Mittwoch, 31. August 2011

Burka, Kopftuch, Niqab und Hidschab - 2. Teil

Benazir Bhutto, 1988 erste
Premierministerin von Pakistan. Mit Schleier.
"Die Leute glauben, ich sei schwach, weil ich eine Frau bin. Wissen sie nicht, dass ich eine muslimische Frau bin und dass Musliminnen ein Erbe besitzen, auf das sie stolz sein können? Ich habe die Geduld der Bibi Khadidscha, der Frau des Propheten, Friede sei mit ihm. Ich habe die Ausdauer der Bibi Zainab, der Schwester des Imams Husain. Und ich habe den Mut der Bibi Aisha, der jüngsten Frau des Propheten, die auf ihrem Kamel an der Spitze eines islamischen Heeres in den Kampf zog. Ich bin die Tochter des Märtyrers Zulfikar Ali Bhutto, die Schwester des Märtyrers Schah Nawaz Khan Bhutto, und ich bin eure Schwester. Ich fordere meine Gegner heraus, sich mir auf dem Schlachtfeld der Demokratie zu stellen." (Benazir Bhutto, verstorben am 27. Dezember 2007)
Nun geht es weiter in der Artikelserie über das Kopftuch, den Schleier, den Gesichtsschleier Niqab, und weitere Formen dieser für Frauen typisch islamisch angesehenen Bekleidungsvorschrift. Hier kann man den ersten Teil nachlesen. Zuvor hatte ich schon hier einige Zitate und Gedanken veröffentlicht.

Zitate aus:
Adel Theodor Khoury, Ludwig Hagemann, Peter Heine: Lexikon des Islam. Geschichte, Ideen, Gestalten. 2004

Schleier

Kaum ein Kleidungsstück wird dermaßen mit einer vom Islam geprägten Lebensweise in Verbindung gebracht wie der Schleier. Traditionell wird er von Frauen und Mädchen nach der Geschlechtsreife getragen. Zwar tragen auch Männer bestimmter Nomadengruppen, wie der Tuareg der Sahara, Gesichtsschleier. Doch sind hier keine religiösen oder quasi-religiösen Gründe für diese Sitte von Bedeutung, sondern ausschließlich praktische und soziale Motive. Die zahlreichen regional unterschiedlichen und sozial differenzierten Formen der Verschleierung muslimischer Frauen lassen sich in fünf Typen einteilen: Körperschleier, Gesichtsschleier, Halbschleier, Gesichtsmaske und Kopftuch. [...]
Es lassen sich raffinierte Muster feststellen, die darauf schließen lassen, daß eine der Funktionen der Kleidung, nämlich die soziale Stellung des Trägers oder der Trägerin auszudrücken, auch hier besteht.

Körperschleier

Als Körperschleier (Tschador) werden solche Formen der Verhüllung von Frauen bezeichnet, die den gesamten Körper von Kopf bis Fuß bedecken und das Gesicht frei lassen. Es finden sich im übrigen Körperschleier, bei denen auch das Gesicht bedeckt ist und der Trägerin eine Orientierungsmöglichkeit durch einen von einem dünnen Stoff bedeckten Augenausschnitt gegeben ist. [...] Die Propagierung des »Tschador« durch die islamische Revolution im Iran hat dazu geführt, daß dies Kleidungsstück als »islamische Kleidung« in die Literatur eingegangen ist.
[...]

Außer auf die »islamische« Haltung der Trägerin oder ihrer Familie weist die Form des Schleiers auch auf ihre soziale Stellung hin. Der Schleier ist vor allem ein städtisches Kleidungsstück.
[...]



Gründe für die Verschleierung

Die Gründe für die Verschleierung von Frauen in der islamischen Welt sind sehr vielschichtig. Sicher ist, daß schon in vorislamischer Zeit auf der arabischen Halbinsel von Frauen und Mädchen Schleier verwendet wurden; doch scheint es sich hier um ein Kleidungsstück vor allem der Oberschicht gehandelt zu haben. Es besteht zumindest die Vermutung, daß der Einfluß von iranischen und byzantinischen Vorbildern hier nicht ohne Bedeutung gewesen ist. Nur unter großen interpretatorischen Bemühungen sind aus dem Koran oder den Prophetentraditionen Verschleierungsgebote abzuleiten. In der Regel wird mit dem Koranvers  33,59 argumentiert: »O Prophet, sage deinen Gattinnen und deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen etwas von ihren Überwurf (djilbab) über sich herunterziehen. Das bewirkt eher, daß sie erkannt werden und daß sie nicht belästigt werden. Und Gott ist voller Vergebung und barmherzig.« In den Überlieferungen und Korankommentaren ist die Bedeutung des Wortes »Djilbab« unsicher. Es kann sich um einen Mantel gehandelt haben, der auch zur Verhüllung des Gesichts verwendet werden konnte. Doch sind auch andere Interpretationen möglich. Sicher ist, daß der Vers darauf abzielte, den freien Musliminnen gegenüber den Sklavinnen ein nach außen hin deutliches Unterscheidungsmerkmal zu verschaffen. Im Laufe der Geschichte dieses Kleidungsstücks im Islam traten immer mehr Varianten in Erscheinung, von denen man wohl nicht annehmen kann, daß sie schon in der islamischen Frühzeit üblich waren. Dennoch haben die verschiedenen Formen der Verschleierung über den temporären und auf eine bestimmte ethnische oder soziale Gruppe beschränkten Gebrauch hinaus ihren festen Platz im Formenbestand der islamischen Frauenkleidung einnehmen können. Angesichts der wenig ausführlichen Hinweise im Koran und in den Prophetentraditionen muß es verwundern, daß sich die Praxis der völligen oder partiellen Verschleierung in den zahlreichen, so unterschiedlich strukturierten islamischen Gesellschaften allgemein verbreitet hat. Es ist davon auszugehen, daß auch andere Vorstellungen zur Akzeptanz des Schleiers beigetragen haben. Auf den sozialen Aspekt wurde schon hingewiesen. Hinzu kommt vielleicht auch die Tatsache, daß Verhüllung ja auch Schutz bedeuten kann. In Gesellschaften, in denen die Furcht vor dem »bösen Blick« so verbreitet ist, wie das in den mediterranen Ländern zu beobachten ist, kann man erwarten, daß besonders gefährdete Personen wie junge, d.h. gebärfähige Frauen sich gegen diesen schützen. Da der »Böse Blick« vor allem mit Neid in Verbindung gebracht wird, kann ein Kleidungsstück, daß Ursachen für Neid wie Schönheit, Jugend oder Schwangerschaft verbirgt und zur Anonymität beiträgt, als Abwehrmittel gegen derartige Gefahren eingesetzt werden.

Neuere Entwicklungen

Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts hat der Kampf gegen die Verschleierung der Frau einen besonderen Symbolcharakter in den Auseinandersetzungen um Reform und Modernisierung islamischer Gesellschaften gehabt. Der Schleier war Zeichen von Reaktion, Obskurantismus und Unterentwicklung, die Ablegung dieses Kleidungsstücks symbolisierte dagegen Fortschritt, Aufgeklärtheit und Modernität. Daher ist es nicht verwunderlich, daß politische Reformer wie Mustafa Kemal Atatürk in der Türkei, Schah Reza im Iran oder König Amanullah in Afghanistan mit unterschiedlichem Erfolg versuchten, das Tragen des Schleiers zu verbieten. Bis heute ist der Kampf um den Schleier ein, nicht immer sicheres, Zeichen für die Emanzipation von Frauen in islamischen Gesellschaften geblieben.

Literatur:
  • B. A. DONALDSON, The Wild Rue. A Study of Muhammadan Magic and Folklore in Iran, London 1938
    E. DOUTTÉ, Magie et religion dans l'Afrique du Nord, Alger 1908
  • R. DOZY, Dictionnaire détaillé des noms des vêtements chez les arabes, Amsterdam 1845
  • M. FAHMY, La condition de la femme dans la tradition et l'évolution de l'islamisme, Paris 1913
  • A. JEREMIAS, Der Schleier von Sumer bis heute, Leipzig 1931
  • G. JUYNBOLL, Frauenemanzipation und moderne Gesetzgebung im Nahen Osten – einige Beobachtungen, in: A. MERCIER (HRSG.), Islam und Abendland. Geschichte und Gegenwart, Bern 1976, 263-281
  • M. MIDEL, Die arabische Frau und die traditionelle Gesellschaft, in: Afrikanisch-Asiatische Aspekte 7 (1982), 9-31
  • J. H. KRAUSE, Plotina oder die Kostüme des Haupthaares bei den Völkern der Alten Welt, Leipzig 1858
  • S. SCHMITT, Zur Frage des Schleiers in der islamischen Welt, M. A. – Arbeit, Münster 1986
  • H. SCHÖNIG, Die rechtliche Stellung der Frau im Islam, in: Zeitschrift für Kulturaustausch 35 (1985), 439-443
  • U. WIKKAN, Behind the Veil in Arabia. Women in Oman, Baltimore 1982
  • M. AKKENT/G. FRAGNER, Das Kopftuch, Frankfurt 1987.

Autor: Peter Heine

Dieses Lexikon ist von 1991 und die Artikel wurden seitdem nicht überarbeitet. Das zeigt sich nicht nur in den Angaben zur Literatur (immer ein guter Tipp, um zu erkennen, wie alt die oft neu aufgelegten Auflagen wirklich sind), sondern auch in dem Fehlen eines inzwischen in der islamischen Welt wichtigen Aspektes beziehungsweise Grundes, der für das Tragen des Kopftuches in der Moderne für viele Frauen wirksam wurde. Nämlich das Tragen des Kopftuches als Ausdruck eines islamischen Feminismus. So fehlen in der Literaturliste wichtige Werke, z.B. von Fatima Mernissi. Gerade weil einige Frauen sich emanzipierten, weil sie selbstbestimmt über ihren Körper verfügen möchten, tragen einige Frauen bewusst wieder ein Kopftuch. Es dient oder diente auch als weiblicher Ausdruck der Abgrenzung, des Aufbegehrens und des Protestes, z.B. in Algerien, gegenüber des repressiven (säkularen) Regimes. Also kann auch das Gegenteil durch das Tragen des Kopftuches zum Ausdruck gebracht werden, als der letzte Satz dieses Lexikons suggeriert. Also Emanzipation sowohl gegen das Kopftuch, als auch manchmal mit dem Kopftuch.
Daher ist es wichtig, möglichst viele meiner Zitate zu lesen, nicht nur selektiv. Außerdem wird auch deutlich, wie sich der "Zeitgeist" ändert, also neue "Legitimationen" zum Tragen des Kopftuches hinzukommen, gegebenenfalls frühere Mehrheitsmeinungen kippen können, wenn zum Beispiel führende Rechtsgelehrte in den 1930er bis 1960er Jahre hinein zumindest einen Gesichtsschleier nicht aus dem Koran und der Sunna ableiten konnten, so ist der Anteil derer, die es heute können, sicher höher geworden, einfach weil der Einfluss der iranischen Revolution, der Einbruch der Moderne und Globalisierung, eine verstärkte Abwehrhaltung in der islamischen Welt verursachte, daher sich konservativere Ansichten breitmachten.

Festzuhalten ist, dass es mir vor allem darum geht, wie aus dem Koran (und den Hadithen) die Kopftuchpflicht abgeleitet wurde und wird. Um dieses nachvollziehen zu können. Um verstehen zu können, warum führende Theologen in der islamischen Welt mal in die eine, mal in die andere Richtung tendieren, wenn auch heute im "Mainstream-Islam", die meisten wohl für eine Kopftuchpflicht plädieren würden. Hingegen nur eine Minderheit ebenfalls eine Pflicht zum Gesichtsschleier aus den Schriften herleiten. Was sagen führende islamwissenschaftliche Experten dazu, die den Koran nicht als gläubige Muslime lesen, sondern einfach nüchtern und von außen die linguistischen Gegebenheiten beschreiben, und nichts hineininterpretieren möchten, da es sie ja (meist) gar nicht betrifft. Denn festzuhalten ist auch, dass im Koran in den entsprechenden Versen das arabische Wort für Kopftuch eben nicht gebraucht wird, was zwangsläufig einige Fragen aufwirft. Außerdem haben wir ja heutzutage auch andere Möglichkeiten sich einem Text zu nähern, als vielleicht klassische muslimische Koranwissenschaften (Tafsir) von vor 1000 Jahren. Interessant ist, dass zum Beispiel selbst Akademiker aus der theologischen Fakultät der Al-Azhar Universität in Kairo, zumindest bislang offensichtlich Schwierigkeiten haben, dem westlichen islamwissenschaftlichen Diskurs zu folgen, denn unterhält man sich mit ihnen, stellt man fest, dass sie manchmal auf den Stand der 1960er Jahre stehengeblieben sind, und gar nicht mitbekommen haben, welche Entwicklungen seither in der westlichen Islamwissenschaft gemacht wurden. Vielleicht liegt es auch an mangelnden Sprachkompetenzen (wie z.B. an der berühmten Orientalistik-Kritik von Edward Said abzulesen ist), denn man braucht heutzutage idealerweise immer noch neben Englischkenntnissen mindestens auch Deutsch- und möglichst Französischkenntnisse, möchte man die neueren Erkenntnisse der Islamwissenschaften folgen.

Wie dem auch sei, durch das Zitieren von möglichst vielen Artikeln vorzugsweise aus zusammenfassenden Lexika und Enzyklopädien gewinnen wir vielleicht so einen umfassenderen Einblick in den momentanen oder früheren Forschungsstand. Und können dieses dann vergleichen mit den Erkenntnissen, die muslimische Autoren uns aufzeigen und dann beurteilen, welche Herleitungen wir als plausibler und gegebenenfalls für uns als zutreffender erachten.

Demnächst geht es weiter mit Ausschnitten aus der berühmten Encyclopaedia of Islam.


(Bildquelle: Wikimedia Commons. Khan Israr Ahmed)

2 Kommentare:

  1. na das ist ja mal der Oberhammer, die Azhar zu entschuldigen nicht auf dem neuesten Stand zu sein, weil die Islamwissenschaft in europäischen Sprachen publiziert. Theologen hier können Deutsch dann Englisch und müssen auch Latein, Griechisch und Hebräisch können. An der Azhar reicht Arabisch, oft dir Muttersprache. Außerdem sollten die Azhar-Theologen auch für innermuslimische Zwecke mit Zielgruppe Muslime im Westen auch dessen Sprachen können. eine Schande ist das.

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  2. Versuche es nicht zu generalisieren. Ich schrieb: "...stellt man fest, dass sie manchmal auf den Stand der 1960er Jahre stehengeblieben sind, und gar nicht mitbekommen haben, welche Entwicklungen seither in der westlichen Islamwissenschaft gemacht wurden. Vielleicht liegt..."
    Also ich habe eine Vermutung angestellt, warum manchmal in Diskussionen mit Studenten der Al-Azhar oder anderen nahöstlichen Unis deren Kenntnisstand nicht so ganz auf dem aktuellen Stand ist.
    So meinten zum Beispiel einige, dass die westlichen Islamwissenschaften alle Hadithe als Fälschung ansehen. Dies war tatsächlich mal eine gewisse Strömung Mitte des letzten Jahrhunderts, unter anderem durch einflussreichen Orientalisten Joseph Schacht, doch inzwischen hat sich diese Ansicht nicht durchgesetzt und seit den 1980er Jahren erheblich relativiert, unter anderem durch Juynboll, Motzki, Schoeler, etc. Dieses war den arabischen Diskutanten offensichtlich nicht bekannt. Diese Beobachtung mag ein Einzelfall sein. Ich habe sie auch nicht gemacht, sondern beziehe mich da auf Beschreibungen von Prof. Dr. Thomas Eich.
    Und "entschuldigen" tue ich nichts, ich beschreibe nur... :-)

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