Am 14.12. war Helmut Schmidt (links im Bild) zu Gast bei Sandra Maischberger.
Hier das Onlinevideo dieses Interviews, falls es jemand verpasste oder nochmals anschauen möchte.
Ich stimme normalerweise vielen Dingen die Helmut Schmidt üblicherweise so sagt zu, vor allem ist es oft eine Wohltat, dass er den Blick, unseren Blick auf die Welt oft gerne ausweitet, indem er eine dezidiert nicht eurozentrische Sicht aufzeigt. Besonders häufig beim Thema China zu beobachten, dass er da uns Deutschen gerne die nicht seltene Hybris vorzeigt und uns auf den Teppich holt. Jedoch bei einigen Sachgebieten merkt man, dass er entweder veraltete Vorstellungen mit sich herum trägt, oder kaum wissenschaftliche Werke zu bestimmten Weltgegenden liest, also kaum über die Lektüre von Zeitungsartikeln hinaus Wissen vervollständigt, und demnach angewiesen ist auf die vorhandene oder eben auch nicht vorhandene Expertise vieler Journalisten in Deutschland und daher zu einigen Fehlschlüssen kommen muss, wenn er kein Korrektiv bekommt.
Löblich ist, dass er sich vom diplomatischem Dienst aus den Botschaften diverser Länder Presseschauen der einheimischen Presse zukommen lässt, um mal von der eigenen Nabelschau wegkommt, was ihm oft ein großes Anliegen ist. So erhält er die Presseberichte z.B. aus Moskau, Warschau, Paris, Prag, Peking. Andere Städte hat er in dem Interview nicht ausgeführt, und ich vermute, dass er wahrscheinlich eher weniger Presseberichte aus Kairo, Ankara, Abu Dhabi, Teheran, Islamabad, etc. erhält.
Denn seine Aussagen lassen diese Vermutung doch stark zu.
Zumindest diejenigen, die ich in Interviews von ihm gehört habe, von Podiumsdiskussionen, von seinen Artikeln. Seine Bücher habe ich sämtlich nicht gelesen.
Ich kritisiere an Helmut Schmidt bezüglich seinem obigen Interviews dreierlei:
- Seinen offensichtlichen Gebrauch des Kulturbegriffs.
- Seine Rezeption der Huntington'schen Thesen vom Zusammenprall der Kulturen ("Clash of Civilizations")
- Seine (wohl auch daraus resultierenden) Beurteilung von Sarrazin. ("Wenn er sich beschränkt hätte, auf den Zusammenprall völlig verschiedener Zivilisationen, dann hätte er Recht gehabt." Minute: 53 und folgende sind seine Urteile zu hören)
Ich gehe auf diesen letzten Punkt nicht näher ein, da es in diesem Blog schon einige Postings zu Sarrazin gibt (siehe Tags in der rechten Spalte), nur eines noch:
Er meinte, Zuwanderung aus uns "fremden Zivilisationen" bringen uns mehr Probleme, als volkswirtschaftlichen Nutzen. Je weiter entfernt, desto größer würden die Probleme. Unproblematisch seien z.B. für ihn die Italiener.
Fakt ist, volkswirtschaftlich schaden uns geringe Teile der italienischen Community enorm, durch den Import und die immense Ausbreitung der organisierten Kriminalität, Stichwort ’Ndrangheta, Mafia, etc. Leider nur manchmal in den Medien thematisiert, obwohl der Schaden für die Gesellschaft ganz erheblich ist. Der ökonomische "Schaden" dürfte trotzdem unterm Strich nicht höher sein, als der ökonomische Nutzen, den Deutschland durch die italienischen Einwanderer erfahren hat - so zumindest meine wage Vermutung, die im Übrigen durch nichts gestützt ist; bin ja kein Sarrazin, und behaupte hier Dinge, die ich nicht weiß oder belegen könnte.
Zweites Faktum: Die italienisch-stämmigen Schüler schneiden in PISA schlechter als viele andere Gruppen, auch gegenüber allen muslimischen Gruppen ab.
Als Beispiel für sehr schlechte Integrationfähigkeit nennt er die "uns sehr fremden" Afghanen. Gerade hier irrt er doch sehr stark, da die meisten Afghanen sehr gut integriert sind, sehr wenig Transferleistungen beziehen, da deren Anteil z.B. an Abiturienten mit 30% sogar erheblich höher als der Schnitt der deutschen Abiturienten ist (~17%).
Vielleicht übersieht er bei seiner ganzen Betrachtungsweise, dass der Bildungsgrad womöglich entscheidender für Probleme oder das Ausbleiben von Problemen bei der Integration ist, als die Religion? Denn zufälligerweise haben auch die afghanischen Einwanderer und Asylsuchende einen überdurchschnittlichen Bildungsgrad, jeder Dritte hat Abitur, mehr als der deutsche Schnitt auch Hochschulabschlüsse.
Soviel zu Helmut Schmidts Kompetenz oder Beurteilungsfähigkeit in integrationspolitischen Fragen...
Zu 1. :
Ich hatte hier im Blog (in der 2. Hälfte des Postings) schon mal den aktuellen (dynamischen) Kulturbegriff vorgestellt, der dem (statischem) Rassebegriff entgegensteht. Leider ist eine Tendenz im öffentlichem Diskurs besonders beim Thema Islam/Muslime zu beobachten, dass der Kulturbegriff, so wie er oft Verwendung findet, sich wieder dem Rassebegriff annähert. Ich habe in dem Post auch verwiesen auf die Online-Vorlesung der Universität Tübingen, wo Prof. Eich die aktuelle wissenschaftliche Sicht kurz und bündig darlegt.
Zu 2.:
Hier hole ich etwas weiter aus. Denn ich habe schon mal einige oft in den Diskussionen vorgebrachten Thesen und Standpunkte ins rechte Licht zu rücken versucht, beziehungsweise ihre wissenschaftliche Haltbarkeit beleuchtet und stelle sie nun im Blog vor. Oft ist sowohl die Methodik des Diskurses fehlerbehaftet, oder schlicht und einfach die Faktengrundlage falsch.
Und im Rahmen dieser Zusammenfassung der häufigen Themen in Diskussionen rund um den Islam, wird auch Huntington behandelt, der im übrigen in der Wissenschaft schon viel länger keine so große Rolle mehr spielte, da seine handwerklichen Fehler (mal waren Japaner westlich, mal ihr eigener Kulturkreis, je nach Belieben, und so weiter...), seine Umdeutung des Kulturbegriffs, seine Methodik und seine empirische Ignoranz, usw. einfach schnell seine Hypothesen als wenig relevant für die politologischen Analysen erwiesen haben. Ganz anders hingegen seine Rezeption in den Massenmedien und dem öffentlichen Diskurs, bis heute sogar. Bis zu Helmut Schmidt, der offenbar die Rezeption in den Wissenschaften nicht so ganz mitbekommen hat - wie auch Teile der Massenmedien. Vielleicht sollten einige Damen und Herren mal öfters einen Blick in Fachzeitschriften riskieren?
Nein, lieber doch nicht, denn hier haben wir ja wieder die im Grunde allzu simple Erklärungsmatrix für die ach so komplexe Welt: Ihr da drüben, und wir hier. Werder gegen HSV, Dortmund gegen Schalke, das ist schön einfach und bringt Auflage.
Es geht jetzt also im Prinzip um die Frage ob Demokratie und Islam vereinbar sind, bzw. waren, das Verhältnis von Staat und Religion im Islam, damals wie heute:
Wichtig ist hier vor allem festzuhalten, es ist eigentlich irrelevant, was "der" Islam zu Demokratie zu sagen hat. Wichtig ist zu betrachten, wie denn verschiedenste Reiche, Staaten, usw. bisher den Islam interpretierten, um z.B. die Rechtssprechung in ihren Reichen und Staaten jeweils anzupassen, an die Zeit, an die Region, an die Menschen und ihre Bedürfnisse. So umgeht man auch das Problem zu essentialistisch zu werden.
Es gibt beispielsweise Theologen, die z.B. direkt aus dem Koran heraus sogar die Trennung von Religion und Staat begründet haben. So wie es faktisch auch einige Reiche und Staaten handhabten.
Entscheidend bleibt, was man tut.
Es gibt beispielsweise Theologen, die z.B. direkt aus dem Koran heraus sogar die Trennung von Religion und Staat begründet haben. So wie es faktisch auch einige Reiche und Staaten handhabten.
Entscheidend bleibt, was man tut.
Ich habe unten ein mit meinen Kommentaren angereichertes stichwortartiges Exzerpt aus Oliver Schlumbergers sehr guten Artikel erstellt, um den Lesern des Blogs eine schnellere Einführung in den Sachstand zu geben:
Es sind also ausdrücklich nicht meine Lorbeeren, sondern ich sample den Artikel hier nur und habe ihn zudem mit meinem Kenntnisstand und meinen Regalmetern an Literatur überprüft.
Also: Demokratie und Islam vereinbar?
Westliche Sicht: meistens unversöhnlich (zumindest in den Medien)
Sprachliches Problem am Satz: Islam = Religion. Demokratie = politisches System.
Was ist der Islam?
"Der" Islam existiert ebensowenig, wie "das" Christentum. -> Es gibt unzählige Deutungen, Ausformungen und Richtungen.
Von liberalen Muslimen wird betont, dass im Islam schon Entsprechungen zu liberaldemokratischen Strukturen und Prozessen enthalten sind:
- Das Prinzip der Beratung und Konsultation der Muslime untereinander (schura) -> daraus sich ableitend: Konsultativräte (madschalis asch-schura), sollen in islamischen Gesellschaften die Funktion von Parlamenten in Demokratien erfüllen
- das Prinzip der bay’a oder mubaya’a (Zustimmung der Gemeinde zu einem Führer) entspreche der demokratischen Wahl
- das Prinzip der Konsensfindung (idschma´) sei mit der Funktionsweise von Konkordanzdemokratien zu vergleichen
- Auch bürgerliche Rechte wie selbst das der Religionsfreiheit werden von liberalen Muslimen aus dem Koran heraus begründet, und Eigenverantwortlichkeit des Individuums schließlich wird bisweilen im islamischen Auftrag zur intellektuellen Anstrengung, die richtige Auslegung des Glaubens zu finden (idschtihad), gesehen
-> Vertreter einiger muslimischer Denkschulen sehen ihre Religion also durchaus als kompatibel mit demokratischen Staatsformen. Die Präsidialdemokratie entspricht wohl am ehesten den Vorstellungen einer "islamischen" Demokratie
Und was ist Demokratie?
Folgende Bedingen muss er mindestens erfüllen (von weltweit renommierten Demokratiewissenschaftlern erforscht):
Definition:
1. Bedeutsamer und extensiver Wettbewerb zwischen Individuen und organisierten Gruppen (besonders politische Parteien) um alle effektiven Positionen mit (Regierungs-)Macht, in regelmäßigen Abständen und unter Ausschluss von Gewaltanwendung.
2. Ein hohes Maß an politischer Partizipation bei der Auswahl von Führern und Politikern, zumindest durch regelmäßige und freie Wahlen dergestalt, dass keine größere (erwachsene) soziale Gruppe davon ausgeschlossen bleibt.
3. Ein Maß an bürgerlichen und politischen Freiheiten – Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Assoziationsfreiheit – das hinreicht, um die Integrität politischen Wettbewerbs und von Partizipation zu gewährleisten.
Gut, tun wir mal so, als wären Demokratie und Islam unvereinbar, wie es im Westen oft geglaubt wird, denn dann müsste es ja begründbar sein:
Die Positionen:
Die Positionen reichen von einer absoluten Unvereinbarkeit des Islam mit Demokratie über eine eventuell nur teilweise Kompatibilität unter bestimmten Bedingungen bis hin zu der These "Der Islam ist die (wahre) Demokratie" oder die oben schon erwähnte Position liberalerer Muslime.
Die westlichen Islamwissenschaftler, Sozialforscher und Politologen sehen - mit ganz wenigen Ausnahmen und mit einigen Variationen in den Details - zumeist den Islam und die Demokratie sich unter bestimmten Umständen nicht gegenseitig ausschließen. (Zu den Umständen unten mehr.)
Allerdings hat sich diese Meinung gesamtgesellschaftlich außerhalb der Wissenschaft im Westen bislang nicht durchgesetzt.
"Der" Islam existiert ebensowenig, wie "das" Christentum. -> Es gibt unzählige Deutungen, Ausformungen und Richtungen.
Von liberalen Muslimen wird betont, dass im Islam schon Entsprechungen zu liberaldemokratischen Strukturen und Prozessen enthalten sind:
- Das Prinzip der Beratung und Konsultation der Muslime untereinander (schura) -> daraus sich ableitend: Konsultativräte (madschalis asch-schura), sollen in islamischen Gesellschaften die Funktion von Parlamenten in Demokratien erfüllen
- das Prinzip der bay’a oder mubaya’a (Zustimmung der Gemeinde zu einem Führer) entspreche der demokratischen Wahl
- das Prinzip der Konsensfindung (idschma´) sei mit der Funktionsweise von Konkordanzdemokratien zu vergleichen
- Auch bürgerliche Rechte wie selbst das der Religionsfreiheit werden von liberalen Muslimen aus dem Koran heraus begründet, und Eigenverantwortlichkeit des Individuums schließlich wird bisweilen im islamischen Auftrag zur intellektuellen Anstrengung, die richtige Auslegung des Glaubens zu finden (idschtihad), gesehen
-> Vertreter einiger muslimischer Denkschulen sehen ihre Religion also durchaus als kompatibel mit demokratischen Staatsformen. Die Präsidialdemokratie entspricht wohl am ehesten den Vorstellungen einer "islamischen" Demokratie
Und was ist Demokratie?
Folgende Bedingen muss er mindestens erfüllen (von weltweit renommierten Demokratiewissenschaftlern erforscht):
Definition:
1. Bedeutsamer und extensiver Wettbewerb zwischen Individuen und organisierten Gruppen (besonders politische Parteien) um alle effektiven Positionen mit (Regierungs-)Macht, in regelmäßigen Abständen und unter Ausschluss von Gewaltanwendung.
2. Ein hohes Maß an politischer Partizipation bei der Auswahl von Führern und Politikern, zumindest durch regelmäßige und freie Wahlen dergestalt, dass keine größere (erwachsene) soziale Gruppe davon ausgeschlossen bleibt.
3. Ein Maß an bürgerlichen und politischen Freiheiten – Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Assoziationsfreiheit – das hinreicht, um die Integrität politischen Wettbewerbs und von Partizipation zu gewährleisten.
Gut, tun wir mal so, als wären Demokratie und Islam unvereinbar, wie es im Westen oft geglaubt wird, denn dann müsste es ja begründbar sein:
Die Positionen:
Die Positionen reichen von einer absoluten Unvereinbarkeit des Islam mit Demokratie über eine eventuell nur teilweise Kompatibilität unter bestimmten Bedingungen bis hin zu der These "Der Islam ist die (wahre) Demokratie" oder die oben schon erwähnte Position liberalerer Muslime.
Die westlichen Islamwissenschaftler, Sozialforscher und Politologen sehen - mit ganz wenigen Ausnahmen und mit einigen Variationen in den Details - zumeist den Islam und die Demokratie sich unter bestimmten Umständen nicht gegenseitig ausschließen. (Zu den Umständen unten mehr.)
Allerdings hat sich diese Meinung gesamtgesellschaftlich außerhalb der Wissenschaft im Westen bislang nicht durchgesetzt.
Argumente und Begründungsmuster für die Unvereinbarkeitsthese
Beim Verhältnis zwischen Orient und Okzident hat sich für den Westen die Religion des Islam und für den Nahen Osten das demokratische System des jeweils anderen als Hauptattribut herausgeschält, also nicht etwa das Christentum.
Die somit entstandene weit verbreitete Ansicht der Unvereinbarkeit lässt sich auf vier Punkte subsumieren:
1. Aufspüren von Passagen im Koran und/oder Sunna, die nicht mit demokratischen Prinzipien in Einklang gebracht werden können
Beim Verhältnis zwischen Orient und Okzident hat sich für den Westen die Religion des Islam und für den Nahen Osten das demokratische System des jeweils anderen als Hauptattribut herausgeschält, also nicht etwa das Christentum.
Die somit entstandene weit verbreitete Ansicht der Unvereinbarkeit lässt sich auf vier Punkte subsumieren:
1. Aufspüren von Passagen im Koran und/oder Sunna, die nicht mit demokratischen Prinzipien in Einklang gebracht werden können
(Und da in schöner Regelmäßigkeit sich jeder Hans und Franz in Diskussionen dazu berufen fühlt Teile aus dem Koran zu zitieren, um seine Positionen vermeintlich untermauern zu können, hier ein schöner Artikel aus der SZ von dem Islamwissenschaftler Navid Kermani: Predigt der Koran Gewalt? – Einführung für Laienexegeten)
2. Analyse von Staaten mit muslimischer Mehrheit, wobei man zur Erkenntnis kommt, dass tatsächlich keine Demokratie im islamischen Kernland existiert.
2. Analyse von Staaten mit muslimischer Mehrheit, wobei man zur Erkenntnis kommt, dass tatsächlich keine Demokratie im islamischen Kernland existiert.
(Wenn wir uns den Nahen und Mittleren Osten anschauen, dann sehen wir nach obiger Demokratie-Definition keine einzige Demokratie (außer Türkei und Israel). Ein fast immer in die Debatte eingeworfener durchaus korrekter Einwand. Verknüpfen wir allerdings alleine die Religion, so finden wir auch bei christlichen Staaten alle Formen des Regierens. Dazu später mehr.)
3. Mittels einer im Kern modernisierungstheoretischen Argumentationskette, die im Extremfall "Ranglisten" der Religionen in Bezug auf deren Kompatibilität mit Demokratie aufstellt (Platz 1: Protestantismus; Schlusslicht: Islam)
4. Mit dem vielzitierten Absolutheitsanspruch des Islam, der von sich selbst behaupte, din wa dunya (Religion und [diesseitige] Welt) oder din wa dawla (Religion und Staat) zu sein. Dies zieht weitere Konsequenzen nach sich, da sich Fragen wie die des islamischen Rechts (inklusive der Problematik der Stellung der Frau oder der Menschenrechte) sowie die Frage nach islamischen Entsprechungen für demokratische politische Institutionen anschließen
Analyse dieser vier Begründungsmuster:
1. Alle drei heiligen Bücher entstanden zu einer Zeit, als es noch keine Liberaldemokratien gab, also enthalten sie auch keine expliziten Anweisungen für oder gegen eine Demokratie.
Allerdings enthält der Koran und Sunna eine Reihe von Aussagen, die als Kontrast zu den Werten und Normen angesehen werden, die mit einer Demokratie in Verbindung gebracht werden (Stellung der Frau, Ungleichheit von Gläubigen und Ungläubigen, usw.) Jedoch entstanden die Menschenrechte erst im Laufe von Jahrhunderten, zur Zeit der Buchreligionen waren sie in keiner der Monotheistischen Religionen gegeben. Auf diese Art zu messen verbietet sich also aus methodischen Gründen. Wie "der" Islam (oder "das" Christentum, "das" Judentum...) ist, kann folglich weder durch eine Analyse seiner heiligen Schriften noch durch die Geschichte seiner Ausbreitung belegt werden. In diesem Fall müssten dieselben Maßstäbe auch bei der Beurteilung anderer Religionen gelten - legte man die Meßlatten der religiösen Texte und ihre Verbreitungsgeschichte an, so könnte keine der drei Buchreligionen als demokratiekompatibel gelten.
2. In arabischen Ländern haben sich keine Demokratien entwickelt, deshalb gebe es wohl Aspekte im Islam, die dieses verhindere. Erster Teil des Satzes ist nachweisbar, er stimmt, zweiter Teil des Satzes ist eine vermeintliche Folgerung, die so nicht haltbar ist. Denn Korrelation, bedeutet nicht zwangsläufig auch Kausalität. Die Ursache und Wirkung müsste man erst untersuchen. Man findet im Nahen Osten alle möglichen Spielarten von Herrschaft, säkulare, wie Syrien, Tunesien, usw. oder religiös legitimierte, wie Saudi Arabien, Sudan oder Iran. In Jordanien z.B. spielt der Islam eine viel größere Rolle im Alltagsleben der Menschen, als im benachbartem Syrien. Dabei ist Jordanien eines der politisch liberalsten arabischen Länder, während in Syrien faktisch eine Einparteienherrschaft und Militärdiktatur herrscht. Von diesen Beispielen gibt es weitere, und somit stimmt es nicht:
4. Mit dem vielzitierten Absolutheitsanspruch des Islam, der von sich selbst behaupte, din wa dunya (Religion und [diesseitige] Welt) oder din wa dawla (Religion und Staat) zu sein. Dies zieht weitere Konsequenzen nach sich, da sich Fragen wie die des islamischen Rechts (inklusive der Problematik der Stellung der Frau oder der Menschenrechte) sowie die Frage nach islamischen Entsprechungen für demokratische politische Institutionen anschließen
Analyse dieser vier Begründungsmuster:
1. Alle drei heiligen Bücher entstanden zu einer Zeit, als es noch keine Liberaldemokratien gab, also enthalten sie auch keine expliziten Anweisungen für oder gegen eine Demokratie.
Allerdings enthält der Koran und Sunna eine Reihe von Aussagen, die als Kontrast zu den Werten und Normen angesehen werden, die mit einer Demokratie in Verbindung gebracht werden (Stellung der Frau, Ungleichheit von Gläubigen und Ungläubigen, usw.) Jedoch entstanden die Menschenrechte erst im Laufe von Jahrhunderten, zur Zeit der Buchreligionen waren sie in keiner der Monotheistischen Religionen gegeben. Auf diese Art zu messen verbietet sich also aus methodischen Gründen. Wie "der" Islam (oder "das" Christentum, "das" Judentum...) ist, kann folglich weder durch eine Analyse seiner heiligen Schriften noch durch die Geschichte seiner Ausbreitung belegt werden. In diesem Fall müssten dieselben Maßstäbe auch bei der Beurteilung anderer Religionen gelten - legte man die Meßlatten der religiösen Texte und ihre Verbreitungsgeschichte an, so könnte keine der drei Buchreligionen als demokratiekompatibel gelten.
2. In arabischen Ländern haben sich keine Demokratien entwickelt, deshalb gebe es wohl Aspekte im Islam, die dieses verhindere. Erster Teil des Satzes ist nachweisbar, er stimmt, zweiter Teil des Satzes ist eine vermeintliche Folgerung, die so nicht haltbar ist. Denn Korrelation, bedeutet nicht zwangsläufig auch Kausalität. Die Ursache und Wirkung müsste man erst untersuchen. Man findet im Nahen Osten alle möglichen Spielarten von Herrschaft, säkulare, wie Syrien, Tunesien, usw. oder religiös legitimierte, wie Saudi Arabien, Sudan oder Iran. In Jordanien z.B. spielt der Islam eine viel größere Rolle im Alltagsleben der Menschen, als im benachbartem Syrien. Dabei ist Jordanien eines der politisch liberalsten arabischen Länder, während in Syrien faktisch eine Einparteienherrschaft und Militärdiktatur herrscht. Von diesen Beispielen gibt es weitere, und somit stimmt es nicht:
Je mehr islamische Gesellschaft, desto weniger politische Freiheiten.
Und was die gewaltförmigen Konflikte der letzten hundert Jahre angeht, so ist der Ursprung höchst selten der religiöse Fanatismus, sondern liegt meist in staatlicher Gewalt autoritärer Regime. Somit taugt auch Punkt 2 nicht zur Begründung.
3. Rangliste der Religionen stammt von Huntington:
Seine These:
- erst müssen sich Staaten sozio-ökonomisch entwickeln, dann können sie demokratisch werden
- Religion: Protestantismus ist förderlich, Katholizismus hinderlich: siehe Nordamerika <-> Südamerika.
- Islam und Konfuzianismus sei sehr demokratiefeindlich. Warum? Er erkennt dieses in den Schriften, bedient sich also unempirisch Punkt 1, den wir schon für unzulässig erkannt haben.
- Höhepunkt ist bei ihm "Clash of Civilizations"
---> Gegenargumente:
- Indien (geringer Entwicklungsgrad, arm, trotzdem weitgehend stabile Demokratie), oder das Gegenteil: arabische Emirate (sehr hohes Pro-Kopf-Einkommen, trotzdem stabile autoritäre Herrschaft)
- Katholizismus war großer Förderer von Demokratien z.B. in Osteuropa (Polen!). -> deshalb revidierte er seine These später auch in diesem Punkt.
- seine Rangliste der Religionen auf Demokratie-Kompatibiltät verlässt den Pfad wissenschaftlich haltbarer Methoden.
- Die Vermutung, dass es in erster Linie der religiös-kulturelle Faktor sei, der die Interaktionen von Kulturkreisen miteinander determiniert, widerspricht aller bisherigen Erfahrung in einer globalisierten Welt. Auch berücksichtigt die "Clash-These" nicht die sich aus internationalen ökonomischen Zusammenhängen ergebenden weltweiten Annäherungen von ursprünglich kulturell geprägten Verhaltensweisen der Menschen.
(Letztlich zeigt sich doch seit einigen Dekaden, trotz aller Reislamisierungstendenzen, dass die Jugend der Welt uns, also, also dem Westen nacheifert, nachahmt, unsere Produkte bevorzugt, usw.)
Wer näheres über Samuel Huntington erfahren möchte, den verweise ich aus der Fülle an Artikeln und Informationen auf diese hier:
- Aus Politik und Zeitgeschichte: Sabine Riedel: Der Islam als Faktor in der internationalen Politik
Ein Zitat daraus:
(...) Angesichts des Beharrungsvermögens solcher Stereotypen drängt sich ein Verdacht auf: Könnte es sein, dass diese These eines modernisierungsfeindlichen und antiwestlichen Islam letztlich mehr über die religiös begründeten Bedrohungsängste westlicher Gesellschaften aussagt als über den Orient selbst? Entwickelt eine solche Bedrohungsperzeption nicht erst den Faktor Religion zum Instrument von Politik?
4. Spruch: Religion und Staat (din wa dawla):
Wenn es so wäre, könnte es tatsächlich keine islamische Demokratie geben.
Die traditionelle Formel, der Islam sei din wa dunya, ist in sich noch neutral. Sie bezeichnet den Anspruch des Islam, sowohl für die spirituelle Domäne (din) Autorität zu besitzen, als auch für die temporäre, diesseitige Welt (dunya). Der Islam schreibt also moralische Verhaltensregeln für das Miteinander der Menschen untereinander (und nicht nur für die menschlichen Pflichten Gott gegenüber) vor, wie das im Übrigen auch das Christentum tut. Und natürlich hat sich der Gläubige diesen Regeln in allen zwischenmenschlichen Bereichen zu unterwerfen, also auch in der Politik.
Eine solche Interpretation der Formel sagt jedoch nichts über die Natur des Staates aus.
Sicherlich ging der frühe Islam mit seiner Gemeinde schon früh in eine Art Staatswesen über und hatte in der Geschichte eine engere Verbindung von Staat und Religion, als es etwa das Christentum hatte. Jedoch wurde auch schon früh dieses Staatswesen nicht ausschließlich aus dem Koran begründet, da die Scharia keine Anweisungen für alle Staatsbelange enthielt und man somit pragmatisch sich an die Realität anpasste, wie es bei christlichen Reichen auch der Fall war.
Erst bei den islamistischen (fundamentalistischen) ägyptischen Muslimbrüdern wurde das im 19. Jahrhundert (!) zu "Religion und Staat" - din wa dawla, also ein religiöser Anspruch auf politische Herrschaft. Da aber nach islamistischer Diktion Gläubige und Ungläubige niemals gleichgestellt sein können, sind hier die elementaren Prinzipien demokratischer Herrschaft nicht zu verwirklichen.
ABER, dieses stellt eine Minderheitenmeinung innerhalb der islamischen Umma/Gemeinde dar und ist keinesfalls göttliche Offenbarung.
Die traditionelle Formel, der Islam sei din wa dunya, ist in sich noch neutral. Sie bezeichnet den Anspruch des Islam, sowohl für die spirituelle Domäne (din) Autorität zu besitzen, als auch für die temporäre, diesseitige Welt (dunya). Der Islam schreibt also moralische Verhaltensregeln für das Miteinander der Menschen untereinander (und nicht nur für die menschlichen Pflichten Gott gegenüber) vor, wie das im Übrigen auch das Christentum tut. Und natürlich hat sich der Gläubige diesen Regeln in allen zwischenmenschlichen Bereichen zu unterwerfen, also auch in der Politik.
Eine solche Interpretation der Formel sagt jedoch nichts über die Natur des Staates aus.
Sicherlich ging der frühe Islam mit seiner Gemeinde schon früh in eine Art Staatswesen über und hatte in der Geschichte eine engere Verbindung von Staat und Religion, als es etwa das Christentum hatte. Jedoch wurde auch schon früh dieses Staatswesen nicht ausschließlich aus dem Koran begründet, da die Scharia keine Anweisungen für alle Staatsbelange enthielt und man somit pragmatisch sich an die Realität anpasste, wie es bei christlichen Reichen auch der Fall war.
Erst bei den islamistischen (fundamentalistischen) ägyptischen Muslimbrüdern wurde das im 19. Jahrhundert (!) zu "Religion und Staat" - din wa dawla, also ein religiöser Anspruch auf politische Herrschaft. Da aber nach islamistischer Diktion Gläubige und Ungläubige niemals gleichgestellt sein können, sind hier die elementaren Prinzipien demokratischer Herrschaft nicht zu verwirklichen.
ABER, dieses stellt eine Minderheitenmeinung innerhalb der islamischen Umma/Gemeinde dar und ist keinesfalls göttliche Offenbarung.
Letztlich übernehmen also hiesige Zeitungskommentatoren, Talkshowgäste, Podiumsdiskutanten, die Positionen der Islamisten und erheben sie zu einer bislang nicht vorhandenen Meinungsführerschaft. Grotesk.
"Din wa daula" ist ein von Menschen gemachtes arrogantes ideologisches Postulat, dieses gab es nicht vor den Islamisten des 19. Jahrhunderts.
Ja, diese islamistische radikale Position betrachtet gar alle politische Herrschaft seit 660 als unislamisch oder sogar als heidnisch. Welch eine Anmaßung, welche Hybris, die eine reiche 1400 jährige islamische Geschichte verwirft!
"Din wa daula" ist ein von Menschen gemachtes arrogantes ideologisches Postulat, dieses gab es nicht vor den Islamisten des 19. Jahrhunderts.
Ja, diese islamistische radikale Position betrachtet gar alle politische Herrschaft seit 660 als unislamisch oder sogar als heidnisch. Welch eine Anmaßung, welche Hybris, die eine reiche 1400 jährige islamische Geschichte verwirft!
Nochmals:
Wer näheres dazu wissen möchte, kann sich mal diese vier Seiten kurz durchlesen:
kurzer historischer Abriss von Prof. Heinz Halm, den ich schon mal hier im Blog verlinkte:
Islamisches Rechts- und Staatsverständnis Islam und Staatsgewalt
Also fällt dieses Argument auch weg.
Man sieht also, dass alle Argumente, die eine prinzipielle Unvereinbarkeit von Islam und Demokratie aufgrund von Charakteristika des Islams behaupten, nicht tragfähig sind.
Es wird in populären (Zeitungs-)Artikeln immer wieder und wieder und wieder uns vorgekaut, dass "der" Islam "Din wa Dawla" sei, "Religion und Staat".
Dabei steht dieser Spruch weder im Koran, noch in den Hadithen, noch in den Quellen, sondern er stammt aus dem 19. Jahrhundert!
Dabei steht dieser Spruch weder im Koran, noch in den Hadithen, noch in den Quellen, sondern er stammt aus dem 19. Jahrhundert!
Bitte, liebe Journalisten und Meinungsmultiplikatoren, nicht mit din wa dunya verwechseln, sondern sich erstmal sich über die Unterschiede und Hintergründe informieren. Oder wie Dieter Nuhr schon sagte: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten.
("Das" Christentum war übrigens noch im 19. Jh. davon überzeugt, dass die Ständegesellschaft die beste aller Gesellschaftsformen sei... )
Wer näheres dazu wissen möchte, kann sich mal diese vier Seiten kurz durchlesen:
kurzer historischer Abriss von Prof. Heinz Halm, den ich schon mal hier im Blog verlinkte:
Islamisches Rechts- und Staatsverständnis Islam und Staatsgewalt
Also fällt dieses Argument auch weg.
Man sieht also, dass alle Argumente, die eine prinzipielle Unvereinbarkeit von Islam und Demokratie aufgrund von Charakteristika des Islams behaupten, nicht tragfähig sind.
Es gibt jedoch islamische Gruppierungen, deren religiöses (und mehr noch: politisches) Gedankengut und deren Praxis nicht kompatibel mit demokratischer Politik sind. Dabei handelt es sich durchweg um islamistische Gruppen, die den Islam politisch ideologisieren. Wie alle Menschen sind auch Islamisten in ihren Überzeugungen und Ansichten geprägt durch ihr soziales und politisches Umfeld sowie durch ihre politische wie familiäre Sozialisation.
Nun gehen die intellektuellen und religiösen Impulse für Muslime bis heute von der islamischen Welt aus, genauer, von dem Nahen und Mittleren Osten (nicht von SO-Asien, Afrika, Zentralasien). Den schauen wir uns nun mal an:
Der politisch-ideologisierte Islam als Produkt der Konfrontation mit einem überlegenen Westen (kurzer historischer Abriss)
Seit dem 19. Jahrhundert politisch ideologisierte Ausprägungen des Islam als Reaktion und Abgrenzungsversuch auf:
1. der unterdrückenden Politik der damaligen orientalischen Staaten und ihrer Machthaber
2. einem imperialistischen (oder später: als solchem empfundenen) Westen
Gedankliche Väter heutiger islamistischer Spielarten des Islam:
Dschamal ad-Din al-Afghani, Muhammad 'Abduh, Raschid Rida, Hassan al-Banna, Sayyid Qutb, Abu l-A'la al-Mawdudi
Aber erst seit den 70er Jahren verstärkte sogenannte Re-Islamisierung. Symbol: Iran mit seiner islamischen Revolution 1979.
Auffallende Überlappung der islamistischen Strömungen mit der Bewegung der islamischen sozio-politischen Erneuerung in der arabischen Welt des 19. Jahrhunderts, die als 'Asr an-Nahda (Epoche der Erneuerung oder Wiederbelebung) ein im Orient auch heute vieldiskutiertes Thema.
Es ist der Versuch das Trauma der Begegnung mit einem übermächtigen Abendland zu verarbeiten.
Beginn des Traumas: Einmarsch Napoleons in Ägypten (1798).
Reaktion: Verstärkte politische Zusammenarbeit, z.B. mit Frankreich, um die "Rückständigkeit" aufzuholen. Als Ursache für die "Rückständigkeit" wurde von religiöser Seite oft der Abfall vom "wahren Glauben" angesehen, dem man begegnen sollte, indem man sich auf die Wurzeln des Islams besinnt.
Ursachen für die politischen Ausformungen des Islam ist demnach mehr eine politische Reaktion auf imperiale westliche Mächte (und die politischen und sozio-ökonomischen Verhältnisse im arabischem Orient), als Glaubensgrundsätze im Islam.
Dieses Unterlegenheitsgefühl wurde nach Napoleon weiter gespeist durch die Kolonialisierung, die Niederlage gegen das vom Westen unterstütze Israel im 6-Tagekrieg, die Außenpolitik der USA und ihrer Unterstützung Israels, aber auch die Unterstützung der USA von arabischen Regimen, die aus islamistischer Sicht den Islam verraten haben.
Welche Gruppen bildeten sich auf diese Konfrontation mit dem Westen?
- 1928 Muslimbrüder (al-ikhwan al-muslimun) von Hassan al-Banna in Ägypten
- als Nachfolger gründete Mawdudi in den 1940er-Jahren in Indien (später: Pakistan) Jama 'at-i Islami
- weitere Nachfolger Gama 'at Islamiyya (Islamische Gruppe) in Ägypten, al-Dschihad al-Islami (Islamischer Dschihad, v.a. in Ägypten und Palästina)
Einige definieren sich explizit antikolonialistisch, wurden somit zu Verbündeten säkularer Befreiungsbewegungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dann übernahmen nach der Befreiung die säkularen Kräfte die Macht, unterdrückten daraufhin wiederum die religiösen ehemals verbündeten Kräfte und errichteten autoritäre Regime oftmals mit einem arab. Sozialismus.
Daraufhin geriet die islamistische Bewegung zur Front gegen das eigene Regime, und es gründeten sich weitere islamistische Gruppen. Z.B. die algerische Islamische Heilsfront FIS (Front Islamique du Salut) oder die palästinensische Hamas ("Bewegung des islamischen Widerstands")
Ursache ist, wie wir gesehen haben die "tragische" Begegnung mit der "Moderne".
Ergo:
1. Autoritäre oder totalitäre Ideologien und 2. religiöse Absolutheitsansprüche.
"Der" Islam aber fällt unter keine dieser beiden Kategorien.
Zum Thema Feindbild Islam, welches immer bei diesen Diskussionen mitschwingt siehe auch hier:
Feindbild Islam. Historische und theologische Gründe einer europäischen Angst – gegenwärtige Herausforderungen Thomas Naumann / Universität Siegen
Zum Abschluss noch ein Zitat zum Paradigma von Trennung oder der vermeintlichen Einheit von Staat und Religion im Islam, welches so, wie es in der Öffentlichkeit dargestellt wird, doch eher in das Reich der Legenden gehört:
aus:
BpB: Religion und Politik in der islamischen Welt
Nun gehen die intellektuellen und religiösen Impulse für Muslime bis heute von der islamischen Welt aus, genauer, von dem Nahen und Mittleren Osten (nicht von SO-Asien, Afrika, Zentralasien). Den schauen wir uns nun mal an:
Der politisch-ideologisierte Islam als Produkt der Konfrontation mit einem überlegenen Westen (kurzer historischer Abriss)
Seit dem 19. Jahrhundert politisch ideologisierte Ausprägungen des Islam als Reaktion und Abgrenzungsversuch auf:
1. der unterdrückenden Politik der damaligen orientalischen Staaten und ihrer Machthaber
2. einem imperialistischen (oder später: als solchem empfundenen) Westen
Gedankliche Väter heutiger islamistischer Spielarten des Islam:
Dschamal ad-Din al-Afghani, Muhammad 'Abduh, Raschid Rida, Hassan al-Banna, Sayyid Qutb, Abu l-A'la al-Mawdudi
Aber erst seit den 70er Jahren verstärkte sogenannte Re-Islamisierung. Symbol: Iran mit seiner islamischen Revolution 1979.
Auffallende Überlappung der islamistischen Strömungen mit der Bewegung der islamischen sozio-politischen Erneuerung in der arabischen Welt des 19. Jahrhunderts, die als 'Asr an-Nahda (Epoche der Erneuerung oder Wiederbelebung) ein im Orient auch heute vieldiskutiertes Thema.
Es ist der Versuch das Trauma der Begegnung mit einem übermächtigen Abendland zu verarbeiten.
Beginn des Traumas: Einmarsch Napoleons in Ägypten (1798).
Reaktion: Verstärkte politische Zusammenarbeit, z.B. mit Frankreich, um die "Rückständigkeit" aufzuholen. Als Ursache für die "Rückständigkeit" wurde von religiöser Seite oft der Abfall vom "wahren Glauben" angesehen, dem man begegnen sollte, indem man sich auf die Wurzeln des Islams besinnt.
Ursachen für die politischen Ausformungen des Islam ist demnach mehr eine politische Reaktion auf imperiale westliche Mächte (und die politischen und sozio-ökonomischen Verhältnisse im arabischem Orient), als Glaubensgrundsätze im Islam.
Dieses Unterlegenheitsgefühl wurde nach Napoleon weiter gespeist durch die Kolonialisierung, die Niederlage gegen das vom Westen unterstütze Israel im 6-Tagekrieg, die Außenpolitik der USA und ihrer Unterstützung Israels, aber auch die Unterstützung der USA von arabischen Regimen, die aus islamistischer Sicht den Islam verraten haben.
Welche Gruppen bildeten sich auf diese Konfrontation mit dem Westen?
- 1928 Muslimbrüder (al-ikhwan al-muslimun) von Hassan al-Banna in Ägypten
- als Nachfolger gründete Mawdudi in den 1940er-Jahren in Indien (später: Pakistan) Jama 'at-i Islami
- weitere Nachfolger Gama 'at Islamiyya (Islamische Gruppe) in Ägypten, al-Dschihad al-Islami (Islamischer Dschihad, v.a. in Ägypten und Palästina)
Einige definieren sich explizit antikolonialistisch, wurden somit zu Verbündeten säkularer Befreiungsbewegungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dann übernahmen nach der Befreiung die säkularen Kräfte die Macht, unterdrückten daraufhin wiederum die religiösen ehemals verbündeten Kräfte und errichteten autoritäre Regime oftmals mit einem arab. Sozialismus.
Daraufhin geriet die islamistische Bewegung zur Front gegen das eigene Regime, und es gründeten sich weitere islamistische Gruppen. Z.B. die algerische Islamische Heilsfront FIS (Front Islamique du Salut) oder die palästinensische Hamas ("Bewegung des islamischen Widerstands")
Religiöse Absolutheitsansprüche und Demokratie sind nicht vereinbar
Gemeinsamkeit der Islamisten: Die Gewissheit, die einzige Wahrheit zu besitzen
-> historisch keine Unterscheidung zu anderen Monotheismen, nicht spezifisch islamisch
-> ein Absolutes (Gott) steht über alle anderen Dinge, Werte, Menschen. Damit wohnt ihnen a priori die Möglichkeit inne, demokratische Werte, Normen, Erfordernisse und Definitionsmerkmale den je eigenen religiösen Dogmen unterzuordnen. Auch im Christentum wird von einigen dieses gefordert, ja radikale Äußerungen ähneln sich teilweise sehr. -> einige Autoren sehen eine generelle Krise von Religionen
Nochmals, die Interpretationen der Islamisten sind in der islamischen Welt und in der Diaspora eine Minderheitenmeinung; auch wenn sie in den Medien überproportional vertreten sind, und deshalb für diese Schieflage in der westlichen Beurteilung verantwortlich sind.
Gemeinsamkeit der Islamisten: Die Gewissheit, die einzige Wahrheit zu besitzen
-> historisch keine Unterscheidung zu anderen Monotheismen, nicht spezifisch islamisch
-> ein Absolutes (Gott) steht über alle anderen Dinge, Werte, Menschen. Damit wohnt ihnen a priori die Möglichkeit inne, demokratische Werte, Normen, Erfordernisse und Definitionsmerkmale den je eigenen religiösen Dogmen unterzuordnen. Auch im Christentum wird von einigen dieses gefordert, ja radikale Äußerungen ähneln sich teilweise sehr. -> einige Autoren sehen eine generelle Krise von Religionen
Nochmals, die Interpretationen der Islamisten sind in der islamischen Welt und in der Diaspora eine Minderheitenmeinung; auch wenn sie in den Medien überproportional vertreten sind, und deshalb für diese Schieflage in der westlichen Beurteilung verantwortlich sind.
(Manchmal kann man aber den Eindruck erhalten, hier wolle jemand self-fulfilling prophecy betreiben...)
Ursache ist, wie wir gesehen haben die "tragische" Begegnung mit der "Moderne".
Ergo:
Alle Ausprägungen von Religiosität, die sich im Besitz einer exklusiven Wahrheit wähnen, können nicht demokratieverträglich sein – es sei denn, sie negierten ihre eigenen Dogmen.
Allerdings: In allen drei Monotheismen sprechen sich heute Vertreter für Stärkung demokratischer Prozesse aus. Sie akzeptieren zuerst innerhalb der Religion unterschiedliche Strömungen, und lassen andere Meinungen im praktischen Umgang legitim erscheinen. Danach tolerieren sie andere Religionen und nicht-religiöse Interessensartikulationen in der Politik.
Da die Religionen allerdings zuerst diese Pluralität nicht akzeptierten, folgerten westliche Aufklärer seit dem 18./19. Jahrhundert, dass bei der Bildung von Demokratien eine Säkularisierung notwendig sei, in der die Rolle der Religion Privatsache sei.
Jüngste empirische Untersuchungen zeigen jedoch, dass es in einigen der gefestigtsten Demokratien gerade nicht die vollständige Trennung von Kirche und Staat war, die zu stabilen demokratischen Bedingungen geführt hat. Vielmehr ist das Erreichen eines "freundlichen Verhältnisses" zwischen und einer „wechselseitigen Tolerierung“ von Staat und Religion entscheidend.
Ergebnisoffene Konfliktregelungen als Resultat eines Wettstreits von Ideen und Interessen in der Politik ist also auch für und mit Beteilung von religiösen Interessenvertreter erwünscht, solange die Religion nicht die demokratische Ordnung in Frage stellt. Denn das Prinzip der Tolerierung funktioniert nur, wenn es auf Wechselseitigkeit beruht.
In der Nachfolge von Immanuel Kant hat die moderne Politikwissenschaft empirisch gezeigt, dass Demokratien untereinander keine Kriege führen.
Zwei Dinge stehen in fundamentalem Widerspruch zur Demokratie:
Allerdings: In allen drei Monotheismen sprechen sich heute Vertreter für Stärkung demokratischer Prozesse aus. Sie akzeptieren zuerst innerhalb der Religion unterschiedliche Strömungen, und lassen andere Meinungen im praktischen Umgang legitim erscheinen. Danach tolerieren sie andere Religionen und nicht-religiöse Interessensartikulationen in der Politik.
Da die Religionen allerdings zuerst diese Pluralität nicht akzeptierten, folgerten westliche Aufklärer seit dem 18./19. Jahrhundert, dass bei der Bildung von Demokratien eine Säkularisierung notwendig sei, in der die Rolle der Religion Privatsache sei.
Jüngste empirische Untersuchungen zeigen jedoch, dass es in einigen der gefestigtsten Demokratien gerade nicht die vollständige Trennung von Kirche und Staat war, die zu stabilen demokratischen Bedingungen geführt hat. Vielmehr ist das Erreichen eines "freundlichen Verhältnisses" zwischen und einer „wechselseitigen Tolerierung“ von Staat und Religion entscheidend.
Ergebnisoffene Konfliktregelungen als Resultat eines Wettstreits von Ideen und Interessen in der Politik ist also auch für und mit Beteilung von religiösen Interessenvertreter erwünscht, solange die Religion nicht die demokratische Ordnung in Frage stellt. Denn das Prinzip der Tolerierung funktioniert nur, wenn es auf Wechselseitigkeit beruht.
In der Nachfolge von Immanuel Kant hat die moderne Politikwissenschaft empirisch gezeigt, dass Demokratien untereinander keine Kriege führen.
Fazit:
Zwei Dinge stehen in fundamentalem Widerspruch zur Demokratie:
1. Autoritäre oder totalitäre Ideologien und 2. religiöse Absolutheitsansprüche.
"Der" Islam aber fällt unter keine dieser beiden Kategorien.
Zum Thema Feindbild Islam, welches immer bei diesen Diskussionen mitschwingt siehe auch hier:
Feindbild Islam. Historische und theologische Gründe einer europäischen Angst – gegenwärtige Herausforderungen Thomas Naumann / Universität Siegen
Zum Abschluss noch ein Zitat zum Paradigma von Trennung oder der vermeintlichen Einheit von Staat und Religion im Islam, welches so, wie es in der Öffentlichkeit dargestellt wird, doch eher in das Reich der Legenden gehört:
aus:
BpB: Religion und Politik in der islamischen Welt
Dietrich Jung
Inhalt
I. Einleitung
II. Die ideale islamische Gemeinde von Medina
III. "Der Koran ist unsere Verfassung"
IV. Vom Kalifat zum modernen Staat V. Die Scharia-Debatte
VI. Schlussfolgerung
VI. Schlussfolgerung
Das Axiom einer nahezu organischen Einheit von Politik und Religion im Islam lässt sich weder mit Rückgriff auf die medinensische Epoche noch mittels der Quellen der Offenbarung, aus der islamischen Geschichte oder mit Hilfe des islamischen Rechts eindeutig begründen. Wohl bildeten im Handeln des Propheten in Medina politische und religiöse Funktionen eine Einheit, diese zerbrach jedoch mit der notwendigen Veralltäglichung seines prophetischen Charismas. Weder die tribalen Sozialstrukturen der frühislamischen Gemeinde noch ihre ideelle Reflexion in Koran, Sunna und Scharia bieten eine Grundlage für die einheitliche Ausgestaltung eines modernen islamischen Staatswesens. In ihrer Religionspolitik oszillieren die Staaten der islamischen Welt zwischen säkular und religiös legitimierten Regimen. Die islamische Geschichte selbst ist ein Beleg dafür, dass die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Politik sich jeweils epochenspezifisch wieder neu stellt.
Die Behauptung, dass im Islam eine Trennung von staatlicher Herrschaft und religiöser Ordnung nicht möglich sei, entbehrt jeder historischen Grundlage. Sie reduziert die kulturelle Vielfalt und historische Komplexität der islamischen Zivilisation auf die imaginäre Einheit "des Islam". Dieses so populäre Axiom der aktuellen Debatte um Religion und Politik im Islam ist daher weniger ein Resultat historisch angeleiteter Analysen als ein Ausdruck des essenzialistisch reduktionistischen Denkens islamistischer Ideologen und westlicher "Islamologen". Damit will der Autor keineswegs unterstellen, es gebe einen universalen, dem europäischen Säkularisierungsprozess folgenden Entwicklungspfad im Verhältnis von Staat und Religion. Wohl aber wird hier behauptet, dass die institutionelle und legale Trennung von staatlicher Herrschaft und religiöser Ordnung in der islamischen Welt nicht prinzipiell ausgeschlossen werden kann. Mehr noch, die Ausführungen haben gezeigt, dass eine Trennung von Religion und Politik sogar ein Teil der geschichtlichen Erfahrung islamischer Gesellschaften ist. Wie diese Trennung institutionell aussieht und ideologisch begründet wird, hängt dabei von dem jeweils historisch spezifischen Kontext ab, in dem sich moderne staatliche Herrschaft etabliert. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass die Trennung von Staat und Kirche keine Parallele in Gesellschaften kennt, denen die Institutionalisierung der offiziellen Religion in einer Kirche unbekannt blieb. Im islamischen Raum scheint daher vor allem die Beziehung zwischen islamischem Recht und politischer Herrschaft Aufschluss über das Verhältnis von Religion und Politik zu geben.
Guten Rutsch!
(Bildquelle: Wikimedia Commons)
Ich habe noch nie eine so treffende Zusammenfassung/Übersicht gelesen - herzlichen Dank.
AntwortenLöschenliebe Grüsse
Pelzer
Danke für das Feedback, aber bedenke, dass ich es "lediglich" zusammenfasste, als Service für uns, und es ein wenig mit eigenen Worten und Zusatzinfos unterfütterte, als Argumentationsgrundlage für diese immer gleichen endlosen Diskussionen. Bis die Tage und Grüße in die Schweiz. ;-)
AntwortenLöschenSehr schön! Glückwunsch! Ich werde mir sukzessive das ganze Blog zu Gemüte führen. - Verraten Sie irgendwo etwas über Ihre Person? Alter? Profession? Ich schätze Student. Richtig?
AntwortenLöschenHallo liebe Edelgard. Ich möchte lieber durch das was ich sage wahrgenommen werden, als durch das was ich bin. Ich bin aber kein Student mehr... :-)
AntwortenLöschenWenn du durch das ganze Blog mal blättern möchtest, dann kann ich dir empfehlen, mal rechts im Menü dich durch das Blog-Archiv zu klicken, also nach dem Datum sortierte Postings. Sooo viele sind es ja (noch) nicht, auch wenn einige ziemlich lang sind. Aber wenn du in jeden Blogpost reinklickst, dann wirste auch feststellen, dass ich manchmal Exkurse zu anderen Themen oder Intensivierungen bestimmter Nebenaspekte vornehme, die anhand der Überschrift nicht erwartbar sind. Insofern lohnt sich das Stöbern durchaus manchmal... ;-)
OK. Dass ich auf Student gekommen bin, liegt an deiner jungen Schreibe (die ich allerdings eher bei Polenz als auf deinem Blog finde).
AntwortenLöschenDein Blog zeigt, was das Netz sein kann. Und es macht Lust, selbst zu bloggen ...
Wenn du selber bloggen möchtest: Nur zu. Inzwischen gibt es ja auch Fix-und-Fertig-Blog-Baukästen für die Leute, die lieber gleich anfangen möchten zu schreiben, statt sich mit Technik und Design lange aufzuhalten. Ich habe hierzu auch einen Blogpost verfasst mit einem Vergleich der beiden größten Bloganbietern Wordpress und blogger/blogspot von google. Beide sind umsonst (bei google zudem unendlich Speicherplatz), musst dich nur anmelden, es sei denn, du hast schon eine google-Email, dann kanste da auch gleich loslegen, ein vorgefertigtes Design aussuchen und erste Gedanken zu Papier... ähm, zu Bytes und Bits bringen.
AntwortenLöschenAhoi.