautoren vorhanden ist. Da wird beispielsweise nicht selten ausführlich auf die Liebschaften eines Renaissance-Fürsten eingegangen, weil wahrscheinlich dieses Thema kontrovers in der Wissenschaft debattiert wird oder wurde, noch häufiger aber in den Massenmedien oder im Fernsehen thematisiert wurde, doch wie es um die historische Bedeutung dieses Fürsten bestellt ist erfährt der Leser oft  nicht. Oder überblickt der Leser nicht, da die Episode der Liebschaften alleine vom Anteil des gesamten Artikels so übergewichtet ist, dass der Laie ihm automatisch eine hohe Bedeutung beimisst, mit der flachen Begründung, ansonsten wäre es doch nicht so ausführlich abgehandelt worden, wenn es nicht auch wichtig für die Biographie der Person sei. Ich möchte nicht behaupten, dass die historischen Fakten der Liebschaften falsch wären, oder dass sie gänzlich irrelevant wären. Ich wage aber zu behaupten, dass die meisten Leser, die vorher keine oder kaum Kenntnisse aus der Standardsekundärliteratur gewonnen haben, kaum einschätzen könne, wie sie nun die historischen Leistungen dieses Fürsten gewichten sollten, was nun wichtig, was eher unwichtig in seinem Wirken war, wie die historische Relevanz aussieht. Es schleicht sich somit in etliche Wikipedia-Artikel eine gewisse Boulevardisierung ein, eine Verflachung und Verwischung, von Wichtigem und Unwichtigem. Und mit der unheilvollen Tendenz, den Extremmeinungen ein unnötiges, ja dem laienhaftem Bildungsniveau des Lesers abträgliches Gewicht zu verleihen. Besonders in scheinbar oder tatsächlichen umstrittenen Themen, die auch in den Massenmedien eine Rolle spielen. Zum Beispiel suggerieren die Medien nicht selten einen riesigen Disput, wo wissenschaftlich gesehen weitgehender Konsens besteht, in ihrem durchaus nicht immer negativ zu sehenden Versuch, ausgewogen berichten zu wollen - also ein Thema von zwei Seiten beleuchten zu wollen. Jeder kennt die Debatte über den menschengemachten Klimawandel, und der (jahrelange) Eindruck in den Massenmedien, es gäbe darüber zwei etwa gleichgroße Lager, zwischen Klimawandelskeptikern und Klimawandel"befürwortern". Gleiches haben wir bei der in den Massenmedien groß publizierten Hypothese von Christoph Luxenberg und seiner aramäischen Lesart des Korans beobachten können. Eine inzwischen in der islamwissenschaftlichen Zunft weitgehend widerlegte These. Doch in den Medien bis heute nicht vergessen. Von islamfeindlichen Blogs ganz zu schweigen, wo diese Hypothese als Tatsache hingestellt wird. Und natürlich wurde die Widerlegung von Christoph Luxenberg in den Massenmedien kaum thematisiert. Dieses Verhalten der Medien ist natürlich der Tatsache geschuldet, Schlagzeilen, Sensationen produzieren zu müssen, um die Auflage und die Einnahmen zu steigern. Diese Medienmechanismen habe ich ja schon hier im Blog ausführlichst anhand des Beispieles Feindbild Islam thematisiert. Wo Minderheitenmeindungen von wissenschaftlichen Laien wie Henryk M. Broder, Necla Kelek oder Thilo Sarrazin künstlich aufgebauscht werden, bis der Leser denkt, hier nun wirklich eine gleichwertige und vertretbare Hypothese oder noch schlimmer, Fakten lesen zu können. Gleiches finden wir auch zum Beispiel in den Massenmedien zum Thema Evolutionsbiologie.
Aber nach meinem Eindruck ist das, was an Vereinfachungen oder Boulevardisierungen in den Massenmedien durch gehetzte Journalisten stattfindet, nichts im Vergleich zu dem, was im Internet allgemein zu beobachten lässt. Dort verwischen zusehens die Trennlinien zwischen Pseudowissenschaft und Wissenschaft. Zwar (noch) nicht unbedingt in der Wikipedia, wo nur schiefe Zerrbilder in den Köpfen der Leser durch falsche Gewichtungen in den Artikeln generiert werden. Oder einfach Inkompetenz in den Orchideenfächern vor allem seitens der Admins bestehen, sie also bei widerstreitenden Thesen seitens der Wikipedia-Autoren nicht entscheiden können, welche nun wirklich in der Wissenschaft Relevanz besitzt, weil man inzwischen dank googlebooks jede noch so abstruse Hypthese in einen Wikipedia-Artikel einbauen kann.
Ich habe viele Jahre in dem Fachforum geschichtsforum.de mitgeschrieben, und unter anderem dort beobachten können, wie pseudowissenschaftliche Begründungen und Herleitungen besonders gerne auch aus Youtube.de ins Forum getragen wurden. Besonders gerne auch seitens Nationalisten und Ultranationalisten, die vielleicht ansonsten keine weitere Bestätigung ihrer abstrusen Thesen beispielsweise zum Ursprung von Völkern finden konnten. Und Geschichte ist nur ein Feld, wo man fast verzweifeln könnte, angesichts der Schwemme an dummen, völlig unwissenschaftlichen Videoinhalten. Fast jeder Bereich wird in youtube inzwischen abgedeckt, ob Politik, Verbraucherinformationen, Naturwissenschaften, Religion, usw. Dabei behaupte ich mal, dass das Verhältnis von "volksverdummenden" Videos, zu den wirklich echtes Wissen bringenden Videos 10 zu 1 ist. Und wenn man kaum Vorkenntnisse besitzt, oder allgemein das Bildungsniveau vielleicht nicht so hoch ist, oder man auch nie in der Schule gelernt hat, was es eigentlich heißt, wissenschaftlich etwas zu begründen, herzuleiten, dann verfällt man nicht selten den pseudowissenschaftlichen, oder populistischen, oder einfach "sensationellen" Thesen dieser Videos anheim. Man erkennt einfach nicht deren Schwächen, oder logische Fehler, von den Fakten ganz zu schweigen, die meiner Erfahrung nach selten einmal einem Faktencheck unterzogen werden. So werden nicht selten beispielsweise Mathematikprofessoren, für linguistische oder theologische Fachleute gehalten, einfach weil niemand die Biographie überprüft, ob dieser Prof. vielleicht gar keine Ausbildung in dem Bereich hatte, und daher es kein Wunder ist, dass er nur laienhaft z. B. seine nationalistischen oder religiösen Herleitungen übermitteln kann, die jeder Überprüfung eines echten Fachmannes der Zunft nicht standhalten würde.
Abgesehen davon, ist es für viele natürlich immer interessanter, spektakulärer, wenn man sich der Beschreibung einer vermeintlichen "Sensation" hingibt, und diese weiter verbreitet. Egal, ob es sich nun um Atlantis handelt, oder andere untergegangene Städte, die man anhand von geologischen Anomalien unter Wasser vermutet, ob es sich um "das Gesicht auf dem Mars" handelt, um Erdstrahlen, allerlei Verschwörungstheorien, oder den riesigen Bereich der Esoterik, wobei einige Bereiche durchaus ernstzunehmen sind, andere hingegen Hokuspokus darstellen, wenn man sich einmal die Mühe macht deren Aussagen wissenschaftlich abzuklopfen - sofern man die Methoden der Wissenschaft überhaupt kennt...
Natürlich verbreitet sich heutzutage all der Schwachsinn im Internet noch viel rasender, da durch die sozialen Netzwerke wie Google Plus, Facebook, Twitter und Co. nicht mehr nur Homepagebesitzer wie früher als Multiplikatoren von unhaltbaren Thesen dienten, sondern jeder quasi der Funke dafür sein kann, dass plötzlich eine riesige Gruppe von Leuten denken, sie dürften ihre Kinder nicht mehr vor Kinderkrankheiten impfen lassen - hat man doch so auf youtube gesehen...
Überhaupt: Ich habe so den Eindruck, dass in den letzten 10 Jahren, vielleicht auch wegen des Internets, die Leute immer mehr den Extremen zuneigen. Extreme Meinungen und Erklärungen meine ich. Auch in politischen Erklärungsmustern. Und das geht quasi auch in beide politische Richtungen, rechts und links. Einmal diejenigen (oft Rechten), die trotz aller Fakten, den Thesen eines Sarrazin zustimmen, ist ja so schön einfach... Einfach in seine eigene Realität flüchten, und der komplexe Globus bekommt endlich wieder Struktur und macht nicht mehr so viel Angst, wenn man weiß, woher die "Gefahr" ( = Islam) kommt.
Andererseits diejenigen Linken, die denken, eine sozialistische Räterepublik wäre das Beste für das Land, so dass man bei einigen den Eindruck hat, sie wären geschichtsvergessen, blenden all die Dutzenden diesbezüglichen gescheiterten Versuche in allen Teilen der Welt aus. Auch hier, Resistenz gegen jede Faktenlage. Gegen jede Realität.
Und das Traurige ist ja eben, dass man heutzutage für jede noch so abstruse Idee oder These, scheinbar felsenfeste Begründungen im Netz finden kann. Sei es in zahlreichen Blogs oder Homepages, sei es in diversen Foren, sei es auf youtube, und seit einigen Jahren vor allem in sozialen Netzwerken.
Schwarmintelligenz gibt es. Das kann auch hoch produktiv und positiv sein, siehe Vroniplag oder auch die Wikipedia insgesamt, gewisse Bereiche mal ausgeklammert. Es gibt aber offensichtlich auch eine große Schwarmdummheit. Je mehr Leute z. B. denken, Evolution gibt es nicht, (was vermutlich aufgrund des US-amerikanischen Einflusses weltweit zugenommen hat), desto eher wird kritiklos in diese Richtung gedacht. Genauso, wie immer mehr Leute meinen, der Islam sei eine Gefahr. Wenn es nur oft genug direkt oder noch öfter (z. B. alleine durch die Bebilderung) indirekt in den Massenmedien betont wird.

Ich möchte mit diesen Ausführungen nun gar nicht behaupten, dass der Mainstream, in Wissenschaft, Forschung, Medien, Politik, und so weiter keine Kritik verdienen, keine Gegenöffentlichkeit benötigen, keine skeptische Begleitung bedürfen, sei es durch Blogs, oder durch kritische Zeitgenossen in Facebook, Google+ und Co. Ich sage auch nicht, dass man unkritisch autoritätshörig sein müsse - im Sinne von, angesehenen Professoren gegenüber unkritisch zu sein. Ich weiß auch, dass Wissenschaft, oder Erkenntnisse immer im Wandel begriffen sind, und viele Gelehrte oder Forscher am Anfang als "Spinner" abgetan wurden, als Querulanten, gegebenenfalls gar als Gefahr für Pfründe alteingesessener Strukturen. Und ohne Querdenker, ohne "revolutionäre" Gedanken, keine neuen Impulse für Wissenschaft und Gesellschaft, keine Paradigmenwechsel.
Doch eines der Grundübel für die massenhafte Verbreitung von wirklich unhaltbaren Hypothesen jedweder Bereiche ist meines Erachtens der Bildungsmangel beim Ottonormalbürger, wie eigentlich die Wissenschaft funktioniert, wie also aus anfangs exotisch erscheinenden völlig abwegigen Hypothesen, in einem längerem Prozess innerhalb der Zunft, eine allgemein akzeptierte Hypothese wird, bis sie als Theorie schließlich Eingang in alle Lehrbücher findet.
Da etliche Ottonormalbürger diese Mechanismen der Wissenschaft nicht kennen, können viele eben Pseudowissenschaft nicht von Wissenschaft unterscheiden, und verfallen recht oft den besonders "reizvollsten" Vorstellungen oder Erklärmustern, meistens diejenigen, die besonders plakativ sind, oder populistisch, Schlagwörter benutzend, Emotionen hervorrufend, Sensationslust befriedigend.

Dabei ist es eigentlich gar nicht so schwer, sich die Instrumente, den Werkzeugkasen einmal genauer anzuschauen, womit Wissenschaftler weltweit arbeiten um diverse Thesen zu untersuchen, mal mehr mal weniger gelungen.  Auch werden unten diejenigen Mechanismen aufgezählt, woran man erkennen könnte, wer ein gutes Argument hat, und wer eher durch rhetorische Tricks davon ablenkt, eben nichts substantielles aufbieten zu können. Dieses ist besonders in der Politik oder in Geisteswissenschaften beliebt, wo doch dort oft alleine durch Rhetorik versucht wird eine Meinung durchzusetzen. Diese Methoden zu erkennnen, heißt, zu erkennen, wo Schwächen in der These liegen, dass auf diese Weise davon abgelenkt werden muss.

Leider wird wahrscheinlich solche Methodik, die ich unten zitiere, in der Schule weniger gelehrt. Ebenso wird wohl in der Schule weniger gelehrt, wie man lernt oder sein Lernen optimieren kann. Die Methodik des Lernens also. Zumindest war es bei mir der Fall, wo die Punkte Kriterien der Wissenschaftlichkeit, Rhetorische Tricks bei schwachen Sachargumenten und Lernmethodik, nur durch engagierte Lehrer abseits des offiziellen Lehrplanes zufälligerweise gelehrt wurde. War es bei euch nicht auch so?

Nun gut, falls jemand mal lernen möchte, wie Wissenschaft funktioniert und wie es sich von Pseudowissenschaft unterscheidet, der findet hier einige Hilfen. Gleichzeitig werden auch Argumentationsmuster oder rhetorische Kniffe aufgezeigt, anhand derer man erkennen kann, wo jemand die rein sachliche Ebene verlassen hat, um durch diese Tricks jemand anderes zu überzeugen. Findet man in jeder Facebook- oder Forumsdiskussion. Ist euch sicherlich auch schon täglich begegnet. Besonders verbreitet bei politischen Themen.

Ich hatte das Glück, Carl Sagans populärwissenschaftliche Fernsehreihen in meiner Kindheit zu sehen, so dass ich später auch auf das Buch unten Aufmerksam wurde. Dazu muss noch erläutert werden, dass Carl Sagan (Buch erschien 1996) Naturwissenschaftler ist, insofern die Wissenschaft es in diesem Bereich gegebenenfalls leichter hat eine relative Faktizität zu erzeugen, als bei Geisteswissenschaften, wo es größere Interpretationsschwankungen geben kann, und daher auch Eindeutigkeiten mitunter nicht immer so zuverlässig zu erzielen sind, wie zum Beispiel in der Physik.
Deshalb vertraue ich in diesen geistesgeschichtlichen Fällen, wo ich Antworten suche, auch auf anerkannte Autoritäten (oder wie Carl Sagan richtigerweise sagen würde, Fachleuten), solange keine aktuelleren Koryphäen mit neu entdeckten Quellen auf dem Plan treten und in der Zunft positive Resonanz finden. Besonders in Bereichen, wo ich mich nicht so gut auskenne, denn ich habe eben anders als z.B. professionelle Byzantinisten mit jahrzehntelanger Erfahrung nicht den Ein- und Überblick über das aktuelle Geschehen, den Konsens und Entwicklungslinien der Zunft. Daher verwende ich meistens Standardwerke der Sekundärliteratur zur ersten Orientierung, also Bücher, die in verschiedensten Universitäten übereinstimmend in  Listen der Leseempfehlungen für die Studenten als grundlegende Literatur angegeben sind.

Bevor ich nun zu meinen Zitaten komme, noch ein wenig Hintergrundinformationen zu diesem ausverkauften Buch, woraus ihr ableiten könntet, ob dieses Buch neben meiner Leseprobe für euch von Interesse ist. Erwähnenswert ist allerdings, dass dieses Buch vieles anhand von Aliens und UFOs veranschaulicht, etwas, was heutzutage vielleicht etwas out zumindest in Deutschland ist, aber man kann dieselbe Methodik auf alle möglichen Bereiche anwenden, die heute vielleicht "in" sind, z.B. 9/11 Verschwörungen, Illuminati, Kreationismus, "Weltjudentum", Freimaurer, usw.


Der Drache in meiner Garage oder: Die Kunst der Wissenschaft, Unsinn zu entlarven




Längere Leseprobe: "Der Drache in meiner Garage" 

Was es mit diesem Buch auf sich hat: Einleitung zur riesigen Rezension, wieso dieses Buch überhaupt so ausführlich rezensiert wird, warum jemand Kapitel für Kapitel durchgeht.

Und hier die Übersicht der kompletten Rezension, die jedes Kapitel durchgeht, und schaut, ob man das Alter von 16 Jahren anmerkt.



Ich habe die Kursiv-Italic-Schreibung aus dem Originaltext hier beibehalten.
S. 259 ff.

[...] In der Wissenschaft stehen am Anfang vielleicht Ergebnisse von Experimenten, Daten, Beobachtungen, Messungen, »Fakten«. Wir denken uns, wenn wir können, eine Vielzahl möglicher Erklärungen aus und konfrontieren jede Erklärung systematisch mit den Fakten. Im Laufe ihrer Ausbildung legen sich Wissenschaftler das nötige Rüstzeug zur Entlarvung von Unsinn zu. Dieses Rüstzeug wird ganz nüchtern immer dann angewandt, wenn neue Ideen untersucht werden sollen. Falls die neue Idee dieser Überprüfung standhält, übernehmen wir sie freudig, wenn auch mit aller Vorsicht. Wenn man so zu arbeiten pflegt, wenn man nicht jeden Unsinn akzeptiert, dann kann man gewisse Vorkehrungen dafür treffen: Es gibt nämlich eine bewährte, immer wieder getestete Methode. Was befindet sich in unserem Rüstzeug?

Instrumente zum skeptischen Denken.

Skeptisches Denken läuft darauf hinaus, daß es die Mittel zur Verfügung stellt, ein durchdachtes Argument zu formulieren und zu verstehen sowie - was besonders wichtig ist - ein irriges oder betrügerisches Argument zu durchschauen. Es kommt nicht darauf an, ob uns die Schlußfolgerung gefällt, die sich aus einer Argumentationskette ergibt, sondern ob die Schlußfolgerung sich aus der Prämisse oder vom Ausgangspunkt her ableiten läßt und ob diese Prämisse wahr ist.

Hier einige dieser Instrumente:

  • Die »Fakten« müssen nach Möglichkeit immer von unabhängiger Seite bestätigt werden.
  • Suchen Sie eine stichhaltige Diskussion des Beweismaterials durch kenntnisreiche Vertreter aller Standpunkte herbeizuführen.
  • Autoritäre Argumente haben wenig Gewicht - »Autoritäten« haben sich immer wieder geirrt und werden sich immer wieder irren. Vielleicht sollte man lieber sagen, daß es in der Wissenschaft keine Autoritäten gibt, sondern höchstens Fachleute.
  • Entwickeln Sie mehr als eine Hypothese. Wenn etwas erklärt werden soll, dann denken Sie an alle Möglichkeiten, wie es erklärt werden könnte. Dann denken Sie an die Tests, mit denen Sie systematisch jede dieser Möglichkeiten widerlegen könnten. Was dann noch übrigbleibt, die Hypothese also, die bei dieser darwinistischen Auslese unter »mehrfachen Arbeitshypothesen« einer Widerlegung standhält, hat eine viel bessere Chance, die richtige Lösung zu sein, als wenn Sie sich einfach mit der erstbesten Idee begnügen, die Ihnen gefällt.
  • Versuchen Sie, nicht allzusehr an einer Hypothese zu hängen, nur weil sie von Ihnen stammt. Sie ist nur eine Zwischenstation auf dem Weg zum Wissen. Fragen Sie sich, warum Ihnen diese Idee gefällt. Vergleichen Sie sie fair mit den Alternativen. Suchen Sie nach Gründen, sie abzulehnen. Wenn Sie das nicht tun, werden andere es tun.
  • Quantifizieren Sie. Wenn das, was Sie erklären wollen, sich auf irgendeine Weise messen läßt, irgendeine numerische Quantität aufweist, dann sind Sie viel eher in der Lage, zwischen konkurrierenden Hypothesen zu unterscheiden. Was vage und qualitativ ist, erlaubt viele Erklärungen. Natürlich lassen sich Wahrheiten in den vielen Qualitätsfragen ausfindig machen, denen wir uns stellen müssen, aber sie zu finden ist weitaus schwieriger.
  • Bei einer Argumentationskette muß jedes Glied (einschließlich der Prämisse) funktionieren - nicht nur die meisten Glieder.
  • Ockhams Rasiermesser. Wenn wir es mit zwei Hypothesen zu tun haben, die die Daten gleich gut erklären, müssen wir nach dieser praktischen Faustregel die einfachere wählen.
  • Fragen Sie sich immer, ob die Hypothese zumindest im Prinzip falsifiziert werden kann. Behauptungen, die nicht überprüfbar, nicht falsifizierbar sind, sind auch nicht viel wert. Denken wir etwa an die großartige Idee, daß unser Universum und alles darin nichts weiter als ein Elementarteilchen - sagen wir, ein Elektron - in einem viel größeren Kosmos ist. Aber wenn wir niemals Informationen außerhalb unseres Universums gewinnen können, läßt sich die Idee auch nicht widerlegen. Sie müssen in der Lage sein, Behauptungen zu überprüfen. Hartnäckige Skeptiker müssen die Chance bekommen, Ihren Überlegungen zu folgen, Ihre Experimente zu wiederholen und festzustellen, ob sie zu dem gleichen Ergebnis gelangen.

Wie ich zuvor schon betont habe, ist es entscheidend, daß man sich auf sorgfältig ausgedachte und kontrollierte Experimente verlassen kann. Durch bloßes Nachdenken werden wir nicht viel erfahren. Es ist verlockend, sich mit der erstbesten Erklärung zu begnügen. Eine ist doch viel besser als gar keine. Aber was geschieht, wenn wir uns mehrere ausdenken können? Wie entscheiden wir uns dann für eine von ihnen? Zunächst gar nicht. Wir unterziehen sie dem Experiment.
[...]

Jedes gute Rüstzeug zur Entlarvung von Unsinn muß uns nicht nur sagen können, was wir tun müssen, um den Wahrheitsgehalt einer Behauptung zu überprüfen, sondern auch, was wir nicht tun sollen. Es ist uns dabei behilflich, die häufigsten und gefährlichsten logischen Irrtümer und rhetorischen Trugschlüsse zu durchschauen. Viele gute Beispiele lassen sich in der Religion und in der Politik finden, weil die Menschen, die sie betreiben, so oft zwei einander widersprechende Thesen rechtfertigen müssen.

Zu diesen Irrtümern und Trugschlüssen zählen:

  • Das argumentum ad hominem (lateinisch »an den Menschen« appellierend) - dabei wird der Argumentierende und nicht das Argument angegriffen. Beispiel: Die Pastorin Dr. Smith ist eine bekannte Bibelfundamentalistin, daher müssen ihre Einwände gegen die Evolutionstheorie nicht ernst genommen werden.
  • Das Autoritätsargument. Beispiel: Präsident Richard Nixon sollte wiedergewählt werden, weil er einen Geheimplan für die Beendigung des Krieges in Südostasien hat - aber weil er geheim war, gab es für die Wählerschaft keine Möglichkeit, seine Vorzüge zu bewerten; das Argument lief darauf hinaus, ihm zu vertrauen, weil er Präsident war - ein Fehler, wie sich herausstellte.
  • Das Argument der negativen Folgen. Beispiel: Ein Gott, der Strafe und Lohn verteilt, muß existieren, denn andernfalls wäre die Gesellschaft viel gesetzloser und gefährlicher - vielleicht sogar unregierbar. Oder: Der Angeklagte in einem aufsehenerregenden Mordprozeß muß für schuldig erklärt werden - sonst werden andere Männer ermutigt, ihre Frauen zu ermorden.
  • Die Berufung auf Unwissenheit - die Behauptung, was nicht als falsch bewiesen sei, müsse wahr sein, und umgekehrt Beispiel: Es gibt keine zwingenden Beweise, daß UFOs die Erde nicht besuchen; daher existieren UFOs - und überall im Universum gibt es intelligentes Leben. Oder: Vielleicht gibt es ja Abermillionen von anderen Welten, aber wir kennen keine einzige, die moralisch so hochstehend ist wie die Erde, daher stellen wir noch immer das Zentrum des Universums dar. Diese Ungeduld in zweifelhaften Fällen läßt sich mit dem Satz kritisieren: Das Fehlen eines Beweises ist kein Beweis für das Fehlen.
  • Das spitzfindige Argument, das oft zur Rettung einer Behauptung vorgebracht wird, wenn man in tiefen rhetorischen Schwierigkeiten steckt. Beispiel: Wie kann ein barmherziger Gott künftige Generationen zu unendlichem Leid verurteilen, nur weil eine einzige Frau gegen einen ausdrücklichen Befehl einen Mann dazu gebracht hat, einen Apfel zu essen? Spitzfindiges Argument: Du verstehst eben nicht die subtile Lehre vom freien Willen. Oder: Wie konnte Gott es zulassen, daß die Anhänger des Judaismus, des Christentums und des Islam - die jeweils dazu angehalten sind, in geradezu heroischem Maße Barmherzigkeit und Mitgefühl an den Tag zu legen - so viele Grausamkeiten so lange verübt haben? Spitzfindiges Argument: Du verstehst wieder einmal nicht die Willensfreiheit. Und außerdem sind die Wege Gottes unergründlich.
  • Etwas ohne Beweis voraussetzen oder etwas unterstellen. Beispiel: Wir müssen die Todesstrafe einführen, um vor Gewaltverbrechen abzuschrecken. Aber sinkt die Rate der Gewaltverbrechen tatsächlich, wenn die Todesstrafe verhängt wird? Oder: Die Aktienkurse sind gestern wegen einer technischen Anpassung und infolge von Gewinnmitnahmen der Anleger gefallen - aber gibt es irgendeinen eigenständigen Beweis dafür, daß »Anpassung« und Gewinnmitnahme eine derart ursächliche Rolle gespielt haben - haben wir überhaupt irgend etwas aus dieser vermeintlichen Erklärung erfahren?
  • Die empirische Auswahl oder die Beschränkung auf die günstigen Umstände, oder wie es der Philosoph Francis Bacon formuliert hat: man zählt die Treffer und vergißt die Fehlschüsse.* Beispiel: Ein Staat rühmt sich der Präsidenten, die er hervorgebracht hat, verschweigt aber seine Serienmörder.

  • Die Statistik der kleinen Zahlen - der empirischen Auswahl nahe verwandt. Beispiel: »Wie es heißt, sei jeder fünfte Mensch Chinese. Wie ist das möglich? Ich kenne Hunderte von Menschen, aber kein einziger davon ist Chinese. Hochachtungsvoll.« Oder: »Ich habe dreimal hintereinander die Sieben gewürfelt. Heute abend kann ich nicht verlieren.«
  • Das Wesen der Statistik mißverstehen. Beispiel: Präsident Dwight Eisenhower ist erstaunt und beunruhigt, als er erfährt, daß die Hälfte aller Amerikaner eine unterdurchschnittliche Intelligenz haben.
  • Innerer Widerspruch. Beispiel: Man stellt sich wohlweislich auf das Schlimmste ein, wozu ein militärischer Gegner imstande ist, ignoriert aber aus Sparsamkeit wissenschaftliche Hochrechnungen von Umweltgefahren, weil sie nicht »bewiesen« sind. Oder: Man schreibt die rückläufige Lebenserwartung in der ehemaligen Sowjetunion den Fehlern des Kommunismus vor vielen Jahren zu, aber niemals die hohe Säuglingssterblichkeitsrate in den USA (inzwischen die höchste unter den großen Industrienationen) den Fehlern des Kapitalismus. Oder: Man hält es für vernünftig, daß das Universum auch weiterhin in alle Ewigkeit existieren wird, hält aber die Möglichkeit für absurd, daß es auch eine unendliche Vergangenheit hat.
  • Non sequitur (lateinisch »es folgt nicht«) - der Trugschluß. Beispiel: Unsere Nation wird die Vorherrschaft haben, weil Gott groß ist. Aber das behauptet jede Nation von sich - die deutsche Formulierung lautete »Gott mit uns«. Oft haben diejenigen, die sich einem Trugschluß hingeben, es einfach versäumt, andere Möglichkeiten wahrzunehmen.
  • Das Argument post hoc, ergo propter hoc (lateinisch »es geschah danach, also wurde es dadurch verursacht«). Beispiel: Jaime Cardinal Sin, Erzbischof von Manila: »Ich kenne... eine Sechsundzwanzigjährige, die wie sechzig aussieht, weil sie die Pille nimmt.« Oder: Bevor Frauen wahlberechtigt waren, gab es keine Atombomben.
  • Die sinnlose Frage. Beispiel: Was passiert, wenn eine unwiderstehliche Kraft auf ein unbewegliches Objekt trifft? Aber wenn es so etwas wie eine unwiderstehliche Kraft gibt, dann kann es keine unbeweglichen Objekte geben, und umgekehrt.
  • Das ausgeschlossene Mittlere oder die falsche Dichotomie - es werden nur die beiden Extreme in einem ganzen Spektrum von Möglichkeiten betrachtet. Beispiel: »Natürlich, ergreif nur für ihn Partei - mein Mann ist vollkommen, ich habe immer unrecht.« Oder: »Entweder liebst du dein Land, oder du haßt es.« Oder: »Wenn Sie nicht ein Teil der Lösung sind, dann sind Sie ein Teil des Problems.«
  • Kurzfristig kontra langfristig - gehört eigentlich unter die Rubrik des ausgeschlossenen Mittleren, ist aber so wichtig, daß ich es eigens herausstelle. Beispiel: Wir können uns kein Programm zur Ernährung unterernährter Kinder und zur Erziehung von Vorschulkindern leisten. Wir müssen uns dringend mit dem Verbrechen auf den Straßen befassen. Oder: Warum sollten wir den Weltraum erkunden oder Grundlagenforschung betreiben, wenn es so viele obdachlose Menschen gibt?
  • Der gefährliche Weg, hängt mit der ausgeschlossenen Mitte zusammen. Beispiel: Wenn wir die Abtreibung in den ersten Schwangerschaftswochen erlauben, läßt sich die Tötung eines ausgewachsenen Säuglings unmöglich verhindern. Oder im Gegenteil: Wenn der Staat die Abtreibung sogar im neunten Monat verbietet, wird er uns bald sagen, was wir mit unseren Körpern um die Zeit der Empfängnis zu tun haben.
  • Verwechslung von Korrelation und Ursache. Beispiel: Laut einer Umfrage sind mehr Menschen mit College-Abschlüssen homosexuell als Menschen mit einer geringeren Bildung - also macht Bildung die Menschen schwul. Oder: Erdbeben in den Anden treten immer dann auf, wenn der Planet Uranus der Erde am nächsten steht; daher verursacht letzteres ersteres - die Korrelation mit dem näheren, schwereren Planeten Jupiter wird dabei völlig außer acht gelassen.
  • Der Strohmann - man karikiert eine Position, damit man sie um so leichter angreifen kann. Beispiel: Wissenschaftler nehmen an, daß Lebewesen schlicht durch Zufall entstanden sind - eine Formulierung, die bewußt die zentrale darwinistische Erkenntnis ignoriert, daß die Natur selektiert, indem sie erhält, was funktioniert, und aussondert, was nicht funktioniert. Oder - und das hat auch etwas mit dem Verwechseln von kurzfristig und langfristig zu tun- : Umweltschützer interessieren sich mehr für Schlangenhalsvögel und Fleckenkäuze als für Menschen.
  • Unterdrückte Beweise oder Halbwahrheiten. Beispiel: Eine erstaunlich genaue und allgemein zitierte »Prophezeiung« des versuchten Attentats auf Präsident Reagan wird im Fernsehen gezeigt - aber (wichtiges Detail!) wurde sie vor oder nach dem Ereignis aufgenommen? Oder: Dieser Machtmißbrauch durch die Regierung verlangt nach einer Revolution, selbst wenn man für ein Omelett einige Eier aufschlagen muß. Gewiß, aber wird das vielleicht eine Revolution, in der viel mehr Menschen umgebracht werden als unter dem vorigen Regime? Was zeigt die Erfahrung im Hinblick auf andere Revolutionen? Sind alle Revolutionen gegen Unterdrückungsregime wünschenswert und im Interesse der Menschen?
  • Euphemismen. Beispiel: Die in der US-Verfassung vorgeschriebene Gewaltenteilung sieht ausdrücklich vor, daß die USA keinen Krieg ohne eine Erklärung durch den Kongreß führen dürfen. Andererseits hat der Präsident die Kontrolle über die Außenpolitik und die Kriegführung, also potentiell mächtige Instrumente für eine Wiederwahl in der Hand. Präsidenten beider politischen Parteien können daher in Versuchung geraten, Kriege anzuzetteln, während sie die Friedensfahne schwenken und diese Kriege als etwas anderes bezeichnen: »Polizeiaktionen«, »bewaffnete Einmärsche«, »schützende Gegenschläge«, »Befriedung«, »Wahrung amerikanischer Interessen« und als alle möglichen »Operationen« wie »Operation Gerechte Sache«. Euphemismen für den Krieg stellen eine umfassende Klasse von sprachlichen Umbenennun-gen zu politischen Zwecken dar. Talleyrand hat einmal gesagt, daß eine bedeutende Kunst der Politiker darin bestehe, neue Namen für Institutionen zu finden, die unter ihren alten Namen für die Öffentlichkeit verhaßt geworden sind.
  • Unser Rüstzeug wird durch die Kenntnis derartiger logischer Irrtümer und rhetorischer Trugschlüsse abgerundet. Wie alle Instrumente kann auch das Rüstzeug zur Entlarvung von Unsinn mißbraucht, aus dem Zusammenhang herausgerissen angewendet oder gar als mechanische Alternative zum Denken eingesetzt werden. Aber bei kluger Anwendung liegt darin der entscheidende Unterschied - nicht zuletzt in der Bewertung unserer Argumente, bevor wir sie anderen darlegen.

    * Mein Lieblingsbeispiel ist diese Anekdote über den italienischen Physiker Enrico Fermi, der gerade nach Amerika gekommen war, für das Manhattan-Projekt zur Entwicklung der Atombombe abgestellt wurde und mitten im Zweiten Weltkrieg US-Flaggoffizieren persönlich gegenüberstand. Soundso ist ein großer General, erklärte man ihm.
    Wie lautet die Definition für einen großen General? wollte Fermi bezeichnenderweise wissen.
    Ich vermute, ein General, der viele Schlachten hintereinander gewonnen hat.
    Wie viele?
    Nach einigem Hin und Her einigte man sich auf fünf.
    Wieviel Prozent der amerikanischen Generäle sind dann groß?
    Nach weiterem Hin und Her einigte man sich auf ein paar Prozent.
    Aber stellen Sie sich vor, erwiderte Fermi, daß es so etwas wie einen großen General gar nicht gibt, daß alle Armeen gleich stark sind und daß der Sieg in einer Schlacht reiner Zufall ist. Dann ist die Chance, eine Schlacht zu gewinnen, eins zu zwei; bei zwei Schlachten eins zu vier, bei drei eins zu acht, bei vier eins zu sechzehn und bei fünf aufeinanderfolgenden Schlachten eins zu zweiunddreißig - und das sind etwa drei Prozent. Sie würden also von vornherein erwarten, daß ein paar Prozent der amerikanischen Generäle fünf aufeinanderfolgende Schlachten gewinnen - rein zufällig. Hat denn nun irgendeiner zehn Schlachten nacheinander gewonnen...?"
    [...]
(Bildquelle: Wikimedia Commons)

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