osmanischer Janitschar beim Befüllen seiner Muskete |
Das osmanische Reich entstand bekanntlich aus zahllosen militärischen Eroberungen. Aber nicht nur. Weniger bekannt ist, dass sich das osmanische Reich ebenfalls aus vielen weiteren Gründen erweitern konnte. Dabei spielte in den ersten Jahrhunderten Heiratspolitik durchaus eine Rolle, wie es in vielen anderen Reichen ebenfalls üblich war. Auch zwischen dem Sultan und christlichen Reichen. So sind einige Sultaninnen christlich-adeliger Herkunft. Hinzu treten aber auch Gebietsgewinne durch Kauf, durch Erbschaft, und andere diplomatische und unblutige Vorgänge.
Einer der Gründe für die enorme Langlebigkeit des Hauses Osman lag sicherlich in der Kunst der Staatsführung, denn ähnlich wie vielleicht im Römischen Reich, haben die Osmanen ihr Reich je nach Provinz unterschiedlich beherrscht, von einer direkten Einbindung in das Kernreich, bis hin zu relativ hoher Autonomie. Dabei wurde Loyalität mit Belassen einer größeren Autonomie belohnt. Viele Provinzen bzw. Vasallen sind beispielsweise nur deshalb unter direkter Kontrolle Istanbuls geraten, weil deren Statthalter sich nicht an die Verträge gehalten haben, Verrat begingen, und deshalb dann oft militärisch zur Rechenschaft gezogen wurden.
Daher greifen auch einige heutige Vorwürfe gegenüber den Osmanen nicht sehr weit, zum Beispiel die Rückständigkeit einiger Provinzen gegenüber Westeuropa. Etliche Provinzen hatten ja ein hohes Maß an Autonomie und es hinderte viele Provinzen kaum jemand daran, die wissenschaftlichen oder ökonomischen Entwicklungen von Westeuropa zu adaptieren. Insofern mag das osmanische Reich ein Faktor für die Rückständigkeit oder die Stagnation gewesen sein, aber nicht der entscheidende, wenn es keine oder kaum Unterschiede in der Entwicklung zwischen straff von Istanbul aus geführten Provinzen, und recht autonomen Provinzen gegeben hat - oder man gar außerhalb des osmanischen Reiches schaut und vergleicht, wie die Entwicklung in anderen osteuropäischen Regionen verlaufen ist, oder anderen Regionen der Welt.
Wie dem auch sei, ich möchte hier ein Beispiel vorstellen, wie das osmanische Reich erweitert wurde. Wie es Erbstreitigkeiten ausnutzte, wie es Schutz und Aufstieg anbot, wie ein Christ zum Islam übertrat und die Seiten wechselte - und warum. Vorher allerdings noch ein generelles Schema, wie das osmanische Reich einer Zwiebel gleich territorial und rechtlich aufgeteilt wurde. Beide unteren Teile dieses Postings wurden der Wikipedia entnommen, aus Artikeln an denen ich maßgeblich mitwirkte, und daher für sie (mehr oder minder) bürgen kann; zumindest bislang... :
Territoriale Typologie der osmanischen Herrschaft im 16. Jahrhundert
Vasallen wurden im Laufe der Jahrhunderte durchaus zu Provinzen und andersherum.
Osmanische Kernprovinzen (Eyâlet/Vilâyet)
- regiert durch vom Sultan bestimmten Großgouverneur
- unterteilt in Sandschaks, regiert durch Gouverneure
- das meiste Land war in Pfründe/Lehen aufgeteilt (Timar).
- Beispiele: Anatolien, Buda, Zypern, Rumelien, etc.
- Sonderstellungen: Kleinere Gemeinden und Regionen erhielten spezielle Privilegien und lokale Autonomien; Beispiele: Klöster von Athos und Sinai, einige Inseln und Bergregionen in Griechenland, etc.
Osmanische Provinzen (Sâliyâne-Eyâlet/Sâliyâne-Vilâyet)
- regiert durch vom Sultan bestimmten Großgouverneur
- unterteilt in Sandschaks, regiert durch Gouverneure
- Land nur teilweise oder wenig durch Pfründe verteilt. Unter Beibehaltung der vorosmanischen sozioökonomischen und Verwaltungsstrukturen wird an den osmanischen Fiskus ein jährlicher Tribut entrichtet
- Beispiele: Ägypten, Jemen, Tunesien, Bagdad, Basra, etc.
- Sonderstellungen: Selten auf der Ebene von Eyâlets, eher auf Sandschak-Ebene findet man einige Provinzen regiert von Gouverneuren, die ihr Amt vererben durften; Beispiele: Adana unter den Ramazan Oğulları, einige kurdische Sandschaks, Widin unter der Mihaloğlu-Familie, etc.
Muslimische Vasallen
- Staaten, die die Oberherrschaft der Osmanen akzeptieren, aber ihre traditionelle Organisationsstruktur beibehalten dürfen. Trotzdem behält sich der Sultan das Recht vor, den Machthaber des Vasallengebietes selber zu nominieren. Müssen ihre Politik allgemein an der osmanischen Politik ausrichten, können aber auch eigenverantwortlich agieren, sogar lokale kriegerische Handlungen durchführen.
- hat im Allgemeinen eine starke politische, militärische und/oder symbolische Bedeutung für das Osmanische Reich, und erhält daher verschiedene Formen der finanziellen Unterstützung
- Beispiele: Khanat der Krimtataren, Scherifen von Mekka, etc.
- Sonderstellung: Iran zahlte zwar zwischen 1590 - 1603 Tribut, war aber politisch unabhängig.
Christliche Vasallen
- Staaten, die die Oberherrschaft der Osmanen akzeptieren, sie bezahlen eine jährliche Gesamtsumme als Tribut an den Sultan, müssen ihre Außenpolitik an der osmanischen Politik ausrichten, behalten dafür aber größtenteils ihre Autonomie und traditionelle christliche Institutionen (kein islamisches oder osmanisches Recht im Gebiet des Vasallen). Trotzdem behält sich der Sultan das Recht vor, den Machthaber des Vasallengebietes selber zu nominieren, sollte sich die Politik nicht an die Vorgaben halten.
- Beispiele: Ragusa, Georgien, Siebenbürgen, Moldau, Walachei, etc.
- Sonderstellungen: einige christlichen Reiche zahlten zwar Tribut, entweder für Teile ihres Territoriums (z.B. zahlte Venedig für Zypern bis zur osmanischen Eroberung zwischen 1517-1571; die Habsburger zahlten Tribut für Nordungarn 1533-1593) oder als „Schutzgebühr“ um nicht angegriffen zu werden oder durch Beutezüge heimgesucht zu werden (z.B. Polen-Litauen an das Khanat der Krim und gelegentlich auch an die Osmanen), behielten aber ihre politische Unabhängigkeit.
Hier nun die Geschichte eines Fürsten vom heutigen Bosnien-Herzegowina. Gleichzeitig ist dieses auch die Geschichte, wie die "Herzegowina" zu ihrem Namen kam. Und wie eine Frau zum Kriegsgrund wurde. Und über streitende Brüder...
Stjepan Vukčić Kosača, auch Kosaca (* 1404 im Dorf Kosača bei Goražde; † 1466) trat nach dem kinderlosen Tod seines Onkels Sandalj Hranić Kosača nach 1435 für seine Herrschaften über Prijepolja, Pljevlja, Nikšić und Boka Kotorska bis Omiš und Poljica, Livno und Oberer Vrbas als Großvojvode von Bosnien auf.
Die zeitgenössischen Chronisten berichten einhellig, dass er von skrupellosem und unzuverlässigem Charakter sei und ständig Überfälle androhte. Allein mit dem osmanischen Sultan pflegte er gute Beziehungen. Ferner soll er boshaft, schlau, wankelmütig, feige und brutal gewesen sein, und weder lesen noch schreiben können. Er sei auch nicht sonderlich religiös, soll nur oberflächlich Anhänger der Paterenen-Sekte gewesen sein. Sein sicheres Gespür für wechselnde politische Situationen ermöglichte es ihm, seine Gegner auszuspielen. Als Zeichen seiner autonomen Macht legte er sich wohl selbst um 1448 den Titel „Duca di Santo Saba“ zu. Die Chronisten bringen keine plausible Erklärung für die Annahme dieses Herzogstitels und sind zudem widersprüchlich. Eventuell berief er sich auf eine Urkunde von Kaiser Friedrich III. berief, indem er ihn zum Vormund über die Besitzungen des ungarischen Königs Ladislaus V. machte. Weder Sultan Murad II. noch Papst Eugen IV. können für die Titelvergabe ernsthaft infrage kommen.
1448 trat nun das „Gebiet des Herzogs“, die Herzegowina, mit diesem Namen in die Geschichte ein, es war ca. dreimal so groß wie das heutige Herzegowina.
Mit seiner ersten Frau Jelena Balšić hatte er eine Tochter namens Katarina (Kosača-Kotromanić), die spätere letzte Königin von Bosnien, und die zwei Söhne Vladislav (* 1425) und Vlatko (* 1426), Hercegović genannt. 1452 kam es nach dem Besuch einer florentinischen Kaufmannsgesellschaft samt ihrer weiblichen Begleitung zum ehelichen Skandal am Hofe. Der Herzog behielt die Florentinerin als Geliebte bei sich, seine Frau Katarina reiste darauf wütend mitsamt ihrem Sohn Vladislav nach Ragusa. Kosača verlangte die sofortige Rückkehr, Jelena forderte jedoch, zuerst solle die florentinische Geliebte den Hof verlassen. Es kam zum Krieg zwischen der Republik Ragusa und Herzegowina, der erst nach einem Jahr versöhnlich beendet wurde. Kurz nach der Rückkehr Ende September 1453 verstarb Jelena.
Stjepan Kosača heiratete im März 1455 seine zweite Frau Barbara. Sie soll deutscher Herkunft gewesen sein - vermutlich eine uneheliche bayrische Landshuter Prinzessin. Barbara verstarb nach der Geburt des Sohnes Stjepan im Juni 1459, dem späterem osmanischen Großwesir und Großadmiral Hersekoğlu Ahmed Pascha.
1460 heiratete Herzog Stjepan zum dritten Mal, wieder eine Deutsche namens Cecilie. Nach dem Tode des Herzogs 1466 verließ sie ihren Sohn Stjepan, und ging zurück in ihre Heimat. Der junge Stjepan sollte in die Obhut von seinem älteren Bruder Vlatko gehen. Derweil stritten sich die beiden älteren Söhne und der Vater um das Erbe und die Aufteilung. So rief Vladislav die Osmanen zu Hilfe, um im Streit zu vermitteln. Vlatko hingegen wollte Stjepan um sein Erbteil betrügen. Da Herzog Stjepan mit Ungarn und mit Venedig doppelzüngige Verträge schloss, verscherzte er sich deren Gunst und Hilfe, denn im Zuge dieses Streits, eroberten die Osmanen sowie ebenfalls auch Venedig 1463-65 Teile der Herzegowina. Stjepan Kosača musste in der Republik Ragusa um Asyl bitten und verstarb dort, kurz nachdem er sein Testament aufsetzte, am 22. Mai 1466. Ragusa wurde die Vollstreckung des Erbes übertragen.
Der Niedergang Herzegowinas und die Streitigkeiten der Söhne des Herzogs wurden nun intensiver. Vladislav beherrschte den größten Teil des Erbes, und entfachte einen neuen Streit, da er das Erbe des jungen Stjepan an sich riss. Zwischen dem 14. Juni 1473 und dem 24. September 1474 muss Stjepan ca. 15-jährig den Islam angenommen und sich dem Osmanischen Reich angeschlossen haben. Er wurde in einem Ferman Sultan Mehmeds II. (des Eroberers) als Hersekoğlu Ahmed erwähnt, welches den Befehl an Ragusa enthielt, einen osmanischen Berater und Vertreter Ahmeds bei der Aufteilung des Erbes zwischen ihm und Vlatko hinzuzuziehen. Stjepan hatte zu Vlatko meist ein gutes Verhältnis, mit dem älteren Vladislav hat er jedoch seine Beziehungen abgebrochen. Da die Osmanen zunehmend immer größere Teile der Herzegowina besetzten, überstellten Vladislav und Vlatko unterdessen ihre Besitztümer den Ungarn, damit diese sie verteidigen sollten. 1483 flüchtete Vlatko nach Ragusa, 1489 verstarb er. Vladislav zog mit seinem Gefolge nach Ungarn zurück. Die Unterstellung der Herzegowina an die Ungarn konnte jedoch die gänzliche Eroberung durch die Osmanen nicht verhindern. Die Herzegowina wurde zu einem osmanischen Sandschak mit dem Namen Hersek und einem bosnischen Statthalter unterstellt. Der Herzogssohn Stjepan machte unterdessen rasch als Hersekoğlu Ahmed Karriere am osmanischen Hof, da ihn der Sultan Mehmed II. aufgrund seiner außergewöhnlichen Begabung sehr schätzte. 1478 begleitete er den Sultan schon als Reichsbannerträger (mir-i 'alem). Die Osmanen drangen Ragusa mehrfach und nachdrücklich darauf, ihren Erbverpflichtungen gegenüber Ahmed nachzukommen, der zu seinen Lebzeiten - und danach auch seine Söhne - die Einnahmen erhielt, die aus dem Erbteil hervorgingen und aus den Gewinnen seiner geerbten Häuser, Gebiete und Grundstücke.
Quellen:
- Buchtipp - frei downloadbar: Halil Berktay und Bogdan Murgescu (Hrsg.): Workbook I: The Ottoman Empire. Thessaloniki 2005. S. 69.
- Encyclopaedia of Islam
- Erdmute Heller: Ottomans and Venetians during the Reign of Sultan Bayezid II (1481-1512): Venezianische Quellen zur Lebensgeschichte des Ahmed Paşa Hersekoğlu. Electronic Journal of Oriental Studies Bd. 3 Nr.4 Utrecht 2000. S. 6ff.
(Bildquelle: Wikimedia Commons)
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