Sonntag, 3. Oktober 2010

Tag der offenen Moschee - Warum könnte ein Besuch interessant sein?

Heute ist ja neben dem Tag der Deutschen Einheit auch der Tag der offenen Moschee.

Nun, falls man heute mal eine Moschee besichtigen möchte, kann es dafür vielerlei Gründe geben.
Abgesehen davon, sind die Moscheen natürlich fast alle jeden Tag des Jahres zur Besichtigung geöffnet, wenn auch nicht mit dem Rahmenprogramm dieses Tages (Am besten zu den Gebetszeiten vorbei schauen, ansonsten oft abgeschlossen.). Genauso, wie es bei Kirchen der Fall ist.
Einen der Gründe, warum es sich lohnen könnte eine Moschee zu besichtigen will ich hier mal exemplarisch erläutern, nämlich eine Moschee zu besichtigen, wie jedes andere kunstgeschichtliche Monument im Rahmen einer Sightseeing-Tour auch.

Es gibt in Deutschland einige Moscheen, die sind Kopien von Moscheen oder Moscheetypen aus den Ursprungsländern, und zwar so gute Kopien, dass es sich lohnt diese mal anzuschauen, wenn man nicht sowieso z.B. mal Istanbul besuchen will um sich die Originale anzuschauen - dann kann man sich natürlich diesen Grund des Moscheebesuchs in Deutschland fast schenken.

Ich habe mich schon als Jugendlicher für die Frage interessiert, warum ein Monument so wichtig ist, und ein oberflächlich ähnliches direkt daneben man links liegen lassen sollte, da es eben nicht so wichtig ist.
Dazu kaufte ich mir schon früh speziellere Kunstreiseführer, die genau diese Beschreibungen enthielten.

Nun endlich wusste ich also, warum diese und jene Moschee nicht nur 2 Sterne erhielt, nicht nur interessant und einen Umweg wert sei, ich konnte es dank der Beschreibungen auch selber nachvollziehen. Ich blickte durch die Augen der Architekten und Kunsthistoriker oder Archäologen, las ihre Gedanken in ihren Beschreibungen, wenn sie über die Architektur der Moschee sprachen und mir dabei die Tricks der Architekten beibrachten, warum sich dieser und jener optische (Raum-)Effekt ergab, und daher diese Moschee diese und jene Eindrücke beim Betrachter ergeben. Was also das besondere dieser Moschee war, und warum daher diese Moschee besuchenswerter war, als eine andere, die für ungeschulte Augen doch eigentlich fast gleich aussah. 


Also, hier mal ein Beispiel einer deutschen Moschee, die im Innenraum eine recht gelungene Kopie einer Istanbuler Moschee darstellt und man daher einen Eindruck einer "echten" osmanischen Moschee auch in Deutschland erhalten könnte:


Şehitlik-Moschee (Berlin) – Wikipedia




Ansicht des Eingangs mit Pultdach
Ungefähr (!) eine Innenraum-Kopie der Sokollu Mehmet Paşa Camii (oder auch Azapkapı Camii genannt) aus Istanbul, letztere errichtet vom Michelangelo der Osmanen: Sinan.

Şehitlik-Moschee in Berlin:

1. Hier sieht man, wie die inneren acht Pfeiler, die die Kuppel tragen, das Bleidach durchstoßen und weiß die Kuppel außen einrahmen, bekrönt von jeweils einem winzigen Dach mit goldener Spitze


2. Hauptkuppel, umgeben von acht Halbkuppeln, getragen von acht Pfeilern. Im Gegensatz zur unten abgebildeten Azapkapi Moschee, befinden sich hier in den acht Halbkuppeln keine Fenster.


3. fotografiert von der linken Galerie/Empore: etwas links von der Mitte die apsis-ähnliche Gebetsnische, die die Richtung nach Mekka anzeigt. Etwas rechts von der Mitte sieht man die Galerien mit Besuchern oben stehend; rechts und links von der Hauptachse sind die Galerien/Emporen gelegen.
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4. links unten die goldene Spitze der Moscheekanzel (minbar) zu sehen, rechts ist der Eingang in die Moschee. "Stalaktitengewölbe" (mukarnas) füllt die Ecken aus, zwischen dem unteren Rand der Rundung der Halbkuppeln, und gerader (Aussen-)Wand.
Foto


Sokollu Mehmet Paşa Camii / Azapkapı Camii in Istanbul:

5. Blick direkt zur mittigen Gebetsnische, die die Richtung nach Mekka anzeigt. Rechts davon, mit dem Spitzdach die Moscheekanzel (minbar). Hier sieht man einen Unterschied zur "Kopie": Die seitlichen Galerien/Emporen liegen etwas in Richtung Aussenwand nach links/rechts versetzt, und berühren keine der beiden inneren 8 Säulen, die die Kuppel tragen (siehe auch unten den Grundriss). Oben sieht man bei der "Kopie", dass die Galerien auch von den Kuppel-Pfeiler getragen werden.



6. Blick in die linke Seite mit der Galerie/Empore

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7. Grundriss. Oben ist das aspis-ähnliche Kompartiment mit der Gebetsnische zu sehen, welches aus dem viereckigen Bau herausragt. Die beiden unteren Diagonalkuppeln zum Eingang hin haben keine Fenster und richten die Aufmerksamkeit durch die Lichtführung in die Gebetsrichtung (also oben in diesem Plan).



8. Aufriss: Links befindet sich die Gebetsnische, rechts der Eingang. Die Treppe der dreieckigen Moscheekanzel (mihrab) mit dem blauen Spitzdach ist gut zu erkennen.



9. hier erkennt man etwas den Wechsel zwischen Rund- und Spitzbogen an den unteren beiden Bögen links und rechts von der Mitte - man erkennt den Knick an der Spitze des Bogens.

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10. Hier sieht man rechts die Empore rechts vom Zentralraum, gestützt von schlanken Marmorsäulen, links die Pfeiler die die Hauptkuppel tragen.
Foto

Diese Istanbuler Moschee ist eher unbekannt, da sie etwas abseits üblicher Touristenpfade liegt, doch nicht unwichtig oder uninteressant, bietet sie doch einen der durchdachtesten, und harmonischsten Innenräume, den der Meisterarchitekt Sinan je geschaffen hat, und der in seiner achteckigen Ausprägung an seine Meisterwerk-Sultansmoschee in Edirne - Selimiye - erinnert.

Hier mal eine Beschreibung der Istanbuler Moschee, die sich in etwa auch auf die Berliner Moschee anwenden lässt, um deren architektonische Besonderheiten erst so richtig zu erkennen:

"Die Pfeiler des Innenraums sind in einem regelmäßigen Oktogon [Achteck] gestellt. Dem antwortet die bei geringer Höhenentwicklung enorm weit wirkende Kuppel. Die Bögen sind differenziert: Rundbögen in Längs- und Querachse, schmale Spitzbögen [erkennbar in der Şehitlik-Moschee an der rot-weißen Musterung in Bild 3.] in den Diagonalen. Diese Differenzierung wird so unmerklich durch eine asymmetrische Ausformung der Mukarnaskapitelle ermöglicht, daß der westliche Betrachter vor einem Rätsel steht. Das Hervorheben der Hauptachsen dient der Einbindung der Anräume [Bild 6 Blick in die Anräume links und rechts von der Betrichtung]. Die Halbkuppeln der Querachse integrieren die Abseiten. Deren äußere Schicht, wo zwischen Wandpfeilern zierliche Marmoremporen eingestellt sind, spaltet sich im Obergeschoß [kann man in Bild 5 z.B. ganz links erkennen, wo ein Bogen zur Aussenwand führt und den statischen Druck weiter leitet. Ausserdem in Bild 10 deutlicher zu sehen, dass die Emporen einen Abstand zu den links befindlichen Kuppelpfeilern haben - ein Unterschied zur "Kopie"]. Über den Pfeilerdurchgängen ist der Korbbogen von der Außenwand gelöst und wird von deren Fenstern hinterschnitten. Die Eckräume verzichten auf diese Sonderung von Innenstruktur und Außenwand, da sie im ganzen als Raumfutter aufgefaßt und hinter den Diagonalen versteckt sind. Das Mihrab-kompartiment bringt das dem Raum zum Quadrat fehlende Tiefenmaß.
Bei aller wohltuenden RundIichkeit des Betsaales ist doch eine fühlbare Entwicklung zur Apsis gegeben. Der "Chorbogen" ist durch eine tiefe kassettierte Laibung hervorgehoben [Dieses fehlt bei der "Kopie" in Bild 4 - der Bogen neben der Spitze der Moscheekanzel hat eine genauso breite Laibung wie sein Pendant am Eingang. Im Bild 9 erkennt man hingegen die bemalte Laibung rechts unten, mit den zwei Stangen, die die Statik erhöhen.] Seine breiten Eckpfeiler bieten dem Mimber [rechts] Platz, als dessen Pendant der Predigtstuhl von dünnen Säulchen [links] getragen wird [Bild 5]. Den Blendbögen daneben wird Fläche entzogen, so daß die unter den südlichen Diagonalkuppeln zusammentreffenden Arkaden ungleich sind. Diese Irregularität hat aber einen doppelten Effekt. Einerseits ordnen sich die verschmälerten Einheiten mit ihrem Kielbogenfenster als Trabanten dem Mihrabkompartiment zu und verstärken das Gewicht der Kiblaseite, andererseits treten die ungleichen Bögen der Ecken in Entsprechung zur Querachse, so daß man diese als Teil einer Raumstaffelung sehen kann [Im Grundriss Bild 7 erkennt man, wie die Mauern neben der Mihrab-Raumausprägung links und rechts dicker sind, in den Raum hineinragen, und daher das Achteck etwas Richtung Eingang verschoben ist]. Die Bögen der rückwärtigen Diagonalkuppeln verhalten sich dagegen regulär und indifferent, die Halbkuppeln bleiben fensterlos. Unaufdringlich sind in dem Zentralraum Schau- und Rückseite herausgearbeitet.
Der schöne Betsaal, (...), wirkt in der Verbindung von Klarheit und Winkelseligkeit überaus anheimelnd, Marcell Restle hat ihn als den heitersten Gebetsraum der Osmanischen Architektur bezeichnet. Der westliche Besucher wird sich an barocke Oktogonräume erinnert fühlen. Die Moscheen eigentümliche Wohnlichkeit nimmt hier den Charakter des Festlichen an wie selten. Sinan hat hier die Selimiye [in Edirne] in einen kleineren Raum umgesetzt und Monumentalität vermieden. Hatte er sich schon bei der Sultansmoschee in Edirne an die Prinzenmoschee erinnert, so wird deren Einnuß nochmals verstärkt.
Die Azapkap Camii ist bewußt gegen die erste Moschee Sokollus abgehoben und nähert sich im Raumcharakter so sehr der nahe bei Jener gelegenen Küçük Aya Sofya, der justinianischen Sergios- und Bakchos-Kirche, daß man sie als deren Osmanisches Gegenstück bezeichnen kann. Die überlegene Reife des Alterswerks erkennt man im Vergleich mit der 15 Jahre älteren Rüstem Paşa Camii. Der uralte Baumeister ist weder absonderlich geworden, noch lassen seine künstlerischen Kräfte nach.
Die Azapkapi Camii ist die Moschee mit der schönsten Aussicht. Es wäre scheinheilig, den herrlichen Blick über das Goldene Horn nicht zu genießen.
Durch die Fenster der rechten Abseite überblickt man Stambul und begreift, daß man die Stadt Der-es-Saadet, Sitz der Glückseligkeit, genannt hat. Gegenüber erscheint prächtig die Süleymaniye."

aus:
Istanbuler Moscheen: Amazon.de: Heinz Jürgen Sauermost, Wolf-Christian von der Mülbe


Wie ihr seht, solltet ihr euch für Architektur oder Kunstgeschichte interessieren, könnten auch deutsche Moscheen durchaus ein lohnendes Ziel für einen Ausflug abgeben.


Hier übrigens weitere wunderbare Fotos interessanter Moscheen Istanbuls, die ich ebenfalls alle besuchte:
Istanbul Mosques Photo Gallery by Dick Osseman at pbase.com

Viel Spass beim Schmökern und Nachempfinden der Beschreibungen. Bessere Fotos habe ich leider nicht gefunden.

PS: Bitte auf die Fotos klicken, zum Vergrößern, damit man etwas erkennt, oder in die Bildquellen-Links

(Bildquellen: 1, 2, 3, 4, 5, Wikimedia Commons)

2 Kommentare:

  1. Wow, so hab ich es noch nicht betrachtet.

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  2. Was noch anzumerken ist: Oft gibt es auch vom 3.10. unabhängig organisierte Moscheeführungen. In Hannover z.B. monatlich durch die Gruppe "Offene Moscheen Hannover":
    http://www.offenemoscheen.de/
    Oft gibt es für Besucher Tee und Süßigkeiten (also ein weiterer Grund zu kommen).
    Offene Moscheen Hannover
    Das Projekt "Offene Moscheen" in Hannover versucht jeden ersten Freitag im Monat eine Moscheeführung in Hannover anzubieten.

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