Freitag, 30. Dezember 2011

Der Völkermord an den Armeniern, Frankreich, die Türkei und das Osmanische Reich

Karte der armenischen Deportationen 1915

Nun ist es also passiert, pünktlich vor dem Wahlkampf: Die französische Nationalversammlung hat dem Gesetzentwurf zugestimmt, mit dem die Leugnung des armenischen Völkermordes seitens des Osmanischen Reiches künftig unter Strafe gestellt wird.
Diese Gelegenheit möchte ich hiermit nutzen, mal meinen Standpunkt darzulegen. Mitunter möchte man hier als unbedarfter Leser beim Durchklicken meiner Artikel meinen, ich wäre ein Revisonist, ein Beschöniger osmanischer und islamischer Geschichte, und so weiter. Dieser Eindruck könnte in der Tat dann entstehen, wenn jemand in dem Geschichtsbild über den Orient aus der Mitte des 20. Jahrhunderts verharrt. Inzwischen haben sich jedoch Erkenntnisse, auch die Methodik der Geschichtswissenschaft, der Osmanistik, Islamwissenschaft, Turkologie, etc. weiterentwickelt und mitunter stark vermehrt. Dabei sind alte Gewissheiten ins Wanken geraten, manchmal revidiert worden, es fanden gar Paradigmenwechsel statt. Mein Fokus des Blogs liegt darin, auf diese neueren Erkenntnisse hinzuweisen, alte Zerrbilder zu aktualisieren. Meistens ist es eben so, dass inzwischen das Osmanische Reich eben doch nicht mehr sooo böse, barbarisch, blutrünstig, unzivilisiert dargestellt wird, wie es noch vor wenigen Dekaden gängig war. Daher wirkt der neuere Forschungsstand bei mir oft beschönigend, doch wer regelmäßig hier liest, stellt auch fest, dass ich versuche nicht einseitig zu sein, indem ich beispielsweise Massaker, Gräuel, Fehlentwicklungen nicht ausklammere. So schilderte ich beispielsweise nicht nur die im Westen grassierende Islamfeindlichkeit oder Islamophobie, sondern machte auch auf die im Nahen Osten teilweise bestehenden Zerrbilder über den Westen aufmerksam. Oder zeigte negative Aspekte in der islamischen Welt, wie zum Beispiel die wahhabitische "Kulturrevolution" in Saudi-Arabien.

So nehme ich auch bezügliches des Völkermordes der jungtürkisch-osmanischen Regierung an den Armeniern hier mal Stellung. Wichtig dabei ist, dass es vor allem um die Frage geht, wollte die osmanische Regierung die ost- und westanatolischen Armenier (aber nicht die Istanbuler Armenier) durch das Mittel der Deportation auslöschen, also gezielt töten, oder nahmen sie deren Todesrate auf dem Marsch der Deportation nur billigend in Kauf, da sie mitten im 1. Weltkrieg einen Mehrfrontenkrieg führten und keine Ressourcen, und auch keine Organisation zustande brachten, um eine "humanere" Zwangsumsiedlung zu bewerkstelligen?

Es geht also um die Frage: Absichtlicher vorsätzlicher Völkermord oder unabsichtlicher Völkermord.

Zumindest für viele Historiker und für mich auch. Denn schaut man sich mal die Definition der Vereinten Nationen an, was unter Völkermord fällt, dann sollte jedem Leser sofort auffallen, dass hier der Straftatbestand des Völkermordes an den Armeniern erfüllt wurde, unabhängig, ob durch die Begleitumstände, oder durch Absicht - schlicht durch den Deportationsbefehl:

Als wegen Völkermord zu Bestrafender gilt,

„[w]er in der Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, vorsätzlich
  1. Mitglieder der Gruppe tötet,
  2. Mitgliedern der Gruppe schwere körperliche oder seelische Schäden […] zufügt,
  3. die Gruppe unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, deren körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen,
  4. Maßregeln verhängt, die Geburtenraten innerhalb der Gruppe verhindern sollen,
  5. Kinder der Gruppe in eine andere Gruppe gewaltsam überführt“.

Denn auch die meisten "Völkermordleugner" leugnen ja nicht die Deportation der Armenier, samt vielen ihrer tragischen Begleitumstände. Insofern müssten sie sich eigentlich Gruppe der "Vorsätzlicher Völkermordleugner" nennen.

Ich interessierte mich vor Jahren für das Thema, als ich feststellte, dass in zahlreichen Standardwerken zur osmanischen oder türkischen Geschichte, überwiegend von westlichen Autoren, dieser Völkermord recht selten mal als dieser bezeichnet wurde. Es wurde sowieso recht wenig auf die genauen Umstände eingegangen. Meist wurden nur einige Fakten aufgeführt, ansonsten die Bewertung umgangen, oder juristische Aussagen, also Tötungsabsicht mittels Deportation, ja oder nein. Dabei wusste ich aus hiesigen Massenmedien, dass allgemein von einem Völkermord ausgegangen wird. Das gezielt die Armenier "in die Wüste" geschickt worden seien, damit sie dort verrecken sollten. Wieso dieser Widerspruch? Wieso erhalten diese Standardwerke der Orientalistik hervorragende Rezensionen, warum stehen sie in allen Uni-Bibliotheken, in den Seminaren, gelten als Pflichtlektüre für jeden Studenten? Und wieso wird sogar in der altehrwürdigen Enzyklopädie Brockhaus von 2007 nicht von Völkermord, sondern "nur" von Deportationen gesprochen? Wer nun in Frankreich den Brockhaus zitiert, muss ins Gefängnis oder Strafe zahlen? Ich halte das französische Gesetz für absurd.
Aufgrund obigen widersprüchlichen Beispiele machte ich mich mal an die Suche nach Antworten, versuchte der Sache auf den Grund zu gehen, und stellte bald schnell fest, dass es doch recht wenige Historiker weltweit sind, die sich mit diesem Thema wirklich intensiv beschäftigen. Und wenn es nur wenige Spezialisten sind, die den Völkermord erforschen, ist die Manipulierbarkeit natürlich viel höher, die Instrumentalisierung der Geschichte, als wären es mehrere Dutzend Historiker. Immerhin sind immense Sprachkenntnisse erst einmal Voraussetzung, überhaupt etwas zu erforschen, neben den westlichen Sprachen, um die diplomatische Korrespondenz lesen und vergleichen zu können, muss man noch Osmanisch (in einer völlig anderen Schrift, teilweise auch Schriften, denn Osmanisch wurde in diversen Schreibstilen geschrieben, die nicht immer einfach zu lesen sind), dazu noch modernes Türkisch (mit lateinischen Buchstaben) und idealerweise auch armenisch lesen können. Da kommt leicht ein Dutzend Sprachen zusammen, was für jeden Gelehrten eine echte Herausforderung darstellt, und die geringe Zahl an Historikern (oder auch unprofessionellen Historikern) erklären hilft. Was die Sache weiterhin schwierig macht, sind einerseits politische Implikationen, so ist nicht von der Hand zu weisen, dass einige westliche Völkermordzweifler seitens der türkischen Regierung finanziert werden oder wurden. Das muss allerdings noch nicht bedeuten, dass ihre Forschung weniger seriös ist, als die "armenische Seite", die ja teilweise ebenfalls finanzielle Begünstigungen seitens von Armeniern erhalten - ohne, dass dieses im Westen einen Aufschrei der Empörung hervorruft. Ich bin der Meinung, es kommt nicht in erster Linie darauf an, wer welche Forschung bezahlt, auch wenn wir die vielen Negativbeispiele z.B. aus der Tabakindustrie kennen, wo Forscher sich instrumentalisieren ließen und gelinde gesagt unsaubere Ergebnisse lieferten, nein es kommt in erster Linie auf die Forschungsergebnisse selbst drauf an, auf ihre Verifizierbarkeit. Sind die Erschließungen der Quellen seriös, lassen sich die Schlussfolgerungen, die Interpretationen gut begründen, ja oder nein.
Andererseits besteht eine weitere Schwierigkeit für historische Laien darin, dass es einige Widersprüche in dieser Völkermordfrage gibt. Oft hört man den Satz, es seien nicht alle Armenier massakriert worden, und das wäre so, als hätte Adolf Hitler den Holocaust befohlen, dabei aber Köln, Frankfurt, Stuttgart und Hamburg dabei vergessen. Oder es wird darauf verwiesen, dass Offiziere durch die osmanische Regierung durchaus für ihre Taten bei den Deportationen bestraft wurden, gehängt wurden.
Es gab und gibt übrigens nicht nur dieses oben verlinkte Historiker-Symposium in Istanbul, sondern es gab durchaus schon öfters Konferenzen zu diesem Thema, hier eines 2005 in der Schweiz.  Dort vertraten (fast) alle, auch Türken, die Auffassung, es handele sich um einen gezielten Völkermord. Weil manchmal in Diskussionen so getan wird, wir bräuchten nur eine "unabhängige" Historikerkommission, die endlich einmal die Archive sichten müsse, um Klarheit in die Sache zu bringen, also aus der Sicht der Zweifler und Leugner (da mache ich schon Unterschiede zwischen Skeptikern, und dezidierten Leugnern), dann endlich zu beweisen, es war kein geplanter Massenmord, sondern die Umstände waren es. Dabei wird oft verkannt, es gab und gibt schon lange internationale Historiker-Kongresse speziell zum Thema, oder im Rahmen eines Oberthemas.

Nun, ich möchte hier gar nicht weiter mit genaueren Pro- und Kontra-Argumenten langweilen. Wer sich dafür interessiert, wer sich für einen Teil meiner Recherchen, viele weitere Links und Zitate für meinen Meinungsbildungsprozess interessiert, kann es hier tun. Sehr schön erkennt man im Verlauf der Diskussion auch mein Schwanken von diversen Positionen die ich einnehme, meine Unsicherheit in der Bewertung des Gelesenen, wobei ich immer eher auf Seiten der Völkermord-These war, diese aber nicht nur nachplappern wollte, sondern verstehen wollte. Ebenso wollte ich die Gegenargumente verstehen, und vergleichen, obwohl ich dadurch recht starken Gegenwind bekam, weil viele Diskutanten es sich zu einfach machen, und jegliche Zweifel gleichsetzen mit Nazi-Holocaust-Leugnern. Ich habe es mir jedenfalls nicht leicht gemacht, und in recht kurzer Zeit intensiv recht viele Texte aller Parteien durchgelesen.

Das Fazit meiner Recherchen ist letztlich, dass man nicht darauf vertrauen sollte, was in den Massenmedien dauernd kolportiert wird, zum Beispiel, dass es hunderte Historiker gibt, die zweifelsfrei durch Quellenstudien bewiesen hätten, dass der Völkermord zwecks Deportation so geplant gewesen sei. Es also vergleichbar sei, wie bei der Erforschung des Holocaust. Nein, es sind nur wenige Dutzend sehr spezialisierte Historiker oder Privatpersonen, die sich in diesem hochpolitisiertem Minenfeld tummeln. Keinesfalls vergleichbar mit der Holocaust-Forschung.
Also muss man sich die renommiertesten (und vielleicht "neutralsten") dieser Gelehrten für sich heraussuchen, ihrer Urteilskraft vertrauen, und sich deren Fazit anschließen. Nicht jeder hat jahrelang Zeit sich intensivst mit diesem Thema auseinander zu setzen, um selber alle Argumente einem Faktencheck zu unterziehen. Einfache Antworten in dieser komplizierten Materie sind meistens die falschen Antworten.
Interessanterweise gibt es nicht wenige Fälschungen, Falschdeutungen, zum Beispiel seitens der armenischen Position. Insofern kann ich viele Türken verstehen (aber nicht zustimmen), die der ganzen Völkermord-Debatte misstrauen, gegebenenfalls sogar von Verschwörungen zwecks Schwächung der Türkei ausgehen. Diese Fälschungen, oder Fehldeutungen sollte einen jedoch nicht dazu verleiten, gleich alles, was für einen Völkermord spricht, als Fälschungen, oder als Propaganda abzutun, denn das wäre doch zu einfach. Macht man bei anderen Themen doch auch nicht, diese Pauschalisierung? Da achtet man doch auch (zurecht) penibel darauf, z. B. nicht von der erhöhten Kriminalitätsrate von Deutschtürken darauf zu schließen, "die" Türken wären halt allgemein von Natur aus kriminell? Also sollte man auch darauf achten, nicht zu sehr zu vereinfachen, also von auftauchenden Fälschungen jegliche Forschungen seitens Armeniern gleich zu verdammen. Ebenso gilt es auch für die Gegenseite: Nicht jeder von der Türkei bezahlte westliche Forscher schreibt nur Propaganda, sondern liefert mitunter wertvolle Beiträge für die Debatte. Man sollte also Punkt für Punkt, These für These auf Stichhaltigkeit abklopfen, denn immerhin gibt es nicht so viele Historiker, die einigermaßen Brauchbares liefern, als dass man alle ignorieren könnte die jemals einen Fehler in ihren Arbeiten haben. Oder wie gesagt diese Arbeit den Profis überlassen, also weltberühmten Turkologen, Osmanisten, Historikern. Und dann deren Position sich zu eigen machen.

Ich konnte im Laufe der Diskussion, auch in deutschtürkischen Foren, etliche Positionen der Türken oder der Türkei nachempfinden, mich in sie hinein versetzen, denn ich habe mich schon immer gewundert, warum so bekannte Orientalisten wie Suraiya Faroqhi oder Klaus Kreiser in ihren Standardwerken (siehe den Buchtipp Reiter oben mit einsehbaren googlebooks) nicht klipp und klar von Völkermord sprachen, sondern sich lediglich auf die Beschreibung der schrecklichen Deportationen beschränkten. Dies hängt auch nicht mit dem berüchtigten Paragraphen 301 zusammen. Man könnte ja annehmen, dass einige (westliche) Turkologen sich einen Maulkorb verpassten, um Forschungen zukünftig noch in der Türkei ausführen zu können. Bei dieser Sichtweise wird verkannt, dass es durchaus schon seit etlichen Jahren viele viele Publikationen in der Türkei gibt, die durchaus auch offen von einem Völkermord schreiben. Das ein durchgeknallter ultranationalistischer Staatsanwalt Orhan Pamuk vor Jahren anklagte, sollte nicht dazu verleiten zu denken, in der Türkei könne nicht über den Genozid geforscht werden. Das kann also kaum der Grund dafür sein, warum einige Historiker nicht dezidiert von Völkermord schreiben.
Jedenfalls muss noch mehr geforscht werden, und das Urteil in Frankreich halte ich auch für kontraproduktiv. Doch trotz noch so mancher offener Frage, oder nicht geklärtem wissenschaftlichen Konsens, kann man schon heute eines festhalten:

Die Indizien, auch die Beweisketten reichen schon heute dazu aus, von einer hohen Wahrscheinlichkeit der Völkermord-These auszugehen. Die bisherigen gesichterten Fakten, trotz aller politisch intendierter Propaganda, auch schon zu Zeiten des 1. Weltkrieges, reichen durchaus aus, eher von einem geplanten Völkermord als dem Gegenteil auszugehen.
Das gebietet nicht nur die Faktenlage, sondern auch der gesunde Menschenverstand, die Logik. Denn um all diese Fakten zu entkräften, und von keinem Vorsatz auszugehen, müsste man schon sehr viele geistige Verrenkungen bis hin zu Verschwörungstheorien anstrengen. Zudem müsste man sehr oft Pauschalisieren. Quellen oder Befunde allgemein in ihrer Gesamtheit anzweifeln, etc.

Nein, allen (Deutsch-)Türken würde ich empfehlen, lieber heute als morgen, von einem geplanten Völkermord auszugehen, nicht aus Opportunismus, nicht, um hier nicht als "rechter Spinner" in Deutschland zu gelten, sondern einfach, weil die Wahrscheinlichkeit dieser These viel höher ist, als die der Gegenthese. Weil etliche Fakten einfach zwingend sind. Zudem, was wäre schon dabei jetzt der Völkermordthese zuzustimmen. Sollten in 10 oder 20 Jahren auf einmal total andere Ergebnisse herauskommen, kann man dann ja immer noch wieder auf die Leugnungsthese umschwenken. Abgesehen davon, gehen ja auch die Völkermordleugner von einem unendlichen Leid der Armenier aus, insofern könnte man sein Mitgefühl viel besser dadurch ausdrücken, dass man davon ausgeht, die Armenier sollten vernichtet werden, und nicht davon ausgeht, dass die Jungtürken einfach zu dumm waren, die Deportation zu sichern und mit genügend Lebensmittel zu versorgen. Heute ist es so, dass die internationale Historikerzunft trotz Gegenstimmen mehrheitlich von einem geplanten Versuch ausgeht, die Armenier möglichst zahlreich auszurotten.

Wobei es eine Position gibt, die ich bevorzuge, die auch einige Widersprüche aufklären kann, die manchem Zweifler Kopfzerbrechen macht. Die unten zitierte Position von Erik Jan Zürcher,
der quasi das Standardwerk, den Nachfolger des ebenso berühmten wie veralteten Werkes ("The Emergence of Modern Turkey") von Bernard Lewis laut Rezensionen schrieb. Die wichtigsten Schlüsselsätze werde ich hervorheben. Wer kein Englisch versteht, kann die automatisierte Übersetzung dieser Seite mittels der unteren Service-Leiste benutzen.

Noch ein Wort zu den einheimischen Deutschen, die den Völkermord-Skeptikern in Diskussionen allzu schnell in die gleiche Nazi-Ecke stellen wie Holocaust-Leugner. Diese Pauschalisierung, die Vereinfachung finde ich nicht richtig. Sicher, es gibt genügend (vielleicht auch nur besonders in dieser einen Frage) fanatisierte rechts oder nationalistisch gesinnte Türken, die durch ihre dauernden Rechtfertigungen, ihren Hass auf die heutigen (Diaspora-)Armenier, jegliche Mitmentschlichkeit mit den Opfern Hohn sprechen. Es gibt auch in jeglicher Hinsicht erkennbare rechte Ultranationalisten, mit denen man durchaus hart diskutieren kann, oder sie wie die Nazis gleich meiden kann. Die Mehrzahl ist  jedoch eher von einem Halbwissen getrieben, in Deutschland sowieso gewohnt, immer bei Diskussionen in der Defensive zu sein, und diese schart sich nicht selten in dieser einen Frage zusammen, um eine Wagenburg zu errichten, ein typisches Verhalten jeder Diaspora, unabhängig vom Thema. Außerdem gibt es gute Gründe, zumindest skeptisch bis unsicher in dieser Frage zu sein. Denn nicht nur türkische Historiker, auch international höchst renommierte Orientalisten, Fachleute aus Oxford, Harvard, Chicago oder Yale, hatten ihre Zweifel oder leugneten einen absichtlichen Völkermord. Dies führt einen Laien nicht gerade dazu, einen Völkermord vorbehaltlos anzuerkennen, sofern man auch diese westlichen zusätzlich zu den türkischen Stimmen kennt. Insofern sollten deutsche Diskutanten nicht diese Positionen gleichsetzen, mit denen der Holocaust-Leugner. Denn stellt euch nur mal vor, die Historiker Mommsen, Walter Kempowski, Mann, Michel Foucault, Wolfgang Benz, Ian Kershaw, usw. würden in einer wichtigen historischen Frage Zweifel an einer Mehrheitsmeinung haben, würdet ihr diese hochgelobten Historiker einfach zu Seite wischen wollen, mit dem Hinweis, alles rechte Leugner, nicht ernstzunehmen? So in etwa sollte man sich die Lage vorstellen, zumindest noch bis vor wenigen Jahren, daher bin ich auch gegen eine zu leichtfertige Gleichsetzung des Holocaust mit dem Völkermord an den Armeniern, bzw. mit der Beschäftigung beider Vorgänge.
Diese westlichen Stimmen der Skepsis bis Leugnung werden allerdings in den letzten 15 Jahren immer weniger, das verkennen wiederum die Türken. Einerseits, weil inzwischen die Forschung nicht stehen geblieben ist, und manche Türken noch so diskutieren, als würden wir uns in den 1980ern befinden, andererseits sterben einfach einige der alten Turkologen-Koryphäen, so dass diese auch gar nicht mehr auf neuere Untersuchungen eingehen könnten.

Außerdem sollten die deutschen Diskutanten noch bedenken, welch schrecklich hohe Mortalitätsrate damals im Osmanischen Reich herrschte, und welche Vorgänge vor der Deportation stattfanden. Nicht, um irgendetwas zu rechtfertigen, zu beschönigen, sondern einfach, um die Entwicklung zu den Massakern an den Armeniern zu verstehen, nachvollziehen zu können. So starben selbst bei den kriegsgefangenen Briten, Neuseeländern, Australier, usw. ein Drittel an den Folgen von Hunger und Seuchen, obwohl das Militär noch die meisten Ressourcen zur Verfügung gestellt bekam. Schlimmer sah es bei der anatolischen Bevölkerung aus. Der Völkermord hatte eine Vorgeschichte, er fand nicht im luftleeren Raum statt. Dadurch ist er nicht zu entschuldigen, doch dadurch wird auch klarer, warum Teile der jungtürkischen Regierung genau wussten, was sie taten, obwohl sie eigentlich oft als Makedonier kaum Kenntnisse über Anatolien hatten, und diese sich erstmal erwerben mussten. Denn wenn schon die Lage des Militärs so katastrophal war, so war ihnen sicherlich mehr als bewusst, dass eine Deportation zu jener Zeit die Folgen durch Hunger und Seuchen haben würde, die sie eben auch hatte, wodurch die meisten Todesopfer zu verzeichnen waren. Außerdem waren ihnen die vorhergehenden Pogrome an den Armeniern im 19. Jahrhundert bekannt. Sie wussten, welches explosives Gemisch an Flüchtlingen in den letzten Dekaden in Anatolien einwanderten. Woher kamen diese Millionen von Muslimen? Von den Massakern, den Pogromen, den Raubmorden, von den Enteignungen, den Vertreibungen, die die Siegermächte an der Peripherie des Osmanischen Reiches im Zuge der Unabhängigkeitskriege der Völker an den (oft turkophonen) Muslimen verübten. Also vorwiegend aus dem Balkan und Russland sowie dem Kaukasus, wenige auch von Mittelmeerinseln, oder aus Nordafrika.
Nur selten hört man einmal in den Medien etwas von den muslimischen Opfern, die es im Zuge des 1. Weltkrieges und davor in Massen gab.

Hier mal eine einzige Ausnahme in den etablierten Medien:

Die Erinnerung an die Armenier in der Osttürkei

MP3-Download des Beitrags:
Die Erinnerung an die Armenier in der Osttürkei (Download)
An die Massaker an den Armeniern im untergehenden Osmanischen Reich denkt die Welt, wenn es um die ostanatolischen Ereignisse von 1915 geht. In Ostanatolien ist das anders. Dort leben heute keine Armenier mehr. Und die moslemische Bevölkerung erinnert sich vor allem an das eigene Leid, das ihr von Armeniern zugefügt wurde.
Susanne Güsten begab sich in der osttürkischen Stadt Van auf Spurensuche. ...
Ich werde in einem künftigen Artikel ein wenig näher auf die Flüchtlingswellen der Muslime im schrumpfenden Osmanischen Reich eingehen.
Ich könnte mir aber sehr gut vorstellen, dass die Bereitschaft vieler Türken den Völkermord anzuerkennen und nicht bockig erstmal mit Ablehnung zu reagieren, steigen würde, wenn einerseits die Diskussionsteilnehmer als auch die Medien öfter mal das Leid der anderen Seite, der muslimischen Seite, die oft der der Armenier zuvor kam, zeigen und anerkennen würde. Die Berichterstattung ist doch im Bemühen ja keinen Verdacht eine dem Holocaust vergleichbare Relativierung vorzunehmen, alleine auf der einer Seite ihrer Berichterstattung. Das wäre vielleicht so, als würden die Medien alleine über die Verluste, die Ängste, die Verletzungen der US-Soldaten im letzten Irakkrieg berichten, aber kein Wort darüber verlieren, wie es den zivilen irakischen Opfern des Krieges geht, den sogenannten "Kollateralschäden". Obwohl, wenn ich mich recht erinnere, war über Irakis, die nachts aus den Betten gebrüllt und geschossen wurden, die dabei völlig unschuldig Todesängste ausstanden, deren Kinder Traumata erlitten, dass darüber auch herzlich wenig in unseren Medien berichtet wurde...
Die besondere Qualität der Brutalität bei den Todeszügen der Armenier soll damit keinesfalls aufgerechnet werden, Auge um Auge, "legitime Rache", wie es oft in Diskussionen heißt, nein, es soll nur darum gehen, dass man als historisch Interessierter nachvollziehen kann, verstehen kann, wie es zu dieser Explosion der Gewalt selbst bei sonst unbescholtenen Bürgern und ehemaligen Nachbarn kommen konnte, also Motivsuche. Und zum Völkermord an den Armeniern gehört eben zwingend die Vorgeschichte dazu. Erst in dieser Kombination glaube ich, dass einige, deren Meinung zum Völkermord noch schwankt und noch nicht völlig erstarrt ist, dann eher bereit wären, ihrerseits einzugestehen, dass sie einem türkischen historiographischem Mythos ähnlich der Sonnensprachtheorie aufgesessen sind, die in der internationalen Forschung nicht geteilt wird, und die demaskiert wurde.

Wie ihr in meinen obigen Ausführungen vielleicht bemerkt habt, gehe ich nicht oder kaum auf türkische Historiker, aber auch nicht auf armenische Historiker ein. Ich denke, am besten ist, wenn man sich einen möglichst neutralen Überblick verschaffen möchte, dass man sich da auf Historiker aus anderen (eher unbeteiligten) Ländern stützt, solange man nicht so belesen ist, selber entscheiden zu können, welche Thesen stichhaltig, und welche eher auf wackeligen Beinen stehen. Türkische und auch armenische Forscher sind doch nicht selten gerade in dieser Frage des nationalen Gründungsmythos der jungen Republiken hoch politisiert und eher befangen, als andere externe Historiker (siehe auch meine Beiträge zu den Mechanismen, wie Nationen konstruiert, erschaffen werden: Verhältnis der Muslime und Nichtmuslime im Osmanischen Reich 1. Teil)
Zumindest ist eine Überprüfung der Seriosität und der Reputation in der historischen Zunft einfacher. Außerdem kommt man so auch meist schneller an den Kenntnisstand der internationalen Forschung heran, denn wer in Leiden lehrt, wer in Oxford lehrt, etc., der ist sicherlich kein Exot mit einer Minderheitenmeinung. Selbiges könnte jedoch durchaus passieren, wenn man einem Dozenten Glauben schenkt, der vielleicht in Trabzon, Erzurum, Manisa, lehrt.

Genug der Worte, kommen wir nun zu oben erwähntem Standardwerk jedes angehenden Turkologen weltweit, auch in der Türkei steht dieses Buch auf der Liste der im Studium zu lesenden Werke. Das ist so in etwa der Kenntnisstand der (internationalen!) Wissenschaft zur modernen Türkei, inklusive der vorangegangenen Dekade. Zürcher sagt zwar, es war ein Völkermord, aber nicht von der gesamten jungtürkischen Führung ausgehend, so dass einige Widersprüche besser erklärt werden können, wenn gleichzeitig unterschiedliche Signale aus der Hohen Pforte (dem Regierungssitz) kamen. Ich traue diesem Nachfolger von Bernard Lewis zu, sich einen Überblick über die aktuelle Sekundärliteratur verschafft zu haben, erstens, weil es seine umfangreichen Sprachkenntnisse erlauben, zweitens, weil er für seine Werke durchweg hervorragende Rezensionen in der Fachliteratur erhalten hat, er weiß also, wie man korrekt und seriös wissenschaftlich forscht, und nicht zuletzt, ist diese jungtürkische Epoche sogar, anders als bei Bernard Lewis oder Standford Shaw, oder anderen Zweiflern und Leugnern einer seiner hauptsächlichen Forschungsschwerpunkte. Und das in der Türkei sogar (u.a.) nach seinen Büchern ausgebildet wird, zeigt, dass er auch den höchsten Respekt der türkischen Universitäten genießt.

Mehmed Talât Pascha, einer der Verantwortlichen damals bei dem
Genozid an den Armeniern. (1874-1921)


Weithin in googlebooks einsehbar:
Turkey: a modern history  von Erik Jan Zürcher. 2004


The Armenian question 

This military fiasco left eastern Anatolia open to a Russian advance,which duly materialized when the weather improved. It also marked the beginning of the suppression of the Ottoman Armenians, still a controversial issue 75 years later.
The Armenian community formed an important part of the population of the eastern Anatolian provinces although in no province did they constitute a majority or even a plurality (unless one counts Turks, Kurds and other Muslim communities separately, something the Ottomans never did). Estimates of the total number of Armenians in the empire vary, but a number of around 1,500,000, some 10 per cent of the population of Ottoman Anatolia, is probably a reasonable estimate.
After the troubles of 1896, the situation in the east had normalized to some extent, but relations between the local Armenians and Muslims, especially the Kurds, remained tense and there were frequent clashes. In May 1913, representatives of the Dashnakzutioun had demanded the establishment of a foreign gendarmerie to protect the Armenians in eastern Anatolia. The CUP government had approached the British about this matter and the latter had discussed it with the French and Russian governments. In February 1914 agreement was reached about the establishment of two inspectorates with far-reaching powers in eastern Anatolia and a Norwegian and a Dutch inspector were appointed in May.
The outbreak of war prevented the scheme from being put into operation. At the outbreak of the war, Armenian nationalists saw in a Russian victory their chance to achieve the establishment of an Armenian state in eastern Anatolia. Russian propaganda encouraged these aspirations.
A few thousand Armenians joined the Russian army; there were Armenian desertions from the Ottoman army and guerrilla activity behind the Ottoman lines. Confronted with this situation, the Ottoman army started sporadic deportations in the area behind the front. A number of relatively small-scale massacres occurred. By the end of March, the central committee of the CUP in all probability took a decision to relocate the entire Armenian population of the war zone to Zor in the heart of the Syrian desert, and eventually from there to southern Syria and Mesopotamia. An uprising by the Armenians in the provincial capital Van, to the rear of the retreat, heightened the sense of urgency. Deportations started in earnest in May. They were then sanctioned retrospectively by official cabinet decisions on 27 and 30 May 1915. By the summer of 1915 eastern and central Anatolia had been cleared of Armenians. This was followed by the deportation of the Armenians in the west, which took until the late summer of 1916 to complete. Although in broad terms the deportations followed a very similar pattern, the execution varied from place to place. In some places, the families were given 24 hours notice, in others several days. In some they were allowed to sell their possessions, in others these were ‘taken into custody’ by the authorities. In some places carts and donkeys were allowed, in others everyone had to go on foot. The caravans of Armenian deportees were guarded by gendarmerie troops, who often acted very brutally. Although the numbers of gendarmes accompanying the caravans was tiny, the victims apparently were so shocked into submission that we find almost no instances of resistance.
These deportations (officially called relocation – tehcir) resulted in the deaths of enormous numbers of Armenians. So much is undisputed historical fact. 


The controversies rage on three points.
  • The first is the military necessity of the operation. Turkish historians and their supporters point to the treasonable activities of many Armenians during the war and to the difficulty of knowing which Armenians would remain loyal and which would side with the Russians. The other side has – correctly – pointed out that the deportations were not limited to the war zone but took place all over the empire. 
  • The second controversy is over numbers: Turkish historians have put the number of deaths as low as 200,000, while the Armenians have sometimes claimed ten times as many. The reason for the discrepancy, propaganda apart, lies in the differing estimates of the number of Armenians who lived in the empire before the war and of the numbers who emigrated. Between 600,000 and 800,000 deaths seems most likely.
  • The third and most important controversy concerns intent, and whether genocide was committed. The Turkish side and its supporters claim that the situation in eastern Anatolia was one of inter-communal warfare, in which Armenian bands (supported by the Russian army) and Kurdish tribes (supported by Turkish gendarmes) struggled for control. They also recognize that the local Muslim population (especially the Kurds) subjected the Armenians sent to Syria to vicious attacks, but they attribute this to lack of control on the part of the Ottoman government rather than to its policies. They point out that the official records of the Ottoman government do not, as far as is known, contain any documents that demonstrate government involvement in the killings.The Armenian side has tried to demonstrate this involvement, but some of the documents it has produced (the so-called Andonian papers) have been shown to be forgeries. Many of the British and American publications on this issue from the time of the First World War that purport to prove government involvement also bear a heavy stamp of wartime propaganda. On the other hand, the same cannot be said of wartime German sources that also report government involvement. Many Germans were shocked at what they saw and tried to convince the government in Berlin that it should act, but the raison d’état dictated that the German imperial government moved very cautiously in order not to endanger the alliance and, anyhow, the Ottoman government made it very clear that it brooked no interference in this matter.
What, then, are we to conclude? From the eyewitness reports not only of German, Austrian, American and Swiss missionaries but also of German and Austrian officers and diplomats who were in constant touch with the Ottoman authorities, from the evidence given to the postwar Ottoman tribunal investigating the Armenian massacres and even, to a certain extent, from memoirs of Unionist officers and administrators, we have to conclude that even if the Ottoman government as such was not involved in genocide, an inner circle within the Committee of Union and Progress under the direction of Talât wanted to ‘solve’ the Eastern Question by the extermination of the Armenians and that it used the relocation as a cloak for this policy.
A number of provincial party chiefs assisted in this extermination, which was organized primarily through the Teşkilât-i Mahsusa under the direction of its political director (and CUP central committee member) Bahaettin Şakir. Some provincial governors, like Dr Mehmet Reşit in Diyarbakır, were themselves instigators of large-scale persecutions, but there were also governors and army officers who refused to cooperate. These, however, were overruled or replaced.
The party bosses took the real decisions ‘on the ground’ in this matter.
The fact that the records of the Teşkilât-i Mahsusa have been destroyed and those of the CUP lost makes it hard, if not impossible, to prove the exact extent of the involvement of the different persons and institutions, but it can no longer be denied that the CUP instigated a centrally controlled policy of extermination.
The pattern of this extermination was roughly the same everywhere (in itself a powerful argument for the existence of a coordinated policy).
The men and boys (except the very young and the very old) were separated from the women right at the start of the deportation. The men were then killed either directly outside the town of departure or in ‘killing fields’ somewhere further along the route. The men recruited into the army were especially vulnerable. On 25 February, after the disaster at Sarıkamış, desertions had increased and an order had gone out to disarm all Armenian soldiers. These had then been assigned to the labour battalions in which most Armenians served already. Once the killings started these were, of course, sitting ducks.
The deportees were generally treated very harshly during their marches to the Syrian desert and those who survived the marches were interned in camps along the Euphrates River, without any provisioning whatsoever. Most of them died of exposure, starvation or disease. The attitude of the population in the areas the caravans had to cross, differed from time to time and from place to place. Sometimes the Armenians were attacked by villagers or tribes and robbed of their remaining possessions or even killed, but equally there are instances of poor peasants sharing their food with the deportees or of tribes rescuing them. Quite large numbers of Armenian girls ended up in Muslim
households and converted. Although the motives for taking them in were often far from altruistic, this undoubtedly saved many lives.

If we accept that at least a group within the CUP consciously strove for the extermination of what was, after all, part of their own population, we also have to ask why. The main reason was without doubt nationalistic, but not, as many Armenian scholars believe, pan-Turkist ambition. Clearing the road to Central Asia may have been a motive for some, but pan-Turkism remained a fairly marginal movement at least until 1917. Ottoman Muslim nationalism became very strong, however, after 1912. The fact that at least a quarter of the Muslim population of Anatolia now consisted of muhacirs, refugees – or children of refugees – from areas in the Balkans, the Black Sea region or the Caucasus that Christian states had conquered, added bitterness to the ethnic tensions. These people remembered how they or their parents had been forced to leave their ancestral homes, often more than once, and were determined not to let this happen again.
The massacres were not motivated by any kind of bogus racial theory (this is a major difference with the Nazi persecution of the Jews during the Second World War).
It is true, however, that many Young Turks had come under the influence of biological materialism and social Darwinism and saw the world in terms of a struggle for survival between different nations. In this worldview, the Ottoman Armenians and Greeks could easily be viewed as ‘microbes’ or ‘tumours’ endangering the health and survival of the Ottoman ‘body’ and it is significant that we encounter this kind of terminology in the statements of those involved in the persecutions.

Das war eine knappe Zusammenfassung seiner abschließenden Bewertung, nachdem er die Sekundärlitertur und eigene Quellen ausgewertet hatte. Wer näher erfahren möchte, wie er zu seinem obigem abschließenden Resumee gekommen ist, dem empfehle ich ein weiteres Standardwerk von ihm, welches zudem noch vom letzten Jahr ist, und ausführlicher auf die Ereignisse eingeht:

The Young Turk Legacy and Nation Building: From the Ottoman Empire to Atatürk's Turkey von Erik Jan Zürcher, 2010
(leider nicht in googlebooks einsehbar, jedoch habe ich hier eine sehr lange und ausführliche Leseprobe gefunden...)


Ein weiteres seriöses und geachtetes Standardwerk (siehe die Leseliste der Uni Hamburg im Link oben) legt etwas mehr den Fokus auf die Beweggründe der Jungtürken, auf die schwierige Lage, das Chaos, welches verständlich machen soll, unter welchen Umständen die Entscheidung der Deportationen und Massenhinrichtungen gefallen sind. Es erhielt ebenfalls sehr gute Kritiken, obwohl einige meinten, dieser Teil über den Genozid sei etwas schwächer ausgefallen. Jedenfalls wird hier auch von einem Genozid geredet, mit einer Position, die mehr denen der Türken ähnelt, sich letztlich aber den Tatsachen fügt.

Turkey, Islam, nationalism, and modernity: a history, 1789-2007. von Carter Vaughn Findley 2010.

Auch davon gibt es leider keine googlebooks-Vorschau, doch stelle ich für euch die drei Seiten hier zum Lesen zur Verfügung. Wie immer gelangt ihr durch Klicken auf die Grafiken/Bilder zur vollständigen Bildgröße.





Ich war viel in deutschtürkischen Foren unterwegs, um auch mal "die andere Seite" mir anzuhören. Ich habe oft gehört, ja, wenn erst dieses und jenes geschieht, ja dann könnte man vielleicht von einem Völkermord reden, oder (in ihren Augen: hoffentlich) auch nicht. Je länger diese Personen zum Beispiel auf eine Historikerkonferenz warten (die es ja mehrfach schon gab), desto mehr neigt sich die Waagschale aufgrund neuerer Forschungen zugunsten der Völkermordthese, wie die vergangenen Jahre zeigten. Ich finde es sehr bedauerlich, dass die muslimischen Opfer, wie fast immer, kaum Beachtung finden. Ich kann die Verbitterung über diese vergessene Geschichte nachempfinden. Jedoch konnten viele Widersprüche, viele Fragen bezüglich der Massaker an den Armeniern, bzw. der Intentionen der CUP in diesen Foren mir nicht beantwortet werden, jedenfalls nicht so, dass nicht wildeste Theorien erst konstruiert werden mussten, um "Entschuldigungen" oder Relativierungen zu finden. Gut war, dass mein Blick auf die Geschichte geschärft wurde, z. B. armenische Fälschungen auch als dieses zu bezeichnen, und nicht darauf zu verzichten, nur weil vielleicht diese Information auf Internetseiten von türkischen Faschisten standen. (Ich habe diese Informationen selbstverständlich gegengecheckt, aber ich wusste nun, wonach ich überhaupt suchen musste.) Es werden aber auf beiden Seiten des Ararats mit allerlei Tricks gearbeitet, zumindest bis in die jüngste Vergangenheit hinein, denn in den letzten 10 Jahren sind doch einige erstzunehmende Arbeiten auch aus der Türkei gekommen. Komischerweise glaube viele Türken immer nur, die Armenier würden Lügen und Betrügen. Eigentlich müsste spätestens seit Ergenekon, und seien auch nur 10% wahr, ihr Glauben in die "Neutralität" der Türkei in dieser Sache erschüttert sein. Bei den Deutscharmenier sieht es allerdings diesbezüglich ebenso trübe aus, wie bei etlichen, aber nicht allen (!) Deutschtürken, mit denen ich diskutierte. Außerdem hat mich ein selbsternannter türkischer "Fachmann" immer wieder vertröstet, er würde ein Buch schreiben, welches besser als alle anderen aus der Türkei werden würde, und den Genozid widerlegen. Leider kam bis auf heiße Luft nichts dabei heraus, obwohl die Forumscommunity ihm angeboten hat, zum Selbstkostenpreis zu veröffentlichen, also Books on Demand, etc. Es ist halt eine Sache, in der scheinbaren Anonymität eines Forums den großen Zampano zu markieren, den man leicht machen kann, indem man über mehr Wissen als die anderen verfügt, um dann von vielen Usern "ehrfurchtsvoll" mit Hoca angeredet zu werden, was anderes ist es, seine Thesen im grellen Scheinwerferlicht der Wissenschaft zur Überprüfung zu geben. Es also mit Profis zu tun zu haben, und nicht mit den Laien aus einem Forum, denen man schnell leicht was vormachen kann. Besonders leicht kann man etwas mit großen recht aggressivem Machogehabe vormachen, Respekt verschaffen, dann kommt man insbesondere bei rechts denkenden Usern gut an und wird als "Führer" in dieser Frage akzeptiert. So zumindest war mein Eindruck nach mehreren Jahren Diskussionen und Warterei, ob noch mehr als heiße Luft zu erwarten ist.

Da halte ich mich doch lieber an ein Lehrbuch, was nicht nur in den Niederlanden, in Europa, in den USA, sondern selbst in der Türkei als Standardwerk gilt. Wo der Autor selbst in der Türkei mit Preisen dekoriert wurde, z.B. aus dem Aussenministerium, wo ein Autor nicht in einigen Talkshows und in Foren abhängt, sondern unter anderem hier lehrte und berufen wurde:
SUNY Binghamton, Louisville KY, OSU Columbus, Minneapolis, Oxford (St. Anthony's), London (SOAS), Durham, Manchester, Bamberg, München, Bochum, Naples, Paris (EHESS), Bern, Zürich, Louvain, Ghent, Istanbul (Koç, Bilgi) und Ankara (Bilkent).
Und dieses Standardwerk habe ich nur deshalb zitiert, weil es etwas kürzer war, und trotzdem einige Positionen der türkischen Seite anspricht, außerdem auch mehr differenziert als andere, indem er zum Beispiel nicht die gesamte jungtürkische Elite gleichermaßen verantwortlich macht.
Ich hätte auch noch dutzende andere Werke zitieren können. Einige weiterführende Information wie oben schon erwähnt in der Verlinkung zum geschichtsforum. Wie zum Beispiel eine Zusammenfassung zu dieser historiographischen Kontroverse in Political uses of the past: the recent Mediterranean experience von Jacques Revel, Giovanni Levi, 2002. S. 49 ff. L. Valenesi:




Um den Kreis zum Anfang zu schließen, also der Debatte um das französische Leugnungsgesetz, hier noch ein Hinweis auf eine interessante Rede von Prof. Dr. Stéphane Yerasimos, gehalten bei einer Konferenz 2002 in der Türkei (was zeigt, dass auch in der Türkei durchaus offen von einem Völkermord, usw. gesprochen werden kann, selbst wenn es danach vielleicht Einschüchterungsbriefe hagelt...):

Der Erste Weltkrieg und die Armenier-Frage

Die Uneinigkeit, oder besser gesagt, der Chaos in der Armenier-Frage kann im Kern als ein Widerspruch zwischen der Geschichtsforschung und Rechtsverständnisses bezeichnet werden. Obwohl diese Frage als eine rechtliche Frage des Völkerrechtes bewertet werden müsste, drehen sich die Diskussionen stets um den Begriff des "Völkermordes", welches unterschiedlich aufgefasst wird und diese Auffassungen sich wiederum im Verlaufe der Zeit stets ändern. [...]

Das Ziel des Rechts ist es, etwas zu beweisen. Die Geschichte jedoch hat das Ziel zu erklären. Das Recht urteilt; aber die Geschichte hält sich von einer Bewertung zurück. Der Zweck der Geschichtsschreibung ist es, Geschehnisse möglichst Realitätsnah im Zusammenhang der Gründe und Ergebnisse darzulegen und die Bewertung dem Leser zu überlassen. [...]

Hier sollten einige Tatsachen unterstrichen werden:

1. Die Zwangsumsiedlungen wurden nicht nur in den Grenzgebieten, sondern außer Istanbul und Izmir, im ganzen Land durchgeführt.

2. Für die Organisation der Umsiedlungen wurde die Armee nicht eingesetzt, sondern Teilweise die Gendarmerie und Teilweise Milizen, die von Teskilati Mahsusa und Ittihat ve Terakki organisiert wurden.

3. Ob die Zwangsumsiedlungen nur Umsiedlungen waren oder ob dabei auch die Absicht der Vernichtung gehegt wurde, wird als zentrale Frage der Diskussionen aufgeworfen. Als Eingang zu diesem Thema können wir uns vorstellen, dass die Absichten nicht immer dieselben waren. [...]


Ich habe noch einen halbfertigen Artikel, in dem ich mich etwas näher mit den muslimischen Opfern jener Zeiten beschäftige. Es soll ja durchaus ausgewogen in meinem Blog sein... Also öfters mal reinschauen, oder RSS-Feed abonnieren, oder Email-Benachrichtigung, falls ihr ihn nicht verpassen wollt.


(Bildquellen: Wikimedia Commons: 1, Sémhur, 2)

15 Kommentare:

  1. Sehr schöner Artikel.
    Weiterführend könnte es auch sein, die Armenier-Frage und ihre gewaltsame Lösung durch die Jungtürken in vergleichender europäischer Perspektive zu betrachten. Gewaltsame Lösungen von Miderheitenfragen, zwecks Schaffung eines homogenen Staatsvolkes, waren damals in Europa durchaus üblich. Das Oberkommando Ost hatte da auch einige schöne Ideen zur Neugestaltung des deutsch beherschten Ostens nach dem Frieden von Brest-Litowsk.
    Praktiziert worden sind diese gewaltsamen Lösungen dann, nach dem Untergang der transnationalen Imperien, Habsburger und Osmanisches Reichs, bei der Neugestaltung der ost- und südosteuropäischen Landkarte. Im ganz großen Maßstab dann im zweiten Weltkrieg und kurz danach.
    Vgl. Mark Mazover, Der Dunkle Kontinent. Europa im 20. Jahrhundert.

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  2. Danke für den Tipp und das Lob. Ja, das (gesellschaftliche) Klima damals in Europa und der Führung des Osmanischen Reiches war wahrlich "geeignet", eine Deportation zwecks "ethnischer Säuberungen" durchzuführen, das vergessen offenbar einige Zweifler an den Völkermordabsichten.

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  3. Noch zum "Genozid"-Begriff.
    Das französische Gesetz ist meineserachtens vollkommen verfehlt. Jeder soll das sagen, was er will. Unsinn entlarvt sich selber.
    Das Problem mit diesem Wort "Genozid" ist, dass jeder Völkermord hiermit mit dem Holocaust in unmittelbare Verbindung gebracht wird. Der Unterschied zwischen dem Holocaust und allen anderen "Genoziden" war der Totalitätsanspruch. "Wir wollen nicht nur alle Juden in unseren Herrschaftsanspruch umbringen, sondern alle Juden in Europa".
    Die Jungtürken waren sicher keine Proto-Nazis.

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  4. conring, zum letzten Kommentar, was du meintest, steht ja auch oben im Blog, z.B. durch Zürcher, der kurz erläutert, was der Unterschied der Nazis und des Holocaust zu der CUP und dem Genozid an den Armeniern war.

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  5. An Conring

    schaue nochmal was das Wort Holocaust bedeutet.

    Es ist griechisch, heißt vollständige Verbrennung, das ist auch teilweise mit einigen Armeniern auch passiert und es ging um die völlige Vernichtung eines Volkes in beiden Fällen. deshalb ist es vergleichbar mit dem Holocaust der Juden und den dazugehörigen Konzentrationslager.




    Auch wurden die Christen als Menschen zweiter Klasse im Osmanischen Reich behandelt.

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  6. @Athina
    wieso soll ich nach der Bedeutung des Wortes Holocaust suchen. "Holocaust" ist in der westeuropäischen und us-amerikanischen Wahrnehmung ein Begriff der für den deutschen Versuch der Auslöschung des jüdischen Volkes während des zweiten Weltkrieges geprägt worden ist.
    Ansonsten können Sie gerne die Jungtürken mit den Nazis vergleichen. Ich tue es halt nicht.
    PS
    Die Osmanen waren auch nicht schlimmer als die Romanovs oder Habsburger, allerdings auch nicht besser.

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  7. Vielen Dank für diesen tollen Artikel, der zum Nachdenken anregt und zahlreiche (auch aktuelle) Quellen enthält, die ich mir unbedingt bei Gelegenheit zu Gemüte führen werde. Auf jeden Fall ist deine Arbeit ein Fundus für all jene, die sich mit der Frage des Völkermords im Allgemeinen und des Völkermords an den Armeniern im Besonderen beschäftigen. Deine unabhängige und unverklärte Beschäftigung mit diesen Fragen ist wohltuend angesichts der vielen aktuellen Beiträge, die im Prinzip nur darauf hinauslaufen, die unerträgliche Politik der Türkei bezüglich ihren Minderheiten zu entschuldigen und zu relativieren.

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  8. Toller Ritt mit Pferdekappen! Eine Ursachenforschung ist völlig belanglos. Türken und Armeinier haben ca. tausend Jahre zusammen gelebt und wurden durch "Teile und herrsche Politik" zum Spielbällen der Russen,Engländer, Franzosen und Deutschen.

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  9. @anonym: Pferdeklappen? Ich finde im Gegenteil, habe ich hier einmal - anders als in so vielen Artikeln, die immer nur die eine Sichtweise, die eine Interpretation beschreiben, durchaus mal nach links und rechts geschaut. Wieso kann man vielleicht, anders als bei der Holocaust-Leugnung, Zweifel an der Absicht zum Völkermord bekommen? Was bringt viele Türken dazu, so skeptisch zu sein? Wieso reagieren viele so empfindlich und temperamentvoll, ja wütend? Wieso empfinden viele eine sehr große Ungerechtigkeit und denken gar, "alle" seien gegen die Türkei?
    Auf diese Fragen geht niemand ein, der mit Scheuklappen lediglich den internationalen historischen Wissensstand mitteilen möchte.

    Und das Russen, Engländer, Franzosen, usw. mit einer "Teile-und-Hersche-Politik" eine Eskalation betrieben haben, so wie sie vorher eine Deeskalation betrieben haben (sonst hätte vermutlich Russland, die schon vor Istanbul standen, sich schon längst Anatolien einverleibt!), bedeutet ja nicht, dass man Frauen, Kinder und Gebrechliche massakrieren muss, oder?
    Abgesehen davon, ist diese Politik für die Osmanen auch nichts neues, auch nicht in der Weltgeschichte, denn die Osmanen haben diese Politik im Stile Roms und der Byzantiner ebenfalls zeitweise bei ihren Eroberungen oder nach Krisen erfolgreich angewendet, z.B. auf dem Balkan, und somit (u.a.) überhaupt erst ein so langes und stabiles Reich schaffen und halten können.

    @Rebecca: Danke für dein Lob. :)

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  10. Die sog. Jungtürken waren ein Produkt der europäischen Ideale und wurden durch die tätige Hilfe der Deutschen an die Macht gelangt. Ihre erste Aktion war, dass sie mit zwei deutschen Kriegschiffen "Breslau und..." gleich Sevastopol bombardiert, damit die Russen auf zwei Fronten kämpfen sollten. Ferner waren auch diejenigen, die an Armeniern eine Gefahr für ihre Ostfront sahen. "Taschnak und andere nationalistisch-gewaltbereite Gruppen" trugen auch dazu bei, dass die Jungtürken einige armenische Kerngebiete verlegen durch Bevölkerungsverschiebung frei machen wollten. Die Osmanen hatten bereits die Tscherkessen auch nach Libanon verlegt. Damalige Zustände erlaubte nicht eine bessere Verlegung zu sichern. Die meisten Frauen etc. starben an Unterernährung und durch Strapazen der Route. Nun, was ich mit Pferdeklappe meinte, hat sich auch so bewahrheitet: Sie sagen, ja ich habe nach rechts und links geschaut, und keine andere Wahrheit gesehen. Das ist eben diese Mentalität.
    Punkt Balkan trifft auch nicht. Aus Balkan wurden mind. 3 Mio. Albaner, muslimischen Makedonen etc.gen Anatolien vertrieben. Zuletzt in Bulgarien. Hätten die Osmanen die Bevölkerungsschichten verlegt etc. wie in Jugoslawien zur Zeit von Tito oder Stalin eben mit Kirimtataren etc., hätte es keine bulgarischen und Serbischen Aufstände gegeben. Schauen Sie noch einmal auf Bosnien. Was vor Zehn Jahen passiert, wird auch nicht als von Europäern als Völkermord bezeichnet. Das ist eben die Doppelmoral gegenüber Türken. Waren wohl nicht die nationalistischen Armenier, die in Antep und Adana mit den Franzosen türkische Bevölerung massakiert haben? Wer im Glashaus sitzt...liebe Grüße

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  11. Guten Tag Herr Lynxx.

    Hier sind drei Links. Der Autor spricht in seinen Studien und Forschungen von Armenozid:

    http://ricalb.files.wordpress.com/2009/07/murdering-people.pdf

    http://ricalb.files.wordpress.com/2011/12/auswahlbibliographie.pdf


    http://www.h-net.msu.edu:80/announce/show.cgi?ID=160809


    Mit freundlichem Gruß

    Linzer, 6. 1. 2012

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  12. "Auch wurden die Christen als Menschen zweiter Klasse im Osmanischen Reich behandelt."

    Um ihrer Genozidthese eine historische Basis zu verleihen, haben die Armenier behauptet, dass die Türken im Laufe der Geschichte Armenier und andere nichtmuslimische Minderheiten stets unterdrückt haben. Ohne diese Behauptung kann man nicht erklären, warum die Türken, die seit fast 1000 Jahren mit den Armeniern zusammenleben, plötzlich beschließen sollten, einen Völkermord an ihnen durchzuführen. Ein anderer Grund ist die Absicht, die Ereignisse als Kampf zwischen Christen und Muslimen darzustellen, um so die Untersützung der christlichen Welt zu gewinnen.

    Der Gründer des Osmanischen Reiches Osman Bey ermöglichte es den Armeniern, sich als eigenständiges Volk im Anatolien zu organisieren, um der Verfolgung und Unterdrückung durch Byzanz zu entgehen. So wurde das erste religiöse Zentrum der Armenier in Westanatolien in Kütahya gegründet. Mit der Eroberung von Bursa wurde dieses Zentrum dorthin verlegt, nach der Eroberung Istanbuls wurde im Jahre 1461 das religiöse Oberhaupt Hovakim nach Istanbul gebracht und mit dem Erlass Fatihs dem II. wurde in Istanbul das Armenische Patriarchat gegründet. Mit der Gründung dieses Patriarchats wurde das osmanische Territorium zum Magneten für Armenier und sie fingen an, aus dem Kaukasus, aus der Krim, sowie aus nichtosmanischen Teilen Anatoliens und Balkans in das Osmanische Reich einzuwandern. Die osmanische Administration organisierte die Armenier als "Millet" (Volk) und überließ sie der Verwaltung ihrer eigenen religiösen Oberhäupter.

    Mit dem Islahat-Erlass wurden die "Regeln und Vorschriften für das armenische Volk", die durch das Armenische Patriarchat konzipiert wurden, der osmanischen Regierung vorgestellt, am 29. März 1862 unterschrieben und erlangten Gültigkeit. Mit diesen Regeln und Vorschriften wurde auch ein 140-köpfiges Parlament gegründet, das 20 Mitglieder aus Kirchen in Istanbul und 40 Mitglieder aus der Provinz hatte.

    Die Armenier, die auch als "das treue Volk" bezeichnet wurden, hatten sich sehr gut in der osmanischen Gesellschaft zurechtgefunden und wichtige Posten erringt. Fast alle Armenier im osmanischen Territorium sprachen neben Armenisch auch das Türkische ohne Schwierigkeiten. Viele Armenier im Osmanischen Reich hatten Nachnamen wie Tasciyan, Semerciyan, Terziyan, Nalbandyan, Izmirliyan, die sie aus Berufs-oder Städtenamen abgeleitet haben. Helmut von Moltke, der sich 1835-1839 in der Türkei befand, schrieb über die Armenier: „Diese Armenier kann man in der Tat christliche Türken nennen, so ganz haben sie die Sitten und selbst die Sprache jener herrschenden Nation angenommen, während die Griechen weit mehr ihre Eigentümlichkeiten bewahrten.“

    In der osmanischen Gesellschaft gab es unter Armeniern sehr viele bekannte Architekten (etwa Balyan Efendi, der Architekt der Dolmabahce und Ciragan-Paläste), Musiker, Staatsmänner und Bürokraten. 29 Armenier wurden Pascha, 22 wurden Minister. (Handels-, Außen-, Finanz-, und Postministerien) Vielleicht der Interessanteste unter armenischen Ministern ist Gabriel Noradugan, der im Jahre 1913 Außenminister war. Also in einer Zeit, in der die Armenier unterdrückt oder gar massakriert worden sein sollen, nur zwei Jahre vor den Ereignissen von 1915. Wieder in dieser Zeit, in den Jahren 1897-1908 war Sakiz Ohannes Pascha Minister für Einkünfte und Eigentümer des Sultans. Nach 1900 waren Ohannes Ferit Efendi in Van, Ohannes Asasyan in Elazig, L. Avciyan und Ant Billoryan in Erzurum Vizegouverneure. Nach den Wahlen von 1909 kamen zehn armenische Abgeordnete in das Osmanische Parlament. (Anm: Die Dashnakzutjun-Partei hatte bis Ende 1914 eng mit der CUP zusammengearbeitet.)
    Außerdem waren unter Armeniern 33 Parlamentsabgeordnete, 7 Botschafter, 11 Generalkonsule und Konsule, 11 Dozenten und 41 hochrangige Beamte.

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  13. Es gibt noch einen gewichtigen Hinweis darauf, dass es ein geplanter Genozid war: Wer das nämlich in der Türkei behauptet, wird wegen Verleumdung des Türkentums in den Knast gesteckt. Das hätten die Türken wohl kaum nötig, könnte man nach dem Zusammentragen aller Quellen noch über verschiedene Sichtweisen diskutieren.

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  14. I am impressed by the information that you have on this blog. It shows how well you understand this subject.

    Central Government Health Scheme (CGHS) Nagpur

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