Ruhollah Chomeini, 1902 - 1989, war ein schiitischer Ajatollah und der politische und spirituelle Führer der Islamischen Revolution in Iran von 1978 bis 1979. |
Eigentlich könnte ich hier jeden Tag über Jahrzehnte hinweg Zitate aus der Sekundärliteratur einfügen, so viel Material gibt es zum Islamismus, besonders seit den Terror-Anschlägen in den USA am 11. September 2001. Ich versuche in der nächsten Zeit noch einige interessante Postings zu diesem Thema zu veröffentlichen, besonders werde ich jedoch in einem der nächsten Postings mein Augenmerk auf zusammenfassende Enzyklopädie-Artikel richten, denn Aufsätze oder ganze Bücher zu bestimmten Themen des Islamismus oder eher allgemeinerer Art, auch über den Terrorismus, gibt es wie gesagt wie Sand am Meer. Und ich kann schwerlich komplette Bücher hier zitieren, oder die wichtigsten Absätze aus Büchern hier präsentieren, denn das wäre dann doch zu zeitintensiv alle Bücher nochmals durchblättern.
Dennoch, vor den allgemeinen und zusammenfassenden Enzyklopädie-Zitaten in einem der zukünftigen beiden Postings, die ich schon in den letzten beiden Blogartikeln 1 und 2 zum Teil vorstellte, werde ich heute nochmals Leseproben aus interessanten Büchern präsentieren.
Es gibt in der islamwissenschaftlichen Fakultät Halle einige sehr gute frei zugängliche Manuskripte als Vorlesungsmaterial, die angesichts der großen Anzahl an oberflächlichen oder gar schiefen oder noch schlimmer falsch verstandenen Erläuterungen in den Artikeln der Massenmedien eine Wohltat darstellen. Denn dieses Vorlesungsmaterial räumt doch nicht selten mit falschen Vorstellungen nicht nur in den Massenmedien, sondern auch in etlichen populärwissenschaftlichen Werken auf. Und das gute ist, dass der Leseaufwand recht gering ist, da meist stark die Geschichte des islamischen Kulturraumes komprimiert wird, und dennoch es nicht an notwendiger Differenzierung mangelt.
Hier nun einige Ausschnitte aus dem Skript:
Die Entstehung der salafīya
Einleitung: Der Orient und die Moderne
Ist der Orient – genauer: der islamische Orient – „modernefähig“? Manchmal hat diese Frage auch eine andere Form, man fragt nach der Kompatibilität von Islam und
Moderne oder Islam und Demokratie, und knüpft daran besorgte Prognosen über die Zukunft der arabischen oder insgesamt der islamischen Welt. Es wird darauf verwiesen, dass der Orient, genauer: der islamische Orient, keine Aufklärung erlebt habe, und fügt dann die Frage an, ob der Islam wohl „aufgeklärt“ werden könne; man verweist auf die christlichen oder – historisch korrekter – christlich-jüdischen Wurzeln der europäischen Kultur und meint, mit diesem Hinweis auch die Aufklärung integriert zu haben (wobei der teilweise vehement antiklerikale und antireligiöse Charakter der Aufklärung eigenartigerweise so gut wie nie erwähnt wird). Antipode dieser Vorstellung ist implizit eigentlich immer der Islam, der damit von dem europäischen Projekt der Moderne ausgeschlossen wird.
[...]
Reaktion auf zunehmende Schwäche der islamischen Länder
[...]
Auf diese Position können Muslime, denen die Zukunft ihrer Länder am Herzen liegt, auf drei Weisen reagieren, wie mir scheint. Die vierte – nämlich die Position als solche zurückzuweisen und zu sagen, Religion, welche auch immer, habe mit Moderne im oben skizzierten Sinn rein gar nichts zu tun, ist im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert höchstens von isolierten Denkern vertreten worden. Erst heute scheint sie an Anhängern zu gewinnen.
Erste Reaktion. Man sagt: Ja, es ist richtig – der Islam ist das größte Hindernis bei der Modernisierung. Also weg damit, so weit weg wie möglich! Man hat hier die Position der radikalen Verwestlicher, darunter einiger Tanzimat-Politiker und insbesondere einiger Vertreter der Jungtürken (dazu in der kommenden Stunde), bei denen diese Ablehnung des Islam, die durchaus auch offen und öffentlich vorgetragen wurde, eine mehr oder weniger gut feststellbare Grundlage gewesen ist.
Zweite Reaktion. Man sagt: Ja, es ist richtig – der Islam ist ein Hindernis bei der Modernisierung. Aber das ist nicht der richtige Islam, sondern ein falsch verstandener. Wir werden uns also modernisieren, indem wir den Islam reformieren. Das ist auch möglich: Denn der Islam steht als solcher keineswegs im Widerspruch zu einer rationalen Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens, sondern kann ein wirksames Instrument bei der Einrichtung einer solchen rationalen gesellschaftlichen Ordnung sein.
Dritte Reaktion. Man sagt: Ja, es ist mindestens teilweise richtig – der Islam ist ein Hindernis bei der Modernisierung, und es ist auch richtig, dass ein falsches Verständnis von Islam die Hauptursache für die Misere in den islamischen Ländern ist. Es handelt sich nämlich um eine geistig-religiöse Misere. Wir werden also den Islam reinigen, und wenn alle Muslime dem so gereinigten Islam folgen, wird es uns allen mit Gottes Hilfe besser gehen.
[...]
Die dritte Position, diejenige also, die den Ausweg allein im Islam sucht, ist diejenige der expliziten salafīya. Der Ausdruck salafīya kommt von ar. as-salaf aṣ-ṣāliḥ, „die frommen Altvorderen“, also den Muslimen jener Zeit, als der Islam, weil rein und unverfälscht, die Grundlage für die Stärke der Muslime bildete; gemeint ist die Zeit des Propheten und der Rechtgeleiteten Kalifen (etwa bis 661), also die erste Generation des Islam. Daher kann man sagen: Die salafīya wollen zurück, aber in Wirklichkeit vorwärts, zu den frommen Altvorderen. Sowohl Afġānī als auch ʿAbduh gelten als Wegbereiter der salafīya, aber nicht als ihre wirklichen Gründer.
Der Hauptvertreter und eigentliche Gründer der Richtung ist vielmehr Rašīd Riḍā (1865-1935), ein Libanese, der aber in Ägypten Karriere gemacht hat. Er ist bekannt als Gründer und zunächst auch Herausgeber der Zeitschrift al-Manār („das Leuchtfeuer“ oder auch „das Minarett“), die seit 1898 erschien und bis 1935, also bis zum Tod Riḍās, am Markt blieb. Er selbst war einer der eifrigsten Autoren.
Riḍā vollzog unter den islamischen Reformern die Hinwendung zu den Positionen der Wahhābīya, die er seit ihren neuerlichen Erfolgen im Ḥiǧāz (Gründung des Dritten saʿūdischen Staates bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, 1924 Übernahme der Kontrolle über die Heiligen Städte) auch politisch unterstützte.
[...]
Die Rückkehr zu den Basistexten bedeutet daneben, dass diese in ganz anderer Weise wörtlich genommen werden als bisher. Wenn sie durch den Filter einer Jahrhunderte langen Tradition geleitet werden, ist die jeweilige Interpretation immer schon bekannt, und auch die Abwägungen von eventuell widersprüchlich scheinenden Stellen sind geläufig. In einem so sehr auf der Lehrtradition beruhenden System kann es kaum Überraschungen geben. Das Wörtlich-Nehmen der Basistexte unterscheidet die Salafīya auch von den Modernisierern vom Schlage Afġānīs: Von symbolischen Bedeutungen ist nicht mehr die Rede.
Mit dem Überspringen der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Lehrtradition wird auch das ganze System der feinen Abstimmung zwischen wissenschaftlicher, durchaus auch rationaler Systematisierung in den Bereichen Recht und Ritual beiseite geräumt, und es dauert wie gesagt nicht mehr allzu lange, bis sich Personen an die Interpretation der Basistexte machen, die dazu in früheren Zeiten nicht berechtigt gewesen wären. Iǧtihād gab es nach neueren Forschungen zu allen Zeiten, aber es war nie eine Tätigkeit, die für alle offen war. Das berühmte „Tor des iǧtihād“ war nie ganz geschlossen, aber es war natürlich geschlossen für die allermeisten Muslime, die sich eben an das halten mussten, was kompetente Leute als richtige Lösung und daher als richtiges Verhalten ermittelt hatten.
Die Salafīya öffnet damit der freihändigen Interpretation der Basistexte durch Laien den Weg, der heute – in der „Neo-Salafīya“ in vielen Fällen gegangen wird. Die Freigabe der Interpretation für Laien bedeutet dabei nicht unbedingt und nicht immer eine Liberalisierung der Auslegungspraxis; ganz im Gegenteil, sie führt zu einer Konkurrenz, zu einem gegenseitigen sich Überbieten in Islamizität der rituellen Praxis, wobei diese Konkurrenz manchmal in einer recht begrenzten Anzahl von Feldern stattfindet. Die Freigabe der Interpretation bedeutet daher eine zunehmende Unterwerfung der interpretatorischen Praxis unter die jeweils verfolgten politischen Ziele.
Das komplette Skript kann man hier lesen, inklusive folgender Themen:
Die Entstehung der salafīya
Einleitung: Der Orient und die Moderne
Europäisierung, nachholende Entwicklung und ihr Scheitern
2.1 Europa-Begeisterung
2.2 Autokratische Gegenbewegung: Abdülhamid II. (1876-1909)
2.3 Reaktionen auf zunehmende Schwäche der islamischen Länder
Modernisierung ohne Verwestlichung: al-Afġānī
Vorwärts zu den Altvorderen: Die arabische salafīya, Deoband
4.1 Rašīd Riḍā
4.2 Deoband
Interessant ist auch das folgende Skript mit diesen Themen:
Die islamische Welt zwischen den Weltkriegen
Herausbildung nationalistischer und islamistischer Bewegungen. Drei Beispiele
Ägypten nach dem 1. Weltkrieg
1.1 Die Wafd Wafd-Partei
1.2 Die Muslimbrüder
Indien nach dem 1. Weltkrieg
2.1 Die Muslim League
2.2 Jinnah
Algerien nach dem 1. Weltkrieg
3.1 Etoile Nord Nord-Africaine
Zusammenfassung
Das komplette Vorlesungsmaterial des Seminars "Einführung in die Geschichte der islamischen Länder" findet ihr hier.
Sehr empfehlenswert, ein Ritt durch 1400 Jahre islamische Geschichte.
Nun folgt eine Leseprobe eines 2005 herausgegebenen Sammelbandes, der diverse Autoren zum Thema islamistischer Terrorismus (und seine Bekämpfung) zu Wort kommen lässt.
Nun habe ich nicht die Zeit alle dortigen Autoren auf ihre Reputation oder ihren Kenntnisstand bezüglich des Nahen Ostens abzuklopfen, doch Peter Heine und Arnold Hottinger sind mir bisher zumindest als sehr kenntnisreiche Autoren über den Nahen Osten im Gedächtnis geblieben, mit sehr gutem Renommee. Alle anderen Autoren also gegebenenfalls erstmal auf ihren Ruf in der "Zunft" überprüfen, bevor man ihre Analysen als einzig mögliche Sicht oder als konsensuale Sicht der Wissenschaft übernimmt.
Das Buch wurde von der CSU-nahen Stiftung der Hanns-Seidel-Stiftung herausgegeben und ist online komplett einsehbar.
Hier nun Arnold Hottinger mit einer möglichen Definition und dem Unterschied von Islamismus und Islam:
Die politische Ideologie des Islamismus
Arnold Hottinger
1. Unterschied zwischen Religion und politischer Ideologie
Der Islamismus ist keine Religionsbewegung sondern eine politische Ideologie. – Was ist der Unterschied zwischen Religion und politischer Ideologie? Die Religion entfaltet sich auf der Hauptachse der Gott-Mensch Beziehung. Eine politische Ideologie ist ein Ideengebäude, zusammengefügt von einem Ideologen, das den Gefolgsleuten des Ideologen Erfolg und Heil auf dieser Welt verspricht. Die Ideologie dient als Machtinstrument des Ideologen. Eine Religion kann auch als Machtinstrument dienen, aber dies sollte nicht ihr primärer Zweck sein. Die Hauptachse der Religion kann man als eine Vertikale bezeichnen, jene der Ideologie als eine Horizontale, weil sie auf Erfassung einer möglichst großen Menge von Überzeugten ausgeht und diese als Selbstzweck betreibt. Es ist allerdings das Besondere der politischen Ideologie des Islamismus, dass sie aus Versatzstücken zusammengebastelt ist, die der Religion des Islams entnommen wurden. Die wichtigsten sind die komplexen islamischen Begriffe von Shari’a und Jihad.
– Mit Shari’a ist das als heilig angesehene islamische Gottesrecht gemeint, das von den Gottesgelehrten des Islams im 9. und 10. Jahrhundert ausgearbeitet wurde — nicht ein Codex sondern vielmehr eine ganze Rechtswelt, ähnlich wie wir vom römischen Recht oder vom germanischen Recht sprechen.
– Jihad wird oft mit ˝Heiliger Krieg˝ übersetzt, doch die Bedeutung des Begriffes geht weit über ˝Krieg˝ hinaus. Die beste Wiedergabe ist ˝Einsatz˝, weil ein Einsatz kriegerischer oder auch geistiger Natur sein kann.
Die Ideologen des Islamismus erklären, wenn die Muslime einen Gottesstaat nach Maßgabe der Shari’a einrichteten, würden alle Missstände in ihrem privaten und kollektiven Leben aufhören, und das Heil würde ausbrechen. Wie genau der Gottesstaat eingerichtet werden müsse, wollen sie, die Ideologen selbst, entsprechend ihrem Verständnis der Shari’a festlegen. Damit wird die islamistische Ideologie ein Machtinstrument in den Händen der sie verbreitenden Ideologen. Sie wird in der Praxis durchaus als ein solches gebraucht.
Weil die Ideologie des Islamismus aus Versatzstücken des Islams zusammengebastelt ist, sind die Grenzen zwischen der Religion und der Ideologie manchmal verschwommen. Die Islamisten selbst sehen sich als die wahren Muslime an und werfen allen nicht ihrer Ideologie folgenden Religionsgenossen vor, sie seien keine ˝wahren Muslime˝. Sie rechtfertigen ihre politischen Zielsetzungen mit dem Argument, im Islam sei Religion und Politik nicht zu trennen. Sie erklären, ihre Politik sei auch Gottesdienst. Doch sobald diese sich als ein klares Machtstreben entpuppt, wird ihr Anspruch fragwürdig.
2. Entstehung der islamistischen Ideologie
Wann entstand und wie wuchs die islamistische Ideologie? Sie wird zuerst historisch greifbar mit den ägyptischen Muslim Brüdern, die der Schulmeister Hassan al-Banna 1928 in seiner Heimatstadt Ismailiya gründete. Die Bruderschaft wurde in den Jahrzehnten darauf eine bedeutende politische und religiöse Oppositionsmacht in Ägypten, die sich auch auf den ganzen arabischen Raum ausbreitete. Weil sie letztlich einen islamischen Gottesstaat anstrebte, musste sie unvermeidlich mit den herrschenden Mächten in allen Staaten zusammenstoßen. Diese waren zuerst koloniale Herrschaften und wurden später Alleinherrschaften, meist Militärdiktaturen nationalistischer Färbung und stark der westlichen Industriewelt angepasster ˝verwestlichter˝ Natur. Die Ideologie des Islamismus griff auch nach Iran und nach dem muslimischen Indien, später Pakistan, über. Sie erhielt durch Ideologen wie Abul A’la al-Mawdoodi und Khomeini neue Akzente. Sie radikalisierte sich im Kampf gegen die Staatsgewalten, primär zur Zeit Nassers in Ägypten mit dem schließlich von Nasser 1965 hingerichteten Sayid Qutb.
Mit der Niederlage und Diskreditierung seiner wichtigsten Konkurrentin, der Ideologie des Nationalismus, am spektakulärsten durch den Sechstagekrieg von 1967, wurde der Islamismus zur zügigsten Ideologie im gesamten islamischen Raum mit Ablegern mehr oder weniger lokaler Färbung bis nach Indonesien, Zentralasien und dem Kaukasus, Nigeria, Algerien, Marokko, Kossovo und Palästina.
Der Durchbruch zur Macht im Iran des Schahs von 1978-9 verstärkte die Islamisten im ganzen islamischen Raum, weil er den Beweis zu erbringen schien, dass es den Islamisten tatsächlich möglich sei, die als ˝heidnisch˝ eingestuften eigenen Regierungen zu Fall zu bringen und selbst an die Macht zu gelangen. Und der von den USA und Pakistan gestützte, von Saudi Arabien und anderen Erdölstaaten mitfinanzierte, jahrelang dauernde, ˝Jihad˝ gegen die Sowjettruppen in Afghanistan diente der praktischen Ausbildung von zahlreichen freiwilligen islamistischen Kämpfern.
Wie kam der Islamismus auf den Terrorismus? Da die Islamisten über keine Heere verfügten, musste der Kampf gegen die eigenen Regierungen als Guerillakampf oder mit konspirativen Mitteln geführt werden. Zur Guerilla kam es selten, da es den Staaten gelang, die sich bildenden Banden rasch zu zerschlagen.
Schon die Muslim Brüder der Zwischenkriegszeit führten gelegentlich Anschläge durch, die sich gegen ihnen als besonders feindlich geltende Politiker richteten. Bombenanschläge mehr oder minder diskriminierender Natur waren der nächste Schritt. Er führte weiter zu Selbstmordanschlägen. Die ersten wurden von den damals bereits an die Macht gelangten schiitischen Islamisten Irans, anscheinend anfänglich mit nord-koreanischer ˝technischer˝ Hilfe, in Libanon gegen die amerikanischen, französischen und israelischen Truppen im Oktober 1983 organisiert. Weil Selbstmordanschläge schwerer zu verhüten waren und daher viel mehr Opfer forderten als bloße Bombenanschläge, setzten sie sich allgemein durch. Auch Nicht-Islamisten, Aktivisten der extremen Linken oder des extremen Nationalismus, haben seither zu Selbstmordbomben gegriffen. Es ist jedoch anzumerken, dass der einzige wirkliche Sieg der Islamisten, nämlich ihre einzige Machtergreifung, in Iran zustande kam, wo Khomeini keine terroristischen Methoden anwandte, sondern durch im Wesentlichen friedliche Massendemonstrationen den Sturz des Regimes bewirkte. Im Gegensatz dazu haben die Gewalt- und Terrormethoden anderer Islamisten dazu geführt, dass sie ihre politischen Ziele nicht erreichen konnten. Die von ihnen aufs Korn genommenen Regime und Regierungen, einschließlich der israelischen und amerikanischen, wurden nicht gestürzt, sie sind im Gegenteil zum Kampf gegen den Islamismus angetreten. Syrien übrigens bereits in den 70-er Jahren unter Hafez al-Asad. Und sie haben den Ansturm der Islamisten weitgehend gebrochen.
3. Was macht die Menschen zu Islamisten?
Die Erklärung ˝Armut˝ greift sicher zu kurz. Bin Laden war ein Millionär. Begriffe wie ˝Hoffnungslosigkeit˝, ˝Aussichtslosigkeit˝, ˝Verzweiflung˝ erklären mehr. Ich persönlich operiere mit dem Begriff ˝Fremdbestimmung˝: Israel ist für die Araber das non plus ultra der Fremdbestimmung. Aus ihrer Sicht haben die fremden Zionisten die einheimische, weitgehend muslimische (aber auch christliche) Bevölkerung aus ihrem eigenen Lande vertrieben. Doch die Fremdbestimmung hat viele weitere Dimensionen. Sie findet in der Form der ˝Verwestlichung˝, neuerdings auch ˝Globalisierung˝ genannt, überall statt. Im ganzen muslimischen Raum greift seit über hundert Jahren westliches Kultur- und Gedankengut, von den Universitäten bis zur Kleidermode, von der Wirtschaft bis zur Kunst, den Kriegsmethoden bis zu den Verwaltungstechniken usw. immer mehr um sich und dringt immer tiefer in die Gesellschaft ein. Dabei ist das Fremde immer das Unentbehrliche, einzig Erfolgreiche, das sich aus Sachzwang aufzwingt, wenn man überleben will. Das Eigenständige, die eigene Kultur, regelmässig das Erfolglose, Schwächere und immer mehr Verarmende und Verelendende. Dies ist ein weites Feld, dessen Bedeutung ich eigentlich lange ausmalen müsste, aber hier nur andeuten kann.
Bei alle dem gilt ein eisernes Gesetz, das lautet: ˝je schlechter desto besser˝ das heißt: Je schlechter sich eine Gesellschaft, ein Gesellschaftssektor oder ein Individuum – subjektiv – fühlt, je hoffnungsloser dem übermächtigen Fremden ausgeliefert, desto besser ist es für die Vorkämpfer der islamistischen Ideologie. Nicht jeder Muslim, der sich durch die Abwertung seiner eigenen Kultur in seinem eigenen Lande und die Aufwertung der Fremden bedrängt fühlt, wird zum Islamisten. Die große Mehrheit von ihnen lebt das ihnen aufgezwungene Doppelleben von westlicher Erfolgskultur und langsam absinkender Eigenkultur, ohne bei der sich als Retter in der Not und Heilbringer darstellenden islamistischen Ideologie Zuflucht zu suchen. Doch bestimmte Individuen, ein jedes durch seine eigene Geschichte und innere oder äußere Notlage motiviert, suchen Zuflucht unter dem Rettung verheißenden Schirm der Ideologie. Es ist klar, dass äußere und innere Missstände und Zwangslagen das Gefälle fördern, welches den Islamisten ihre Anhänger zuführt. Solche Missstände können aus Bombardierungen und brutalen Hausdurchsuchungen, sowie allgemeiner Unsicherheit bestehen, wie sie heute für den Irak typisch sind. Aber auch aus einer plötzlich eingetretenen Welle von Konsumismus und Korruption, die bestimmten Gruppen sehr viel mehr Profit brachte als anderen, wie das in Jahren des iranischen Erdölbooms nach 1973 unter dem Schah geschah. Das Element der Fremdbestimmung ist bei beiden Arten von Missständen evident. Die Bomben und die Besatzungssoldaten kommen aus Amerika und Großbritannien sowie aus der übrigen westlichen Welt. Das Erdölgeld und die Konsumgegenstände, die damit gekauft wurden und die eigene Welt der Perser entstellten, kamen ebenfalls dorther.
4. Bekämpfung des gewaltbereiten Islamismus
Die Bekämpfung des gewaltbereiten Islamismus hat auf zwei Ebenen zu erfolgen, der taktischen Prävention und der strategischen. Sie erfolgt heute auf der taktischen Ebene mit deutlichen Erfolgen, jedoch auf der strategischen besteht keine Einigkeit darüber, was zu geschehen hat, ja nicht einmal ein klares Konzept dessen, woher der Islamismus eigentlich kommt. Die Kriegserklärung Präsident Bushs gegen den Terrorismus bedeutet unter diesen Umständen, dass ein Krieg gegen etwas geführt werden soll, dessen Natur und Wurzeln weitgehend unbekannt sind und weiter unbekannt bleiben. Es gibt keine besseren Indizien für diesen Zustand als bestimmte Erklärungen von Bush, wie etwa: ˝Sie hassen uns wegen unserer Freiheit˝. Die Umkehrung dieses Satzes wäre zutreffender: ˝Sie hassen uns wegen ihrer Unfreiheit˝ (die sie, so wäre hinzuzufügen, zu bedeutenden Teilen uns verdanken).
Denn Fremdbestimmung ist Unfreiheit. Die Strategie der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus müsste natürlich die tieferen Gründe ansprechen, aus denen der Islamismus entsteht. Genauer formuliert: die Umstände, die das Gefälle bilden, auf dem Teile der islamischen Gesellschaften in den Islamismus abgleiten. Wenn man nicht in der Lage ist, diese Gründe zu verstehen, kann es passieren, wie gegenwärtig im Irak, dass die vermeintlich gegen die Islamisten geführten Kriegsschläge nichts anderes bewirken, als dieses Gefälle steiler werden zu lassen und immer grössere Teile der angegriffenen Gesellschaft auf seine absteigende Ebene zu drängen. In solchen Fällen schafft eine Taktik, die den strategischen Zielen entgegen läuft, mit großen Kosten an Menschenleben und materiellem Aufwand, mehr und heftigeren Islamismus und Terrorismus als er je vorher bestand.
Eine Strategie zu entwickeln, welche die Fremdbestimmung reduziert, statt sie immer weiter zu steigern, ist deshalb schwierig, weil sie dem weltweiten Zug zur Globalisierung entgegenlaufen müsste. Die Globalisierung frontal angehen zu wollen, ist jedoch aussichtslos. Dennoch können Wege gefunden werden, um ihren Schaden zu begrenzen. Der Schaden der Fremdbestimmung wird in dem Augenblick reduziert, in dem die betroffenen Menschen und Gruppen sich am Projekt der Moderne beteiligt sehen und es daher nicht mehr als ihnen aufgezwungen empfinden. Das würde kreative Mitarbeit aus der eigenen Gesellschaft heraus bedeuten statt imitativem Übernehmen des Fremden. Den Durchbruch zur Kreativität müssen die Muslime selbst bewerkstelligen. Doch die westliche Außenwelt kann Haltungen einnehmen, die diesen Durchbruch fördern oder behindern. Sie hat ihn bisher immer und beinahe systematisch verhindert, und sie tut es noch. Man hat dabei nicht bloß an solch grobe Eingriffe zu denken wie die Bomben im Irak oder die Raketen und Kampfhelikopter in den besetzten Gebieten. Es gibt auch subtilere z.B. den Aufbau von Lizenzindustrien in den Ländern der Dritten Welt, welche die Imitation fremder Modelle gewissermaßen vorschreiben, oder der imitative Import der Modelle westlicher Lehranstalten; allgemeiner die imitative Einpflanzung im Westen entstandener Erfolgsrezepte zur Nachahmung in die islamische Welt. In diesen Bereichen müsste zwischen kreativer Einpassung und mechanischer Übernahme unterschieden werden. Das erste wäre zu unterstützen, das zweite jedoch wegen der verderblichen Folgen der Übersättigung durch das Fremde nach Möglichkeit zu vermeiden.
Festhalten möchte ich jedoch bereits an dieser Stelle, dass in den westlichen industriellen Gesellschaften eine klarere Erkenntnis unserer eigenen Rolle bei der Schaffung des Gefälles, welches den terroristischen Islamismus hervorbringt, erlangt werden müsste, bevor eine wirksame Strategie gegen die Wurzeln des Übels entstehen kann.
Zum Schluss kommt noch einer der arriviertesten Kenner des politischen Islam, Gilles Kepel zu Wort:
Ausschnitte des folgenden Aufsatzes:
Giles Kepel, “Toward a Social Analysis of Islamist Movements,” in Ethnic Conflict and International Politics in the Middle East, ed. Leonard Binder (Gainesville: University Press of Florida, 1999), 184–185, 186–187, 190–191.
Gefunden in: The many faces of Islam: Perspectives on a resurgent civilization herausgegeben von Nissim Rejwan
(in googlebook über weite Teile lesbar, mit vielen interessanten Kapiteln)
The Three Components of Islamist Movements
The mid-1970s was a watershed period for the Muslim world. The sky-rocketing oil prices brought about tremendous change in the distribution of wealth within Muslim countries—many of which export it, while most others benefit from the indirect effect of this bounty. This wealth, however, was unevenly distributed, and it created long-term social disruption. As new wealth boosted consumption, it made inequality not only more visible but also more difficult to accept, as was the case in Iran, where the upper class close to the palace had ostensibly creamed off oil revenues. . . .
The Young Urban Poor
Apart from the many changes linked to oil prices, the mid-1970s in the Muslim world witnessed a structural and dramatic transformation in demographics and in related variables such as age distribution, urban versus rural distribution, literacy, and modes of access to the political system. The demographic explosion of the post–World War II period gave birth to an unparalleled youth cohort — with more than 50 percent of the population below the age of twenty. They came of adult age from the 1970s. Among the most salient characteristics of these new youths was their mass migration from a countryside that could feed them no longer toward cities where they expected a better life. Those newcomers could not reach the heart of the cities and became foreign to their traditional social networks and political culture. They dwelled in a new space between the urban and the rural worlds, jamming shantytowns, informal neighborhoods, or housing projects in the outskirts of the cities.
This young “rurban” population epitomizes the major social breakdown of the current quarter century. Though spatially, politically, and socially “marginalized,” they have become the actual demographic “center” of contemporary Muslim societies. They shared three unique characteristics: they were generally poor, significantly more literate than their parents, and had no memory of the struggles for independence on which most of the ruling elites in the Muslim world had built their legitimacy. At the time these youths were reaching adulthood, they usually had scarce job opportunities.
Finally, the Young Urban Poor remained impervious to the ruling elites’ rhetoric of legitimization, tracing back to the 1950s or early sixties. They did not consider the incumbent rulers legitimate — all the more because they never had a say in choosing them. In their view, the ruling class was accountable for today’s problems rather than yesterday’s glory; and as far as the most burning of these problems were concerned—jobs, housing, and respect—the state simply did not deliver. The Young Urban Poor were not politically integrated, they did not relate to the state system: they were out.
Their social protest was expressed in cyclical waves of riots, usually targeting the city centers from which they were excluded, and focusing on symbols of state authority such as official buildings, public means of transportation, and traffic signs. . . .
The Intellectual Counterelites
Within this “new youth” of the 1970s, a sizable minority acquired modern education, whether at high school, college, or university levels, in local institutions of learning and, for some of them, in foreign universities. Modern education was a top priority for governments of independent countries in the Muslim world. The number of graduates, however, far exceeded the available corresponding employment opportunities. Many of the degrees obtained locally were below international standards because of understaffing in schools, poor infrastructure, and obsolete instruction techniques that still relied heavily on rote learning. Hence, the better openings were provided to U.S. or European graduates whenever competence made the difference. As for key positions of power in the state bureaucracy, in the army, or any structure linked to the preservation of the prevalent social order, kinship, lineage, and connections often took precedence over merit.
It is within this “relatively deprived” group that the intellectual Islamist counterelites are to be found. This group has played a pivotal role in the emergence of the movement because its members both coined the new Islamist ideology of the 1970s and attempted to reach the bulk of the disfranchised youth, mobilizing them and “conscientizing” them through a network of benevolent associations funded by the Pious Bourgeoisie.
Throughout their opposition to the state, the young Intellectual Counterelites used the language of Islam for a number of converging reasons: its intellectual categories could be understood easily by the masses of the Young Urban Poor that they wished to mobilize, they themselves came from “traditional” backgrounds where they had been accustomed to such worldviews, and, above all, they saw Islam as the means par excellence to demonize the “secular” state, to create the “other” to be fought against. . . .
The Intellectual Counterelites were crucial for giving the Islamist movements of the 1970s and 1980s their ideological character. The resource they possessed was “cultural capital,” but they were not, by themselves, sufficiently strong to pose a social threat to the regimes they opposed, and they attempted to mobilize the Young Urban Poor to that effect. For the sake of efficiency, the clerics’ cooperation proved crucial, not only in mobilizing the urban poor but also, and especially, to reach to the social group that possessed the financial resources to fund the movement: the Pious Bourgeoisie.
The Pious Bourgeoisie
The third component of Islamist movements is somewhat more heterogeneous than the first two. The Pious Bourgeoisie does not belong solely to the social cohort of the youths. Some of its members are old enough to remember how the ruling class actually came to power. They recall how they were excluded from participation in the power system after independence, as was the case in Egypt and Algeria in the 1960s, when socialist policies were implemented and a nomenclature, which would evolve later into a state bourgeoisie, was formed. In Iran, they had memories of the events of 1953 and 1963, which paved the way for the absolute power of the shah and of a privileged upper class of cronies who creamed off the oil revenues, to which the traditional middle class, symbolized by the bazaar merchants, had little access. This older segment of the Pious Bourgeoisie had close links to the ulema, most of whom came from traditional families. In Egypt and Algeria many of them had been close to political-religious movements of the pre-independence period such as the Muslim Brotherhood and the Association des Oulemas, founded in 1931 by Sheikh Abdel Hamid Ben Badis in Constantine. These organizations advocated moral reform and the advent of an Islamic state to replace colonial domination, but their conservative social agenda did not challenge the class structure or private property. They had hoped to play a major role in the independent states, but they were marginalized by Nasser (who violently crushed them in October 1954) and Ben Bella, who resented the fact that they had waited some two years before joining the FLN in the war it had waged against the French since November 1954. They were bashed as “enemies of progress,” while the Pious Bourgeoisie, whose interests the Muslim Brothers and Algerian ulema advocated, saw their properties sequestered or nationalized and their economic positions hampered by legal procedures. The Pious Bourgeoisie was to gain new prominence after the failure of socialist policies was acknowledged by state authorities—in Egypt in the mid-1970s with Sadat’s infitah (“open-door economic policy”) and in Algeria with Chadli Bendjedid’s liberalization in the mid-1980s. Though they were courted by and, for some, co-opted into the power structures, they would not identify with the ruling groups, whom they considered parasites constantly levying taxes while proving increasingly incapable of equipping the country with an infrastructure that could match the population growth, or even maintain law and order. . . .
The Iranian Pious Bourgeoisie, which was neither uprooted nor impoverished, as opposed to the young urban disfranchised, nevertheless participated, by 1978, in a movement whose final aim was the overthrow of a regime that had alienated it. They portrayed their movement as Islamic, not only because the mosques were the only remaining venues for political mobilization that had managed to resist SAVAK repression, but also because most bazaaris remained traditionally religious, paying their tithe and alms taxes to the mullahs. To them, reference to Islam was a clear-cut means of differentiation from the imperial regime, which they demonized as “impious.” It would also prove an efficient way to join forces with other social groups within the movement.
Each of the three components of Islamist movements possesses its own peculiar resource: the Young Urban Poor are a potential social threat that can play a decisive role in taking to the streets to bring down those in power. But they will do so only if organized, otherwise their revolt would remain short lived and would be crushed by the state security forces. The Intellectual Counterelites provide cultural capital as their own resource: they can articulate the dawla Islamiyya (Islamic state) project that sets the political goal of social mobilization. But they are more of an age cohort with a common cultural capital than a cohesive social group. They represent no major social threat by themselves, and they have no direct access to sources of funding. They exist as long as they can provide the potential ideological substratum that will bridge the gap between the differentiated social agendas of the Young Urban Poor and the Pious Bourgeoisie. They are likely to be disintegrating as a group in the case of a successful revolutionary takeover (as in Iran) or of a major split in the movement (as in Algeria). Their members might then side, according to each individual’s preferences, with either one of the two social groups. As for the Pious Bourgeoisie, they possess financial capital, but they lack the ideological resources for mobilization, and they constitute no potent social threat by themselves.
(Bildquelle: Wikipedia)
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