Montag, 27. Juni 2011

Verhältnis der Muslime und Nichtmuslime im Osmanischen Reich 1. Teil

Gazi-Kasım-Pascha-Moschee, 1543-1546, Pécs, Ungarn.
Eines der wenigen nicht zerstörten Überreste von bis zu
500 Jahren osmanischer Epoche auf dem Balkan.
Ich führte öfters Diskussion darüber, wie das Verhältnis der Muslime und Nichtmuslime im Osmanischen Reich ausgesehen hatte. Nun, in der Geschichtsschreibung der Nachfolgestaaten des Osmanischen Reiches dominiert oder dominierte ein klares Feindbild des Osmanischen Reiches, im Zuge des Abgrenzungsprozesses während des Aufbaus einer gemeinsamen Nation (im 19. Jahrhundert) um die eigene nationale Identität  zu fördern. Und dieses Zusammengehörigkeitsgefühl kann man eben recht leicht durch einen äußeren Feind fördern, egal ob dieser Feind nun real, übertrieben oder als Zerrbild dargestellt wird. Dieses Feindbild der Osmanen wurde dann im 20. Jahrhundert fast ausnahmslos auf dem Balkan, aber auch in zahlreichen arabischen Werken konserviert und erst in den letzten Jahren begann eine vorsichtige differenziertere Aufarbeitung mit der eigenen Geschichte auf dem Balkan inklusive der jahrhundertelangen Phase der Osmanen.
Nun haben aber viele Migranten aus den Nachfolgestaaten immer noch dieses Feindbild im Kopf, wenn sie im Internet diskutieren. Teilweise noch befördert durch eine Zunahme des Nationalismus auf dem Balkan, und der einhergehenden Publikationswelle, die oft die Schuld für alle möglichen Probleme gerne auf die osmanische Herrschaft zurückführt.

Nun möchte ich gar nicht die osmanische Herrschaft über den östlichen Mittelmeerraum beschönigen, oder Gräueltaten verharmlosen, die es durchaus in der Spätphase der osmanischen Politik gehäuft gegeben hatte, als sich eine Region nach der anderen aus dem Vielvölkerreich unabhängig machen wollte. Übrigens ist es auch unter türkischen Migranten nicht selten, dass sie die moderne Definition von Nationalismus kaum kennen.

Nur macht man es sich als Diskutant zu leicht, wenn man einerseits diese Phase zunehmender Gewalt im 19. Jahrhundert auf allen Seiten in die Vergangenheit zurückprojiziert, und meint, das Verhältnis zwischen den religiösen Gruppen wäre immer schon so schlecht gewesen. Andererseits ist man sich offensichtlich kaum bewusst, dass unser heutiges nationales Gruppenzugehörigkeitsgefühl nicht für alle Ewigkeit in der Geschichte gegolten hat, ja, es ist sogar ein relativ junges historisches Phänomen, entstanden vor allem nach der französischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts. Davor haben sich die einfachen Serben, Bulgaren, Ungarn, usw. gar nicht als solche - anders als z.B. im 20. Jahrhundert - gefühlt. Ihre Identität beruhte eben nicht vorrangig auf eine damals noch unbekannte "Nation". Es waren eher andere Identitäten, die eine größere Rolle spielten, insofern darf man Revolten in christlichen Regionen des Osmanischen Reiches z.B. im 17. Jahrhundert nicht als frühe Freiheitskämpfe ohne weiteres begreifen. Dieses wäre dann nämlich ein Zurückdatieren heutiger Vorstellungen von Identitäten, während vielleicht diese Revolten keineswegs das Ziel hatten, aus dem osmanischen Staatsverbund auszuscheren, sondern Reformen innerhalb der osmanischen Welt zum Ziel hatte.

Eines der Hauptvorurteile ist also, dass Nationalismus quasi als etwas naturgesetzliches, immer schon da gewesenes angesehen wird, und nicht erkannt oder gewusst wird, dass es eine Konstruktion darstellt.

Ich möchte daher hier in einer Serie einige Zitate bringen, die die Diskussionen auf einen gleichen Stand bringt, die neuere Ethnien-/Nationalismusforschung berücksichtigt, sowie auch Autoren von Standardwerken über die Osmanen zu Wort kommen lässt.
Dadurch sollten im günstigsten Falle alle Gesprächspartner ein wenig zumindest auf dem internationalen Stand der Forschung sein, wobei nicht wenige Diskutanten z.B. aus dem Balkan einige vermeintliche Gewissheiten dabei über Bord werfen müssten, möchten sie nicht im internationalen wissenschaftlichen Dialog isoliert sein.

Es geht um das Verhältnis der Muslime und Nichtmuslime im Osmanischen Reich, um Gruppenbewusstsein, Identität, Nationenbildung und damit Herausformung neuer Identitäten, Islamisierung und Turkisierung, und alles was im weiteren Sinne damit zusammenhängt.


Es fängt damit an zu erläutern, wie überhaupt die "Nation", der Begriff, die Identitäten entstanden, die wir oft ohne Hinterfragen als so selbstverständlich annehmen.

Nationbuilding / Nationenbildung / Identitäten

Aus dem Brockhaus 2007, Artikel Nation:
In unserem Bewusstsein ist die »Nation« fest verankert - und dabei wird allzu oft übersehen, dass sie keine zeitlose Konstante in der Geschichte der Menschheit ist und mithin auch kein Raster darstellt, das die Menschen seit jeher in große übersichtliche Gruppen einteilt. Die Nation als Solidarverband gibt es nicht »seit Urzeiten«, ]wie dies vor allem von den Protagonisten nationalen Denkens überall behauptet wird. Das Gegenteil ist der Fall. Die Nation ist eine moderne Erfindung. Sie ist gerade einmal zweihundert Jahre alt.
...
Nationalbewusstsein wird durch Erziehung im weitesten Sinne vermittelt. Dabei wird meist das hervorgehoben, was die Angehörigen der Nation angeblich gemeinsam haben: Sprache, Kultur, Religion, politische Ideale, Staatsform, Geschichte. Nationalbewusstsein bzw. eine nationale Identität wird aber auch gern durch Abgrenzung von den anderen Nationen oder durch Vergleiche mit ihnen definiert. In der Auseinandersetzung mit dem Fremden - der anderen Sprache oder Religion, den anderen Sitten und Lebensformen, dem anderen politischen System - wird sich eine soziale Gruppe, eine »Schicksalsgemeinschaft«, ihrer eigenen engen Beziehungen bewusst und ihrer Gemeinsamkeiten, aufgrund derer sie leichter miteinander kommunizieren können als mit den »Anderen«, den »Fremden«. Man kann den Sachverhalt zugespitzt ausdrücken: Eine Nation braucht Feinde, weil das offenbar die Suche nach der eigenen Identität erleichtert.


aus der Dissertation: Religiöse Identität im Zeitalter des Nationalismus - Die Pomakenfrage in Bulgarien
Dennoch beharren manche bulgarische Autoren weiterhin auf der Ansicht, daß die Osmanen die christliche Bevölkerung des Imperiums islamisieren wollten, um diese schließlich vollständig absorbieren zu können. [...] Dieser Gedanke, in dem sich der Wunschtraum moderner Nationalstaaten widerspiegelt, war in der Gedankenwelt der politischen Lenker der Pax Otomanica schlicht nicht vorhanden. Die Vorstellungen bulgarischer Autoren diesbezüglich resultieren aus dem unreflektierten Übertragen von Handlungs- und Denkmustern, die für die europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts des öfteren typisch waren, aber nicht für das vormoderne Reich der Osmanen. Für das gesamte vormoderne Europa, für die Politikgestalter am Bosporus übrigens bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert, sind solche Kategorien wie Sprache oder ethnische Zugehörigkeit oder gar die Gleichsetzung zwischen kulturellen und staatlichen Grenzen politisch völlig irrelevant gewesen.


Die Erfindung der Balkanvölker: Identitätspolitik zwischen Konflikt und Integration :
Diese vergleichende Analyse von zehn Konfliktherden in Südosteuropa (u.a. Bosnien-Hercegovina, Kosovo, Republik Makedonien) belegt, dass die beteiligten ethnischen Identitäten das Resultat unserer Moderne sind. Mit Hilfe der Methode der Dekonstruktion zeichnet das Buch deren Entstehungsgeschichte nach und diskutiert dabei die Konfliktdimension ethnischer Proporzsysteme.
  • Viele heutige Staaten SO-Europas haben im Nationenbildungsprozess erst Standardsprachen z.T. künstlich erschaffen [trifft übrigens teilweise auch auf die Türkei zu]
  • Philologen wurden von Politikern ignoriert, die nachweisen konnten, dass schon im 14. Jh. auf dem Balkan die Sprache nicht als Abgrenzung von "Kulturen"/"Ethnien" dienen konnte. So konnte man z.B. albanische Stämme nicht von den slavischen Stämmen, d.h. heutige bosnischen, serbischen, montenegrinischen, bulgarischen, makedonischen Stämmen unterscheiden. Danach war der Sprach- und Identitätswechseln schon im Mittelalter Normalität, wodurch alle heutigen Versuche zum Scheitern verurteilt sind, die eine Blutsverwandschaft oder Abstammung von den sprachlichen Verhältnissen ableiten wollen.
  • bulgarische und serbische Reiche waren keine rein slavischen Reiche, wie auch heute noch aufgrund der Benutzung der slavischer Schriftsprache behauptet wird, sie sind Vielvölkerreiche. Sogar die Herrscher selbst können keiner ethnischen Gruppe zugeordnet werden.
  • Erst Ende des 19. Jh. entwickelten die Völker des Balkans ein gemeinsames Sprachbewusstsein, damit auch Konfliktpotential, vorher war die Identität vor allem auf die Relgion begründet.
  • Zu den Freiheitskämpfern des griechischen Freiheitskampfes gehörten auch albanisch- und bulgarisch-sprachige Orthodoxe. Erst der Identitätswechsel Griechenlands von einer orth. Konfessionsnation hin zur sprachlichen und Abstammungsnation bewirkte eine Aufspaltung der Christen u.a. nach Sprachen.
  • Eine entscheidende Rolle in der Identitätsbildung kam von aussen, von west-/mitteleuropäischen Kartographen, die das Modell der Kulturnation aus West-/Mitteleuropa übernehmend nach dem Vorbild mittelalterlicher Reiche "Serbien", "Makedonien", "Bulgarien", "Albanien" einzeichneten, die es noch gar nicht gab. Die Mehrzahl der ethnischen Identitäten hat demnach ihren Ursprung in West-/Mitteleuropa und ist nicht von den Trägern des des betreffenden Identitätsbewußteins selbst hervorgebracht worden.
  • Ethnisches Bewusstsein wurde politisiert und mit dem Aufdruck "Nationale Identität" zum Ausdruck gebracht.
  • Wer kulturelle Differenzen innerhalb einer Landesbevölkerung sucht, kann sie aufgrund der vielfältigen Geschichte mit seinen religiösen, sprachlichen, staatlichen Umformungsprozessen fast nach Belieben konstruieren. Die Eliten haben in den Balkankriegen der 90er gezielt Gruppenidentitäten verbreitet, die nicht nur auf aktuellen Identitäten beruhten, sondern konstruiert wurden.

Von der Sprachgemeinschaft zur Nation. 8. Lerneinheit:


1. Kulturelles „Erwachen“ in Südost- und Mittelosteuropa. Ein Überblick.
1.1. Südosteuropa
1.2. Sprache und Nation in Mittelosteuropa
2. Sprache und Gemeinschaft in Südosteuropa
3. Die Wiedergeburt der Sprachgemeinschaften?
4. Fragen und Aufgaben.
5. Primärliteratur


1. Kulturelles „Erwachen“ in Südost- und Mittelosteuropa. Ein Überblick.

Die kulturelle „Erweckung“ der Völker Mittel- und Südosteuropas gestaltete sich in erheblichem Maße als ein Kampf um eine eigene Sprache und deren Institutionalisierung.

Mit welchen Begründungen wurden die Sprachgemeinschaften zu Schicksalsgemeinschaften zusammengeschmiedet? Welche Berechtigung hat der allgemein gebräuchliche Terminus der „Wiedergeburt“?

Im folgenden bieten wir einen kurzen geschichtlichen Überblick über die Eckdaten der Erneuerungsbewegungen in Südost- und Mitteosteuropa. Dabei verlassen wir die imaginären Grenzen des historischen Kulturraums Südosteuropas, um das Verständnis für die überregionalen Zusammenhänge zu vertiefen.  ...
Klickt euch bitte durch die obigen Kurzbeschreibungen einiger Staaten des Balkans durch; für einen ersten Überblick.



Wenn wir unter einer Nationalbewegung das gemeinschaftliche Vorhaben verstehen, dass ein Volk seine politische Bestimmung in einem Staat finde, dessen Institutionen in seiner Sprache und an seinen Wertvorstellungen, und dessen Grenzen an seinem angestammten Siedlungsgebiet ausgerichtet sind, so setzt dies ein entsprechendes Bewusstsein einer Gruppe von Menschen voraus, sich in diesem Sinne als Gemeinschaft zu begreifen. In der östlichen Mittelmeerwelt war dieses Bewusstsein anfangs jedoch recht schwach und die Voraussetzungen mussten erst geschaffen werden, das nationale Bewusstsein einer Bildungselite zu einem grossen Strom werden zu lassen. Eine ähnliche Erfahrung wie Fallmerayer sollte noch sehr viel später der amerikanische Missionar Jenney Ende des 19. Jhds. machen, als er mit der Sprachenvielfalt auf dem Balkan konfrontiert wurde. Seiner Beobachtung zufolge waren viele Menschen dort ausserstande, ihre Nationalität eindeutig zu bestimmen. Denn es gab ebenso hellenisierte Bulgaren wie bulgarisierte Griechen. “Serben, Vlachen, Albaner und andere haben sich fast unentwirrbar vermischt.
aus der sehr interessanten und überaus viele Aspekte behandelnden Dissertation: Michael KREUTZ: Modernismus und Europaidee in der Östlichen Mittelmeerwelt, 1821-1939.

Aus dem Lesen dieser Dissertation heraus lassen sich viele Themen besser verstehen, daher hier nun einige Auszüge mehr und das Inhaltsverzeichnis, um einen Überblick zu geben, über welche Themen man dort eine recht gut lesbare Einführung erhält:

Das Besondere ist, dass sie  interdisziplinär den Einfluss des Osmanischen Reiches auf die in seinem Territorium vertretenen Kulturen aufgreift und den Einfluss europäischer Ideen im Wandel der Zeit. Also z.B. das Aufkommen des Nationalismus bei den "beherrschten" Völkern untersucht, bis diese Idee letztlich auch mit seinen fatalen Folgen bei den "Beherrschern" (also den Türken selber) zum Zuge kommt, als eine der letzten Völker im Osmanischen Reich.
Wie immer reicht es schon, einige letzte Sätze oder einleitende Sätze der Kapitel zu lesen, um einen Eindruck der Arbeit zu erhalten, aber auch die Literaturliste dürfte bei denen von Interesse sein, die sich mit Südosteuropa beschäftigen.
Diese Arbeit zeigt teilweise auf, wie die Südosteuropäer, aber auch Türken, Araber, Zionisten/Juden usw. zu ihrem Geschichtsbild gekommen sind, die z.T. heute noch bei vielen Diskutanten immer wieder durchscheint, ohne das sie sich Gedanken darüber machen, wie sie zu ihrem Geschichtsbild überhaupt gekommen sind.

Einige Zitate, die mir spontan ins Auge fielen als "Leseproben":
Da das Osmanische Reich ein imperialer Machtstaat war, wird die osmanische Kultur mit Unfreiheit und Knechtschaft assoziiert. Die Loslösung von diesem kulturellen Einfluss setzt allerdings voraus, dass dieser nur äusserlicher Natur war, der den wahren Kern des Nationalcharakters eines Volkes nicht wirklich umzugestalten imstande war, eine Entosmanisierung der Gesellschaften mithin automatisch nach Europa führen müsse. In der Praxis führt dieser Glaube noch heute dazu, dass eine osmanische Herkunft einzelner Elemente der eigenen Kultur nur zu gerne geleugnet wird. [...]

[...] In den 1880er Jahren begann die griechische Geschichtswissenschaft, eine griechisch-bulgarische Erbfeindschaft mit dem Mittelalter zu konstruieren. [...]

[...] Als [albanisches] Vehikel einer Abgrenzung vom Türkentum dienten die Kryptochristen, unter die manchmal auch die Anhänger des islamischen Bektaschi-Ordens gezählt wurden. Eine Extrapolation dieser Anschauung liegt in der Behauptung, dass die vermeintlichen Ur-Albaner, die Illyrer, nach dem Kontakt mit dem Islam Kryptoheiden geblieben seien. [...]

[...] Das Selbstverständnis von einer Nation, die ihre Wurzeln auf die Antike zurückführt, konnte jedoch ein für die eigene Geschichte bedeutendes Gebiet wie Kleinasien nicht einfach ignorieren. Es war nur konsequent, die Staatsgrenzen auf Kleinasien auszudehnen. ... Ion Dragoumis (1878-1920) fordert in seinem Pamphlet “Die Lebenden” (Όσοι ζωντανοί, 1911), dass die Schaffung des Staates Vorrang vor der der Kultur haben müsse: “Erst ihren Staat, und danach ihre Kultur – dies ist es, was die Griechen gemeinsam schaffen müssen.” Sein Stil zeichnet sich durch eine naive Blut-und-Boden- Romantik sowie extreme Xenophobie aus. [...]

[...] Der Forschungsgegenstand ist dabei nicht nur für das Verständnis des Osmanischen Reiches interessant. Er wirft auch neues Licht auf die Idee von Europa, dem sich zuweilen auch Eliten ausserhalb dessen zugehörig fühlten, während es andererseits in seinem Inneren ebensolche Bestrebungen gab, nicht dazugehören zu wollen. Europa erscheint damit als weit mehr als nur die Bezeichnung für einen Kontinent. [...]
usw.

Inhaltsverzeichnis:

Modernismus und Europaidee in der Östlichen Mittelmeerwelt, 1821-1939.

Inaugural-Dissertation
Fakultät für Philologie der RUHR-UNIVERSITÄT BOCHUM
Michael KREUTZ

INHALT:
I. Ideen 7

1. Europa als Idee 7
2. Die Verbreitung der Europaidee 11
3. Renaissancen 16


II. Moderne 28

1. Kontakte 28
2. Gesellschaft und Wandel 36
3. Die Entstehung einer Öffentlichkeit 47


III. Wiedergeburt 52

1. Phönizier, Pharaonen und das Mittelmeer 54
2. Hellenen und Romäer 73
3. Juden und Hebräer 80
4. Ionien und Anatolien 86
5. Iran und Turan 88


IV. Sprachenfragen 94

1. Griechisch: Zwischen Homer und Koine 94
2. Arabisch: Zwischen Christen und Muslimen 103
3. Hebräisch: Rückkehr in die Zukunft 112
4. Türkisch: Eine neue Sprache für eine neue Nation 117


V. Zivilisation 120

1. Neo-Hellenismus und neue Epik 123
2. Freiheit und Fortschritt 158
3. Nationen und Nationalismen 171

Sehr empfehlenswert mal in dieser Dissertation zu schmökern, und sei es auch nur, um weitere interessante Sekundärliteratur zu entdecken.



Riedel, Sabine, Sprach- und Nationalstaatsbewusstsein in den Balkanländern im 19. und 20. Jahrhundert, in: Jürgen Elvert (ed.), Der Balkan. Eine europäische Krisenregion in Geschichte und Gegenwart, Stuttgart 1997, S. 49-57.: 
Im Falle des Namensstreits zwischen Griechenland und der Republik Makedonien geht es sogar um die Interpretation von historischen Ereignissen, die mehr als 2 000 Jahre zurückliegen. Damit einher geht ganz offensichtlich eine Sprachpolitik oder Politik mit der Sprache, die nach innen gerichtet, d.h. die eignen ethnischen Minderheiten betreffend, oftmals repressiv wirkt und den Nachbarstaaten gegenüber meist feindlich gesinnt ist. Nicht zuletzt erlebt dadurch im gesamten Balkanraum ein Sprachnationalismus seine Renaissance, wie er bereits bei der Staatsgründung der Balkanländer im 19. Jahrhundert Pate gestanden hat. [...]
Zu diesem Mechanismus des Zusammenwirkens von Sprachnationalismus und Nationalstaatsbewußtsein lassen sich eine ganze Reihe von Beispielen aus den aktuellen Ereignissen auf der Balkanhalbinsel herausgreifen. Besonders interessant ist darunter das erneute Aufflammen der Diskussion um die Existenz einer makedonischen Schriftsprache. [...]
Die Tatsache, daß die Schaffung neuer Standardsprachen Ausdruck politischer Willensentscheidungen ist, zeigt das Beispiel des Zerfalls Jugoslawiens bzw. der serbokroatischen Schriftsprache. [...] Resümierend läßt sich also feststellen, daß der Nationalstaat auf dem Balkan heute eine Renaissance feiern kann, wobei er den Nationsbegriff über die Köpfe von Minderheiten hinweg stillschweigend nicht als eine politische Gemeinschaft sieht, sondern sie als eine, wie auch immer ethnisch geprägte Schicksalsgemeinschaft zusammenfaßt. Dabei wird auch, wie im Falle des Serbokroatischen oder Kroatoserbischen selbst eine gemeinsame Standardsprache als Verständigungs- und Kommunikationsmittel bewußt aufgegeben, um eine Identität zwischen Staat, Nation und Standardsprache herzustellen. Ob dieses Sprach-und Nationalstaatsbewußtsein zu einer Friedensregelung in Südosteuropa beitragen kann, möchte ich hier bezweifeln. Denn die Vereinigung einer Sprachgemeinschaft auf einem Staatsterritorium ist in der Praxis nur mit kriegerischen Mitteln zu realisieren.


HOBSBAWN nennt 3 Stadien bei der Schaffung einer nationalen Identität:
1) Im ersten Stadium befasst sich eine kleine Gruppe von großteils apolitischen Wissenschaftlern und Amateuren mit extensiven Literaturstudien und Folklorestudien.

2) Im zweiten Stadium verwendet eine hochgradig politisierte Gruppe die akkumulierten Untersuchungen, oft in einer sehr ideosynkretischen Art. Sie konstruiert ein politisch-nationales Programm, eine nationalistische Ideologie oder einen Mythos. Dieser wird zum Brennpunkt einer intensiven politischen Agitation.

3) Im letzten Stadium wird dieses nationalistische Programm in großem Stil propagiert.

aus: Einführung in die Ethnologie Zentralasiens
Skriptum zusammengestellt von Marion Linska, Andrea Handl, Gabriele Rasuly-Paleczek. Wien Jänner 2003.

Schaut ruhig mal in das Inhaltsverzeichnis des obigen Skripts hinein, denn es werden dort auch wesentlich mehr Dinge behandelt, als man zuerst meint. Z.B. wird einem bewusst, wie damals in den Steppen Identitäten gebildet wurden, also auch wechselten, und daher "blutsmäßige" Verwandschaftsbeziehungen zwischen Ethnien gar nicht immer so klar sind, wie heutzutage Nationalisten oder Ultranationalisten so denken. Oder die Definition von Nomaden, Halbnomaden, etc. Viele grundlegende Dinge werden dort neben ereignisgeschichtlichen Themen abgehandelt. Lesenswert!

Dieses obige dreigliedrige Muster einer Nationenwerdung finden wir übrigens auch teilweise in der Entstehungsgeschichte der türkischen Republik. Dabei ist besonders auffällig, dass heutige Gesprächspartner nicht selten mit Werken aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert argumentieren möchten, die nicht selten aus diesem oben erwähntem Kreis der "Amateure" stammen. Auch heutige Wissenschaftler, die sich mit ihrer Nationalgeschichte z.B. auf dem Balkan stark befassen, sind mitnichten immer ausgebildete Historiker. Müssen sie auch nicht sein, aber sie sollten schon sehen, was in internationalen Universitäten der Slavistik, aber auch der Turkologie, Neograezistik, usw. gelehrt wird.

In einer weiteren Blogpost-Folge werden wir dann konkretere Zitate lesen, wie das Verhältnis von Nichtmuslimen und Muslimen insgesamt im Osmanischen Reich heutzutage gesehen werden müsste.


(Bildquelle: Wikimedia Commons, von Uzo19)

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