Heute möchte ich den Anfang einer unregelmäßigen Artikelserie starten, die einen wissenschaftlichen Überblick über die Geschichte des Islams und des Nahen Ostens gibt. Dazu gibt es auf zahlreichen Universitätsservern Vorlesungen oder Materialien, die hier zusammengefasst werden sollen. Diese sind mitunter auch seriöser, als so mancher Wikipedia Artikel, die manchmal in diesen Bereichen eine Schieflage haben, oder gänzlich für islamwissenschaftliche Antworten ungeeignet sind. (Dennoch verlinke ich öfters dahin, zwecks erster Orientierung oder weiterführender Links)
Dabei gehe ich deskriptiv vor, beschreibe also zum Beispiel, was es zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Regionen geheißen hat, ein Muslim zu sein, wie der Islam so wurde, wie wir ihn heute kennen, auf welcher Basis an Texten, Interpretationen, wir zu welchen Schlussfolgerungen kommen. Mitunter kommen auch durchaus abweichende Meinungen in der Gelehrtenwelt zu Wort, wenn sie gewisse Relevanz haben, oder es werden die unterschiedlichen Thesen zu bestimmten Zeiten vorgestellt, um zu demonstrieren, wie die Kenntnisse entstanden waren. Es wird dabei versucht islamwissenschaftlich zusammenzufassen, also nicht bekenntnisorientiert oder islamtheologisch. Dies ermöglicht mitunter einen Betrachtungsgegenstand von mehreren Seiten zu betrachten, also zum Beispiel nicht nur eine sunnitische Sicht der Dinge, sondern auch mal die schiitische Sicht zu betrachten.
Etliches mag vor allem Muslimen schon bekannt sein, anderes wird völlig unbekannt sein, zumindest die Wechselwirkungen diverser Entwicklungen oder Ereignisse, ich gehe jedenfalls von kaum Vorkenntnissen bei meinen Beschreibungen aus.
Ich verwende dabei die übliche Zeitrechnung nach Christus, ohne damit irgendeine Aussage zu verknüpfen. Die Koranübersetzungen folgen der Übersetzung von
.
von Prof. Dr. Jürgen Paul
von Prof. Dr. Thomas Eich
Muhammad wurde wahrscheinlich um 570 in
Mekka geboren. Diese Region ist vor allem durch Oasenwirtschaft geprägt, wobei ungewöhnlicherweise Mekka durch Handel und einer vorislamischen Pilgerstätte und der Wallfahrt dorthin prosperierte. Es handelt sich dabei um die Kaaba (siehe
Blogpost), die damals im Zentrum eines polytheistischen Kultes stand. Über die damalige Zeit sind wir relativ schlecht informiert, denn außer dem Koran gibt es kaum Quellen, und bis heute konnten kaum durch archäologische Ausgrabungen die Kenntnisse erweitert werden. (Später einmal mehr dazu.)
Muhammad wuchs relativ früh als Vollwaise auf, denn sein Vater
Abdullah starb schon vor der Geburt und seine Mutter
Āmina als er sechs Jahre alt war. Er wurde dann von Familienmitgliedern des Clans der
Banu Haschim großgezogen, besonders von seinem Onkel
Abu Talib (dem Vater des späteren vierten Kalifen
Ali ibn Abi Talib). Sein Onkel war wahrscheinlich auch der Führer der Sippe. Obwohl er nie Muslim wurde, beschützte er doch Muhammad, selbst wenn es negative Folgen für die Sippe ergab, aber hier wirkte das arabische Prinzip des
Tribalismus. Die Banu Haschim waren zu dieser Zeit noch kein führender Clan Mekkas. Er erlernte den Beruf des Händlers, und begleitete Karawanen bis hin nach Syrien, wo er wahrscheinlich mit Christen in Kontakt kam. Dabei erwarb er sich wohl den Beinahmen
al-Amin, also "der Zuverlässige". Es ist allerdings umstritten und nicht endgültig geklärt, ob nicht dieser Name sein eigentlicher Name war, und
Muhammad, also "der Gepriesene" eher sein Beiname war.
Etwa 595 heiratete er eine 15 Jahre ältere reiche Kaufmannswitwe,
Chadidscha, mit der er bis zu ihrem Tod ca. 25 Jahre lang monogam zusammenlebte. Erst nach ihrem Tod begann Muhammad damit mehrere Frauen zu ehelichen. Bis zu seinem ersten Offenbarungserlebnis ist kaum etwas bekannt, und das was überliefert wurde, ist eher als legendenhaft anzusehen. Das was als ziemlich sicher gilt ist eine Angewohnheit Muhammads sich einmal im Jahr ungefähr einen Monat lang zur Mediation in eine Höhle auf dem Berg
Hira bei Mekka zurückzuziehen. Dieses Zurückziehen machten etliche seiner Zeitgenossen ebenfalls, wenn sie spirituell Suchende waren. Diejenigen, die diese Askese- und Mediationsübungen vollzogen, wurden
Hanifen genannt. In dem Berg Hira erlebte er dann auch seine erste Offenbarung gegen 610, in muslimischer Vorstellung durch den Erzengel
Gabriel. Diese Offenbarungen setzten sich bis zu seinem Tode 632 fort. Dabei kamen allerdings diese Offenbarungen an allen Orten vor, nicht nur in der Höhle des Berges Hira. Aus diesen Offenbarungen entwickelte sich einige Zeit nach Muhammads Tod dann das gebundene Buch des
Korans (ca. Mitte des 7. Jahrhunderts).
Die Koranverse wurden im Sadsch'-Stil offenbart. Das ist ein
Reim- oder Metrum-Stil, indem die Texte durch gemeinsame Endkonsonanten zusammengehalten werden. Unter anderem dadurch zeigt sich, dass die Offenbarungen dazu da waren, memoriert, also auswendig gelernt zu werden, um dann vorgetragen zu werden. Das ist auch die Bedeutung des Wortes Koran: Lesung, Rezitierung, Vortrag. Das sollte man immer im Hinterkopf behalten, wenn man über den Koran spricht, dass eben die Rezitation, die orale, also mündliche Weitergabe, ein wichtiges Element des Korans darstellt. Jedenfalls wurden schon damals wohl Teile des Korans zur Erleichterung des Auswendiglernens auf diversen Materialien wie Stein, Leder, Holzstücke, etc. zumindest stenographieähnlich festgehalten.
Mit diesen Offenbarungen machte sich nun Muhammad daran, zuerst sein unmittelbares Umfeld, also seine Familie, seine Sippe davon in Kenntnis zu setzen. Er wandte sich mit den frühen Offenbarungen vor allem gegen die Polytheisten in seiner unmittelbaren Umgebung, erst in einer zweiten Phase öffentlich an die anderen Mekkaner. Er begriff sich dabei zuerst vorrangig als Warner, dann ab seiner Zeit in Medina verstärkt als Religionserneuerer, als Reformer der bestehenden monotheistischen Religionen Judentum und Christentum. Es gab auch schon Elemente in seinen frühen Predigten, die einen sozialen Wandel einleiten sollten. So forderte er beispielsweise in dieser frühen Phase bereits ein Almosen für die Armen ein. Aus diesen Forderungen des Korans entwickelte sich später dann im islamischen Staatsrecht das Konzept der Pflichtabgabe
Zakat. Das ist aber nicht das gleiche, denn bei der Zakat hat letztlich meist der Herrscher zu entscheiden, wofür es Verwendung finden soll. Er soll damit zwar etwas wohltätiges tun, doch heißt dieses nicht zwangsläufig, dass er damit auch die Armen unterstützt, abgesehen davon, dass es z.B. dem Kalifen obliegt zu definieren, was "wohltätig" heißt, und wer die Begünstigten sind. (Beispielsweise wäre die Errichtung einer Bibliothek etwas wohltätiges, betrifft aber kaum die analphabetischen Armen einer Stadt.)
Im Umfeld Muhammads waren Christentum und Judentum bekannt. Im Koran wird dieses deutlich, und der Koran greift auch einige Konzepte dieser monotheistischer Religionen auf. Die zentrale Botschaft Muhammad war, es gibt einen einzigen übersinnlichen, transzendentalen Gott, der allmächtig, allbarmherzig, allwissend ist, und der von den Menschen verlangt, dass diese sich recht verhalten mögen, damit sie dann am
Jüngsten Tag gerichtet werden können. Dabei wird dann entschieden, ob man ins Paradies gelangt, oder in die Hölle kommt. Dieses Thema prägte die Botschaft in den frühen Offenbarungen sehr stark, zum Beispiel in
Sure 82:1 ff:
Wenn (dereinst) der Himmel sich spaltet, die Sterne (ihren Standort aufgeben und) sich (nach allen Richtungen) zerstreuen, die Meere über die Ufer treten und die Gräber ausgeräumt werden, bekommt einer zu wissen, was er früher (an guten Werken) getan, und was er versäumt hat.
Diese Botschaft Muhammads wurde von den meisten Mekkanern zurückgewiesen, denn das Thema Leben nach dem Tod war der große Unterschied zu den Polytheisten. Dies zeigt sich auch im Koran (45:24):
Und sie [die Polytheisten] sagen: "Es gibt nur unser diesseitiges Leben. Wir sterben und leben (in diesem Rahmen), und nur die Zeit (die allem, was existiert, den Stempel der Vergänglichkeit aufdrückt) (dahr) läßt uns zugrunde gehen." Sie haben aber kein Wissen darüber und stellen nur Mutmaßungen an.
Zu Beginn seiner Offenbarungen glaubten ihm also nur sehr wenige seines Umfeldes, als eine der ersten, die ihm glaubten und dann auch unterstützten gilt seine Frau Chadidscha.
Es gab vor allem zwei Argumente mit denen seine Gegner gegen ihn argumentierten:
- Die Sprache der Offenbarungen im oben erwähntem Sadsch'-Stil erinnerten seine Gegner an die ähnlichen Verse von zeitgenössischen Wahrsagern (kahin) und Stammesdichtern. Wieso sollte es sich also bei Muhammad um etwas anderes handeln, so dachten die Polytheisten. Hinzu kommt, dass die Vorstellung vorherrschte, dass diese Wahrsager und Stammesdichter als von Geistern besessen angesehen wurden. Das war also die Schublade, in die das Umfeld ihn steckte. Dazu schreibt auch der Koran (38:4):
Sie wundern sich darüber, daß ein Warner aus ihren eigenen Reihen zu ihnen gekommen ist. Und sie sagen in ihrem Unglauben: "Dies ist ein verlogener Zauberer. Will er denn aus den (verschiedenen) Göttern einen einzigen Gott machen? Das ist doch merkwürdig."
- Der zweite Vorwurf war der, dass Muhammads Offenbarungs-Verse nicht eigenständig seien, er habe dieses alles nur von den Juden und Christen abgeschaut, kopiert. Der Koran berichtet auch hier davon, in Sure 25:4 ff.:
Und sie sagen: "Das ist nichts als ein Schwindel (ifk), den er ausgeheckt hat, und bei dem ihm andere Leute geholfen haben." Sie begehen aber (mit einer solchen Aussage) Frevel und (machen sich der) Lügenhaftigkeit (schuldig). Und sie sagen: "(Es sind) die Schriften der früheren (Generationen), die er sich aufgeschrieben hat. Sie werden ihm morgens und abends diktiert." Sag: (Nein!) Der hat ihn herabgesandt, der (alles) weiß, was im Himmel und auf Erden geheimgehalten wird. Er ist barmherzig und bereit zu vergeben.
Die Gegnerschaft der Mekkaner gegenüber Muhammad ist aus zwei Gründen nicht verwunderlich: 1. Bedrohte Muhammad mit seiner Botschaft die ökonomische Haupteinnahmequelle der Stadt, bzw.der Polytheisten, nämlich die Pilgerfahrt zur Kaaba. 2. Hätte die Befolgung der Offenbarungen immense Folgen für die soziale Ordnung in Mekka gehabt. Da Muhammad sich als Gesandter Gottes sah, hätte er eine völlig neue hierarchische Position im Mekka erhalten, hätten denn seine Missionsbemühungen breiten Erfolg gehabt. Zudem war es unter den Polytheisten bisher so, dass die Legitimation für Handlungen dadurch gegeben waren, dass es die Bräuche und Traditionen der Vorfahren waren, die man einfach tradiert und danach handelt. Durch Muhammads Lehren wäre nun anstelle der Vorfahren ein Gott getreten, der Legitimation für Handlungen verleihen würde. Das heißt, alle bisherigen tradierten Regeln würden durch Muhammads Anweisungen - nur ein transzendentaler Gott könne darüber entscheiden, was rechtes Handeln bedeutet - obsolet werden. Das alles erinnert an die Folgen des Christentums im antiken Römischen Reich, z. B. die Reaktionen der Mission von
Paulus von Tarsus in Ephesos.
Durch das Werben für den Islam, das Warnen vor der Hölle, usw. kam es immer wieder zu konkreten Streitereien zwischen den polytheistischen Mekkanern und Muhammads ersten Anhängern, den Muslimen. Diese konnten jedoch meistens beigelegt werden. Diese Konflikte waren auch deshalb nicht verwunderlich, weil Muhammad nicht nur die anderen Stämme oder Clans Mekkas kritisierte, sondern auch vor seinem eigenen Stamm nicht Halt machte, was ganz entgegen den Gepflogenheiten des tribalen Verhaltensmusters erfolgte. Muhammads Gegner versuchten auf zwei Wegen seinen Einfluss in Mekka zu beschneiden: Einerseits gingen sie massiv auf sozial schwächer gestellte Anhänger Muhammads vor, bei dieser Gruppe hatte die Botschaft Muhammads übrigens die größten Erfolge gehabt. Durchaus auch mit physischer Gewalt, nicht nur durch Diskriminierung und Drangsalierung. Dieses Vorgehen hatte einigen Erfolg. Anderseits versuchten sie den Schutz des Stammes Banu Haschim für Muhammad aufzuweichen, dieses gelang allerdings nicht.