Freitag, 15. Oktober 2010

Türkei: Das "vergessene Rumänien"

Interessant. Ich habe nun schon wieder einen Artikel (siehe unten) aus Österreich gelesen, wo bemängelt wurde, dass die Türkei in Österreich in den vergangenen Jahren regelrecht "vergessen" wurde.
Und dieses sind verpasste Chancen für Österreich, für österreichische Arbeitsplätze, für das Wachstum, für österreichische strategische ökonomische Planungen und Positionierungen im globalen Wettbewerb.

Finanzdistrikt Levent, Istanbul, Türkei
                       
Könnte es sein, dass der jahrelange Rechtsruck seit Jörg Haider mit seiner FPÖ mit seinen Feindbildern die äußerst dynamische Wirtschaftsentwicklung in der Türkei seit einer Dekade verschlafen ließ? Dass man sich jener Meinung anschloss, der islamische Raum sei eh das "Reich des Bösen", korrupt, "barbarisch", hinterwäldlerisch, unterlegen, usw.? Man betonte ja bis in den jüngsten Wiener Wahlkampf immer und immer wieder die "Gefahr aus dem Osten". Nein, nicht der Kommunismus, der Islam ist gemeint gewesen. Selber schuld, kann man da nur den Österreichern sagen, die den Rechtspopulisten zu einer Erstarkung ihrer Macht verhalfen, auch jüngst im ansonsten so "weltoffenem" Wien.
Gleichzeitig den Islam, oder allem Fremden gegenüber mehr als "unfreundlich" gesinnt zu sein, und hervorragende Geschäftsbeziehungen zum Nahen Osten und Zustrom von Touristen aus der islamischen Welt, zum Wohle Österreichs, das passt irgendwie nicht zusammen.

Kommen wir zur aktuellen Pressemeldung, danach zu einer älteren Meldung:


"JAKOB ZIRM (Die Presse)  Die Region Istanbul hat so viele Einwohner wie Rumänien und die höchste Kaufkraft in Südosteuropa. Die türkische Wirtschaft soll weiter wachsen. Vor allem im Verkehrsbereich gibt es Chancen für heimische Firmen.

Um knapp sieben Prozent soll die türkische Wirtschaft heuer wachsen. „Die Türkei ist mit diesen Zahlen auf dem Niveau von Ländern wie Brasilien oder China. Allerdings ist das Land wesentlich näher“, sagt Marco Garcia, der österreichische Handelsdelegierte in Istanbul. Dennoch sei in den vergangenen Jahren auf die Türkei regelrecht „vergessen“ worden.
Die heimischen Unternehmen hätten sich vor allem auf Ost- und Südosteuropa gestürzt, so Garcia weiter. Dabei sei allein die Region Istanbul mit geschätzten 23 Millionen Einwohnern so groß wie Rumänien.
Zudem sei auch die Kaufkraft deutlich höher als in den meisten Ländern der Region. „Nur Kroatien hat in Südosteuropa eine höhere Kaufkraft als die Türkei. Nimmt man die Region Istanbul allein, haben die Menschen hier sogar mehr in der Tasche als die Kroaten“, sagt Garcia.
(...) Seiner Meinung nach gebe es bei heimischen Unternehmen zum Teil Vorurteile gegen die Türkei.

Dabei hätte das Land viele Vorteile gegenüber osteuropäischen Ländern. „So ist Korruption für die hier tätigen rund 150 österreichischen Firmen kein Thema“, sagt Garcia. Auch die wirtschaftliche Stabilität habe sich in der Krise bewiesen. „In der Türkei ist etwa keine einzige Bank in die Schieflage geraten. Auch finanzielle Unterstützung vom Staat war nicht notwendig.“
(...)"
weiter lesen: Die Presse.com

Aha! Er ist also auch der Meinung, dass in österreichischen Köpfen immer noch Vorurteile bestehen? Ich nehme an, diese sind nicht kleiner geworden in den letzten Jahren, eher größer, wenn man die Zunahme der Wählerstimmen der FPÖ in Wien letztens zum Maßstab nimmt. (Allerdings weiß ich nicht, wie die Wählerstruktur der FPÖ aussieht, vielleicht sind Arbeitgeber eher weniger ihre Wähler?)
Aber das Korruption kein Thema mehr sei, dass ist für mich neu. Da habe ich wohl noch ältere Vorstellungen, und müsste ggf. mal diese Aussage bei Transparency International überprüfen. Warum nicht jetzt gleich? Moment, bin gleich wieder da...
So, ich habe mal geschaut, aber ich habe keine Daten für die Region Istanbul gefunden, auf die er sich wohl bezog. Allerdings habe ich Daten für die gesamte Türkei gefunden, inkl. Anatolien, und den strukturell schwachen Südosten. Und demnach ist in der Türkei insgesamt Korruption natürlich immer noch "ein Thema". Aber, und da hat er wohl recht: In Südosteuropa, also Griechenland, Bulgarien, Rumänien, Kroatien, Serbien, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Mazedonien und Moldawien ist die Korruption höher! Sogar in Italien ist die Korruption höher wie in der gesamten Türkei. Interessant, da habe ich wohl veraltete Vorurteile gehabt.

Der schon etwas ältere folgende Artikel bemerkt verwundert, dass es auch zunehmend kaufkräftige türkische Touristen gibt, die man gerne in Wien sehen würde.

"Wien entdeckt die Türkei  MARTIN STUHLPFARRER (Die Presse) 
Istanbul boomt – Wien will davon profitieren: durch neue wirtschaftliche Kooperationen und türkische Touristen.

Die Stadt Wien ist auf der Suche nach neuen Freunden und entdeckt dabei die Türkei. Während andere Länder von der Wirtschaftskrise voll getroffen werden, wird der Türkei heuer ein Wirtschaftswachstum zwischen 4,5 und acht Prozent prognostiziert – wobei speziell der Wirtschaftsraum Istanbul boomt.
(...)
Hintergrund ist nicht nur die boomende türkische Wirtschaft. Istanbul ist ein Brückenkopf in die angrenzenden arabischen bzw. ehemals russischen Märkte, ebenso wie Wien ein wirtschaftliches Sprungbrett in die osteuropäischen Märkte ist, so Jank. (...) Vor allem Unternehmen, die auf Zukunftsbranchen wie Umwelttechnik, erneuerbare Energien, Pharmaindustrie und Medizintechnik setzen, wollen sich auf dem „Hoffnungsmarkt Türkei“ positionieren. (...)

Die Türkei entwickelt sich nicht nur wirtschaftlich, sondern auch touristisch als Hoffnungsmarkt für Wien, wie es Vizebürgermeisterin Renate Brauner während einer Präsentation der Stadt Wien in Istanbul erklärte: „Die Türkei ist ein Zielmarkt für Wien. Von Jänner bis Mai ist die Zahl der türkischen Gäste um 35 Prozent gestiegen.“
Der Städtetourismus für wohlhabende Türken ist gerade erst im Entstehen – diesen Trend will Brauner forcieren, weshalb nun eine Werbekampagne für Wien in Istanbul gestartet wurde. (...)"
 weiter lesen: Die Presse.com

EDIT:
Ich wollte noch kurz anmerken, dass eigentlich die Überschrift des Artikels, und auch meines Postings etwas irreführend ist, denn diese hätte eher heissen müssen: Istanbul, das "vergessene Rumänien", denn es bezieht sich ja vorwiegend auf den Raum Istanbul mit seinen 23 Mill. Einwohnern, die denen in Rumänien entsprechen. Darauf legt der Bericht ja seinen Fokus.

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