Montag, 17. Januar 2011

Homosexualität im mittelalterlichem Islam

Homoerotische Darstellung, safawidisch, Iran, Smithsonian Institution,
Washington
Ich hatte hier im Blog schon einmal auf einen interessanten Artikel aufmerksam gemacht, der den Einfluss des Westens zum Beispiel auf die Moralvorstellungen des Nahen Ostens beleuchtete.

Wieviel Westen steckt im modernen Islam?

Wenn man über "den" Islam spricht, und heutige Zustände beschreibt, dann genügt oft ein Blick in die Geschichte, um zu erkennen, dass zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Regionen es durchaus höchst unterschiedliche Sichtweisen auf diverse Fragen "des" Islams gegeben hat. Es ist ein Trugschluss, den nicht selten auch Muslime unterliegen, wenn man annimmt, dass heutige Zustände des Islams schon immer so waren, oder gar das Wesen "des" Islams ausmachen. So interpretierten, und interpretieren nicht selten die Muslime immer wieder aufs Neue, was es heißt, muslimisch zu sein, was islamisch ist und was nicht. Es ist oftmals ein ständiges Austarieren der Gelehrten, der Gesellschaft, der Interpreten des Korans und der Sunna. So schlug das Pendel mal hierhin, mal dorthin, und je nachdem kamen sie zu höchst unterschiedlichen Interpretationen - je nach Zeit und Raum - was es hieß, muslimisch zu leben. Hierin zeigt sich unter anderem die Dynamik des Islams, der nie als monolithischer Block gesehen werden sollte, was durch einen Blick in die Geschichte leicht nachvollzogen werden kann.



Nun hat das Blog Alsharq einen guten Artikel über die Ambivalenz des Islams gegenüber der Homosexualität unter Männern veröffentlicht, auf den ich hiermit hinweisen möchte. Dabei gilt es aber zu bedenken, dass die in der Literatur besungene Homoerotik nicht selten auch metaphorische oder allegorische Aussagen treffen, und nicht auf eine alltägliche Praxis hinweisen müssen.

Einige Kostproben:
(...) Was die Beurteilung der zwischenmännlichen Liebe anbelangt, so ist das Bild, das wir aus den Quellen des islamischen Rechts, also dem Koran und den Hadithen, erhalten, als ambivalent zu bezeichnen.
(...)
Diese Identifikation des Geliebten mit dem türkischen Waffensklaven in der persischen Dichtung führte dazu, dass man für die Beschreibung der Zustände der Liebe und der Attribute des verehrten Jünglings immer wieder auf Ausdrücke aus dem militärischen Bereich zurückgriff.
(...)
Das Vorhandensein einer geradezu unermesslichen Vielzahl die Knabenliebe verherrlichender Zeugnisse in der literarischen Produktion mehrerer Jahrhunderte islamischer Geschichte sowie die große Bedeutung, die insbesondere das romantische Verhältnis des ghaznawidischen Sultans Maḥmūd zu seinem Sklaven Ayāz in den berühmtesten Werken der persischen Literatur einnimmt, belegen klar, dass Homoerotik bzw. Homosexualität in langen Epochen der islamischen Geschichte und in weiten Kreisen der arabisch- wie auch der persischsprachigen Welt bei Weitem nicht die Stigmatisierung und Verurteilung erfuhren, wie es im modernen Islam der Fall ist.

Selbst aus den islamischen Rechtsquellen Koran und Sunna lässt sich mitnichten eine eindeutige Verdammung homosexueller Liebe ableiten, wenn dieser Anschein von konservativ-muslimischer Seite auch gerne erweckt wird. (...) von der Annahme, „der“ Islam verabscheue Homosexualität, gilt es nach Betrachtung der einschlägigen Literatur jedenfalls in dieser Pauschalität Abstand zu nehmen.
Weiter in Alsharq:: Homosexualität in Gesellschaft und Literatur des mittelalterlichen Iran


Siehe dazu auch diese ausführlichere Untersuchung, die sich eher an islamwissenschaftlich interessierte Leser wendet:

LIWAT IM FIQH: MÄNNLICHE HOMOSEXUALITÄT? Von Arno Schmitt. Journal of Arabic and Islamic Studies 4 (2001–2002)
In den ersten prägenden Jahrhunderten lernte der Islam viel von den alten Kulturen des fruchtbaren Halbmonds, teils in ubernehmender Auseinandersetzung mit den prophetischen Schwesterreligionen, in disputierender Abgrenzung, teils durch die Transfusionen der Konvertiten, die größtenteils den Islam nicht als das ganz Andere (deshalb demutig zu Erlernende) betrachtet haben mogen, sondern als die bessere, erneuerte Version ihres alten Glaubens – weshalb sie vollig unbefangen „Lücken“ im neuen Ideologiegebaude mit bewahrtem Baumaterial fullten.

Nichts desto trotz kann sich auch derjenige mit weniger Leselust oder Vorkenntnissen das Fazit am Ende dieser Studie kurz anschauen.

Zum Schluss noch der zusammenfassende und kürzere Eintrag aus der Encyclopedia of Islam and the Muslim World:

HOMOSEXUALITY

Both erotic attraction and sexual behavior between members of the same sex have always been recognized phenomena in Islamic societies, but attitudes toward them have been complex, severe religious and legal sanctions against the latter coexisting with accommodating and at times indeed celebratory expressions of the former.

Religious discourse has mostly focused on sexual acts, which are unambiguously condemned. The Qur'an refers explicitly to male-male sexual relations only in the context of the story of Lot, but labels the Sodomites’s actions (universally understood in the later tradition as anal intercourse) an “abomination.” (Female-female relations are not addressed.) Reported pronouncements by the prophet Muhammad (hadith) reinforce the interdiction on male-male sodomy, although there are no reports of his ever adjudicating an actual case of such an offense; he is also quoted as condemning cross-gender behavior for both sexes, but it is unclear to what extent this is to be understood as involving sexual relations. Several early caliphs, confronted with cases of sodomy between males, are said to have had both partners executed, by a variety of means. While taking such precedents into account, medieval jurists were unable to achieve a consensus on this issue; some legal schools prescribed capital punishment for sodomy, but others opted only for a relatively mild discretionary punishment. There was general agreement, however, that other homosexual acts (including any between females) were lesser offenses, subject only to discretionary punishment.

Whatever the legal strictures on sexual activity, the positive expression of male homoerotic sentiment in literature was accepted, and assiduously cultivated, from the late eighth century until modern times. First in Arabic, but later also in
Persian, Turkish, and Urdu, love poetry (by men) about boys more than competed with that about women, it overwhelmed it. Anecdotal literature reinforces this impression of general societal acceptance of the public celebration of male-male
love (which hostile Western caricatures of Islamic societies in medieval and early modern times simply exaggerate). As in other premodern societies, such love was generally understood as an asymmetrical relationship, between an adult male
(the lover) and an adolescent boy (the beloved), clearly paralleling the power differential between men and women in heterosexual relationships; rather than a single category of “homosexuals,” there were two, or rather three: “active”
male-male lovers, “passive” adolescent beloveds, and a third, pathological and despised, category of adult males who sought out the passive role. Female-female relationships (never a subject for literary celebration) were less role-dominated, at least in earlier times; by the late Middle Ages a “butchfemme” paradigm seems to have asserted itself for them as well.

With the impact of Western colonialism in the late nineteenth century, these patterns (specifically, accepted “active” homoeroticism, subject to the same strictures on behavior as obtained with regard to extramarital heterosexual relations) began to change in most Islamic societies. The Western construction of the “homosexual”—often, however, misinterpreted as representing only the traditional pathological adult “passive”—has imposed itself with increasing force. Legal sanctions on homosexuality in various Islamic countries today vary considerably, as does their degree of dependence on traditional pronouncements of Islamic law. Societal attitudes have become more negative, and increasingly
dominated by the new, imported paradigm of what “homosexuality” is (for both males and females)
; but recent liberalizing shifts in attitude in the West are also having their effect, and the entire subject is currently a nexus of considerable
conflict.

Bibliographie:

  • Murray, Stephen O., and Roscoe, Will, eds. Islamic Homosexualities: Culture, History, and Literature. New York: New York University Press, 1997.
  • Rowson, Everett K. “The Categorization of Gender and Sexual Irregularity in Medieval Arabic Vice Lists.” In Body Guards: The Cultural Politics of Gender Ambiguity. Edited by Julia Epstein and Kristina Straub. New York and London: Routledge, 1991.
  • Schmitt, Arno, and Sofer, Jehoeda, eds. Sexuality and Eroticism among Males in Moslem Societies. New York: Harrington Park Press, 1992.

Autor: Everett K. Rowson

9 Kommentare:

  1. Die Überschrift ihres Beitrages verheisst etwas, was er nicht bietet. Die verlinkten Artikel zeigen nur, dass in den vormodernen islamischen Gesellschaften wie auch in der griechisch-römischenn Antike die Institution der Kanbenliebe (Päderastie) in den gehobenen Gesellschaftkrerisen durchaus akzeptiert war. Kanbenliebe meint die Beziehung eines älteren Mannes zu einen jüngeren Mann in der Adoleszenz (Sklave oder auch frei), die hier wie dort toleriert und auch in schwärmerischen Versen (antikes Beispiele Pindar oder Martial) beschrieben wurde. Mit einem modernen Verständnis von Homosexualität - eine gleichberechtigte Beziehung zwischen erwachsenen Männern-, die auch in der Antike tabuisiert wurde, hat beides wenig zu tun.

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  2. Hallo conring. Hast du/Haben sie denn vielleicht für mich einen Vorschlag für eine bessere Überschrift? Denn ich bin immer Ohr, wenn es um konstruktive Kritik geht, und würde ggf. die Überschrift abändern.
    Bis dann, und Gruß.

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  3. Hallo Lynxx,
    Nein. Ich denke einfach, dass die von ihnen beschriebenen Phänomene nichts mit Homosexualität im modernen (westlichen) Verständnis zu tun haben. Den schlechten Einfluss des Westens auf die islamische Kultur gab es in diesem Bereich nicht.
    In der altphilologischen Forschung wird für die Männer/Knaben-Beziehung meistens der Begriff Paiderestia(Kanbenliebe) benutzt.

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  4. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  5. Ja, ich gebe ihnen Recht, man könnte begrifflich noch genauer sein.

    Mit "schlechtem Einfluss" meinte ich auch nicht die Homosexualität oder Knabenliebe an sich, sondern der in diesem Blog-Artikel geäußerte Einfluss der westlichen Moralvorstellungen auf den Nahen Osten, was dazu geführt haben soll, dass nach 1830 plötzlich die homoerotischen Dichtungen nach Jahrhunderten versiegten. Insgesamt lässt sich ab dieser Zeit beobachten, dass der Nahe Osten den Orientalismus Europas teils mit Befremden betrachtete, und sich wundert, dass so (also z.B. mit den ganzen sexuellen Phantasien in den Gemälden) offensichtlich die islamische Welt gesehen wurde. Dieses führte auch zu einer Änderung im islamischen Raum selber, also Moralvorstellungen, Kleidung, Schicklichkeit, usw

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  6. Ob es diesen Einfluß westlicher Moraralvorstellungen auf die islamische Einstellung zur Homosexualität gegeben hat, wage ich zu bezweifeln. Die homoerotische Dichtung erfähr in Europa gerade, nach einer langen Brachezeit im 19. Jahrhundert einen großen Aufschwung( vgl. zu Deutschland. H. Detering, Das offene Geheimnis).
    Die im islamischen Kulturraum bestehenden Probleme mit Homosexualität sind vielleicht doch eher in der eigenen Kultur und Religion (Das gleiche gilt für Europa) als im Orientalism zu suchen.

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  7. Hallo lynxxx,

    freut mich, dass dir mein Aufsatz auf al-sharq gefällt!

    Dein Einwand bezüglich des Begriffs Sodomie ist völlig richtig. Ich habe ihn wohl unbewusst verwandt, da er auch in einem Teil der Literatur, die ich zur Vorbereitung gelesen hatte, benutzt wird.

    Dein Blog ist übrigens auch sehr interessant, danke für die Verlinkung. :-)

    Gruß

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  8. Es gibt hier einiges zu diesem Thema. Sehr interessanter Blog!

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  9. Danke für den Tipp.
    Habe dieses Blog leider aus Zeitmangel verwaisen lassen müssen. Besonders dann auffällig, wenn man vorher im Schnitt ein bis zwei Blogpostings pro Tag hatte... Ich versuche mein Bestes... :-)

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