Auch in der Türkei, speziell in Istanbul gibt es viele Minderheiten in einer muslimischen Mehrheitsbevölkerung. Wie leben sie, was denken sie? Abgesehen von bei uns in den Medien auftretenden Minderheitenprobleme in der Türkei, worüber natürlich (zurecht) gesendet und geschrieben wird, gibt es noch ein Leben der Minderheiten jenseits von Problemen, welches medial in Deutschland quasi inexistent und damit unbekannt ist.
Übrigens, nicht alle Probleme der Minderheiten in der Türkei resultieren daraus, weil sie eben Minderheiten sind. Manchmal ist es auch einfach ein normaler Rechtsstreit, der aber natürlich medial (gegebenfalls von einem oder beiden Kontrahenten durchaus instrumentalisiert oder befördert) ausgeschlachtet werden kann, und es manchmal bis in deutsche Medien schafft, inzwischen gewandelt zu der Stereotype von den "unterdrückten Minderheiten" und den "nationalistischen und diskriminierenden Behörden". Oder manchmal ist es auch einfach Kriminalität. Manchmal ist es auch einfach Streit unter Nachbarn, nicht weil sie unterschiedliche Muttersprachler sind, nicht weil sie unterschiedliche Religionen haben, sondern einfach, weil sie unterschiedliche Charaktere sind - der eine egoistisch, eingebildet, ausnutzend, ungerecht, der andere streitlustig, jammernd, jähzornig, dickköpfig.
Aber letzteres ist natürlich keine so große "Story". Weder für türkische, noch für deutsche "Revolverblätter"...
Die historische Altstadt von Istanbul, Blickrichtung Südosten zum Marmarameer hin |
Nun hat Yüksel Yavuz eine Liebeserklärung an Istanbul zu einem Dokumentarfilm verarbeitet - aus der Sicht der Minderheiten der Stadt: Sensucht nach Istanbul.
Der WDR schreibt:
Istanbul, in diesem Jahr neben Essen und dem ungarischen Pécs Europas Kulturhauptstadt 2010, ist mit rund dreizehn Millionen Einwohnern die größte Stadt der Türkei. Die Metropole gilt als das kulturelle Zentrum des Landes, ihr besonderes Kennzeichen ist die multiethnische Bevölkerung. Hier leben alteingesessene und neue Minderheiten wie Kurden, Zaza, Griechen, Roma, Armenier und Juden, insgesamt vier Millionen Menschen.Nun, wieviele Menschen als Minderheiten in Istanbul leben, weiß wohl niemand so genau, aber die meisten der neu hinzugezogenen sind zweifellos Kurden.
Es ist auch nicht so, dass das Leben und die rechtliche Lage von Minderheiten in der Türkei immer gleich bleibt.
So schrieb ein österreichisches Roma und Sinti-Blog kürzlich:
Während in Rumänien derzeit die Bezeichnung „Zigeuner“ statt „Roma“ per Gesetz durchgesetzt werden soll (mehr hier und hier) wird in der Türkei die analoge Bezeichnung „Cingene“ aus den Gesetzestexten entfernt. Laut Vizepremier Bülent Arinç komme dieser Änderung eine symbolische und psychologische Bedeutung im Kampf gegen Diskriminierung zu. Anlässlich eines Treffens mit über zwanzig türkischen Roma-Organisationen kündigte Staatsminister Faruk Çelik die Änderung einer ursprünglich aus den 1930er Jahren stammenden Gesetzespassage an, (...) „Ich weiß, dass die Roma stolz sind, Bürger der Türkei (...) zu sein. (...) Deshalb wurden Ausdrücke, die die Roma erniedrigen, 2006 aus den betreffenden Gesetzestexten entfernt“, so Faruk Çelik.Es ist also etwas im Fluss in der Türkei, nicht zuletzt durch die Annäherung an die EU initiiert. Hoffen wir, dass durch steigendem Wohlstand, steigendem Bildungsgrad auch die hartnäckigen Vorurteile gegenüber Minderheiten langsam bröckeln, und damit die gelegentlichen Diskrimierungen in der Türkei - aber wie wir in Deutschland sehen, ist dieses ein mühseliges und langwieriges Unterfangen.
2009 startete die Regierung ihre „Roma-Initiative“ zur Verbesserung der Lage (hier mehr) der über drei Millionen Roma in der Türkei. Im Dezember 2009 trafen sich rund 120 Roma-Vertreter zu einem „Workshop“, in dem die Anliegen und Probleme der Roma-Communities in der Türkei behandelt wurden. Ein gemeinsamer Abschlussbericht fasste die Forderungen der Volksgruppe an die Politik zusammen. Im Rahmen der „Roma-Initiative“ lud Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan im März 2010 zu einer Großveranstaltung mit fast 10.000 Roma.
Der Film "Sensucht nach Istanbul" versucht, anhand der Musik die Spuren dieser Minderheiten in der Stadt ausfindig zu machen, um zu erfahren, wie sie leben und welches Verhältnis sie haben zu Geschichte und Gegenwart dieser multiethnischen Metropole.
Dieser wurde vor kurzem auf arte gesendet, und kann hier in vier Teilen auf youtube angeschaut werden:
Für die weiteren Teile schaut bitte direkt in youtube weiter.
Übrigens, der durchaus beklagenswerte Verlust der Kultur der Minderheiten, auch ihrer Sprache bei der jungen Bevölkerung, ist durchaus nicht immer so einfach durch das muslimische bzw. eher noch durch das türkisch-nationalistische Umfeld zu erklären, sondern ist nicht selten einfach ein Zeichen der heutigen Zeit. Ähnliche Probleme mit dem Erhalt der Kultur und Sprache oder Dialekt haben auch etliche Gruppen in Deutschland, zum Beispiel die Ostfriesen, oder viele weitere Gruppen in unserer immer globalisierteren Welt, die vom Verschwinden bedroht sind.
Wer noch nicht genug von Istanbul hat, kann sich auch diese arte-Produktion Planet Galata anschauen:
(Bildquelle: Wikimedia Commons)
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