Montag, 22. August 2011

Modell Türkei für die arabische Welt?

Der Vorläufer der Türkei, das Osmanische Reich, umfasste einstmals
den gesamten Nahen Osten
In den letzten Monaten ist verstärkt die Frage aufgekommen, was aus der arabischen Welt nach den Revolutionen dieses Frühjahrs werden wird. Welche Staaten kommen da als Rollenmodelle in Frage? Dabei wird immer wieder die Türkei erwähnt, ein zumindest in dieser Region einmaliges Beispiel für eine zunehmend wirtschaftlich erfolgreiche Demokratie mit einer mehrheitlich muslimischen Bevölkerung.

Dazu hat sich der ehemalige Leiter der Istanbul-Abteilung der deutsch-morgenländischen Gesellschaft Günter Seufert vor einigen Monaten Gedanken gemacht und mal ein wenig differenziert verschiedene Fragestellungen durchgegangen:

Der türkische Weg?

Günter Seufert

Viele Gründe sprechen dafür, dass die Türkei ein Modell für die weitere Entwicklung der politischen Systeme in der arabischen Welt sein sollte. Doch die Voraussetzungen unterscheiden sich sehr – nicht zuletzt was das Verhältnis der EU zu diesen Ländern betrifft, sagt Günter Seufert.

[...] Könnte die Türkei mit ihrer weitgehend liberalen Demokratie und der Einbeziehung von Parteien mit islamistischem Hintergrund ein Modell für diese Länder sein? Die Antworten fallen höchst widersprüchlich aus. Der Grund dafür ist, dass sich hinter dieser einen Frage, „Ist die Türkei Modell“, eigentlich mehrere Fragen verbergen, die jede für sich beantwortet werden muss.
In diesem Sinne lautet für mich die erste Frage: Soll die Türkei ein Modell für die arabische Welt sein? Ich meine Ja! Denn kein anderes wäre erstrebenswerter und böte größere Chancen für Entwicklung, Demokratie und Stabilität. [...]




Als nächstes wäre zu fragen: Wird die Türkei von den Arabern überhaupt als Modell wahrgenommen? Auch die Antwort auf diese Frage lautet heute eindeutig Ja! Zwar rangierte im Jahr 2002 die Türkei in einer US-Umfrage in den Ländern des Nahen Ostens in der Beliebtheitsskala noch auf den unteren Rängen. Doch heute folgt sie mit ihrem positiven Image direkt auf Saudi Arabien, von dem 81 Prozent der Araber eine gute Meinung haben, wie eine Umfrage des angesehenen Istanbuler Think Tanks TESEV zusammen mit dem Polling-Institut KA Research und der Friedrich-Ebert-Stiftung im Jahr 2010 ergab. [...]
Die dritte Frage könnte man so formulieren: Sind Länder wie Tunesien und Ägypten in der Lage, eine ähnliche Entwicklung zu nehmen wie die Türkei? Hier fällt die Antwort viel schwerer. Es hilft aber, sich einige Bedingungen für den Erfolg der Türkei hinsichtlich der Vereinbarung von westlichem politischen System und islamischer Identität zu vergegenwärtigen.
Da ist zum einen die Etablierung eines Mehrparteiensystems Ende der 40er Jahre.  [...]
Zum Zweiten wurde der explizite Islamismus bereits in den 70er Jahren in das Parteiensystem eingebunden, seine Vertreter waren immer wieder an der Regierung beteiligt, beziehungsweise übernahmen diese sogar kurzfristig 1996 und 1997. In der Türkei konnte sich der politische Islam innerhalb des legalen politischen Systems entfalten und damit auch transformieren.
Da ist zum Dritten ein sehr enger akademischer und intellektueller Austausch mit der westlichen Welt. [...]
Und da ist viertens eine - wenn auch gebrochene - Tradition westlichen Drucks hin zu Öffnung und Demokratisierung, die sich nicht immer durch die Drohung mit dem Islamismus ins Bockshorn jagen ließ und die am stärksten der EU-Beitrittsprozess verkörpert. [...]
Was kann Europa tun, damit sich die arabischen Länder in Richtung einer muslimisch geprägten Demokratie entwickeln können? Wenn Europa die Diskussion um das türkische Modell ernst nimmt, muss es mit den arabischen Ländern eine ähnliche Beziehung wie zur Türkei aufbauen. Stichworte sind: das Insistieren auf das Gelten universeller Werte, eine Kombination aus Förderung und Reformdruck, die Steigerung und Intensivierung des kulturellen und zivilgesellschaftlichen Austausches und die Akzeptanz und Einbindung auch religiös motivierter politischer Akteure, solange sie das Prinzip des Gewaltverzichts und demokratische Spielregeln achten.


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