arabisches Buchcover von Henry Fords "Der internationale Jude" |
Dieser Antisemitismus ist aber nicht nur bei Muslimen verbreitet, sondern auch bei arabischen Christen vor allem in Palästina aber auch anderswo verbreitet (vielleicht ein erster Hinweis darauf, ob religiöse Gründe, oder eher ethnische, nationale, territoriale Gründe vorliegen könnten). Ich persönlich kenne sogar einen, der als Halbstarker in der Intifada auch Steine schmiss, als Christ wohlgemerkt. Diese persönliche Erfahrung hat natürlich keinerlei Aussagekraft. Das nur nebenbei.
Hat also der "islamische Antisemitismus" eine lange "Tradition", oder ist dieses auch "arabischer Antisemitismus" genannte Phänomen nicht vielmehr ein rezentes Phänomen, vor allem auch ein importiertes Phänomen, durch Übernahme von Verschwörungstheorien, Topoi, Vorurteilen, Feindbildern, usw. die in unserem Kulturkreis besonders verbreitet sind und waren?
Ich habe mal in der Britannica Encyclopaedia of World Religions nachgeschlagen, es gibt keinerlei Behandlung eines Antisemitismus durch Muslime, ausser im Artikel Anti-Semitism. Dort steht ganz zum Schluss ein kleiner Absatz, dass sich der Antisemitismus im Nahen Osten nach Gründung von Israel ausgebreitet habe:
The immigration of large numbers of Jews to Palestine in the 20th century and the creation of the State of Israel (1948) aroused new currents of hostility within the Arab world that had previously tolerated the Jewish communities, resulting in the adoption of many anti-Jewish measures throughout the Muslim countries of the Middle East.Ansonsten kommt Antisemitismus in der Enzyklopädie ausschließlich im christlichen Kontext in diversen Artikeln vor.
Und in der 15-Bändigen The Encyclopedia of Religion, Second Edition, 2005 steht im Artikel Anti-Semitism:
However, post–World War II realities created new conflicts into which Judaism and the Jews were absorbed. The creation of the State of Israel in a thoroughly Islamic sphere, the wide-ranging rejection of prior Western colonialism, and accelerating liberal espousal of postcolonial thinking have combined to create new anti-Jewish sentiment, diversely perceived in different quarters. For some, anti-Israel sentiment involves rational and moral recoiling from the injustices imposed on Palestinians. Other observers see in this recoiling the activation of traditional anti-Jewish motifs, earlier absent in the Islamic sphere.Also, der (durchaus verbreitete) arabische Antisemitismus (mit natürlich fließendem Übergang zum Antizionismus) ist ein relativ junges Phänomen.
The premodern world of Islam was quite different from premodern Christendom. The most obvious difference is the variety of populations encompassed within the world of premodern Islam, which was a rich mélange of racial, ethnic, and religious communities. Within this complex human tapestry, the Jews were by no means obvious as lone dissenters, as they had been earlier in the world of polytheism or subsequently in most of medieval Christendom. While occasionally invoking the ire of the prophet Muhammad (c. 570–632) and his later followers, the Jews played no special role in the essential Muslim myth as the Jews did in the Christian myth.
The dhimmi peoples, defined as those with a revealed religious faith, were accorded basic rights to security and religious identity in Islamic society and included Christians, Jews, and Zoroastrians. Lack of uniqueness ameliorated considerably the circumstances of Jews in the medieval world of Islam.
In the post–World War II period, however, the Jewish-Zionist enterprise did take on elements of uniqueness: it was projected as the sole Western effort at recolonization within the Islamic sphere. This perception has triggered intense antipathy for Zionism and its Jewish supporters, often viewed as indistinguishable, and has resulted in the revival of harshly negative imagery spawned in the altogether different sphere of medieval Christendom. Popular Muslim writing and journalism now regularly introduce themes such as ritual murder, Jewish manipulation of finance, and worldwide Jewish conspiracy, themes taken over with little difficulty from an entirely different ambience. Once again, these themes have proven flexible, readily transferable from milieu to milieu.
Manchmal hilft ein Blick in "Offline"-Enzyklopädien mehr, als in die Wikipedia, denn die Verhältnisse, die Bedeutung von etwas im historischem Kontext, wird in den Enzyklopädien doch deutlicher, anhand der Menge an Zeilen die für etwas hergegeben werden. In der Wikipedia hingegen ist es letztlich völlig willkürlich, wie ausführlich bestimmte Dinge angesprochen werden, oft besonders ausführlich, wenn etwas in den Massenmedien populärer wurde, oder durch Filme, völlig ungeachtet der tatsächlichen historischen Bedeutung oder Relevanz. Dies nur als Nebenbemerkung, was mir wieder beim Lesen des Artikels Islamisierung auffiel... Dazu komme ich aber noch in einem gesondertem Posting.
Im Gegensatz zum jungen arabischen Antisemitismus, könnte eine Benennung einer "jüdisch-islamischen Symbiose" (von Teilen der Geschichte) eine historisch gesehen wesentlich größere Berechtigung zukommen, als neuerdings von einer sogenannten "jüdisch-christlich Tradition" im Abendland oder auch nur in Deutschland in den Medien gesprochen wird.
Kurt Schubert schreibt in seinem Beck-Verlag Wissen-Bändchen: Jüdische Geschichte, S. 64 f.:
Die islamische Epoche von 711 bis zu den Almohaden (1146) wird als die ,Goldene Epoche‘ des Judentums im muslimischen Spanien bezeichnet. Im ummajadischen Königreich, das von Abd al Rahman I. im Jahre 755 gegründet wurde, entwickelte sich ein bedeutendes jüdisches Zentrum mit großer Ausstrahlung. Juden boten sich den Eroberern als landeskundige Verwaltungsbeamte an. Arabische Historiker berichten, daß in Cordoba, Granada, Sevilla und Toledo jüdische Gemeinden neu gegründet wurden. Im 8. und 9. Jh. ist auch mit einer weiteren jüdischen Einwanderung aus Nordafrika zu rechnen. Nach der Angabe eines arabischen Geographen nannte man Tarragona und Granada jüdische Städte. In immer steigendem Ausmaß wurden die Juden zu einer städtischen Bevölkerung und waren vielfach im Handel tätig.Er gibt im Band noch viele weitere Beispiele von jüdischer Geschichte in islamischen Ländern wider, zum Beispiel Saloniki im Osmanischen Reich konnte man beizeiten sogar als "jüdische Stadt" bezeichnen - nachdem die vertriebenen spanischen (sephardischen) Juden meist im Osmanischen Reich eine neue Heimat fanden.
Die phasenweise intolerante Zeit für die andalusischen Juden ca. ab dem 12. Jahrhundert sollte allerdings auch nicht verschwiegen werden, die obiges Buch dann thematisiert, wo nicht wenige Juden in inzwischen christlich besetzte Gebiete Spaniens oder andere arabische Gebiete hin wanderten, um in diesen christlichen Gebieten ein blühendes Leben zu entfalten, bis sie zunehmend auch dort Repressalien ausgesetzt waren, die zu dem völligen Exodus aus Spanien führte.
Einige Gründe für den modernen arabischen Antisemitismus werden in dem Jahresbuch der Tel Aviver Uni ausgeführt:
Antisemitismus, Antizionismus, Israelkritik von Moshe Zuckermann:
- Dem Antisemitismus in der arabischen Welt ist ein realer (kolonialer) Konflikt vorausgegangen.
- Im Prinzip kämpfen nicht Palästinenser gegen Israelis, weil diese Juden seien, oder Israelis gegen Palästinenser, weil diese Araber seien.
- Zwecks Legitimierung eigenen Handelns werden zur Feindbild-Herstellung aus dem christlichem Kontext entstandene antisemitische Topoi übernommen, aber auch die wenigen antijüdische Stellen aus dem Koran zweckentfremdet, indem diese maßlos überhöht würden, da es im Islam keine dem christlich-jüdischem Antagonismus vergleichbare Gegensätze gegeben habe.
- Untersuchungen der judenfeindlichen Elemente der Ideologien der Hamas und der Hisballah haben denn auch gezeigt, dass drei Faktoren maßgeblich seien:
a) das Eindringen bzw. Aufgreifen von christlich-europäischen Antisemitismen
b) den Zusammenbruch des traditionellen politischen (osmanischen) Systems und das Entstehen von "Nationalstaaten"
c) den Konflikt um Palästina
Nein, es gibt und gab zwar immer auch in von Muslimen bewohnten Regionen mal Phasen antijüdischer Stimmungen, aber nie vergleichbar mit den Vorgängen in der christlichen Hemisphäre und vor allem nicht mit dem dortigen theologischem Unterbau an Rechtfertigungen. Dieses ist in der arabischen oder muslimischen Welt eher ein modernes Phänomen seit dem 20. Jahrhundert, mehr importiert als endogen, und sollte nicht mit der Historie in einen Topf geworfen werden oder gar mit "dem" Islam als plumpes Erklärungsmuster missdeutet werden.
(Bildquelle: Wikimedia Commons)
Dort steht ganz zum Schluss ein kleiner Absatz, dass sich der Antisemitismus im Nahen Osten nach Gründung von Israel ausgebreitet habe
AntwortenLöschenAlso war der Jude trotzdem und von Anfang an Schuld, denn wieso wurde das junge Israel denn anschließend sofort von 6 arabischen Ländern gleichzeitig angegriffen? Aus lauter Liebe dem Juden gegenüber. Und wieso hat der Antisemitismus ich möchte sogar sagen Islamfaschismus der aus zahlreichen Kontakten zum Nazireich entstandenen ist so einen durchschlagenden Erfolg? Weil der Nährboden schon längst vorhanden war! Schauen Sie mal im Koran und anderen mittelalterlichen islamischen Schriften nach wie oft Juden in verschiedensten Suren und Texten aufs übelste Beleidigt und verflucht werden.
Im Christentum hat der Jude den Herrn gekreuzigt und im Islam steht dieser den Rechtgläubigen als existentielle Glaubensbedrohung gegenüber.
Das Judentum ist die älteste uns bekannte monotheistische Religion und daher naturgegeben immer das Feindbild der Nächstfolgenden. Deswegen gibt es auch Schmähsuren gegen Christen im Koran.
Wo habe ich geschrieben, dass "der Jude" "Schuld sei", nach Gründung von Israel? Absurd. Die Legitimation von Israel habe ich gar nicht thematisiert. Bitte genauer lesen, vor dem Kommentieren.
AntwortenLöschenWelche Faktoren den Krieg gegen Israel ausschlaggebend waren, steht in jedem seriösen Fachbuch, und es waren sicher nicht primär religiöse Gründe, sondern die Gründe der Moderne. Denn die intellektuelle und politische Elite (nicht selten im Westen ausgebildet oder stark beeinflusst!) war ja maßgeblich daran beteiligt, eine aggressive kriegerisch Haltung dem jungen israelischem Staat gegenüber einzunehmen.
Ja, Juden werden auch im Koran in einigen Suren nicht gerade zimperlich angesprochen. Doch ebenso gibt es Suren, die den Juden gegenüber sehr viel wohlgesonnener waren. Es ist eine Tendenz vorhanden, dass spätere Suren den Juden und Christen gegenüber unduldsamer waren. Trotzdem bringt es in Diskussionen nicht viel, wenn wir selber (meist als Laien) nun aus Thora, Bibel, Koran Stellen raussuchen, um unsere Argumente zu belegen. Dieses überlasse ich meist lieber Experten der Sekundärliteratur, und lasse sie sprechen und beurteilen. Und es nun einmal so, dass das Zusammenleben von Muslimen und Juden in der Geschichte meistens relativ zu ihrer Zeit OK war und Antisemitismus oder judenfeindliche Phasen die ganz große Ausnahme waren. Dies belegen nicht nur muslimische Quellen, sondern auch jüdische.
Wenn in Palästina und Umgebung nicht Araber (muslimische und christliche), sondern ein Chinesisches Volk gelebt hätte, und die jüdischen Gründer Israels hätten ihm den Großteil des Landes weggenommen, um einen jüdischen Nationalstaat in einem Gebiet zu gründen, das vorwiegend von Chinesen besiedelt gewesen wäre --- hätten sich die Chinesen nicht gewehrt? Auch ohne irgend eine historische Vorbelastung?
AntwortenLöschenBoli betreibt das heute übliche Spiel. Um von der Problematik der Landnahme und des Landraubs abzulenken, wird plötzlich Antisemitismus als Grund dafür angenommen, wenn sich ein eingeborenes Volk gegen einen kolonialen Akt der Enteignung wehrt.
Wer Antisemitismus als Begriff und Vorwurf so missbraucht wie Boli, ruiniert den Begriff selbst. Jede grundsätzliche Kritik an der Siedlungs- und Expansionspoltitik und dem sie begleitenden Staatsterrorismus ist dann Antisemitismus.
Im gleichen Atemzug kann man dann sagen, jede grundsätzliche Kritik an den imperialen Aktionen der USA im Iran und in Afghanistan/Pakistan ist Antiamerikanismus. Jede Kritik an der russischen Politik in Tschetschenien ist Russenfeindschaft. Wenn ich Chinas Politik gegenüber Tibet und den Uighuren in Sinkiang grundsätzlich kritisiere, bin ich eben Antichinese, dann hasse ich die Chinesen, weil sie Chinesen sind ...
Es ist ein widerliches Spiel, das hinter Bolis Argumentation zum Vorschein kommt: die systematische Ethnisierung und Fundamentalisierung von Politik.
Im übrigen finde ich, dass lynxxx sehr umsichtig und differenziert und kenntnisreich argumentiert hat.