Montag, 19. September 2011

Mustafa Kemal Atatürk - 2. Teil

Besuch Atatürks in der juristischen Fakultät der Istanbuler Universität 1930

Hier nun der zweite Teil von Informationen über Mustafa Kemal Atatürk. Den ersten Teil kann man hier nachlesen:

Mustafa Kemal Atatürk - 1. Teil


Säkularisierung und „Modernisierung“

1925 werden die Schreine (tü. türbe) und die Derwisch-Häuser (tü. tekke) geschlossen, die Derwisch-Organisationen werden verboten. Dies geschah im Anschluss an einen sowohl religiös als auch ethnisch motivierten Aufstand im Osten (Raum Diyarbakır) unter Führung des Nakşibendi-Scheichs Sait, an dem außer dessen Gefolgsleuten auch nationalistisch gestimmte Kurden teilnahmen. Der Aufstand wurde innerhalb weniger Wochen niedergeschlagen.

1925 wird der Fez verboten; Turban darf nur noch von dafür zuständigen Personen in dafür vorgesehenen Räumlichkeiten getragen werden (Moschee). Fez und Turban waren in bestimmten Kreisen, vor allem der Armee, bereits außer Mode gekommen, und wichtiger für den Alltag war vielleicht die Bestimmung, man solle den Hut in Innenräumen abnehmen.
Diese Maßnahme sollte – ähnlich wie Kleidervorschriften in der Tanzimat-Periode – zu einer „Entorientalisierung“ führen, es gab weitere Vorschriften mit ähnlicher Zielsetzung. Eine gezielte und staatlich gelenkte „Entschleierung“ von Frauen hat es in der Türkei nie gegeben, und es hat auch nie ein Verbot gegeben, in der Öffentlichkeit den Schleier (in welcher Form auch immer) zu tragen; verboten ist „nur“ das Tragen entsprechender Kleidungsstücke im Öffentlichen Dienst, wozu auch der Schulbesuch und das Studium an Universitäten gehört.
1935 wird der Sonntag als wöchentlicher Feiertag eingeführt; vorher war das der Freitag. Zur Säkularisierung im weiteren Sinn gehören auch die Einführung der europäischen Uhrzeit, der lateinschriftlichen „arabischen“ Zahlen 1928 und „europäischer“ Maße und Gewichte 1931 (Meter, Gramm, Sekunde als zentrale Maßeinheiten).
1926 wird der europäische Kalender eingeführt. Gleichzeitig werden Reformen im Rechtssystem durchgesetzt: Man übernimmt den Code civil der Schweiz und das Strafgesetzbuch aus Italien. Mit der Übernahme des Code civil aus der Schweiz und dem Strafgesetzbuch aus Italien verlieren die islamischen Gelehrten eine wichtige Domäne, die letzte, die sie noch hatten (außer dem Gottesdienst selbst), nämlich die Verwaltung von Familienrecht: Ehe, Scheidung, Erbschaft, und damit auch eine zentrale Einnahmequelle. Gegenüber der Vorkriegs-Politik ist neu: die Säkularisierung des Familienrechts und die Maßnahmen zur Unterdrückung der Derwisch-Vereinigungen. Das Verbot dieser Gruppen gilt bis heute, wird aber vielfältig umgangen.

Kontrolle über die Zivilgesellschaft

Ab Mitte der 20er Jahre werden alle Vereinigungen verboten und geschlossen, die sich nicht unbedingt dem Diktat der CHP und ihrer Leitung unterwerfen, sie werden durch parteinahe Organisationen ersetzt. Das betrifft die Kulturvereinigung und die Frauenrechtlerinnen. 1925 wird die Presse an die kurze Leine genommen. Keine oppositionellen Blätter sind mehr erlaubt, mit einer einzigen Ausnahme (Yarın), dieses Blatt wird 1931 geschlossen. 1933 wird die alte Istanbuler Universität Darülfünun geschlossen und als İstanbul Üniversitesi neu gegründet. Bei dieser Gelegenheit findet die erste massive Säuberung des akademischen Lehrkörpers statt, ca. zwei Drittel der Lehrenden werden entlassen und nur das zuverlässigste Drittel bleibt im Amt.
Im Bereich der Kontrolle über das religiöse Leben werden 1924 bereits die zuständigen Ämter geschaffen: Eines zur Kontrolle der religiösen Bediensteten unter der Bezeichnung Diyanet Işleri Müdürlüğü, eines zur Kontrolle der Stiftungen Evkaf Umum Müdürlüğü. Hier zeigt sich, dass im Kemalismus „Laizismus“ nicht unbedingt die vollständige Trennung von Staat und religiöser Professionalität meint, sondern eben auch staatliche Kontrolle über das religiöse Leben.

Sprach- und Schriftreform

Einführung des lateinischen Alphabets (als „türkische Schrift“). 1926 waren die Turksprachen der Sowjetunion auf Lateinalphabet (mit Modifikationen) umgestellt worden. Auch für das Türkei-Türkisch hatte es schon früher Bestrebungen gegeben, die Schrift grundlegend zu reformieren, wobei man zwischen einer Reform des arabischen Alphabets und einer Umstellung auf Lateinschrift schwankte. Die Umstellung des Azeri-Türkischen auf Lateinschrift war ein wichtiger Beweggrund, diesen Weg einzuschlagen.
Das Schriftreformgesetz wurde am 1.11.1928 verkündet, und ab 1.1.1929 war die Nutzung des neuen Alphabets obligatorisch.

Karte:
Die Aufteilung des Osmanischen Reiches


Karte:
Das Osmanische Reich zwischen 1914 und 1920


Karte:
Verlauf militärischer Auseinandersetzungen in Kleinasien

aus:
Ergebnisse des Ersten Weltkriegs

Sonntag, 18. September 2011

Mekka

Kaaba in Mekka
Ich hatte hier im Blog schon zweimal Informationen zu Mekka und zu der Kaaba veröffentlicht:

Abraham und die Kaaba in Mekka

Artikelserie: Die Zerstörung von Mekka - Wahhabiten


Heute möchte ich passend dazu ein frei verfügbares Beispiel eines Artikels der renommierten Encyclopaedia of Islam vorstellen. Wer seriöse und fundierte Information zu allen möglichen Themen des Nahen Ostens, aber auch zu ehemals beherrschten Gebieten oder heutigen Regionen mit muslimischer Bevölkerung erfahren möchte, ist bei dieser Enzyklopädie an der richtigen Stelle. Es gibt auch einen Ableger in türkischer Sprache: İslâm Ansiklopedisi. Besonders bei Orientalisten ist dieses Nachschlagewerk ein unersetzliches Werkzeug, sollte aber auch bei hobbymäßig Interessierten in den Blick genommen werden. Zum Kaufen wird sie für die meisten sowohl in der CD-Version, als auch in Buchform zu teuer sein. Es gibt jedoch die Möglichkeit zumindest als Student in der Uni einen Zugang zur Online- oder zur CD-Version zu bekommen. Daneben bietet googlebooks Einblicke in viele Bände der veralteten Erstauflage.

Man sollte jedoch beachten, dass manchmal die Artikel der 2. Auflage etwas oder sogar sehr veraltet sein können. Daher ist momentan auch eine Neuauflage in Arbeit, in die sukzessive nachgeschlagen werden kann.

Ich hatte ja bereits einen anderen frei lesbaren Artikel aus dieser Enzyklopädie hier vorgestellt:

Sultan Süleyman der Prächtige

Freitag, 16. September 2011

Kartographie im islamischen Kulturraum

berühmte Seekarte des Osmanen Piri Reis,
mit Teilen Amerikas, 16. Jh.
Ich habe vor einiger Zeit etwas sehr schönes im Netz gefunden, was ich euch hier nicht vorenthalten möchte. Ein kostenloses Ebook der University of Chicago Press über Kartographie im islamischen Kulturraum von 1992.

Beschreibung:
The first book of volume 2 of the monumental History of Cartography focuses on mapping in non-Western cultures, an area of study traditionally overlooked by Western scholars. Extensive original research makes this the foremost source for defining, describing, and analyzing this vast and unexplored theater of cartographic history. Book 1 offers a critical synthesis of maps, mapmaking, and mapmakers in the Islamic world and South Asia.

Ein Ausschnitt aus der Einleitung:
One objective of The History of Cartography is to redefine and expand the canon of early maps. The corpus of maps (or map types)  described in the previous literature on the history of cartography appears to us today unduly restricted  and  unnecessarily  exclusive.  It  was  based  on assumptions that narrowed its scope and rendered it unrepresentative  of the  richness  of mapping  across  the  historical  civilizations  of  the  world  as  a  whole.  "Maps" meant, in that literature, primarily terrestrial maps, so that star maps, cosmographical maps, and imagined maps, for example, were generally excluded as ways  of seeing the world.  With  the  notable  exception  of the  inclusion  of China,  cartographic  history  was  pictured  as  largely  a Greco-Roman  invention  or  was  narrated,  for  the  later periods (the sixteenth century onward), as an accompaniment to the "miracle" of expanding European technology.  Even  within  the  core  of  accredited  cartography, pride of place was given to the history of mathematically constructed-"scientific"-maps,  so  that  the  history  of maps could culminate in the "scale" maps of the modern age and fit the notion of "progress" from a primitive past to a state of modern enlightenment. ...


Ein Jahr nach Sarrazin

 Necla Kelek, die in ihrer Diplomarbeit das Gegenteil dessen schrieb, wie in ihren Bestsellern

Ein Jahr nach Thilo Sarrazins Bestseller "Deutschland schafft sich ab". Ein Jahr, in dem weltweit viel passierte was wahrlich bedeutsamer ist - und sein wird für die Weltgeschichte.
Auch bald ein Jahr seit Gründung dieses Blogs, nicht zuletzt aufgrund der damaligen Debatte. Ich hatte hier schon mehrfach diverse Artikel zum Thema verfasst.
Dieses hier soll keine Bilanz werden, sondern ein Rückblick auf ein Forenposting von mir, welches schon vor einem Jahr das Dilemma beschrieb was ursächlich für den Erfolg eines Sarrazin, Necla Kelek, etc. mitverantwortlich war:

Die öffentliche Meinung, und Großteile der veröffentlichten Meinung durch die Journalisten, folgen lieber ihren Vorurteilen statt der wissenschaftlichen Empirie.
Als Kronzeugen und Bestätigung dienen dann solche Bestseller von Thilo Sarrazin, Necla Kelek, Seyran Ateş, Henryk M. Broder, und Co.

...Bei diesen Werken handelt es sich um eine Mischung aus Erlebnisberichten und bitteren Anklagen gegen den Islam, der durchweg als patriarchale und reaktionäre Religion betrachtet wird. ...
Allerdings sollte man annehmen, dass Verwaltung und Ministerium dem interessierten Publikum eine Literatur empfehlen, die eine aufklärende Wirkung hat, also eine Literatur, deren Aussagen wissenschaftlich abgesichert sind. Tatsächlich ist aber genau das Gegenteil der Fall – bei den erwähnten Büchern handelt es sich um reißerische Pamphlete, in denen eigene Erlebnisse und Einzelfälle zu einem gesellschaftlichen Problem aufgepumpt werden, das umso bedrohlicher erscheint, je weniger Daten und Erkenntnisse eine Rolle spielen.
Die Literatur ist unwissenschaftlich und arbeitet ganz offensichtlich mit unseriösen Mitteln. Necla Kelek beispielsweise hat vor etwa drei Jahren ihre Dissertation zum Thema Islam und Alltag vorgelegt, in der sie zu ganz anderen Ergebnissen kommt als in Die fremde Braut.
...
Offenbar wurden hier die eigenen – und zwar wissenschaftlich abgesicherten – Erkenntnisse mutwillig verbogen, um am Buchmarkt einen Erfolg zu landen und sich dabei selbst als authentischen und vorgeblich wissenschaftlich legitimierten Ansprechpartner für alles, was mit »den Türken« oder »dem Islam« zu tun hat, in Szene zu setzen. Das Kalkül geht auf, von der taz bis zur ZEIT wird Kelek gern konsultiert, wenn es darum geht, »türkische« oder »islamische« Verhaltensweisen zu deuten.
...
Wir, die Verfasser und Unterzeichner dieses offenen Briefes, sind Forscher und Forscherinnen, die zu unterschiedlichsten Facetten des Themas Migration gearbeitet haben – zu Generationenbeziehungen, Zugehörigkeit, Islamvorstellungen, Lebensentwürfen, Ethnizität und Ethnisierung, Rassismus und Identitätsentwicklung.
In den letzten Jahren hat sich in Deutschland eine quantitativ und qualitativ-empirische Migrationsforschung entwickelt, die international anschluss- und konkurrenzfähig ist. Wenn auch Unterschiede existieren, was die theoretische Rahmung der Befragungsergebnisse betrifft, so gibt es doch ganz erstaunliche Übereinstimmungen in den Ergebnissen unserer Forschung.
...
Es wird also Zeit, eine rationale Diskussion über die zukünftige Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft zu führen. Doch das kann man nicht auf der Grundlage von Boulevardliteratur tun, sondern indem man sich auf Erkenntnisse stützt, die auf rationale Weise gewonnen wurden."

60 Forscherinnen und Forscher unterschrieben diesen Offenen Brief:

Liane Aiwanger, Prof. Dr. Georg Auernheimer, Hayrettin Aydin M.A., Prof. Dr. Sigrid Baringhorst, Dipl.Päd. Sonja Bandorski, Dipl.-Sozialarbeiterin Isabel Basterra, Prof. Dr. Johannes Bastian, Robin Bauer, Prof. Dr. Ursula Boos-Nünning, Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Ibrahim Cindark, Prof. Dr. Helene Decke-Cornill, Dr. Christoph Fantini, Schahrzad Farrokhzad, Prof. Dr. Hannelore Faulstich-Wieland, Prof. Dr. Helena Flam, Dr. Sara Fürstenau, Prof. Dr. Klaus F. Geiger, Prof. Dr. Ingrid Gogolin, Heike Mónika Greschke, Dr. Ursula Günther, Dr. Encarnation Gutierrez Rodriguez, Dr. Maria Hallitzky, Prof. Dr. Franz Hamburger, Prof. Dr. Gudrun Hentges, Prof. Dr. Leonie Herwartz-Emden, Prof. Dr. Havva Engin, Dipl.-Päd. Matthias Hofmann, Dr. Merle Hummrich, Dr. phil. Dipl.-Päd. Telse A. Iwers-Stelljes, Dr. Margarete Jäger, Prof. Dr. Siegfried Jäger, Prof. Dr. Barbara John, Elli Jonuz, Dipl.-Psych. Birsen Kahraman, Prof. Dr. Annita Kalpaka, Serhat Karakayali, Prof. Dr. Gritt Klinkhammer, Christoph Kodron, Dr. Annette Kracht, Dipl.-Psych. Angela Kühner, Dr. Susanne Lang, Dr. Rosa Maria Jiménez Laux, PD Dr. Rudolf Leiprecht, Prof. Dr. Ingrid Lohmann, PD Dr. Helma Lutz, Dipl.-Soz. Melanie Mahabat Bahar, PD Dr. Paul Mecheril, Dipl.-Päd. Claus Melter, Dipl.-Päd. Stephan Münte-Goussar, Prof. Dr. Ursula Neumann, Dr. Heike Niedrig, Dr. Ulrike Ofner, Mag. Dr. Nikola Orning, Dipl.-Psych. Berrin Özlem Otyakmaz, Prof. Dr. Karl-Josef Pazzini, Dr. Matthias Proske, Dr. Regina Römhild, Prof. Dr. Hans-Joachim Roth, Dr. Rosemarie Sackmann, Jörn Schadendorf, Dipl.-Päd. Anne Schondelmayer, Inga Schwarz, Uschi Sorg, Dr. Ugur Tekin, Prof. Dr. Dietrich Thränhardt, Dr. Anja Weiß, PD Dr. Erol Yildiz, Cigdem Yoksulabakan.
Quelle:
Petition auf der ZEIT

Donnerstag, 15. September 2011

Anschläge und Gewalt gegen Moscheen und Muslime

Diese Berliner Moschee wurde gleich
mehrfach Ziel eines Brandanschlages
Schon vor mehr als einem Jahr fragte ich mich, ob es denn nicht eine spezifische und detailliertere Untersuchung zu Gewalt gegen Muslime oder zu Anschlägen auf muslimische Einrichtungen wie zum Beispiel Moscheen gäbe.

Ich musste bei meinen Internetrecherchen schnell feststellen, das zwar die Gewalt durch Rechtsradikale zumeist auf Migranten durchaus untersucht und auch quantifiziert wurde, auch bezogen auf Gewalt gegen jüdische Einrichtungen, Friedhöfe, und dergleichen, jedoch speziell Gewalt gegen Muslime und deren Einrichtungen eher nicht erfasst oder untersucht wurde.

Und dies verwunderte mich, höre ich doch immer mal wieder seit Jahren von diversen Anschlägen gegen Moscheen, oder Kultureinrichtungen von Muslimen, von Brandsätzen angefangen, bis hin zu Attacken mit Schweineblut oder Hakenkreuz-Schmierereien. Wieso wird dieses nicht gesondert betrachtet, sondern verschwindet meist - wenn überhaupt - in irgendwelchen Lokalseiten kleiner Tageszeitungen? Müssen erst wieder Menschen verbrennen, bis ein öffentliches Bewusstsein geschaffen wird, und verstärkte Anstrengungen und geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen werden?

Ich sprach im Blog schon einmal von dem vielleicht zunehmenden Unwohlsein von hiesigen Muslimen, und dem wohl oft geäußerten Wunsch, dieses im Einzelfall subjektiv als zumindest gastunfreundlich empfundenes Land zu verlassen - wenn man denn gut ausgebildet ist, also genau zu jenen Fachkräften gehört, die Deutschland so dringend benötigt - nicht zuletzt auch um dadurch weitere Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor zu schaffen:

Brandanschlag auf Moschee und das Unwohlsein von Muslimen


Bekanntlich führt ja "hate speech" zu "hate crime".
Dies sollte eigentlich auch dem letzten Hinterbänkler nicht erst seit dem Terroranschlag des Rechtspopulisten Anders Breivik in Oslo bewusst sein.

Schauen wir also mal in diesem Blogposting, ob es da einigermaßen valide Daten zu einem eventuellem Anstieg von islamophober Gewalt gibt.

Montag, 12. September 2011

Mustafa Kemal Atatürk - 1. Teil

Besuch Atatürks in der juristischen Fakultät der Istanbuler Universität 1930
Merkwürdigerweise gibt es im Internet kaum brauchbare deutschsprachige Informationen, wenn man etwas zu einem sehr wirkmächtigem Mann des 20. Jahrhunderts finden möchte: Mustafa Kemal Atatürk.

Dabei bezog sich sein Einfluss nicht nur auf die Türkei, die er vom zusammenbrechenden Osmanischem Reich nach dem 1. Weltkrieg und dem Unabhängigkeitskrieg in die moderne türkische Republik überführte, sondern weit darüber hinaus. Denn sein Wirken wurde in allen antikolonialen Bewegungen wahrgenommen und rezipiert, von Pakistan, über Ägypten, bis zu zahlreichen afrikanischen Staaten.
Immerhin war die Türkei zusammen mit Japan eines der wenigen Länder der Erde, die nicht kolonialisiert wurden oder unter starkem kolonialem Einfluss gerieten. Insofern als Vorbild für andere dienten.
Dabei ist mir bewusst, dass wenn die Großmächte sich hätten einigen können, das Osmanische Reich sicher nicht einer Kolonialisierung auf Dauer hätte standhalten können, sondern das Schicksal gedroht hätte, das den ehemaligen Provinzen des Osmanischen Reiches an der Peripherie widerfahren ist.

Viele Staatsmänner haben ihn gepriesen, und dies war durchaus nicht einem Opportunismus geschuldet, dass man zum Beispiel bei Besuchen in der Türkei mit warmen Worten gegenüber Atatürk so manche Punkte beim Gastgeber machen kann.

So würdigte der ehemalige US-Präsident John F. Kennedy, zum 25. Todestag 1963 ihn mit den Worten:
Der Name „Atatürk“ erinnert mich an die historischen Siege eines der größten Männer dieses Jahrhunderts, an seine schöpferische Fähigkeit zu regieren, an seine Weitsicht, an seinen großen Mut und an sein Können als Soldat.
Der ägyptische Staatspräsident Anwar as-Sadat bekannte noch im Jahr seiner Ermordung durch radikale Islamisten 1981:
Er war die Quelle des Lichts für jedes Land, das sich gegen den Imperialismus auflehnte und für die Freiheit kämpfte. Schließlich haben auch wir, die jungen Offiziere der ägyptischen Revolution, unsere Revolution gemacht, indem wir Atatürk genau gelesen und verstanden haben. Er wurde uns zum Wegweiser.
Erstaunliche Aktualität der Worte, angesichts des arabischen Frühlings.

Jedenfalls möchte ich hiermit einige westliche Informationen zu diesem Staatsgründer geben, die auch einer seriösen Betrachtung einigermaßen standhalten. Denn im Internet gibt es zwar alles, aber das Problem besteht darin erkennen zu können, was seriös ist und was eher nicht, oder was zu einseitig, zu schönfärberisch, daherkommt.
Und bei Mustafa Kemal Atatürk musste ich feststellen, dass es bei deutschsprachigen Seiten nicht so einfach ist, die Spreu vom Weizen zu trennen.



Wer mehr über ihn lesen möchte, dem seien diese vier Bücher empfohlen - sie sind auch nicht so unerträglich lobhudelnd, wie manche populärwissenschaftliche Werke:


Die hier empfohlenen Informationen gliedern sich wie üblich von wenig Infos, bis zu ausführlicheren Infos wie folgt:


GLIEDERUNG:


  1. ganz kurze Info aus: Elger, Ralf/Friederike Stolleis (Hg.): Kleines Islam-Lexikon. Geschichte - Alltag - Kultur. München: Beck 2001
  2. Prof. Dr. Udo Steinbach: Bedeutung Atatürks aus dem BpB mit weiterführendem Link
  3. Prof. Dr. Jürgen Paul aus Vorlesungsmaterial mit Karten
  4. Prof. Dr. Klaus Kreiser aus dem Brockhaus
  5. Audio: Prof. Dr. Klaus Kreisers Interview auf dem Blauen Sofa anlässlich seiner Buchvorstellung und Rezensionen mit einigen Inhalten des Buches.

Freitag, 9. September 2011

Folgen vom Terroranschlag des 11. September auf die Geschichte

Die brennenden Wolkenkratzer des World Trade Centers in New York
Nun jährt sich zum 10. Mal der Jahrestag des Terroranschlags von 9/11. Zeit also mal zurückzublicken und zu schauen, welche Bedeutung hatte eigentlich dieser Anschlag für die Zeitgeschichte. In den Medien wird ja jedes Jahr mit großem Aufwand dieses schrecklichen Ereignisses gedacht. Das ist auch gerechtfertigt. Jedoch kann diese alljährliche Flut an Informationen, Berichterstattungen, Dokumentationen nicht die Frage beantworten, ob der 11. September tatsächlich - gemessen an der Präsenz in den Medien - diese Bedeutung für die Weltgeschichte hatte, oder ob hier nicht andere Ereignisse langfristig bedeutsamer für den Gang der Weltgeschichte sind, zum Beispiel die schon fast vergessene Immobilienblase in den USA, die aber in den Medien weniger oft Erwähnung finden. Nicht zuletzt auch deshalb, weil diese anderen Ereignisse weniger spektakuläre Bildern liefern. In diesem Artikel geht es also um die Frage, welche langfristigen Folgen für die Welt dieser Terroranschlag des 11. September hatte. Sich also nicht durch die immense Berichterstattung in den Medien in der Frage der Gewichtung dieses Angriffes beeinflussen zu lassen, sondern Experten zu Wort kommen zu lassen für eine Einordnung in die Zeitläufte.

Als erstes eine Analyse des Nahostexperten Prof. Dr. Volker Perthes, den ich schon seit 15-20 Jahren verfolge, und dessen Analysen meistens auch mit meinen Einschätzungen deckungsgleich waren und sind. Zudem bewahrheiteten sich seine zukunftsgerichteten Analysen eher als bei so manchem Nahostexperten.

Die Folgen des 11. Septembers

Volker Perthes
Zehn Jahre danach: Die Anschläge vom 11. September 2001 haben zwar die westliche Politik verändert, aber nicht die Welt, analysiert Volker Perthes. Jetzt wäre es im Übrigen an der Zeit, einige Kurskorrekturen vorzunehmen.

Zwar hat sich die Welt seit dem Jahr 2001 dramatisch gewandelt, aber die vor zehn Jahren von Politikern und Journalisten so sicher formulierte Behauptung, nach dem 11. September werde „nichts mehr so sein wie zuvor“, hat sich so nicht bewahrheitet. Der Aufstieg von Ländern wie China, Indien oder Brasilien, die Finanz- und Verschuldungskrise sowie der arabische Frühling haben die Welt deutlich stärker verändert als die Anschläge vor zehn Jahren.
Natürlich haben die Attentate die Politik einzelner Länder ebenso wie die der Staatengemeinschaft beeinflusst. Aber eine Dekade danach lässt sich deutlich zwischen den temporären und den langfristigen Folgen dieser Ereignisse unterscheiden. Dabei fallen drei Aspekte ins Gewicht: der amerikanische Unilateralismus; die Politik des Regimewechsels; die Fokussierung der Außenpolitik sowohl in den USA als auch in Europa auf den Aspekt der Sicherheit, besonders was die islamische Welt betrifft.

US-Unilateralismus dominierte die ersten zwei, drei Jahre nach den Anschlägen. [...]

Sonntag, 4. September 2011

Homosexualität im Islam - Theorie und Praxis

Homoerotische Darstellung, safawidisch, Iran, Smithsonian Institution,
Washington
Ich hatte mich im Blog ja schon zweimal mit dem "heißen Eisen" Homosexualität und Islam beschäftigt. Einmal aufgrund eines Artikels zum neuen Buch von Prof. Thomas Bauer, in dem er darauf hinweist, dass die drakonischen Strafen für Homosexuelle im islamischen Kulturraum nie angewandt wurden, und der Import der britischen viktorianischen Moralvorstellungen im 19. Jahrhundert dazu führte, dass die islamische homoerotische Poesie nach Jahrhunderten der Blüte eingestellt wurde.
Weiterhin gab ich hier einige weitere Hintergrundinformationen, z.B. mithilfe einer Hausarbeit, die auf dem Blog al-sharq veröffentlicht wurde, sowie einem Lexikon-Zitat.

Heute kommen nun weitere Erläuterungen in Zitaten, wie meistens bei mir von kurzen allgemeinen Zitaten, hin zu immer detaillierteren Informationen, so dass diverse Ansprüche des Informationbedürfnisses der Leser befriedigt werden könnten. Dazu noch einige weiterführende Links, sowie einige Gedanken von mir.

Aus dem Lexikon des Mittelalters:
(Einige Sonderzeichen (Transkriptionen) der DMG werden nicht korrekt angezeigt.)

Homosexualität im islamischen Bereich:

Die nach dem atl. Lot im Arabischen als Liwat bezeichnete Sodomie wird durch Koran (7:81-83; 26:165; 27:54-55) und Hadith verdammt, von den Juristen gemeinsam mit ehebrecherischem Verkehr (zina) als schweres Sittlichkeitsverbrechen behandelt, wobei in der Rechtspraxis allerdings strenge Beweisregeln die Ahndung praktisch verhinderten. Trotz des religiös-moralischen Verdikts wurden Transvestiten (muhannat) und Homosexuelle (luti) in den ehemaligen byzantinischen und iranischen Ländern von der islamischen Obrigkeit geduldet, insbesondere im städtischen und höfischen Bereich, wie Literaturzeugnisse homoerotischen Inhalts zeigen (Abu Nuwas, gest. 813 in Bagdad; »Mufaharat al-gawari wa'lgilman«, ein geistreiches Streitgespräch zwischen Homo- und Heterosexuellen von Gahiz, gest. 868/869 in Basra). Homosexuelle Kontakte, üblicherweise zwischen älteren Männern und heranwachsenden Knaben, wurden durch die Geschlechtertrennung in den muslimischen Städten gefördert; das juristische und populäre moralische Schrifttum warnt vor Verführung u. a. in Schulen und Sufi-Bruderschaften. In Liebesgedichten der arabischen, später der persischen und türkischen Literatur werden bevorzugt Knaben angesprochen, da die erotische Schilderung der Frau als unziemlich gilt und der fiktionale Schauplatz der erotischen Poesie in maskuliner Sphäre, namentlich in der Schenke, angesiedelt ist. Homoerotische Züge in der Dichtung sind oft nur Topoi. Aufgrund literarischer Belege erscheint Bisexualität noch bis ins 16. Jh. in der muslimichen Oberschicht als schickliche oder gar empfohlene Verhaltensweise, wobei die homoerotische Komponente öffentlich stärker hervortritt, das heterosexuell geprägte häuslich-private Leben dagegen geringere Beachtung erfährt. Sexuelle Exzesse jeder Art werden mißbilligt (vgl. den osman. Geschichtsschreiber Mustafa 'Ali).
C.H. Fleischer

Donnerstag, 1. September 2011

Artikelserie: Islamische Philosophie

Ibn Sina (Avicenna), einer der größten
Universalgelehrten des Islams aus dem 11. Jh.
Hier ein Blatt aus seinem berühmten
Kanon der Medizin.
Kopie aus dem Jahre 1597/98 n. Chr.

Ich fasse hiermit mal einige zusammenhängende Blogpostings zusammen, und versehe dann dieses Posting mit dem Label "Artikelserien", damit man sie schneller über das rechte Menü finden kann.


Islamische Philosophie - 1. Teil


Islamische Philosophie - 2. Teil


Islamische Philosophie - 3. Teil


Islamische Philosophie - 4. Teil






(Bildquelle: Wikimedia Commons)

Verhältnis des Islams zu anderen Religionen

Iznik-Fliesen. Osmanisch, 16. Jahrhundert, heute im Louvre, Paris

Vor kurzem ist ja die ZDF-Dokumentation "Der Heilige Krieg" zu ihrem Abschluss gekommen. Ich hatte hier schon darauf Bezug genommen, ebenso habe ich das Verhältnis der Religionen um das sich diese Doku im Grunde dreht ebenfalls im Blog thematisiert. Schwerpunktmäßig bezogen auf das letzte halbe Jahrtausend osmanischer Herrschaft.
Wer nun einen kürzeren Überblick über das Verhältnis zwischen dem Islam und den anderen Religionen oder anderen Gruppen sucht, der möge sich mal diese Darstellung anschauen, von den Anfängen, bis zur Gegenwart, inklusive des Internets:

Aus: Martin, Richard C. (Hrsg.):Encyclopedia of Islam and the Muslim world. 2004.

ISLAM AND OTHER RELIGIONS

Understanding the relations between Muslims and a variety of religious “Others,” including Jews, Christians, Zoroastrians, Hindus, Buddhists, as well as Africans, Chinese, Mongols, Turks, and Westerners, depends on how one defines religion and religious. In addition, there is a diversity of Muslim identities that shapes the various perceptions of and relations to religious Others, just as there are many identities other than religious ones that intersect with the Muslim-Others duality, such as tribal, ethnic, linguistic, national, and the like. As with any categorization of identities and concepts, the boundaries between Islam and Others remain fluid, and exceptions can often be found. The most striking example of this fluidity is the term umma, which came to mean, from the first centuries of Islam until today, the community of all Muslims in contradistinction to all Others, whether religious or not. Yet, initially, umma included Muslims as well as non-Muslims, and it especially included Jews, as indicated in the so-called Constitution of Medina negotiated by the prophet Muhammad as a basis for the migration of his nascent Islamic community from Mecca to Medina in 622 C.E. The umma referred to then was inclusive of all the peoples living in Medina under the leadership of the prophet Muhammad.
It is nevertheless possible to generalize and say that the history of Muslim-Other relations has been interpreted by Muslims through the lenses of a tripartite theological division of the human world: Muslims, who submit to the will of God as revealed in the Qur'an; People of the Book, who believe in the same God although their knowledge comes from a distorted version of the original divine revelation; and Unbelievers, who either associate idols to God or deny God’s existence. This categorization emerged out of the unique historical context of the lifetime of the prophet Muhammad, (ca. 570–632 C.E.) in central Arabia, and evolved over time, becoming increasingly complex as Islam grew in numbers and in
geographical spread.