Samstag, 23. Juli 2011

Feindbild Islam - 1. Teil

Schon vor 30 Jahren wurde gegen Ausländerfeindlichkeit demonstriert

Eigentlich wollte ich meine Serie über Feindbilder bei Muslimen gegenüber "dem Westen" noch fortsetzen, nachdem ich hier schon des öfteren auf das Feindbild Islam hingewiesen habe.
Wegen den jüngsten terroristischen Attentaten in Olso, ziehe ich aber nun eine Serie von interessanten Studien zum Feindbild Islam vor. Denn diese rechtspopulistischen bis rechtsextremen Denkstrukturen, diese Argumentationslinien, die von prominenten Personen der Öffentlichkeit auch in den politischen Talkshows oder Bestsellern ungebremst verbreitet wurden und werden, diese selbsternannten "Islamkritiker", waren maßgeblich daran beteiligt, dass ein Klima entstand, in dem Menschen aus der Mitte der Gesellschaft so radikal wurden, dass es sogar zu dem Anschlag in Oslo kam. Nicht zu vergessen die zahllosen weiteren Anschläge auf Muslime oder Migranten, zum Beispiel die vielen Brandanschläge auf Moscheen, Schändungen von Gräbern, Bespucken von Frauen die Kopftuch tragen, und so weiter. Wir erinnern uns noch jüngst an Sarrazin in Kreuzberg, wo er einen Mann, der von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hatte, als einen "Linksfaschisten" denunzierte! Ich würde an seiner Stelle eine Klage einreichen! Dieselbe Geisteshaltung von Sarrazin hatte auch der Attentäter von Oslo, Anders Behring Breivik.
Daher ist es so wichtig, zu verstehen, wie diese Realitätsverzerrung, dieses Bild von Muslimen, vom Islam, zustande kommt. Denn gegenüber diesen Feindbildern sind die meisten Menschen schutzlos ausgeliefert - den Medien sei "Dank" - und übernehmen nicht selten diese kritiklos und haben dann eine realitätsferne Vorstellung von den Muslimen oder dem Islam, besonders, wenn diese keinen persönlichen Kontakt zu Muslimen haben, wie eben die meisten. Also als einzige Informationsquelle auf die Medien und das Internet zugreifen können. Auf der rechten Seite finden sich hervorragende Blogs, die schon seit Jahren gegen diesen immer stärker werdenden Trend angehen.
Hier nun einige Infos aus dem akademischen Bereich:


Das Nahost- und Islambild im Westen

Die westliche Wahrnehmung der nahöstlichen Region zeichnet sich wie auch umgekehrt dadurch aus, daß auch sie Realitätsfragmente in einer Weise montiert, die ein eher fiktives Gesamtbild ergibt. Die durchschnittliche westliche Sichtweise betont das Fremdartige, das Trennende beider Kulturkreise. Sie stellt häufig die Religion (also den Islam) als das spezifisch Nahöstliche dar, und damit einen der Unterschiede. Trotz der eigenen erdrückenden Überlegenheit an Wirtschaftskraft, militärischer Kampfkraft und ideologischer Ausstrahlung wird der Nahe und Mittlere Osten (oft wahrgenommen als »der Islam«) als Bedrohung betrachtet - womit die Wahrnehmung des Westens aus der nahöstlichen Perspektive schlicht gespiegelt wird. Da die westliche Wahrnehmung und ihre Klischees vom Nahen und Mittleren Osten schon mehrfach kritisch beschrieben und analysiert worden sind, braucht dies hier nicht ausführlich getan zu werden. Das folgende Schaubild listet einige der Perzeptionsmuster auf, die bei uns gegenüber »dem Islam« angewandt werden.



Übersicht über einige Mechanismen der Feindbildproduktion

1 . Vergleich unterschiedlicher Realitätsebenen

Es wird »der Westen« mit »dem Islam« oder »den islamischen Staaten« verglichen, oder die gesellschaftliche Realität Europas und Nordamerikas mit einer religiösen Ideologie; es wird praktisch nie Islam und Christentum verglichen, nur selten Europa und der Nahe Osten.

2. Übernahme fundamentalistischer Erklärungsmuster

Nicht selten werden »der Islam« und seine Gefährlichkeit durch Zitate fundamentalistischer Führer »erklärt«. Dabei Erklärungsmuster übernehmen viele westliche Autoren fundamentalistische Positionen und tragen sie als »islamisch« weiter. Das gleiche Verfahren funktioniert auch ohne Zitate: dannwerden die Positionen von Islamisten als »der wahre Islam« unterstellt. Beispiel: Religion und Politik seien im Islam nicht zu trennen.

3. religiöse Interpretation säkularer Politik/Naivität

Erklärungen nahöstlich-islamischer Akteure werden zum Nennwert genommen. Die Benutzung religiöser Formeln wird automatisch als Zeichen von Religiosität aufgefaßt, die Möglichkeit einer bewußten Instrumentalisierung von Religion ignoriert.

4. Die Unterstellung dessen, was bewiesen werden soll

Anstatt den Anteil und die Bedeutung religiöser Aspekte der Politik im Nahen Osten zu untersuchen, wird von vornherein eine religiöse Begründung unterstellt, um dann in einem zweiten Schritt den religiösen Charakter von Politik festzustellen.

5. Verwechslung von Islam als Religion und islamischer Kultur und Tradition


Die Gesellschaften des Nahen und Mittleren Ostens sind oft vom Islam kulturell geprägt. Diese Prägung ist in die Alltagskultur übergegangen. Viele scheinbar religiöse Äußerungen haben inzwischen mehr mit Tradition, mit kultureller Identität, auch mit Konservatismus zu tun als mit Religion.

6. Geschichtslosigkeit

Ereignisse der Gegenwart brauchen nicht analysiert zu werden, da sie ja religiös zu erklären sind - und damit aus dem Koran und der Sunnah abgeleitet werden können. Die historischen Entstehungsbedingungen heutiger Erscheinungen werden durch Verweis auf die islamische Frühgeschichte ersetzt.

7. Verzicht auf Analyse von Interessen


Aktuelle Probleme oder Konflikte werden ohne Analyse sozialer, wirtschaftlicher oder politischer Realitäten und Interessen durch »den Islam« erklärt, dabei der Islam auf seine Schriften und die Äußerungen seiner Theologen verkürzt.

8. Kulturelle Überheblichkeit


Aus der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Überlegenheit des Westens über die Gesellschaften des Nahen Ostens wird die eigene kulturelle und moralische Überlegenheit geschlossen.

9. Das Verwenden unterschiedlicher Maßstäbe

Was dem Westen erlaubt ist, kann dem Nahen Osten durchaus verboten sein: etwa ABC- Waffen, die im Westen friedenstiftend, anderswo gefährlich sind.

10. Psychologisierung

Was im Westen »Machtpolitik« wäre wird im Nahen Osten leicht zu »Verrücktheit«, »Größenwahn«, »Irrationalität«. Statt Interessenkonflikte werden psychologische Kategorien erörtert.

Für unseren Zweck reichen diese Wahrnehmungsmuster aber nicht aus. Es kommt vielmehr hinzu, daß der Nahe und Mittlere Osten soweit er nicht romantisiert oder exotisch verklärt wird - als Quelle der Gefahr, der Instabilität und Unsicherheit wahrgenommen wird, die Bewohner des Nahen Ostens sind Muslime, und sie seien irrational, unberechenbar, ihre Religion mittelalterlich, mit Fanatismus verknüpft und ihre Kultur durch ihre Andersartigkeit unverständlich. Auch hier müssen wir darauf verzichten, die Existenz dieser Karikatur einer benachbarten Region und ihrer Bewohner und Kultur durch zahlreiche Belege zu untermauern, da dies schon an anderer Stelle geschehen ist....

aus:
Jochen Hippler/Andrea Lueg (Hrsg.):
Feindbild Islam - oder Dialog der Kulturen. Hamburg 2002. (inkl. einiger sehr renommierter Autoren wie Reinhard Schulze, Petra Kappert, usw.)
S. 254 ff.

weitere Leseprobe aus obigen Buch (im googlecache):
Der Islam, der Westen und die politische Gewalt in den internationalen Beziehungen

(Vielleicht ist auch bald mal wieder die originale Seite online.)



Welches Argumentationsmuster ist euch schon mal begegnet?
Mit welchen Argumenten habt ihr dagegen argumentiert?
Hattet ihr Erfolg und der Dialogpartner zeigte Einsicht?
Oder war es kein Dialog, sondern eher gegenseitige Monologe?
Oder seit ihr selber mal in solche oben erwähnten argumentativen Schablonen als Erklärungsmuster gefallen?

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