Donnerstag, 18. August 2011

Ausbreitung des Islams mit "Feuer und Schwert"? - ZDF - Doku "Der Heilige Krieg"

Die arabisch-islamische Expansion

Eigentlich wollte ich eine Kritik zu der von dem ZDF als Doku-Highlight des Jahres gepriesenem "Der Heilige Krieg" schreiben. Doch der Islamwissenschaftler Prof. Schöller kam mir zuvor und hat quasi all meine hier schon im Entwurf aufgeschriebenen Gedanken in Worte gegossen, so dass ich ihn nun zitiere werde, und meinen Entwurf gelöscht habe. Des weiteren gebe ich als Zugabe die Information, wie man sich denn islamische Expansion in etwa vorzustellen hat.

Nur soviel vorweg. Ich teile die Ansicht von Prof. Schöller, dass hier eine Chance vertan wurde, eine bessere Doku zu erstellen. Zumal beim Budget nicht gekleckert sondern geklotzt worden sein soll.
Und ich befürchte noch "schlimmeres" für die folgenden Dokus dieser Serie, schaut man sich die Literaturempfehlungen an. Sind diese noch für die erste Folge als gut zu bezeichnen, wechselt deren Qualität für die folgenden Serienteile doch deutlich.

Um es zu betonen: Was mich immer am meisten ärgert, sind faktische Fehler die zu vermeiden wären, würde man mal die Expertenstimmen nicht nur interviewen und irgendwie als schmückendes Beiwerk in die Doku einbetten, sondern sie bitten über das endgültige Skript des Autoren zu schauen.
Es zeigt sich das Bemühen, einerseits ein ausgewogenes Bild der islamischen Welt zu zeichnen, also nicht nur Blut und Terror des Islams zu zeigen, wie es seit Peter Scholl-Latour im ZDF üblich geworden war, andererseits wird gleichzeitig in den dargestellten Bildern das Gegenteil gemacht, indem zum Beispiel möglichst grimmig dreinblickende Schauspieler gecastet wurden, die die Mauren und Araber darstellen sollten. Weiterhin zeigt sich hier ein Geschichtsbild in dem Offsprecherkommentar, welches noch manchmal auf dem Forschungsstand der 1950er Jahre steckengeblieben ist, einerseits bei den Fakten, anderseits eine künstliche Dichotomie, also eine Überbetonung von "wir" gegen "die da unten" erzeugt wird, vor allem ein unzulässiger roter Faden von Tours und Poitiers bis zum 11. September gezogen wird.
Das fängt schon damit an, dieses Scharmützel um Tours und Poitiers als "Entscheidungsschlacht" hochzustilisieren, und dieses Ereignis überhaupt so groß zu thematisieren, andererseits betont die Doku, dass dieses Ereignis eigentlich relativ unbedeutend war für die arabisch-abendländischen Beziehungen.
Und hört damit auf, die Kreuzzüge in der Doku quasi mit der alten "Kirchenpropaganda" zu legitimieren, dass der Papst "nur" den freien Zugang zu den Pilgerstätten wiederherstellen wollte, und die geschändete Grabeskirche rächen wollte. Unterschlägt aber, dass zu der Zeit, wo der Papst dieses propagierte, schon Generationen (!) von Pilgern in eine schon vor Generationen wiederaufgebaute Grabeskirche (1009 zerstört, durch einen fanatischen schiitischen Fatimiden) frei pilgern konnten, also dieser konkrete Anlass nur ein Vorwand war. Wenn der Papst diese Gründe aufführte, dann log er bewusst seine Zuhörer an, denn ihm musste die Lage der christlichen Pilger zu seiner Zeit bekannt gewesen sein. Was anderes war die Lange des byzantinischen Reiches, welches durch die Seldschuken in die Defensive geriet.

Siehe Kreuzzüge im Schnelldurchgang hier im Blog, wo ich in etwa die wichtigsten Gründe aufzählte.

Und wieso sich auch in dieser Doku die Skript-Autoren gelegentlich über die zitierten Experten erheben, und nach dem Interview ihre eigene Sicht darlegen, mit dem Wort "dennoch" oder "aber" einleitend, bleibt nur ihr eigenes Geheimnis. Dabei sind durchaus honorige Experten für arabisch-islamische Geschichte geladen worden, was bei etlichen Dokus nicht immer der Fall ist, da oft auch Allgemeinhistoriker oder Generäle a.D. diese Rolle ausfüllen müssen.

Und geradezu lächerlich wird diese Doku, und die suggerierte Seriosität und der publizierte Aufwand, wenn man sich neben dem historisch nicht immer korrekten Equipment der Protagonisten - als gäbe es keinerlei Kataloge mit islamischer Kunst, Waffen, Ausrüstungen, etc - einige Computersimulationen anschaut. So wird zum Beispiel das neu gegründete Bagdad mit osmanischen Moscheenachbauten gezeigt (neben der Stilistik liegen 800 Jahre dazwischen!), so als würde man Paris statt mit dem Notre Dam, mit der Jahrhunderte später errichteten St. Pauls Kathedrale aus London darstellen, oder mit der Sagrada Família aus Barcelona von Gaudi. Das zeigt einmal mehr, wie wenig Ahnung diejenigen haben, die die Gesamtleitung besitzen und alles zu überblicken und abzusegnen haben.

Aber ich breche hier mal ab, sonst schreibe ich noch genau dieselbe Kritik, die ich im Entwurf bereits verfasste, oder greife der sowieso unten noch folgenden Kritik zu viel vorweg.

Ich schrieb im Titel des Blogs "Ausbreitung des Islams mit "Feuer und Schwert"?" bewusst mit Fragezeichen.

Damit will ich auch die in dieser Doku (eher leise) anklingenden Mär ansprechen, dass die Religion des Islams sich mit Feuer und Schwert verbreitete, wie es in der Öffentlichkeit allgemein geglaubt wird. Also nach dem Motto: "Stirb, oder konvertiere zum Islam!"
Nein.
Man muss die territoriale Ausbreitung des arabischen und folgender Reiche trennen von der Ausbreitung der Religion des Islams.


Ich hatte dazu im Blog schon ein Gespräch aus einem Forum zu diesem Missverständnis gepostet, ein Missverständnis, welches sich wohl aus Erfahrungen mit christlichen Reichen speist, und dieses auf die islamischen Reichen unzulässigerweise übertragen bzw. pauschalisiert wird.

Islam eine Missionsreligion?

Trotz all der Kritik, die Prof. Schöller und ich gleichermaßen haben, müssen wir die Kirche auch im Dorf lassen, denn es ist einerseits nicht alles falsch, was in der Doku gesagt wird, erst recht nicht von den interviewten Experten, es gibt qualitativ sehr hochwertige Bilder, und man muss auch bedenken, dass wir schon wesentlich schlechtere Dokus gesehen haben. Immerhin wird ja erwähnt, dass die Religion oft nur Vorwand war, dass die eigentlichen Beweggründe nicht selten auch oder vorrangig Machtpolitik war. Oder Beute. Und dieses auf beiden Seiten. Damit bekommen wir gleichermaßen einen Einblick in den stattgefundenen oder stattfindenden Wandel des historischen Bildes des "Glaubenskriegers des Islams", von der Vorstellung des Ghazi, des "islamische Ritters", also der Evolution der früheren Ansicht der Historiker, aufgrund seines Glaubenseifers habe das Ghazitum so viel Erfolg bei der Gründung islamischer Reiche, hin zu einer anderen Bewertung seiner Beweggründe oder der Erfolgsfaktoren bei der Expansion zum Beispiel des Osmanischen Reiches. Siehe z.B. die Wittek-Debatte.

Aber wie schon erwähnt, leider trotz GEZ-Millionen Chance vertan!

Hier kann man sich den ersten Teil der Serie Der heilige Krieg: Das Schwert des Propheten vollständig anschauen:
(Bitte Doppelklick auf das Fenster für Vollbildansicht)





Hier nun einige Appetithappen aus der Kritik zur ZDF-Dokumentation. Für die vollständige Kritik, die sehr lesenswert ist, bitte auf den Link klicken.

Die Grüne Flut
oder: Das ZDF erklärt den heiligen Krieg

Vom Islamwissenschaftler Prof. Dr. Marco Schöller, Münster

Was für eine Chance hat man da vertan! Nun hatte das ZDF die Zuschauer bereits in einer »Pilot-Doku«, die Sonntagnacht ausgestrahlt wurde, auf das »Doku-Highlight« des Jahres vorbereitet. Mit salbungsvollen Worten bemühte sich dort Guido Knopp darzulegen, dass es bei den Konflikten zwischen Christen und Muslimen eigentlich gar nicht um den Glauben oder die Religion gehe, sondern vielmehr um weltliche Macht und irdische Herrschaft. ...

Im Mittelpunkt der ersten Folge stand die Schlacht von Tours und Poitiers, die im Oktober 732 stattfand.
... [dabei es] weniger um eine Abwehr der »islamischen Expansion« ging. So jedoch wurde es in der ZDF-Doku insinuiert: »Bis nach Tours führte die Expansion«, hieß es, und Karl Martell, der Held der Christenheit, brachte sie zum Stillstand: Es war »der Anfang vom Ende der muslimischen Expansion in Europa«. Zugleich wurde man aber des Öfteren belehrt, dass das Bild der Schlacht in der Nachwelt verklärt worden sei und man dem Mythos des Sarazenenbezwingers Martell nicht zum Opfer fallen dürfe. Und hierin wird das Dilemma dieser wie auch anderer ZDF-Dokus ähnlicher Machart deutlich: Verschiedene Experten,
Historiker wie auch Islamwissenschaftler, bemühten sich um eine sachliche Beurteilung der Fakten, doch wurden deren Aussagen durch die Bilder und die Kommentare zu den Spielfilmszenen, die eine durchaus andere Botschaft hatten, quasi bedeutungslos.


Auch die Schlacht bei Tours war, was die Geschichte des christlich-muslimischen Konfikts angeht, bedeutungslos. Mitstreiter von Karl Martell paktierten davor und danach mit Muslimen, wenn es ihren Plänen diente; die Muslime waren in den Jahrzehnten zuvor und danach in Frankreich präsent, wenn auch immer nur in kleiner Zahl und in Form von Kampftrupps, die auf Beute, nicht auf Landnahme aus waren. In der arabischen Überlieferung hat die Schlacht keinerlei Spuren hinterlassen, zu unbedeutend war sie und zu sehr »ab vom Schuss« hatte sie sich zugetragen. Der wirkliche Konflikt zwischen Christen und Muslimen spielte sich zu dieser Zeit auch gar nicht in Westeuropa ab, sondern an den Grenzen des byzantinischen Reiches im Gebiet der heutigen Südosttürkei. ...

Ein großes Problem in dieser ZDF-Doku waren die wiederholt eingeblendeten Karten, auf denen die »islamische Expansion« als eine sich rasant ausbreitende grüne Fläche dargestellt wurde, eine »grüne Flut«. »Innerhalb von wenigen Jahren besetzten die Muslime fast die gesamte iberische Halbinsel« hörten wir da, und Nordafrika sei »im Handstreich« erobert worden. Das ist natürlich Unsinn. Was mit diesen Karten und mit Worten wie »Besetzung«, »Expansion«, »Landnahme« und »Eroberung« insinuiert wird, hat sich in der Geschichte so nicht zugetragen.
...Über Jahrhunderte blieb die Mitte der iberischen Halbinsel, zwischen Tajo und Duero, ein kaum besiedeltes Gebiet, das weder ganz unter christlicher noch unter muslimischer Herrschaft stand. Noch im 12. Jahrhundert hören wir von christlichen Dörfern, die sich südlich von Granada (also ganz im Süden der iberischen Halbinsel und somit dort, wo sie am meisten islamisch geprägt war) revoltierten. Und dasselbe ließe sich auch über den Iran sagen: Noch Jahrhunderte nach der Ankunft der ersten Muslime gab es dort Regionen, die noch nicht islamisch waren; Feuertempel der Zoroastrier wurden an vielen Orten noch im 11. Jahrhundert neu errichtet. Als die Seldschuken im 11. Jahrhundert im Nordiran einfielen, fanden sie dort die alten persischen, aus vor-islamischer Zeit fortgeführten Dorf- und Stammesstrukturen mehr oder weniger unverändert vor. Schließlich wurde auch Nordafrika nicht »im Handstreich« erobert, sondern es brauchte viele Jahrzehnte, von etwa 650 bis 800, bis die Muslime wenigstens die Küstenebenen einigermaßen unter Kontrolle hatten. Von einer eigentlichen Islamisierung Nordafrikas konnte noch für lange Zeit keine Rede sein; im 11. Jahrhundert gab es im Gebiet des heutigen Tunesien noch mehrere Bischöfe, die zu einem Konzil nach Rom reisten.
Was wir bei der sogenannten »islamischen Expansion« vor uns haben, ist eigentlich eine Migrations- und Akkulturationsbewegung, die über Jahrhunderte andauerte. Sie ähnelt in vielerlei Hinsicht der Migration germanischer Stämme in der Spätantike, die gemeinhin als »Völkerwanderung« bekannt ist.

... Historische Karten, die uns farbenfroh suggerieren, wir hätten es hier mit »Reichen« und »Landnahmen« im modernen Sinn zu tun, können diesen komplexen Prozess nicht abbilden, ja sie schaffen die Illusion einer »grünen Flut«, die es so niemals gegeben hat. 


Die Schlacht bei Tours hat keine islamische Expansion nach Frankreich verhindert, weil es diese nicht gab. Schon auf der weitläufigen iberischen Halbinsel waren die Muslime nicht in ausreichender Zahl präsent, um dort eine durchgehende »Besetzung« zu forcieren. Und von einer Islamisierung ganz zu schweigen: Wir können heute davon ausgehen, dass auch in den Gebieten des südlichen Spaniens und Portugals (al-Andalus) die Christen noch im 15. Jahrhundert, also nach 700 Jahren formeller muslimischer Herrschaft, die Mehrheit der ländlichen Bevölkerung stellten. ...

Allerdings fehlen uns, wenn wir die islamische Überlieferung nicht unbesehen übernehmen, die tatsächlichen historischen Kenntnisse, um sagen zu können, welche Rolle der Begriff »Dschihad« in der Frühzeit des Islams wirklich gespielt hat. Besonders bemerkenswert war in diesem Zusammenhang die Aussage, der Erfolg des Islams lasse sich am besten an Mekka ablesen. Richtig ist hingegen, dass er sich, wenn irgendwo, so am wenigsten an Mekka ablesen lässt. Mekka war wenige Jahrzehnte nach dem Tod des Propheten im Niemandsland der Geschichte verschwunden und blieb dies bis in späte 18. Jahrhundert. ...

Man hat also, muss man ernüchtert feststellen, in dieser ZDF-Doku die Chance vertan, den eigentlichen Charakter der islamischen Expansion in ihrer historischen Komplexität darzustellen.

... Es sind auch nicht die (wenigen) Dschihad-Schriften, die zur Zeit der Kreuzzüge oder in al-Andalus entstanden sind – einige von ihnen wurden in der Moderne noch nie veröffentlicht! –, sondern die Dschihad-Traktate des zu Beginn des 19. Jahrhunderts gegen die französische Kolonialmacht anschreibenden Dan Fodio, die man heute auf den Straßen Kairos kaufen kann. ...
Und man beachte, dass alle von der ZDF-Dokumentation ausgewählten Episoden um Ereignisse kreisen, die von Angriffen der Muslimen handeln, mit Ausnahme der christlichen Eroberung Jerusalems ....
Hier die vollständige Kritik



ZDF-History: Kreuz gegen Halbmond

Es gab bereits am Sonntag eine Zusammenfassung, quasi ein Teaser für die gesamte Reihe in der Sendung ZDF-History zu sehen. Ehrlich gesagt, gefiel mir diese Sendung etwas besser, als der erste Teil der Reihe "Heiliger Krieg". Besonders die Interviews, auch wenn wieder einige Fehler, darunter auch grobe, enthalten waren. Das ZDF schreibt:

Ein Gott, zwei Weltreligionen: Lange Jahre der Gewalt, unheilige Kriege um den richtigen Glauben. Aktion und Reaktion durch die Jahrhunderte. Tatsächlich ging es aber selten um Religion, meistens geht es um Macht und neuerdings oft ums Erdöl.

Hier die vollständige Doku: ZDF-History: Kreuz gegen Halbmond:




Es gibt auch noch unveröffentlichte Interviewausschnitte mit den Nahost-Experten. Diese kann man sich auf dieser interaktiven Internetseite zur TV-Doku anschauen:

Kreuz und Halbmond



Nun also zum Abschluss eine Erläuterung aus einem Standardwerk der Orientalistik, wie die Araber so schnell expandieren konnten, ob sie die Religion des Islam mit "Feuer und Schwert" verbreiteten, und andere Themen. Dazu ist noch zu anzumerken, dass die dort angeführten Themen gegebenenfalls heutzutage teilweise veraltet sind. Aber immer noch fundierter sind, als es in vielen eher populärwissenschaftlichen allgemeinen Geschichtsbüchern oder gar in Schulbüchern dargestellt wird.

Den vollständigen Text kann man sich in googlebooks anschauen. Hier einige längere Auszüge aus dem empfehlenswerten Buch:


Noth, Albrecht: „Früher Islam“, in: Haarmann, Ulrich (Hrsg.): Geschichte der arabischen Welt, München 2001.


Wer nicht weiß, ob ihn dieses Thema interessiert, für den habe ich vor dem eigentlichem längerem Zitat, einige interessante Häppchen herausgesucht, die vielleicht Interesse am gesamten Text wecken könnten, und vielleicht auch einige tradierte Vorstellungen bereits ins Wanken bringen können.



Prof. Albrecht Noth



Die arabisch-islamische Expansion


(futuh = Eroberung/en)

Als charakteristisch für die arabisch-islamische Expansion sind immer wieder ihre ungewöhnliche Schnelligkeit ebenso wie ihre anscheinend unaufhaltsame Stetigkeit hervorgehoben worden. Schon ein kurzer Blick auf die – übrigens nicht immer ganz sichere – Chronologie der wichtigsten Resultate muslimischer Eroberungstätigkeit ist allerdings beeindruckend: [...]

Es ist verständlich, daß man sich immer wieder um Erklärungsmodelle für diese frappierend schnellen und weiträumigen Eroberungs-Erfolge der Muslime im ersten islamischen Jahrhundert bemüht hat. Diese Suche nach den Ursachen hat m. E. bisher vor allem zweierlei ergeben : Zum einen sind alle Deutungsversuche wenig überzeugend, die die Rolle des Islam als neue Lebens- und (in weitestem Sinne) politische Ordnungsform dabei minimieren oder als Faktor gar ausklammern wollen, zum anderen wird man sich von eher monokausalen Erklärungen weg auf die Annahme und in vielem noch zu leistende Erforschung einer – alles andere als unkomplizierten – Polykausalität hin zu bewegen haben. […]

Wenn wir die muslimische Seite der ersten futūh-Erfolge betrachten, so erscheint zunächst als wesentlicher Faktor die Tatsache, daß es […] offenbar gelang, tribale Gruppen in den Randzonen für eine – zunächst wohl nur als lokal und zeitlich begrenzt gedachte – Zusammenarbeit zu gewinnen, für gemeinsame Aktionen also, deren Ziele nicht genau festgelegt waren, die aber den miteinander Verbündeten aufgrund der wechselseitigen Stärkung erfolgversprechend erschienen (und ja auch erfolgreich waren) und bei denen muslimischerseits das Bekenntnis der Partner zum Islam nicht unbedingt als Voraussetzung für die Zusammenarbeit verlangt wurde.

[...] lassen bereits in den Anfängen eine Verhaltensweise der Eroberer erkennen, die außerordentlich weitreichende Konsequenzen haben sollte : ihre Bereitschaft (und Fähigkeit) zum Kompromiß und Arrangement. Eine muslimische Ökumene– so läßt sich hier schon generalisierend feststellen – ist wesentlich durch Vereinbarungen und Verträge
zustandegekommen und nicht durch eine praktizierte Missionskriegs-Mentalität.

"[...] In dieser Situation war es nun von höchster Bedeutung, daß die allmählich vordringenden Muslime von der eingesessenen Bevölkerung in den Provinzen der Großreiche durchweg Unterwerfung, nicht aber Konversion zum Islam verlangten ; zwar erging muslimischerseits in der Regel eine Aufforderung zur Islam-Annahme (da‘wa), aber die Konsequenzen einer Ablehnung waren nun eben nicht muslimische Versuche, einen Religionswechsel mit kriegerischen Mitteln zu erzwingen. [...]

Es entwickelte sich die für die muslimischen Eroberungen so typische und für ihren Erfolg so entscheidende Vertragspraxis der Eroberer, der bei aller Verschiedenheit der Abmachungen das einfache Schema zugrundelag: Die Muslime erhalten Abgaben (eben : ğizya) – ihre Vertragspartner erhalten Schutz (dimma), dies bei wechselseitiger Abhängigkeit der Konditionen. […] Die Muslime auf der Basis derartiger Verträge, die wohl fast durchweg schriftlich fixiert worden sind, als neue Oberherren zu akzeptieren, fiel großen Teilen der betroffenen Bevölkerung offensichtlich nicht allzuschwer, [...]

[...] Die ausgehandelten Abgaben dürften des öfteren niedriger als die vordem abzuführenden Steuern gewesen sein; [...]

Wesentlicher aber war die muslimische Schutzgarantie für die freie Religionsausübung, eine Garantie, an die sich die Eroberer fast durchweg strikt hielten, auf Einschränkungen nur dort insistierten, wo die praktische Ausübung des Fremdkultus der eigenen Religionspraxis störend oder belästigend in den Weg trat. Religionsfreiheit hatte aus den eben genannten Gründen für viele der von der muslimischen Eroberung betroffenen Untertanen der beiden zentralistischen Großreiche bis dato nicht bestanden, der Herrschaftswechsel brachte somit in einem wesentlichen Bereich erhebliche Vorteile, ja die muslimischen Eroberer wurden mitunter regelrecht als Befreier begrüßt. […]

Die muslimische Vertragsbereitschaft und Vertragspraxis, legitimiert durch prophetische Präzedenz und göttliche Offenbarung, darf man als die entscheidende Basis betrachten, auf der die futūh überhaupt erst möglich wurden. […]

[...] »Ein Buddha-Tempel ist (ja schließlich) nichts anderes als die Gotteshäuser der Christen und Juden und die Feuer-Heiligtümer der Zoroastrier (magűs).« [...]

[...] Auch erforderte gelegentlicher Vertragsbruch von seiten der unterworfenen Nicht-Muslime kriegerische Interventionen. Doch es konnte eben auch sehr häufig auf den Einsatz kriegerischer Mittel verzichtet werden, zumal nachdem die überraschend günstigen Unterwerfungs-Konditionen zunehmend mehr bekannt geworden waren und sich die Tatsache herumgesprochen hatte, daß sich die Muslime in der Regel an ihre Vereinbarungen hielten. [...]



Die Verbreitung des Islams, wirklich mit "Feuer und Schwert"?
(nasridisches Schwert, 14. oder 15. Jh.)


Hier nun das komplettere Zitat, mit einigen Kürzungen.


Prof. Albrecht Noth
Die arabisch-islamische Expansion

(futuh = Eroberung/en)

Als charakteristisch für die arabisch-islamische Expansion sind immer wieder ihre ungewöhnliche Schnelligkeit ebenso wie ihre anscheinend unaufhaltsame Stetigkeit hervorgehoben worden. Schon ein kurzer Blick auf die – übrigens nicht immer ganz sichere – Chronologie der wichtigsten Resultate muslimischer Eroberungstätigkeit ist allerdings beeindruckend: Ausgehend von ersten muslimischen Einfällen ins persisch-sassanidische Südmesopotamien und ins byzantinisch kontrollierte Südpalästina in den Jahren 633/34 wird bereits 635 Damaskus eingenommen ; bald danach – möglicherweise in ein und demselben Jahr (636) – schlagen muslimische Formationen massive byzantinische und persisch-sassanidische Aufgebote vernichtend und entscheidend erstere am Jordan-Nebenfluß Yarmūk, letztere bei Qâdisiyya (westl. von Nadschaf/Irak); der Sieg bei Qâdisiyya führte letztlich zur baldigen Einnahme der sassanidischen Hauptstadt Ktesiphon/arab.: al-Madâ‘in, mit dem Erfolg am Yarmūk wird Syrien/Palästina de facto muslimisch, die Eroberung der Hafenstadt Caesarea/Qaysariyya (zw. Haifa und Jaffa) 640 nimmt den Byzantinern den letzten Außenposten in ihrer ehemaligen Provinz ; in den Jahren 639–642 unterwerfen sich die Muslime Ägypten, ein späterer (645/46) Versuch der Byzantiner, Alexandrien zurückzugewinnen, scheitert letztlich ; fast gleichzeitig mit der Eroberung Ägyptens, etwa in den Jahren 640–642, kommt nahezu ganz Persien unter muslimische Kontrolle. Entscheidend dürfte die Niederlage eines sassanidischen Heeres bei Nihāwand (im Zagros, südl. von Hamadân) gewesen sein (wohl 642) ; dem folgen in den vierziger und fünziger Jahren die Eroberungen von Südost-Iran und Nord/Ost-Iran (im wesentlichen das Gebiet von Chorasan) ; von Ägypten aus führen, um 650 beginnend, fortlaufende Unternehmungen zur allmählichen Islamisierung Nordafrikas, wichtiger Standort wird das um 670 gegründete Kairuan/al-Qayrawân (heute Tunesien), die letzten Byzantiner verlassen um 700 Nordafrika (Karthago) ; in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre werden die Muslime – mit der entscheidenden Hilfe »abtrünniger« byzantinischer Experten – auch zur See aktiv, 649 können sie Zypern erobern, 655 vor der kleinasiatischen Küste eine byzantinische Flotte vernichten, 652 und 667 Angriffe auf Sizilien unternehmen ; 672 sah sich Konstantinopel selbst zum ersten Mal einer muslimischen Belagerung gegenüber ; bereits 652 war auch Armenien erobert worden, im gleichen Jahr hatten Vorstöße von Ägypten aus nach Nubien zu einer Art muslimischer Kontrolle auch über dieses Gebiet geführt ; das Jahr 711 markiert den Beginn der weitesten muslimischen Vorstöße in die – von Medina aus gesehen – Himmelsrichtungen (Süd-) Ost und (Nord-)West : In diesem Jahr erscheinen muslimische Truppen einerseits zum ersten Mal auf dem indischen Subkontinent (im Sind/Südindus-Gebiet), während ein Jahr später von Chorasan aus die für die weitere islamische Geschichte so bedeutsame Eroberung Transoxaniens einsetzt ; andererseits setzen die Muslime 711 von Nordafrika (Tanger) aus nach Spanien über und schlagen den letzten Gotenkönig (Roderich) entscheidend ; in den folgenden zwei bis drei Jahrzehnten gelang es dann bekanntlich, nahezu die gesamte Iberische Halbinsel und (zeitweilig) größere Teile Südfrankreichs unter muslimische Kontrolle zu bringen ; das christliche Abendland beginnt eine »Sarazenen«-Gefahr zu spüren ; hundert Jahre nach dem Tod des Propheten muß (732) ein – wohl eher »Razzia«-artiger – Vorstoß der »Sarazenen« in Richtung Loire von Karl Martell in der Gegend zwischen Tours und Poitiers aufgehalten werden : Der nicht mehr genau zu lokalisierende Platz des Treffens verbindet sich in der abendländischen Geschichtsbetrachtung mit der endgültigen Bannung einer großen Gefahr, in der islamischen Geschichtsüberlieferung nennt er sich »(Befestigte) Straße der (Krieger-)Märtyrer (balât aš-šuhadâ‘)« ; von muslimischer Seite aus gesehen sehr viel schwerwiegender und ernüchternder war allerdings die, trotz großen Aufwandes erfolglose, zweite und für sehr lange Zeit letzte Belagerung von Byzanz in den Jahren 715–718 gewesen. Ganz allgemein läßt sich zur Mitte des achten Jahrhunderts hin ein Abflauen muslimischer Eroberungs-Aktivität verzeichnen ; die Befestigung und – nicht immer erfolgreiche – Verteidigung der erreichten Grenzen tritt zunehmend in den Vordergrund.

Es ist verständlich, daß man sich immer wieder um Erklärungsmodelle für diese frappierend schnellen und weiträumigen Eroberungs-Erfolge der Muslime im ersten islamischen Jahrhundert bemüht hat. Diese Suche nach den Ursachen hat m. E. bisher vor allem zweierlei ergeben : Zum einen sind alle Deutungsversuche wenig überzeugend, die die Rolle des Islam als neue Lebens- und (in weitestem Sinne) politische Ordnungsform dabei minimieren oder als Faktor gar ausklammern wollen, zum anderen wird man sich von eher monokausalen Erklärungen weg auf die Annahme und in vielem noch zu leistende Erforschung einer – alles andere als unkomplizierten – Polykausalität hin zu bewegen haben. […]

Die historischen Voraussetzungen für die ersten – so entscheidenden – Erfolge muslimischer tribaler Gruppen außerhalb der Arabischen Halbinsel waren in den dreißiger Jahren des siebten Jahrhunderts ohne Zweifel äußerst günstig. Im Norden und Nordosten, wo im übrigen geographische Barrieren (zumindest für Araber) nicht vorhanden waren, befanden sich weitestgehend unbefestigte und immer schon durchlässige Randgebiete von entfernten Provinzen der beiden Großreiche (Byzanz, Iran der Sassaniden-Dynastie), die schließlich – ersteres in wesentlichen Teilen, letzteres insgesamt – der muslimischen Eroberung zum Opfer fielen. Diese beiden seit langem konkurrierenden Imperien hatten zudem bis kurz vor dem Erscheinen muslimischer Formationen auf ihrem Territorium im Kampf um die Herrschaft über Syrien erschöpfende Kriege miteinander geführt und waren im hier entscheidenden Zeitraum auch innerpolitisch alles andere als stabil. Ernsthafte – und vor allem schnelle – Reaktionen auf die ersten lokalen Erfolge der Muslime mögen gerade auch aus diesen Gründen nicht erfolgt sein. Wesentlicher allerdings scheint eine Fehleinschätzung (Unterschätzung) des Gegners gewesen zu sein, die jedoch den seinerzeit Verantwortlichen kaum anzulasten ist : An ephemere Überfälle arabischer tribaler Gruppen auf die jeweiligen Randzonen im Süden (Byzanz) und Osten/Südosten (Iran) war man seit langer Zeit gewöhnt, sie waren lästig, stellten aber keine essentielle Gefahr dar. Die ersten muslimischen Angriffe hatten nun – gerade auch aus der Ferne gesehen – den traditionellen »Razzia«-Charakter ; daß sie im Zusammenhang mit einer gänzlich neuen politischen Konzeption standen, war nicht sofort zu erkennen ; als die Gefahr dann in ihrem ganzen Ausmaß deutlich wurde und die beiden Großreiche mit massiven Aufgeboten reagierten – die beiden schon kurz erwähnten Schlachten am Yarmūk und bei Qâdisiyya (wohl 636) markieren hier den Höhepunkt und aufgrund der muslimischen Siege auch schon den Anfang vom Ende –, war der entscheidende Zeitpunkt für eine erfolgreiche Abwehr bereits verpaßt, zu fest schon hatten sich die Muslime in ihren Zielreligionen etablieren können.
Wenn wir die muslimische Seite der ersten futūh-Erfolge betrachten, so erscheint zunächst als wesentlicher Faktor die Tatsache, daß es […] offenbar gelang, tribale Gruppen in den Randzonen für eine – zunächst wohl nur als lokal und zeitlich begrenzt gedachte – Zusammenarbeit zu gewinnen, für gemeinsame Aktionen also, deren Ziele nicht genau festgelegt waren, die aber den miteinander Verbündeten aufgrund der wechselseitigen Stärkung erfolgversprechend erschienen (und ja auch erfolgreich waren) und bei denen muslimischerseits das Bekenntnis der Partner zum Islam nicht unbedingt als Voraussetzung für die Zusammenarbeit verlangt wurde. Unter diesen Partnern der Muslime scheinen vor allem auch tribale Gruppen gewesen zu sein, die theoretisch »in Diensten« der Großreiche standen, nämlich – im Rahmen von deren bewährter Politik, ihre Grenzen vor Arabern durch Araber schützen zu lassen – gegen ein Entgelt Überfälle von Süden kommender Stämme und Clans abzuwehren hatten. Die tribalen Gruppen in den Randzonen – ob nun von den Großreichen abhängig oder nicht – hatten mit Sicherheit von der Konstituierung des umfangreichen Bündnissystems […] erfahren ; ihre teilweise Bereitschaft zur Zusammenarbeit dürfte eine Ausrichtung nach dem Erfolg gewesen sein ; den Muslimen jedenfalls verhalf sie wesentlich zur Besetzung erster wichtiger Positionen in Syrien/Palästina und am Euphrat.
Die Abmachungen zwischen den muslimischen Eroberern, welch letztere man sich – zumindest in den ersten Jahrzehnten – nicht so sehr als geordnete Heere, sondern eher als eine Vielzahl von recht selbständig agierenden tribalen Einheiten vorzustellen hat, und Stammesgruppierungen in den Grenzregionen mit dem Ziel gemeinsamer Unternehmungen, ohne daß von den Muslimen das (sofortige) Bekenntnis der Kooperationswilligen zum Islam eingefordert wurde, lassen bereits in den Anfängen eine Verhaltensweise der Eroberer erkennen, die außerordentlich weitreichende Konsequenzen haben sollte : ihre Bereitschaft (und Fähigkeit) zum Kompromiß und Arrangement. Eine muslimische Ökumene – so läßt sich hier schon generalisierend feststellen – ist wesentlich durch Vereinbarungen und Verträge zustandegekommen und nicht durch eine praktizierte Missionskriegs-Mentalität. Den Muslimen ist anscheinend sehr schnell deutlich geworden, daß die autochthone Bevölkerung in den Regionen ihrer ersten Vorstöße zu großen Teilen wenig Grund und Neigung zur Loyalität gegenüber den Repräsentanten der jeweiligen politischen Ordnungen hatte, in die sie eingebunden war, daher auch keine großen Anstrengungen unternahm, diese ernsthaft zu verteidigen. Der Grund hierfür ist vor allem in bereits seit langer Zeit schwelenden und zum Teil erbittert ausgetragenen Religionskonflikten zwischen Provinzbevölkerung und herrschender Staatsgewalt zu suchen ; dies gilt vornehmlich für die byzantinischen Gebiete, trift aber zum Teil auch auf das sassanidische Iran zu. Die Christen in Syrien/Palästina und Ägypten (Kopten) gehörten überwiegend monophysitischen Glaubensrichtungen des Christentums an, waren damit im Sinne der »orthodoxen« (chalkedonischen) byzantinischen Staatskirche Häretiker und seit langem erheblichen Pressionen ausgesetzt ; im westlichen Iran gab es große Gruppen von (nestorianischen) Christen und von Anhängern anderer Religionsgemeinschaften, die mit dem staatstragenden Zoroastrismus nicht in Einklang standen. Eine politische Neuorientierung, möglicherweise ein Wechsel in der Herrschafft, konnten daher großen Teilen der autochthonen Provinzbevölkerung in Syrien/Palästina und im Irak durchaus als attraktiv erscheinen, falls sie sich unter Voraussetzungen vollzogen, die eine Verbesserung ihrer Lebensumstände versprachen.
In dieser Situation war es nun von höchster Bedeutung, daß die allmählich vordringenden Muslime von der eingesessenen Bevölkerung in den Provinzen der Großreiche durchweg Unterwerfung, nicht aber Konversion zum Islam verlangten ; zwar erging muslimischerseits in der Regel eine Aufforderung zur Islam-Annahme (da‘wa), aber die Konsequenzen einer Ablehnung waren nun eben nicht muslimische Versuche, einen Religionswechsel mit kriegerischen Mitteln zu erzwingen. Man hatte es nämlich während der futūh vornehmlich mit »Schriftbesitzern« zu tun. Mit Schriftbesitzer«-Gruppen auf der Arabischen Halbinsel hatte sich bereits der Prophet verschiedentlich vertraglich geeinigt, und in Sure 9,29 war offenbart worden, daß diese zu bekämpfen seien, bis sie eine Abgabe (ğizya) entrichten ; und diese war in Art und Höhe nicht festgelegt, somit gab es weiten Verhandlungsspielraum. Da nun die Muslime schon sehr bald über die distanzierte bis feindselige Haltung der ihnen begegnenden Provinzbevölkerung gegenüber ihren Staatsgewalten informiert gewesen sein dürften (entsprechende Hinweise scheinen z. T. von Repräsentanten der Bevölkerung selbst gekommen zu sein), bestimmte zunehmend mehr die ğizya-Alternative der koranischen Offenbarung ihr Verhalten, während die dort viel stärker betonte Aufforderung zum Kampf – ğizya eher als »ultima ratio« ! – in den Hintergrund rückte. Es entwickelte sich die für die muslimischen Eroberungen so typische und für ihren Erfolg so entscheidende Vertragspraxis der Eroberer, der bei aller Verschiedenheit der Abmachungen das einfache Schema zugrundelag : Die Muslime erhalten Abgaben (eben : ğizya) – ihre Vertragspartner erhalten Schutz (dimma), dies bei wechselseitiger Abhängigkeit der Konditionen. […]
Die Muslime auf der Basis derartiger Verträge, die wohl fast durchweg schriftlich fixiert worden sind, als neue Oberherren zu akzeptieren, fiel großen Teilen der betroffenen Bevölkerung offensichtlich nicht allzu schwer, zumal nachdem abzusehen war, daß die Muslime Herr der Lage bleiben würden und Sanktionen der möglicherweise zurückkehrenden früheren Staatsgewalten kaum mehr zu befürchten waren : Die ausgehandelten Abgaben dürften des öfteren niedriger als die vordem abzuführenden Steuern gewesen sein ; die anfängliche Unerfahrenheit der Muslime in diesen Dingen erwies sich hier als günstig. Wesentlicher aber war die muslimische Schutzgarantie für die freie Religionsausübung, eine Garantie, an die sich die Eroberer fast durchweg strikt hielten, auf Einschränkungen nur dort insistierten, wo die praktische Ausübung des Fremdkultus der eigenen Religionspraxis störend oder belästigend in den Weg trat. Religionsfreiheit hatte aus den eben genannten Gründen für viele der von der muslimischen Eroberung betroffenen Untertanen der beiden zentralistischen Großreiche bis dato nicht bestanden, der Herrschaftswechsel brachte somit in einem wesentlichen Bereich erhebliche Vorteile, ja die muslimischen Eroberer wurden mitunter regelrecht als Befreier begrüßt. […]
Die muslimische Vertragsbereitschaft und Vertragspraxis, legitimiert durch prophetische Präzedenz und göttliche Offenbarung, darf man als die entscheidende Basis betrachten, auf der die futūh überhaupt erst möglich wurden. […]
Nur durch die auf Vereinbarungen beruhende Unterstützung von Seiten der Einwohner in den futūh-Regionen ließ sich überhaupt die gesamte Logistik der muslimischen Unternehmungen bewältigen : Verpflegung, Gastung, Führerdienste, Kundschafteraufgaben u. ä. sind denn auch die Dienstleistungen, die in den Verträgen immer wieder begegnen, und manches davon scheint sogar unter der – inhaltlich unbestimmten – ğizya rubriziert worden zu sein. Diese gesamte unentbehrliche, ja überlebensnotwendige, Basis-Unterstützung wäre den muslimischen Eroberer-Gruppen mit Sicherheit nicht zuteil geworden, wenn sie mit dem Konzept einer auf kriegerischem Wege zu erreichenden Zwangsbekehrung zum Islam angetreten wären. Der Einsicht der Muslime in diese Notwendigkeiten ist es wohl auch zuzuschreiben, daß sie im Laufe der futūh den Personenkreis, der durch die koranischen Offenbarungen als »Schriftbesitzer« definiert und infolgedessen – darauf kam es hier an – vertragsfähig auf der ğizya – Schutz/dimma-Grundlage war, erheblich erweitert haben. Hatte man es anfänglich noch in überwiegendem Maße mit »Schriftbesitzern« im koranischen Sinne, nämlich Christen (vor allem) und Juden zu tun, so begegnete man bei den weiteren Vorstößen nach Osten vor allem Anhängern des Zoroastrismus (arab. : magűs). Auch diese wurden nun als »Schriftbesitzer« qualifiziert, womit der Zwang entfiel, sie wie »Götzendiener« unter allen Umständen zum Islam zu bekehren, und sich die Möglichkeit eröffnete, mit ihnen zu vertraglichen Vereinbarungen zu kommen, eine Möglichkeit, von der die muslimischen Heerführer dann auch ausgiebig Gebrauch gemacht haben. Das hier so deutlich sichtbar werdende Bestreben der muslimischen Eroberer, sich die für eine dauerhafte Sicherung ihrer Erfolge und für weitere Verstöße unerläßliche Vertrags-Option – durchweg verbunden mit dem Zugeständnis der Religionsfreiheit – offenzuhalten, belegt besonders eindrucksvoll die Argumentation eines muslimischen Heerführers, der im Sind/Südindus-Gebiet (zu Beginn des achten Jahrhunderts) mit Buddhisten einen Vertrag abschloß und ihnen dabei die Unverletzlichkeit ihres Buddha-Heiligtums garantierte:
»Ein Buddha-Tempel ist (ja schließlich) nichts anderes als die Gotteshäuser der Christen und Juden und die Feuer-Heiligtümer der Zoroastrier (magűs).«
Nun hat natürlich die Vertragsbereitschaft der muslimischen Eroberer nicht ausgeschlossen, daß es im Verlauf der futūh auch immer wieder zu Kämpfen mit der jeweils einheimischen Bevölkerung gekommen ist. Die Muslime hatten ihre militärische Stärke, sei es in Gefechten, sei es bei der Belagerung von festen Plätzen, des öfteren erst einmal zu demonstrieren, bevor ihre nichtmuslimischen Kontrahenten zu der Überzeugung kamen, daß eine vertragliche Einigung mit den Muslimen für sie die vorteilhafteste Lösung sei. Auch erforderte gelegentlicher Vertragsbruch von seiten der unterworfenen Nicht-Muslime kriegerische Interventionen. Doch es konnte eben auch sehr häufig auf den Einsatz kriegerischer Mittel verzichtet werden, zumal nachdem die überraschend günstigen Unterwerfungs-Konditionen zunehmend mehr bekannt geworden waren und sich die Tatsache herumgesprochen hatte, daß sich die Muslime in der Regel an ihre Vereinbarungen hielten. [...]

Wer alles lesen möchte, kaufe sich das Buch, oder schaue in googlebooks nach.

(Bildquelle: Wikimedia CommonsLuis García (Zaqarbal))

1 Kommentar:

  1. Ergänzung: Es gibt für den Schulunterricht wie schon bei vorigen ZDF-Dokus bereitgestelltes Unterrichtsmaterial:
    "Heiliger Krieg" für den Unterricht

    Und was lesen wir da schon in dem ersten Teil zur aktuellen Doku?

    Das Schwert des Propheten`

    "Als Einstieg wird der Tag der militärischen Auseinandersetzung gewählt, der über die
    Eroberung Europas durch den Islam entscheidet: das Datum der Schlacht bei Tours.
    "
    Dazu kann ich nur obiges wiederholen:
    "Auch die Schlacht bei Tours war, was die Geschichte des christlich-muslimischen Konfikts angeht, bedeutungslos. Mitstreiter von Karl Martell paktierten davor und danach mit Muslimen, wenn es ihren Plänen diente; die Muslime waren in den Jahrzehnten zuvor und danach in Frankreich präsent, wenn auch immer nur in kleiner Zahl und in Form von Kampftrupps, die auf Beute, nicht auf Landnahme aus waren. In der arabischen Überlieferung hat die Schlacht keinerlei Spuren hinterlassen, zu unbedeutend war sie und zu sehr »ab vom Schuss« hatte sie sich zugetragen. ... Die Schlacht bei Tours hat keine islamische Expansion nach Frankreich verhindert, weil es diese nicht gab. "

    Dann schreibt das Dokument:
    " Die Rolle der physischen Gewalt bei der islamischen Missio" würde vorgestellt werden? Wo denn? Ich kann mich nicht erinnern, dass dieses in der Doku groß thematisiert würde...

    Dann steht im Dokument als ein Grund für die schnellen Erfolge bei der arabischen Erobungen: "...schließlich durch die religiöse Toleranz, allerdings nur gegenüber den monotheistischen Religionen. "
    Ja, haben sie denn die eigene Sekundärliteratur nicht gelesen, die das ZDF auf seinen Seiten empfiehlt? Es wurde nicht nur gegenüber den monotheistischen Religionen "Toleranz" geübt, sondern auch z.B. gegenüber den Zoroastriern, anfangs auch gegenüber den Manichäern, usw.!

    Ich breche hier mal ab. Leider wird so ein Geschichtsbild den Schülern tradiert, welches immer wieder von Fehlern durchsetzt ist, welches eine Schieflage erhält, welches soooo einfach vermeidbar wäre... Schade, dass auch in dem Verband der Geschichtslehrer Deutschlands e.V (die daran mitgewirkt haben sollen) offenbar niemand existiert, der auch nur die Grundkenntnisse eines Orientalistik-Studenten im Proseminar hat....

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