Freitag, 2. Dezember 2011

Islamismus - 2. Teil

Muhammad Badi'e, aktueller Vorsitzender der ägyptischen Muslimbruderschaft.
Wie oft bei islamistischen Führern, ein religiöser Laie, also ein ausgebildeter Tierarzt,
kein ausgebildeter Theologe oder religiöser Rechtsgelehrter.


Hier nun der zweite Teil meiner Islamismus-Artikelserie die ich kürzlich begann, mit interessanten Artikeln und Zitaten, die hoffentlich ein besseres Verständnis dessen vermitteln, was momentan z.B. Nordafrika unter anderem beschäftigt:
Islam, Menschenrechte und Demokratie:
Anmerkungen zu einem schwierigen Verhältnis


In jüngster Zeit hat sich die Debatte um die Chancen einer Demokratisierung muslimischer Gesellschaften neu belebt. Dies betrifft Algerien, Saudi-Arabien oder den Irak ebenso wie Iran, Afghanistan oder Indonesien. Auch in der islamischen Welt wird der Ruf nach „guter Regierungsführung“, Rechtsstaatlichkeit und der Achtung der Menschenrechte lauter, und zwar selbst in islamistischen Kreisen, die vor allem für ihre Ablehnung alles Fremden, „Un-Authentischen“ bekannt sind.
Wie aber stellen sich Islamisten eine den modernen Lebensverhältnissen adäquate „islamische Ordnung“ vor? Lassen sich in ihr Elemente einer freiheitlich-demokratischen Verfassung ausmachen, selbst wenn der Begriff der Demokratie nicht fällt, vielleicht sogar als „unislamisch“ abgelehnt wird?

Islam und Islamismus

Eine der vielen Schwierigkeiten im Umgang mit dem Islam und der islamischen Welt besteht darin, dass unterschiedliche Wertvorstellungen, Verhaltensweisen, gesellschaftliche Strukturen und politische Aktionen von Muslimen selbst häufig als „islamisch“ oder als Ausdruck „des Islam“ (des „wahren“, gelegentlich auch des „falschen“ Islam) bezeichnet werden, so dass auch bei unvoreingenommenen Betrachtern der Eindruck entsteht, „der Islam“ sei Ursache und Zweck aller möglichen Erscheinungen vom engen Zusammenhalt der Familie bis zur Unterdrückung der Frau und von der Verehrung politischer Führer bis zur Kritik am Westen. Da kann es nicht verwundern, wenn immer wieder gefragt wird, ob nicht im Islam der Grund für gesellschaftliche Missstände, autoritäre Strukturen und all die Formen von Gewalt zu suchen ist, die über die Medien eine internationale Öffentlichkeit erreichen: Gewalt gegen Ungläubige, Gewalt gegen Minderheiten, Gewalt gegen Frauen. Damit aber ist genau die Art der essentialistischen Betrachtung erreicht, mit der Orientalismus-Kritiker seit Edward Said so hart ins Gericht gegangen sind.

Darüber, was Islam bedeutet, und ob es überhaupt legitim und sinnvoll ist, gesellschaftliche und kulturelle Erscheinungen in muslimischen Gesellschaften mit „dem Islam“ zu erklären, wird in der Wissenschaft heftig gestritten. Tatsächlich tut man gut daran, zwischen mehreren Dimensionen islamischen Denkens und muslimischen Handelns zu unterscheiden, die im konkreten Fall ganz unterschiedlich miteinander verbunden sein können: dem Islam als historisch eingebetteter, da von Menschen (und zwar ganz überwiegend Männern) erarbeiteter normativer Tradition, die auf einem Corpus heiliger Texte aufbaut; der orts-, zeit- und milieuabhängigen Praxis von Musliminnen und Muslimen in Geschichte und Gegenwart, die keineswegs durchgängig durch die normative, in Texten festgelegten Tradition bestimmt sein muss; und schließlich den ebenso vielfältigen Vorstellungen, die sich Musliminnen und Muslime von einem „rechten“ islamischen Leben machen, die von der normativen Tradition und der eigenen Lebenspraxis geleitet sein können, nicht selten aber auch von ihnen abweichen. Islam ist ganz offensichtlich nicht gleich Islam, und das gilt für die Lehre ebenso wie für die Praxis. Und wie immer er gelebt und verstanden wird – das soll an dieser Stelle gleich gesagt werden – kann der Islam allein die bestehenden Verhältnisse in den verschiedenen muslimischen Gesellschaften nicht erklären; er stellt bestenfalls ein Bestimmungsmoment unter mehreren dar.
Im vorliegenden Fall, wo es um das Verhältnis von Islam, Menschenrechten und Demokratie geht, ist zunächst die normative Tradition angesprochen, die im Wesentlichen durch zwei Texte begründet wird:
den Koran als nach muslimischem Verständnis direkter göttlicher Rede („Offenbarung“) und die Sunna als von der göttlichen Offenbarung inspirierte prophetische Rede und Praxis („Prophetentradition“). Beide gelten sie Muslimen als heilig und daher weitgehend unantastbar: Über den Status des Koran als Gotteswort öffentlich zu diskutieren, ihn gar nach dem Muster der historischen Bibelkritik als literarischen Text zu analysieren, ist in weiten Teilen der islamischen Welt derzeit so gut wie unmöglich.

Weniger tabubeladen, wenn auch nicht ganz gefahrenfrei, ist der Umgang mit der Sunna als der Sammlung derjenigen Aussagen und Handlungen des Propheten Muhammad, die für spätere Generationen verbindlich, in Teilen sogar rechtsverbindlich sind. Anders als der Koran liegt die Prophetentradition nicht in Gestalt eines einzelnen Buches vor, sondern in mehreren Sammlungen, die zahlreiche als verlässlich geltende Einzelberichte (Hadithe) vom Reden und Handeln des Propheten umfassen, die von islamischen Gelehrten des 8. und 9. Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung zusammengestellt wurden.

Der Koran ist hinsichtlich seiner Sprache, Komposition und Struktur sehr anspruchsvoll und daher in jedem Punkt auslegungsbedürftig, selbst dort, wo seine Aussagen auf den ersten Blick klar und eindeutig erscheinen mögen. Das gilt für dogmatische ebenso wie für rechtsrelevante Fragen. Islamischen Gelehrten war und ist dies im Allgemeinen bekannt; von Islamisten hingegen wird es gerne übersehen – wenn nicht überhaupt einfach abgestritten. ...




Sowohl der Koran wie die Sunna erheben den Anspruch auf Wahrheit. Sie bilden das Fundament, auf das nicht nur Fundamentalisten ihren Glauben gründen. Sie stiften einen verbindlichen Bezugsrahmen und bieten zugleich ein Repertoire an Aussagen, Vorschriften, Weisungen, Bildern und Metaphern, auf das Muslime zurückgreifen, wenn sie nach Orientierung für ein islamisches Leben suchen. Aber es bleibt die Notwendigkeit der Interpretation, die nicht ohne Auswahl und Gewichtung der verschiedenen Aussagen auskommt, die Koran und Sunna bereit halten. Ohne Exegese geht es nicht. Das wirft zugleich die Frage nach religiöser Autorität und religiösen Autoritäten „im Islam“ auf, die sich von frühester Stunde an gestellt hat und selten einheitlich beantwortet wurde. In der Gegenwart ist sie angesichts der sich rasch ausweitenden Bildungsmöglichkeiten und immer dichterer Kommunikation, dank derer immer mehr Menschen religiös relevantes Wissen erlangen und auf Grund dieses Wissens eigene Deutungsmacht beanspruchen, aktueller denn je.

Nach dem Verhältnis von Islam, Menschenrechten und Demokratie zu fragen heißt, Koran und Sunna mit heutigen Augen zu lesen. Das würde selbst dann gelten, wenn die heiligen Texte hierzu klare Aussagen machen würden. Das ist aber nicht der Fall. Zwar enthält der Koran sehr wohl Hinweise auf ein „rechtes“ Handeln und die Prinzipien einer „gerechten“ Ordnung, aber er bietet kein umfassendes Konzept für das Verhältnis von Individuum, Staat und Gesellschaft und er schreibt den Muslimen keine bestimmte Staatsform vor. Entgegen der Überzeugung vieler heutiger Muslime kann der Koran daher auch nicht als „Verfassung“ eines islamischen Staates dienen. Das gilt in noch höherem Maß für die Sunna, der man allenfalls bestimmte, auch politisch verwertbare Maximen und konkrete Verhaltensvorschriften entnehmen kann, jedoch keinen Verfassungsentwurf. Fragen kann man daher nur, was heutige Musliminnen und Muslime unter Verweis auf Koran und Sunna zu Menschenrechten und Demokratie sagen – und das ist nicht überall dasselbe.
Unter ihnen verdienen diejenigen Theoretiker und Aktivisten besondere Aufmerksamkeit, die ausdrücklich auf eine „islamische Ordnung“ hinwirken und die man daher als „Islamisten“ bezeichnet, um sie von der Mehrheit derjenigen Muslime zu unterscheiden, die sich zwar im Großen und Ganzen an islamischen Normen und Werten orientieren, aber nicht unbedingt einen islamischen Staat errichtet sehen wollen.
Kennzeichen der „islamischen Ordnung“ soll nach Auffassung der Islamisten sein, dass in ihr Religion, Recht und Politik untrennbar miteinander verbunden sind (die Kurzformel hierfür lautet „Der Islam ist Religion und Staat“) und das „göttliche Gesetz“ alleinige Grundlage individuellen Verhaltens und öffentlicher Ordnung bildet (hier lautet das Motto „Anwendung der Scharia“). Die Schlagworte sind groß und grob und umstritten. Am Besten versteht man sie als Teil einer kultur- und gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung, in der sich Islamisten nach innen wie nach außen gegen ihre Widersacher abgrenzen. Im Innern stehen Kritiker, die eine solche Verknüpfung von religiöser Überzeugung und öffentlicher Ordnung ablehnen, sei es im Rückgriff auf Koran und Sunna und damit gleichfalls religiös argumentierend, sei es offen säkularistisch und ohne die islamische Tradition zur Abstützung der eigenen Position zu bemühen.
Und „außen“ steht „der Westen“ mit all den von ihm propagierten (aber nicht immer konsequent und glaubwürdig vertretenen) Normen und Werten von der Toleranz über die Menschenrechte bis zur Demokratie, der von den Muslimen streng eine Aufklärung fordert und eine säkulare Ordnung zur unverzichtbaren Grundlage einer freiheitlichen Moderne erklärt.
Die „Islamisten“ (unter denen Fundamentalisten im landläufigen Sinn des Wortes eine wichtige, aber nicht die alles beherrschende Rolle spielen) geben in den innermuslimischen Debatten über das angemessene Verhältnis von Religion, Recht und Politik seit Jahren den Ton an. Von Mauretanien bis Malaysia beeinflussen sie das gesellschaftliche Leben und die Rechts- und Verfassungsordnung ihrer Gesellschaften. Zu ihnen zählen Akademiker und Intellektuelle, Ärzte, Anwälte und Lehrer, Unternehmer und Manager. Der Islamismus bildet heute in den meisten muslimischen Ländern eine breite Strömung, die aus der Mitte der Gesellschaft kommt und sich keineswegs auf eine ausgegrenzte, chancenlose und frustrierte Jugend beschränkt, wie man sie vor allem aus Algerien und Palästina kennt. Islamismus ist nicht einfach das Produkt von Armut und Unterentwicklung, das sich mit einer vernünftigen Sozial- und Wirtschaftspolitik über kurz oder lang beseitigen ließe.
Im Übrigen fällt die Abgrenzung nach innen nicht immer ganz leicht, da islamistische Positionen nicht nur in oppositionellen Kreisen vertreten werden, sondern nicht selten auch in denen des religiösen, ja gelegentlich sogar des politischen Establishments. Und wenn sich innerhalb dieser breiten Strömung auch radikale Gruppen finden, die den „Heiligen Krieg“ (Jihad) gegen die Feinde des Islam führen oder führen wollen, verfolgt die Mehrheit doch eine gewaltfreie Strategie, die auf Überzeugungs- und Sozialarbeit setzt (sog. Mission, arab. da’wa), nicht
auf den bewaffneten Kampf.

In islamistischen Kreisen wird seit Jahren über Form und Inhalt einer „islamischen Ordnung“ nachgedacht, die an der Stelle „importierter“ und daher, so lautet die gängige These, „unauthentischer“ westlicher Modelle gesellschaftlicher und politischer Ordnung auf rein islamischer Grundlage die großen Anliegen der Islamisten – kulturelle Authentizität, soziale Gerechtigkeit, kollektive Einheit und Stärke – verwirklichen soll. Dabei spielen rechtsstaatliche Prinzipien und politische Partizipation eine größere Rolle, als man zunächst vielleicht denken würde, gelten doch die Islamisten, die so energisch auf „Authentizität“ im Zeichen des Islam pochen, im Allgemeinen als erklärte Gegner westlicher Werte und Ordnungsvorstellungen. Das müsste Demokratie und die Idee der Menschenrechte an sich mit einschließen. Um so interessanter sind alle Überlegungen, die sich auf eine Eingliederung demokratisch-rechtsstaatlicher Prinzipien in einen explizit islamischen Rahmen richten. Im Mittelpunkt steht für Islamisten bezeichnenderweise weniger die Frage nach der Leistungsfähigkeit des demokratischen Modells bei der Bewältigung der enormen sozialen, kulturellen und politischen Probleme, die ihre Gesellschaften zu bewältigen haben, als vielmehr die nach ihrer Legitimität im Rahmen der eigenen religiös-rechtlichen Tradition. Im Zeichen der Globalisierung wird kulturelle Authentizität größer geschrieben denn je. Für Islamisten bildet auf jeden Fall der Islam den Maßstab, an dem sich alles messen lassen muss – nicht umgekehrt.
Es ist den Islamisten vielfach vorgeworfen worden, sie begnügten sich mit allgemeinen Aufrufen zu moralischer Umkehr („Der Islam ist die Lösung“), ohne ein bis ins Einzelne durchdachtes und stimmiges Konzept für eine „islamische Ordnung“ vorzulegen, das modernen Anforderungen gerecht wird. Die Islamische Republik Iran ist für die meisten Muslime (und das gilt selbst für Schiiten) kein Vorbild, das Königreich Saudi-Arabien noch weniger; Sudan, Pakistan oder Mauretanien, die sich gleichfalls als islamische Staaten präsentieren, stehen gar nicht erst zur Debatte. Ein in der Praxis erprobtes und allgemein akzeptiertes Modell einer „islamischen Ordnung“ liegt somit nicht vor.
Wenn im Folgenden nun einige der Themen und Thesen der innermuslimischen Diskussion um Islam, Menschenrechte und Demokratie vorgestellt werden, so stützt sich dies in erster Linie auf die Beiträge sunnitischer Islamisten, unter denen ägyptische Muslimbrüder prominent vertreten sind. Andere Musliminnen und Muslime können ihnen grundsätzlich oder in einzelnen Fragen jederzeit widersprechen. „Den Islam“ vertreten sie auf keinen Fall – selbst wenn sie dies dezidiert für sich in Anspruch nehmen.

Die „islamische Ordnung“ und die „Anwendung der Scharia“
[...]

bitte hier weiterlesen:
BERTHA BENZ-VORLESUNG 20

Gudrun Krämer
Islam, Menschenrechte und Demokratie:
Anmerkungen zu einem schwierigen Verhältnis

Die folgenden Texte sind die zur Veröffentlichung überarbeiteten Beiträge zur Bertha Benz-Vorlesung, gehalten am 10. Juli 2003 in der Lobdengauhalle in Ladenburg




The terms “Islamism” and “Islamist” have come to be used for political movements and their supporters, which aim for the establishment or restoration of Islamic states based on the rule of the Islamic Sharia law. The term “Islamists” is an English translation to the Arabic word islamiyyun - a term the movement’s advocates use to distinguish themselves from muslimun - ordinary Muslim believers. All Islamists believe that Islam is the solution to contemporary problems of Muslim states.
Although the numerous Islamist groups that mushroomed and spread throughout the Muslim world during the last three decades of the twentieth century differ among themselves on the details of how Islamic states should be run, nearly all are agreed that the return to God includes the rejection of the cultures of Western materialism and hedonism (exemplified by sexual permissiveness) and the duty to support fellow Muslims in conflict with non-Muslims in places such as Palestine or Kashmir, though not all Islamists support terrorist actions. The ground for the Islamist movements was prepared by the reformist and salafiyya movements in the eighteenth and nineteenth centuries, which had sought to purge Islamic belief and ritual from the accretions and innovations acquired over the centuries, particularly the cults surrounding the Sufi walis (saints), living and dead. An Islam pruned of its medieval accretions was better able to confront the challenge of foreign power than a local cult bounded by the intercessionary power of a particular saint or family of saints. The modern Islamist movement, however, is usually traced back to the Muslim Brotherhood, founded in 1928 by Hasan al-Banna, an Egyptian schoolteacher. The Brotherhood’s original aims were moral as much as political: it sought to reform society by encouraging Islamic observance and opposing Western cultural influences, rather than by attempting to capture the state by direct political action. However, during the mounting crisis over Palestine during and after the Second World War, the Brotherhood became increasingly radicalized. It played a leading part in the disturbances that led to the overthrow of the monarchy in 1952 but after the revolution it came into increasing conflict with the nationalist government of Jamal Abd al-Nasser. In 1954, after an attempt on Nasser’s life, the Brotherhood was suppressed, its members imprisoned, exiled, or driven underground. (Banna himself had been murdered in 1949 by the intelligence services of the old regime.)
After its suppression, the Brotherhood became internationalized, with affiliated movements springing up in Jordan, Syria, Sudan, Pakistan, Indonesia, and Malaysia. The Brotherhood found refuge in Saudi Arabia under the Amir (later King) Faisal ibn Abd al-Aziz, as well as political and financial support, with funds for the Egyptian underground and salaried posts for exiled intellectuals.
A radical member of the Brotherhood, Sayyid Qutb, executed in 1966 for an alleged plot to overthrow the Egyptian government, proved to be the movement’s most influential theorist, although some of his ideas were influenced by the Indian scholar and journalist Abu al-Ala al-Maududi (1906–79). One of Maududi’s doctrines, in particular, would have a major impact on Islamic political movement. He believed that the struggle for Islam was not for the restoration of an ideal past, but for a principle vital to the here and now: the vice-regency of man under God’s sovereignty. The jihad was not just a defensive war for the protection of the Islamic territory. It might be waged against governments which prevented the preaching of true (i.e., the Islamist version of) Islam. Taking his cue from Maududi, Qutb likened contemporary Islamic society to the jahiliyya, the “state of ignorance” prevailing in Arabia against which the Prophet himself inveighed and fought. In most Sunni countries the Brotherhood and its offshoots can be divided into a mainstream tendency that will work within the frame of existing governmental systems, where permitted, and is also engaged in social welfare work, and a radical or extremists tendency that seeks to achieve its aims by violence. However the lines dividing the extremists from the mainstream are not always clear.
Violence is interactive and in many cases, such as the atrocities perpetrated by Islamist terrorists in India, Israel-Palestine, and Egypt, it may be seen as a response to that inflicted on the Islamists by governments which themselves use violence, including torture and “targeted killings,” to repress or destroy opposition. Where opportunities for political participation have been available, as in Jordan, Yemen, Kuwait, and Malaysia, the level of violence has been notably less than, for example, in Israel-Palestine or Algeria. In Egypt violence by extremist factions of the Islamic Associations, including attacks on tourists, seriously alienated the mass of public opinion, not least because millions of Egyptians are dependent on tourism for their livelihoods.
There remains, however, a hard core of Islamist militants who are committed to the “liberation” of Muslim lands from “infidel” rule, regardless of circumstances. This arm of the movement, inspired by the writings of Sayyid Qutb and the fiery rhetoric of Abdullah Azam - one time mentor of the Saudi dissident Osama bin Laden - gained momentum during the American- and Pakistani-backed jihad against the Soviet occupation in Afghanistan (1979–89) when thousands of volunteers received training in methods of irregular warfare. Fired by what they see as their divinely supported victory in Afghanistan, the militants aim to “liberate” all lands that were once Islamic (including Spain) from rule by non-Muslims or by unjust “infidel” governments (by which they mean most existing Muslim states). Since they see Western financial and military support as a primary factor in the survival of “non-Islamic” regimes, they have not hesitated to take their jihad into the heart of Western power.

aus:
Malise Ruthven mit Azim Nanji: HISTORICAL ATLAS OF THE I SLAMIC WORLD. Harvard University Press, 2004.


Manchmal ist es gut, etwas ältere Berichte zu lesen, einerseits, um einige Positionen und Einschätzungen diverser Wissenschaftler und Beobachter zu erfahren, andererseits, um sie nun anhand der weiteren Entwicklung zu begutachten. Zu schauen, ob deren Einschätzungen sich bewahrheiteten, oder ob es noch viel zu früh für ein abschließendes Fazit ist, was wohl für viele Analysen bezüglich Nordafrikas der Fall sein dürfte. Jedenfalls erfährt man in unterem Artikelzitat einige Einschätzungen von mehr oder weniger bekannten Nahost-Experten im kurzen Überblick:

Misstrauen, Feindseligkeit und Gegnerschaft gegenüber „dem Westen“ – eine künftig dominierende Einstellung in Nordafrika, Nah- und Mittelost?

Ende oder neue Chancen für die islamistische Bewegung? 

Die Meinungen über die Zukunft der islamistischen Bewegung bzw. des Islamismus in Nordafrika, Nah- und Mittelost gehen seit Ende der 1990er Jahre weit auseinander. Der in den 1980er Jahren zunehmend die Politik und die Gesellschaft in Nordafrika, Nah- und Mittelost prägende, eng mit politischen Anliegen verknüpfte Islamismus rief widersprüchliche Einschätzungen über seinen Fortbestand und seine Ausprägung hervor.
Die vorgebrachten Argumente für seine angebliche „grundlegende Veränderung“ und seine angebliche „Absage an ein politisches Projekt“ sind mitunter dieselben, die von anderen Beobachtern vorgebracht werden, um seinen Aufschwung insbesondere seit dem 11. September 2001 zu belegen. Ein solches Argument, das doppelt nutzbar gemacht wird, ist z.B. die Teilnahme von Islamisten an Wahlen. Der ägyptische Journalist Reda Helal schrieb z.B. in der in Kairo erscheinenden al-Ahram Weekly (21.11.2002) von einer „Wiederbelebung des Islamismus“ als Folge der US-Außenpolitik seit dem 11. September 2001 und verwies auf die seither eingetretenen Wahlerfolge der Islamisten in Pakistan, Marokko und Algerien. Für den französischen Wissenschaftler Olivier Roy ist der Islamismus hingegen in die post-islamistische Phase eingetreten. Roy meint, die Mehrheit der Islamisten habe ihr politisches Ziel, den „islamischen Staat“, aufgegeben und konzentriere sich auf die Re-Islamisierung der Gesellschaft. Diese gesellschaftliche Islamisierung sei apolitischer Natur und könne die unterschiedlichsten Ausprägungen annehmen: Sie könne strikt islamistisch sein oder auch einer liberal islamischen Religionsdeutung verpflichtet sein.
Slaheddine Jourchi, tunesischer Journalist und Menschenrechtsaktivist, interpretiert die Rückkehr des islamistischen Schleier’s (Hijab) in die tunesische Öffentlichkeit (bereits vor dem 11. September 2001) als eine solche apolitische Re-Islamisierung vorwiegend junger Frauen, an der weder die staatlichen Religionsgelehrten noch die in Tunesien zerschlagenen Organisationen der islamistischen Bewegung oder einzelne ihrer streng kontrollierten und überwachten Mitglieder einen Anteil hätten. Für Jourchi handelt es sich um einen Ausdruck der Identität bzw. Identitätssuche. Die Hinwendung zur Religion in dieser formal-islamistischen Ausprägung rühre u.a. aus den Folgen der Arabisierung des Bildungswesens, wodurch der Zugang zu nahöstlichen, im Vergleich zu den Maghrebstaaten stark religiös geprägten Medien (Satellitenfernsehen) und die damit verbundene „Orientalisierung“ der Wahrnehmung erleichtert wurde und wird. Bei aller momentan apolitischen Ausrichtung derjenigen, die sich in Tunesien verstärkt der Religion zuwenden, erkennt Jourchi allerdings, dass mit dieser Entwicklung durchaus ein Risiko verbunden ist: Er schließt eine künftige Radikalisierung zumindest kleiner Gruppen nicht aus und verweist auf die Situation in Marokko (L’Intelligent/Jeune Afrique, Paris, 27.7.2003).
Der für seine Islamismusstudien bekannte französische Politikwissenschaftler Gilles Kepel geht in seinem Buch „Das Schwarzbuch des Dschihad: Aufstieg und Niedergang des Islamismus“ (München 2002) einen Schritt weiter und erklärt die islamistische Ideologie für „erschöpft“; er sieht den Moment der „Aufhebung“ und den Übergang der islamischen Welt in die Moderne bevorstehen, um „mit einer unerhörten Wucht mit der westlichen Welt (zu) verschmelzen“ (S. 27). May Kassem, Politikwissenschaftlerin und Lehrkraft an der American University in Kairo, spricht den Islamisten wiederum eine hohe Anziehungskraft für die „Masse der Bevölkerung“ zu; sie meint jedoch, es sei nicht „die islamistische Ideologie“ an sich, die anziehe, sondern die Themen, die von Islamisten aufgegriffen und diskutiert würden. Es handele sich nämlich um Themen, die „der Bevölkerungsmehrheit wichtig sind“.
Die ägyptische Politikwissenschaftlerin Hala Mustafa, Herausgeberin der Zeitschrift Demokratie (al-Dimuqratiya), charakterisiert die arabische Welt als vormodern, nicht säkular, antiliberal, gegen das Individuum gerichtet, in der Modernisierung weit zurückgefallen, und wirft den Eliten wie auch der Bevölkerung vor, dass ihnen keine andere Alternative als „Panarabismus und politischer Islam“ einfalle (FAZ, 2.2.2004).
Eine Bestätigung für dieses Festhalten an „alten“ Konzepten lieferte vor kurzem exemplarisch der pakistanische Präsident Musharraf. Er erklärte im Januar 2004 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, die islamischen Staaten würden „den Menschen“ jetzt „Wohlstand und Gerechtigkeit“ bringen – im Gegensatz zum Kommunismus, der Gerechtigkeit ohne Wohlstand, und im Gegensatz zum Kapitalismus, der Wohlstand ohne Gerechtigkeit gebracht habe (Die Welt, 24.1.2004). Der pakistanische Präsident scheint für die gesamte Menschheit einen dritten „islamischen“ Weg zu propagieren, der wie eine Wiederauflage des islamistischen Konzepts „Der Islam ist die Lösung“ klingt. Der „islamisch“ geprägte Staat bzw. der Islam wird hier erneut als „Retter“ präsentiert. Nicht
berücksichtigt wird, dass in jenen Staaten, in denen dem Islam ein sehr hoher Stellenwert eingeräumt wird, wie z.B. in Iran, Afghanistan, im wahhabitischen Saudi-Arabien und im Sudan, die Leistungsbilanz im Hinblick auf Wohlstand und Gerechtigkeit extrem variiert; schließlich kann im Fall von Saudi-Arabien der Wohlstand des Staates kaum auf die Stellung des Islam im Staat zurückgeführt werden.
Im historischen Rückblick ist auffallend, dass in Nordafrika, Nah- und Mittelost in Krisenzeiten immer wieder dieselben Debatten und Positionierungen auftauchen. Die in Aix-en-Provence erscheinende „Zeitschrift zu den islamischen Welten und dem Mittelmeerraum“ (Revue des Mondes Musulmans et de la Méditerranée) widmete 2002 dem Thema Intellektuelle Debatten im Nahen Osten in der Zwischenkriegszeit (1920er, 1930er Jahre) einen umfangreichen Band. Die intellektuellen Debatten der 1920er und 1930er Jahre kreisten um die Gründe für die Rückständigkeit der islamischen Welt im Vergleich „zum Westen“ und griffen damit ein bereits damals „altes“ Thema aus dem 19. Jahrhundert auf. Teilaspekte dieser in der Zwischenkriegszeit wiederbelebten Debatte
waren: die Stellung der Religion im Staat, die Einheit der islamischen Welt, die Staatsordnung, die arabische Sprache, die Verallgemeinerung des Arabischen und seine Anpassung an neue, v.a. auch technische Entwicklungen, die Rolle der Frau in der Gesellschaft, die Beziehung zwischen „Orient und Okzident“ sowie schließlich die Bedingungen für wirtschaftliche und soziale Entwicklung.
Die Parallelen zur Gegenwart sind frappierend: Seit der offensiveren US-Außenpolitik nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 und der erst recht seit dem Irakkrieg angekündigten „Demokratisierung des Nahen Ostens“ sind nicht nur in den arabischen Medien die Themen religiöse/kulturelle Identität, politische Reform, gemeinsames arabisches Handeln und die Beziehungen zum Westen stark vertreten; vielmehr befassen sich zahlreiche politische und gesellschaftliche Gruppen mit diesen Themen und tragen ihre Interpretationen in die Bevölkerung hinein. Die Publikation der Berichte des United Nations Development Programme 2002 und 2003 zur menschlichen Entwicklung in arabischen Staaten (Arab Human Development Reports 2002, 2003), in denen ein enormer Entwicklungsrückstand festgestellt wurde, regten zudem staatliche und
nichtstaatliche Einrichtungen und Organisationen zu Konferenzen und Seminaren an, die den Gründen dieses Entwicklungsdefizits nachgehen sollten. Auch in diesem Zusammenhang ähneln die diskutierten Themen denen der 1920er und 1930er Jahre und kreisen um die Identität, die Stellung der Religion in Staat und Gesellschaft, um die Ausrichtung politischer Reformen und in diesem Zusammenhang um ein „Ja oder Nein“ zu Demokratisierung nach „westlichem Muster“ oder zur Anerkennung der Universalität der Menschenrechte sowie um die Beziehungen „zum Westen“. Stagnierten in den 1990er Jahren die innergesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit Repräsentanten der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Interessen zu diesen Themen, so lebten sie seit dem Irakkrieg und dem drohenden „Demokratisierungsprojekt“ von außen durch die
USA wieder auf.
Es drängt sich deswegen die Frage auf, welche Faktoren eine identitätsstärkende Rolle zugewiesen bekommen, ob der Islamismus wirklich „am Ende“ ist und sich tatsächlich eine „apolitische Religiosität“ herauskristallisiert, oder ob gegebenenfalls die „alten“ identitätsstiftenden Faktoren und entsprechenden Denkgebäude neu belebt werden. Ein historischer Rückblick zeigt, dass eher die letztgenannte Variante plausibel ist, denn nach der schweren Identitätskrise von 1967, als durch den Sieg Israels über die arabischen Streitkräfte das Selbst- und Weltbild der Eliten in den arabischen Staaten massiv erschüttert wurde, verloren modernistische Konzepte an Mobilisierungskraft.
Aufschwung erhielt damals die religiös-fundamentalistische und dem politischen Islam verpflichtete Denkrichtung, die sukzessive ihren Einfluß ausweitete und sich organisatorisch etablierte.
bitte hier weiterlesen:
GIGA
Sigrid Faath
Hanspeter Mattes
Hamburg Mai 2004



Fortsetzung folgt.

(Bildquelle: Wikimedia Commons)

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