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Sollten sich "anständiger Bürger" wegen der Überwachung sorgen? – Ein Erfahrungsbericht aus den Schattenkriegen
von Michael Blume, 06. Juli 2013, 13:52
Wir sollen uns doch bitte nicht
so aufregen. Vor ein bisschen Überwachung und ausufernden
Sicherheitsbehörden hätten "anständige Bürger" doch gar nichts zu
befürchten. Wir sollten doch laut Sylvia Braun auf FOCUS.de
einfach einsehen, dass "es gut ist, bestimmte Daten der User im Netz zu
speichern." Wenn es beim Fangen von Terroristen und Kriminellen hilft,
sollte es uns doch Recht sein! Und es übertreiben halt mal wieder die
USA, vielleicht auch Chinesen und Russen – aber wir feinen Europäer doch nicht.
So klingt es beschwichtigend in vielen Texten und Gesprächen in diesen
Tagen und es ist klar: in wenigen Wochen werden wieder andere Themen
die Medien und Politikforen dominieren.
Manchmal, wenn ich dieses
leichtfertige Verspielen unserer Bürgerrechte nicht mehr aushalte,
erzähle ich von dem, was ich selbst erlebt habe. Und das will ich, aus
Respekt vor dem Mut von Edward Snowden, heute erstmals auch online tun.
Es geschah im Jahr 2003 – wie inzwischen aufflog, zog damals der NSU auch nach allerlei Hinweisen unbehelligt von Sicherheitsbehörden mordend durch die Republik und den Südwesten und ein Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg warnte eine Zelle des Ku-Klux-Klans
vor einer anstehenden Polizeiaktion. Statt dieser und anderer
Extremisten bekam ich das "Vergnügen" der "Aufmerksamkeit" von Akteuren,
die doch angeblich unsere Sicherheit und Verfassung beschützen.
Ich war damals Mitte 20 und darf wohl
behaupten, so ziemlich das Musterbeispiel eines „anständigen Bürgers“
abgegeben zu haben: Abiturient und Scheffelpreisträger mit blütenweißem
Führungszeugnis, aktiv als Orts- und Kreisvorstand der Jungen Union,
ehemaliger Jugendgemeinderat sowie gewählter Jung-Stadtrat (CDU) in
meiner Heimatstadt Filderstadt. Hinzu kam eine Finanzausbildung mit
Auszeichnung („Spitzenazubi“) bei der Landesbank Baden-Württemberg,
gefolgt von einem Studienstipendium der Begabtenförderung der
Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Ich war (und bin) praktizierender
Christ in der evangelischen Landeskirche, Gründungsvorsitzender einer
jungen, interreligiösen Initiative aus Christen, Muslimen und Juden,
Magister der Religions- und Politikwissenschaft in Tübingen, jung
verheiratet mit einer Deutsch-Türkin und frisch Vater einer süßen
Tochter. Auch, dass ich die Welt nur in rosarot gesehen hätte, lässt
sich schlecht behaupten: Die Bilder von den Flugzeugattentaten des 11.
September 2001 erreichten mich an der Evangelischen Akademie Bad Boll,
in der wir gerade eine Sommerakademie vorbereiteten mit dem Titel:
„Christen und Muslime – Gemeinsam Gewalt verhindern“. Und dann hatte
ich mit einer Ausarbeitung über „Heimat und Identität“ auch noch einen 3. Preis des Bundesministerium des Inneren gewonnen; die vom damaligen Minister Otto Schily (SPD) unterzeichnete Urkunde bewahre ich bis heute auf.
Über diese Auszeichnung hatte der
damalige baden-württembergische Staatsminister Dr. Christoph Palmer
(CDU) in der "Stuttgarter Zeitung" gelesen – und so bekam ich einen
Anruf seines Büros, ob ich nicht Lust und Zeit hätte, mit dem mir bis
dahin persönlich unbekannten Minister einen Kaffee zu trinken.
Natürlich hatte ich! Nach einem ausführlichen, intensiven und guten
Gespräch kam er zur Sache: Es mache ihm Sorgen, dass es bislang in der
Landesverwaltung praktisch nur Islamexperten aus dem Sicherheitsbereich
gebe; aber noch keinen zivilgesellschaftlichen Dialog mit der großen,
friedliebenden Mehrheit der Muslime. Wann ich denn mit dem Studium
fertig sei?
Und so trat ich also 2003 meine erste,
halbe und befristete Stelle an – überglücklich und noch überhaupt
nicht ahnend, dass ich damit Interessengruppen in den Weg geraten war,
die es gar nicht toll fanden, dass ein „ziviler Grünschnabel“ und
„Moslemversteher“ ihre Pfründe bedrohen könnte. Ich war insofern
tatsächlich "naiv", dass ich meinte, jede(r) müsse Dialog,
Verständigung und den Abbau von gegenseitigen Vorurteilen und Ängsten
doch letztlich gut finden. Nun sollte ich auf die harte Tour lernen,
dass ganze Institutionen und Karrieren auch genau von Ängsten leben!
Während ich also noch völlig
ahnungslos meinen Arbeitsbereich aufbaute, begannen "Kollegen" der
Sicherheit schon auf eigene Faust "belastendes" On- und Offlinematerial
(einschließlich eMails) zusammen zu tragen und schließlich
Journalisten sowie Oppositionsabgeordnete damit „zu füttern“. Ich weiß
bis heute nicht, auf welcher Rechtsgrundlage diese Leute überhaupt gegen
einen unbescholtenen Mitarbeiter "ermittelten" - und dann Auswahlen
ihrer "Funde" auch noch weitergaben! Nun, sie taten es einfach - und
eröffneten damit die Jagd.
Ich werde nie den Anruf eines
Journalisten von den „Stuttgarter Nachrichten“ vergessen, in dem mich
dieser allen Ernstes fragte, ob ich ihm denn „beweisen“ könne, Christ
zu sein – schließlich sei ich „doch mit einer Muslimin verheiratet“. Ob
ich nicht zugeben wolle, „heimlich konvertiert“ und in die
Landesverwaltung „eingeschleust worden“ sei? Ob ich denn "ausschlien
könne", dass ein muslimischer Freund "Mitglied bei Milli Görüs war oder
noch ist?" (War er nie - aber da schlucken Sie erstmal...) Ob meine Frau
eigentlich Kopftuch trägt? (Nein. Und wenn?)
.
Immerhin: Seitdem kann ich
existentiell nachvollziehen, was es für religiöse Minderheiten
bedeutet, von Verschwörungstheorien eingedeckt zu werden...
In einem großen – inzwischen vom Netz
genommenen – Artikel mit bedrohlich inszeniertem Foto wurde ich sodann
zum „umstrittenen Islamberater“ ernannt, gestützt auf
Verfassungsschutzquellen, die sich verächtlich über mein
interreligiöses Engagement, meine Magisterarbeit und meine mutmaßliche
„Naivität“ im Umgang mit Muslimen ausließen. Auch der Verweis auf meine
„türkische Ehefrau“ durfte selbst in "seriösen" Zeitungen damals nicht
fehlen. (Dass auch sie in Deutschland geboren und längst deutsche
Staatsbürgerin war, ihr Abi an einem katholischen Gymnasium gemacht
hatte etc. interessierte dabei naturgemäß überhaupt nicht. Mit
"türkischer Ehefrau" wurden die entsprechenden Bilder beschworen - und
eine Prise Rassismus macht so eine Story ja nur noch würziger.
Vergleiche: "Dönermorde"...)
.
Weitere Zeitungen wie die rechtsgerichtete „Junge Freiheit“ – Storytitel: „Mit Allah in die Staatskanzlei“
- und die türkisch-kemalistische „Cumhurriyet“ stiegen begeistert ein.
Obskure deutsche und türkische „Journalisten“ tauchten auch bei uns
daheim auf und boten an, mich zu „beschützen“, wenn ich ihnen nur „mehr
Material“ gäbe. Äußerte ich mich nicht, so wurde mir das negativ
ausgelegt ("...verweigerte jede Auskunft."). Äußerte ich mich, nicht
weniger. ("...stritt alles ab.") Wir erhielten Drohanrufe und –mails, so
dass wir die Polizei einschalten und eine nichtöffentliche
Telefonnummer beantragen mussten. Der Abgeordnete Stephan Braun (SPD)
assistierte mit einer Landtagsanfrage zum „Fall Michael B.“, die zur Diskussion meiner Magisterarbeit im Landtag führte.