Belagerung einer Stadt durch die Osmanen |
Er fasste 1993 einige seiner wichtigsten Erkenntnisse in diesem lesenswertem Sammelband zusammen:
Gernot Rotter (Hrsg.): Die Welten des Islam: neunundzwanzig Vorschläge, das Unvertraute zu verstehen. 1993.
Markierungen habe ich hinzugefügt, um Diagonallesern Hilfe zu bieten:
Der Dschihad: sich mühen für Gott
Ein handlich-banales Geschichtsbild
In der nichtmuslimischen, der christlichen/westlichen Welt vor allem, läßt sich eine Art Konsens darüber beobachten, was unter muslimischem Dschihad (Ǧihād) zu verstehen sei. Danach handelt es sich um
- den »Heiligen Krieg« des Islam,
- eingeführt durch den Propheten Mohammed im Koran,
- abzielend auf die Ausbreitung des Islam mit Waffengewalt;
- er sei die permanente treibende Kraft für die Expansion des Islam auf Kosten anderer Religionen
- und, da ein religiöser Dauerauftrag, Grund für die Friedensunfähigkeit von Muslimen.
- Er stellt somit auch heute noch eine beachtliche Gefahr für alle Nichtmuslime dar.
Diese Verbindung von banalem Geschichtsbild und handlichem Beurteilungsraster hat, soweit ich sehe, vor allem drei wesentliche Ursprungsfelder:
1. Historische Tatsachen, die man in diesem Zusammenhang anführen kann, d. h. Teile dieses Vorstellungskomplexes lassen sich - wirklich oder anscheinend - verifizieren.
2. Eine jahrhundertealte und bis heute entscheidend nachwirkende christlich-kirchliche Polemik gegen die »Kriegsreligion« Islam.
3. Aussprüche und Aktionen moderner Repräsentanten des politischen Islam, die solchen Vorstellungen entsprechen.
Zum ersten Punkt kann darauf verwiesen werden, daß umfangreiche Gebiete, die bereits christianisiert waren, durch kriegerische Aktionen, die unter religiösen Aspekten standen, von muslimischer Seite dem Christentum »entrissen« worden sind, sei es endgültig (wie Syrien/Palästina, Nordafrika, Anatolien /Türkei), sei es für längere Zeit (wie Spanien, Balkan). Im übrigen ist der Dschihad tatsächlich Gegenstand der islamischen Offenbarung (Koran) und kann somit als permanenter Auftrag verstanden werden.
Punkt zwei ist vor dem Hintergrund der Tatsache zu sehen, daß sich die abendländische Christenheit immer wieder, selbst in ihren Kerngebieten, wirklich bedroht fühlen mußte (schon früh in Spanien, im Franken-Reich, später in Südosteuropa), daß ferner der Islam theologisch durchweg als eine vom Christentum/Judentum abgespaltene, durch einen sogenannten Propheten (bewußt) in die Irre geführte Sekte qualifiziert wurde, die folglich verabscheuungswürdiger war als unwissendes, somit eher »schuldloses« Heidentum. Zudem erschien der kriegührende Islam als das negative Gegenkonzept zu dem auf dem absoluten Friedensgebot basierenden Christentum.
Zu Punkt drei kann auf die Dschihad-Propaganda und auf als Dschihad bezeichnete Aktionen der jüngsten Zeit verwiesen werden. Daß heutige Vertreter des politischen Islam nicht gerade zu den differenziertesten Geistern gehören, die die muslimische Kultur hervorgebracht hat, kann einer größeren Öffentlichkeit nicht unbedingt bekannt sein. Solch populistisches »Umfunktionieren« der islamischen Dschihad-Idee ist im übrigen - angesichts des Schadens, den es der großen Majorität von andersdenkenden Muslimen zufügt - sicher zu bedauern. Sich gegen derartigen Mißbrauch zu wehren, das muß jedoch den Muslimen selbst vorbehalten bleiben. (...)
Materieller oder geistiger Dschihad?
Im Folgenden soll der Versuch gemacht werden, die weitverbreiteten Klischees vom Dschihad durch ein wirklichkeitsgetreueres Bild zu ersetzen. Dabei geht es mir - dies sei von vornherein klargestellt - am allerwenigsten um Apologetik. Ich teile z.B. in keiner Weise die Ansicht mancher, sich heute zu Wort meldender muslimischer Dschihad-Apologeten, Dschihad sei von Anbeginn und wesentlich »nur« ein allgemeines Sicheinsetzen für die Religion des Islam gewesen, konkreter Kampf dagegen eher eine »Spielart« innerhalb dieses weitgefaßten Rahmens. Zudem - und hier wird ein angeblicher Ausspruch des Propheten angeführt (Koran-Verse stehen als Belege nicht zur Verfügung) - sei der Dschihad mit der Waffe in der Hand dem geistigen Dschihad, dem Kampf gegen die bösen Kräfte der eigenen Seele, immer nachgeordnet gewesen; der innere Kampf stelle somit den eigentlichen Dschihad dar. Nein: Dschihad meint in den koranischen Offenbarungen - und daran lassen auch die frühen muslimischen Kommentatoren, die unter keinerlei Rechtfertigungszwang standen, nicht den geringsten Zweifel - eindeutig kämpferischen Einsatz gegen die sich der Annahme des Islam verschließenden polytheistischen »Ungläubigen« (auf der Arabischen Halbinsel), ein kriegerisches Vorgehen, das sich in einer Vielzahl von militärischen Unternehmungen konkretisiert hat, von denen die bedeutenderen vom Propheten selbst angeführt worden sind. Der innere Dschihad andererseits ist allem Anschein nach ein aus dem konkreten kämpferischen Dschihad nachträglich abgeleitetes Bild: Das sündhafte Verlangen der Seele zu unterdrücken erfordert Anstrengungen wie der bewaffnete Kampf gegen einen gefährlichen und hartnäckigen Feind.
Gewiß wird also keine beschönigende Apologetik das Ziel der folgenden Ausführungen sein, wohl aber der Versuch, einen Eindruck davon zu vermitteln, daß Dschihad, ein zentrales Konzept des Islam, alles andere darstellt als ein undifferenziert-emotionales Gebilde aus Kriegslust und Beutegier mit den Nichtmuslimen als Objekt und Opfer. Basis unserer Beschreibung des islamischen Dschihad-Konzepts werden Koran, islamisches religiöses Gesetz/Scharia (šarīʿa) und historische Ausdrucksformen und Konsequenzen von Dschihad sein. (...)