Donnerstag, 11. August 2011

Feindbild Islam - 9. Teil

Gibt es nicht andere Möglichkeiten der Bebilderung
oder  Erstellung von Schlagzeilen?
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Nachdem ich bereits hier den ersten Teil eine Leseprobe einer empfehlenswerten Untersuchung zu dem Feindbild Islam vorstellte, und im zweiten Teildritten Teil und viertem Teil angefangen habe die ersten 16 typischen Argumentationstechniken der selbsternannten "Islamkritiker" zu entschlüsseln, setze ich nun diese Reihe der 21 häufigsten Argumentationsstrategien der Rechtspopulisten und "Islamkritiker" weiter fort und komme damit zum Ende der Zitate aus dieser unten verlinkten Analyse.


Bisher hatten wir etwas über diese Techniken und Strategien erfahren:
  1. Aneinanderreihung von Negativbeispielen
  2. Beleidigen, herabwürdigen, verspotten
  3. Vorurteile
  4. Alarmismus, Dramatisierung, fiktive Bedrohungsszenarios
  5. Verzicht auf Belege und Beweise, Simplifizierung von Sachverhalten
  6. Ausblenden von Ursachen 
  7. Desinformation
  8. Apologetik der christlich-abendländischen Kultur, Eurozentrismus
  9.  Aufruf zum Nationalstolz und Einreden von Fremdenliebe
  10. Themenhopping
  11. Pauschalisierung
  12. Verallgemeinerung von subjektiven Erfahrungen
  13. Vermischung von Theologie und kulturellen Traditionen
  14. Aufwertung der Gewährsleute
  15. Falsche Vergleiche
  16. Anachronismus
Nun geht es weiter mit den letzten fünf Argumentationstechniken, die euch sicherlich in diesem Diskurs nicht unbekannt sind.

Aus: Thorsten Gerald Schneiders (Hg.): Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen. Wiesbaden 2009.

(Wie schon mehrfach darauf hingewiesen: Große Teile des Buches lassen sich in dem obigen Googlebooks-Link einsehen. Insofern könnte man auch dort weiter lesen, wenn man nicht auf meinen nächsten Post warten möchte, oder noch besser: Kaufen.)


17. Auslandsvergleiche

Saudi-Arabien ist eine absolute Monarchie. Der Staat basiert auf einer streng orthodoxen und dogmatischen Auslegung islamischer Quellen. Das Land wendet die Todesstrafe durch Enthaupten an. Deutschland ist demgegenüber eine parlamentarische Demokratie. Der Staat will religiös und weltanschaulich neutral sein. Es gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Staatsaufbau und die politische Kultur beider Länder differieren also deutlich von einander. Doch dessen ungeachtet, stößt man häufig auf Versuche, das Handeln hier und dort gegeneinander aufzuwerten, und deutsche Muslime für etwaige ‚eruierte‘ Defizite im Ausland haftbar zu machen. Bei Udo Ulfkotte gehören solche Formen der Reziprozität zum grundlegenden Argumentationsprinzip seines Buchs SOS Abendland (2009). Ein weiterer Gewährsmann ist Henryk Broder: Während in Deutschland „rund 2000 Moscheen“ errichtet werden durften, stellt „in Saudi-Arabien schon der Besitz einer Bibel ein unkalkulierbares Risiko“ dar (2006: 29f.). Indirekt fordert Broder hier folglich, solange Saudi-Arabien keine freiheitliche, religiös neutrale Grundordnung umgesetzt hat, soll Deutschland wieder in autoritäre Zeiten zurückfallen – oder zumindest darüber nachdenken – und Teile seiner eigenen Bevölkerung schlechter als andere stellen (zum Thema Muslime im Rechtsstaat – Ansprüche und Rechte siehe auch Schneiders/Kaddor 2000).
Ähnlich nimmt sich auch der unter so genannten Islamkritikern beliebte Vergleich zu Afghanistan (ebd.): Eine Gegenüberstellung von deutschen Freiheiten und den von einem kruden Islamverständnis afghanischer Taliban geprägten Zwängen, kann für die deutsche Demokratie wohl kaum Ziel führend sein. Selbst bei Deutschland und der Türkei muss man sich die Frage stellen, wie hilfreich kann angesichts der unterschiedlichen Staatsphilosophie ein Vergleich etwa im Hinblick auf die Errichtung von Sakralbauten sein? (Giordano 2007) Derartige Argumentationen erinnern letztlich mehr an eine trotzige Anwendung des archaischen Talionsprinzips als an einen Beitrag zur Konfliktlösung.




18. Kollektivhaft

Leon de Winter schreibt über Ayaan Hirsi Ali, sie sei aus eigener Entscheidung untergetaucht, da sie wegen ihrer Einstellung zum Islam um ihr Leben fürchte. Dann nimmt er Bezug auf ein Interview, darin „sagte Ayaan, daß der Islam ‚in seiner reinsten Form lebensgefährlich ist‘.“ Weiter fährt er fort: „Stimmt das, dann müssen wir stringente Maßnahmen ergreifen. Stimmt es nicht, sagt Ayaan also die Unwahrheit, dann braucht sie keinen Sicherheitsschutz, dann ist der Islam eine Friedensreligion, und Muslime würden so eine Irre niemals ermorden wollen. Und nun entscheiden Sie!“ (2004: 4.12.) Freilich hat der Leser nicht die Wahl zu entscheiden. Die Antwort steht durch de Winters Argumentation längst fest. Abgesehen von den offenkundigen Suggestionsversuchen (siehe unten) fordert der Autor nichts geringeres, als dass alle Muslime – selbst der friedlichste Mystiker – „stringente Maßnahmen“ gegen sich erdulden müssten, wenn irgendeine Einzelperson mit muslimischem Familienhintergrund unter Zuhilfenahme der Auslandsvergleiche Hand an Hirsi Ali legen würde. De Winter spannt den Bogen noch weiter: „Islam ist Frieden, verkündeten die Demonstranten in Köln. Wissen das auch die islamischen Milizen in Darfur? Und die islamischen Kopfabschneider in Algerien? […] In Köln hätte also die Parole lauten müssen: Islam hat Frieden zu sein.“ (2004: 23.11.) Ergo, Muslime sollen neben den Vorfällen im eigenen Land auch für Gewaltexzesse in der ganzen Welt Verantwortung übernehmen. Ziel solcher Argumentationen ist in der Regel, etwaige Zugeständnisse an Glaubensanhänger seitens des Staates zu verhindern. Henryk Broder spricht dies mit Blick auf Moscheebauten explizit aus: „Ich bin strikt dagegen, in Vorleistung zu gehen, solange in muslimischen Ländern Christen verfolgt werden oder Salman-Rushdie-Puppen brennen.“ (2007b) Broder plädiert also erneut bestimmte Gruppen – gegen den Geist des Grundgesetzes – dafür, im freiheitlich demokratischen Deutschland Unbeteiligten ihre Grundrechte vorzuenthalten, weil auf fernen Erdteilen Minderheiten verfolgt und Menschen von Fanatikern bedroht werden. Wie wohl deutsche Protestanten reagierten, wenn man sie fragen würde, warum es das Christentum erlaube, dass Rachelle Shannon, Paul Hill und andere Abtreibungsgegner in den USA Bomben legen und Ärzte töten?

19. Islam, Islamismus und islamischer Fundamentalismus

Bei dieser Argumentationstechnik geht es nicht um die häufig fehlende Differenzierung zwischen den Begrifflichkeiten[9], sondern darum, dass fundamentalistische und islamistische Einstellungen als typische Denkweise von Muslimendargestellt werden. Mina Ahadi teilt freimütig mit, dass sie ihren „Kampf“ gegen„den Islam“ auf Erfahrungen gründet, die sie als Verfolgte unter der „Diktatur der Mullahs“ im Iran erlebt hat (2008: 21), und fährt fort: „Nun sehe ich denEinfluss des politischen Islam in Deutschland [womit die hiesigen Islamverbändegemeint sein dürften – siehe ebd. S. 9; 91] wachsen und nach mir und meinen Töchtern greifen“. Mina Ahadi verbreitet also die Vorstellung, dass Islam inDeutschland das gleiche bedeute wie Islam im autoritär-theokratisch geprägtenIran. Necla Kelek erweckt mehrfach den Eindruck, gläubige Muslime verträten Überzeugungen, wonach „Deutsche unrein sind, weil sie Schweinefleisch essenund nicht beschnitten sind.“ (2007a; 2006d) Nachweise darüber, wer so etwasdenkt und mit welcher Berechtigung man von einer verbreiteten Ansicht spre-chen kann, liefert sie nicht. Alice Schwarzer verfolgte eine weitere Methode, umdasselbe Ziel zu erreichen. Ihr zufolge sind Teestuben, Sportclubs, Kulturverei-ne, Koranschulen und Moscheen – also eigentlich alle Freizeitstätten, die häufigvon Muslimen besucht werden – „zunehmend fundamentalistisch“ unterwandertworden, um ein „umfassendes Netz“ in Deutschland aufzubauen (2007: 58). Woher sie die Information hat, bleibt auch hier offen; eine repräsentative Studieder Bertelsmann-Stiftung entwirft, ein ganz anderes Bild: Danach ist Religiositätbei Muslimen in Deutschland weit weniger politisch, als man es bislang wahrge-nommen hat (Religionsmonitor 2008: 20); zudem seien Muslime weniger kon-servativ als oft vermutet wird; 53 Prozent lehnten beispielsweise das symbol-trächtige Kopftuchtragen ab – darunter Männer zu 56 und Frauen zu 50 Prozent.

20. Suggestion

„Dürfen fromme Juden von Nicht-Juden den Verzicht auf Schweinefleisch ver-langen? […] Darf ein Hindu Amok laufen, weil die Schweizer die Heiligkeit undUnantastbarkeit der Kuh nicht anerkennen?“ So fragt Henryk Broder im Zu-sammenhang mit dem Karikaturenstreit 2005/2006 (2006: 28) und projiziert daszu erwartende, kategorische Nein auf diese Fragen auf Muslime, denen er unter-stellt, dass sie vergleichbar Absurdes verlangten und in Mordsucht verfielen,wenn man es ihnen verweigern würde. Indem Broder diesen Vorwurf nicht di-rekt benennt, sondern stattdessen plakative Beispiele aus anderen Kontexten(Judentum, Hinduismus) konstruiert und diesen ferner einen karikierenden Anstrich verleiht, erscheint es so, als seien maßlose Forderungen seitens der Muslime heute derart selbstverständlich, dass allein die explizite Erwähnung dessen lächerlich wäre. Broder verzerrt die Realität weiter, indem er behauptet, die „Moslems“ hätten sich im Karikaturenstreit 2005/2006 über den Verstoß gegen das islamische Bilderverbot empört. Einmal abgesehen vom Event-Charakter dieser weltweiten Proteste (siehe auch den Beitrag von Jäger in diesem Buch), haben sich die meisten gegen die Schmähung ihres Propheten gewandt. Oftmals sind Broders Manipulationsversuche leicht durchschaubar. Manchmal bedarf es etwas mehr Aufmerksamkeit: „Heute […] hat das Landesschulamt ganz andere Sorgen: Schulen mit einem achtzigprozentigem Anteil an ‚Schülern mit Migrationshintergrund‘, wo SchülerInnen mit deutschem beziehungsweise christlichem Hintergrund in der Minderheit sind und deswegen als ‚Schlampen‘, ‚Nutten‘ und ‚Schweinefleischfresser‘ angepöbelt werden.“ (2006: 12) Hier werden dem Leser mindestens zwei Vorurteile untergeschoben: 1. Die Aggressionen gehen im Allgemeinen von Schülern mit Migrationshintergrund aus (siehe oben). 2. Es handelt sich im Speziellen um Anhänger des Islam, denn „Schlampe“, „Hure“ könnten gewiss auch italienische Christen, russische Atheisten oder indische Hindus schimpfen, aber da sie zugleich „Schweinfleischfresser“ sagen, muss es sich wohl um Muslime handeln, denen der Genuss dieser Fleischsorte bekanntlich verboten ist; gesetztenfalls, dass Broder hier nicht auf Juden, denen der Genuss ebenso untersagt ist, abhebt.
Seit fast zwei Jahren wird Ralph Giordano nicht müde zu fragen: „Wo sind wir denn, dass wir uns überlegen müssten, ob unser Tun und Handeln radikalen Muslimen gefällt oder nicht? […]“ (2007b; 2008a). Mit Nachdruck vermittelt er das groteske Bild, als würden sich staatliche und gesellschaftliche Institutionen in Deutschland tatsächlich im Sinne einer Oligarchie von Muslimen mit Forderungen über das gesetzlich garantierte Maß an gesellschaftlicher Partizipation hinaus systematisch dirigieren lassen (siehe hierzu Schneiders/Kador 2005 und die Beiträge von Shakush und Muckel in diesem Buch). Mitunter suggeriert Giordano in seiner topoischen Agitation wider „die falsche Toleranz“, dass die deutsche Politik sogar plumpen Vorstellungen irgendwelcher Extremisten befürworten oder gar verteidigen würde.


21. Legendenbildung

Bisweilen überschlagen sich die Protagonisten bei ihrer übersteigerten Suche nach immer skandalträchtigeren Belegen für ihre „islamkritischen“ Annahmen und lassen sich zur Übernahme sonderbarer Argumentationen oder bedenkenlos zu irgendwelchen Geschichten verleiten (vgl. auch den Beitrag von Schiffer in diesem Buch). Henryk Broder (2007) und Udo Ulfkotte (2007a) verbreiten das Gerücht, wonach Banken und Sparkassen angeblich Sparschweine abschaffen würden, um die religiösen Gefühle von Muslimen nicht zu verletzen. Die Erzählung geht auf britische Presseberichte zurück. The Lancashire Evening Telegraph brachte am 21. Oktober 2005 einen entsprechenden Artikel über die beiden Banken Halifax und Natwest in Blackburn. Nur wenige Tage später wurde der Bericht als Ente entlarvt; in der Zwischenzeit war die vermeintliche Verbannung der Sparschweine jedoch schon um die Welt gegangen und sogar von Medien in Australien aufgegriffen worden („PC piggy or hogwash?“, in: abc.net.au, 31.10.05). In einem anderen Beispiel erläutert Necla Kelek ihrem Gegenüber in einem Interview: „[W]er schwimmen kann, kann sich im Notfall selbst über Wasser halten. Das sollen Mädchen und Frauen aber nicht, weil sie Teil einer Gemeinde sind, die über sie verfügt. Sie dürfen nicht schwimmen lernen oder können, weil sie vielleicht dann noch anfangen, wegzuschwimmen …“ (2006c)

Fazit

Die Debatte um die Religion des Islam krankt an vielen Stellen. Unter dem Deckmantel legitimer Religionskritik werden zum Teil menschenverachtende Sichtweisen transportiert. Das wird besonders deutlich, wenn man sich, wie hier geschehen, konkret mit den so genannten Islamkritikern beschäftigt. Dieser Beitrag hat gezeigt, wie massiv die Protagonisten mit ideologisierten und konstruierten Argumentationsstrategien arbeiten. Wenn sie auf solche unsachlichen Techniken zurückgreifen müssen, stellt sich die Frage, wie viel von ihrer „Islamkritik“ am Ende übrig bleibt? Selbstverständlich kann man hervorheben, dass eine Necla Kelek dazu beigetragen hat, auf die Notlage bestimmter muslimischer Frauen in Migrantenfamilien hinzuweisen. Inwiefern aber ihre Pauschalisierungen und unqualifizierten Äußerungen zur Religion des Islam zugleich anderen das Leben/die Integration erschwert haben, lässt sich nur mühsam untersuchen. Wie will man feststellen, ob etwa ein Ausbildungsvertrag platzt, weil der Arbeitgeber sich von den Schreckensberichten so genannter Islamkritiker davon abhalten lässt, Muslime einzustellen? Oder ob Lehrer muslimische Schüler (unbewusst) benachteiligen, weil sie sich von den verbreiteten Vorurteilen beeindrucken lassen (siehe den Beitrag von Karakasoglu in diesem Buch)? Auch Fragen nach den Absichten der verbalen Aggressionen eines Henryk Broder oder Ralph Giordano müssen gestellt werden. Dabei darf ihre persönliche Vergangenheit die Antworten nicht vorweg nehmen. Niemandes Handel ist aufgrund seiner Biografie allein sakrosankt.
Das Stichwort Islam sorgt seit wenigen Jahren bei westlichen Medienvertretern und Buchverlagen für reflexartiges Handeln. Nahezu jedes Thema, jedes Phänomen wird aufgegriffen. Islam ist en vogue. Die Religion bietet ein ideales Angriffsziel. Anhänger aller übrigen Glaubensrichtungen und Vertreter jeglicher politischer Couleur können sich Nationen übergreifend gegen sie verbünden.
Islam(-kritik) ist Garant für Aufmerksamkeit und wirkt in bestimmten Kreisen gemeinschaftsfördernd und identifikationsstiftend. Die Ursachen dafür sind zum einen die Abgrenzungsbestrebungen westlicher Gesellschaften (siehe die Beiträge von Jonker und Oberndörfer in diesem Buch) sowie die vielen internationalen Konflikte, die in der islamischen Welt ausgetragen werden (siehe den Beitrag von Hippler in diesem Buch). Zum anderen sind es aber auch die Extremisten, die sich weltweit mit terroristischen Gewaltakten und provozierendem Verhalten immer wieder neu auf „den Islam“ berufen.


Fußnote:

[9] Mit Islamismus in Abgrenzung zu islamischem Fundamentalismus ist eine moderne politische Ideologie gemeint (ähnlich dem Nationalismus, Sozialismus, Liberalismus), die den Islam – meist in konservativer Auslegung – als integrative Kraft und als Bezugsgröße für die Gestaltung einer Gesellschaft begreift. Islamischer Fundamentalismus bezeichnet hingegen eine Form der Schriftgläubigkeit, die auf den äußeren Wortsinn der geoffenbarten Texte abhebt und diesen gegen wandelnde Deutungen verteidigt, vgl. Halm (1995).

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