Islamophobe Ansichten verbergen sich immer weniger - mitten in der bürgerlichen Gesellschaft |
Feindbild Islam.
Historische und theologische Gründe einer europäischen Angst – gegenwärtige Herausforderungen
Thomas Naumann / Universität Siegen
(...) Der Fernsehsender „arte“ führte 1997 eine Befragung durch. In ihr gaben 47 % der Befragten in Deutschland an, „Angst vor dem Islam“ zu haben. Heute, Jahre später und nach den schrecklichen Terroranschlägen auf das World Trade Center und auf das Pentagon am 11. September durch islamistische Terroristen, zudem nach Terrorattacken in Djerba, Marokko, Bali, Istanbul und Madrid, nach den täglichen Bombenattentaten im Irak, dürfte der Prozentsatz derjenigen, die sich durch den
Islam verunsichert oder unmittelbar bedroht fühlen, noch erheblich höher sein. Das zeigen alle aktuellen Umfragen.
Achten wir genau auf die Fragestellung. Gefragt wurde nach der „Angst vor dem Islam“. Es ging nicht etwa um die Angst vor dem islamistischen Terrorismus oder vor einem radikalen Fanatismus, der vorgibt, islamisch zu sein. Dies ist bezeichnend, denn die öffentliche Meinung in Deutschland ist noch immer schnell geneigt, den gewaltbereiten Islamismus, der auch in der islamischen Welt eine moderne Erscheinung des letzten Drittel des 20. Jh.s darstellt, gewissermaßen als zwangsläufigen Ausdruck der Weltreligion „Islam“ zu verstehen. Nicht der Missbrauch einer Religion, sondern eine offenbar Angst einflößende Religion selbst mit ihrem Weltdeutungspotential insgesamt steht damit auf dem Prüfstand.
Fanatismus, Kriege und Gewalttaten im Namen der Religion kennen wir in Europa in unserer christlichen Vergangenheit natürlich auch. Es ist noch nicht so lange her, dass erbitterte Religionskriege im Namen des Christentums geführt wurden, und noch im 1. Weltkrieg zogen Deutschen gegen Franzosen, jeder im Namen des christlichen Gottes, gegeneinander. Heute beurteilen wir solches gern als Missbrauch der christlichen Religion zu machtpolitischen Zwecken, als Widerspruch zur christlichen Botschaft der Nächstenliebe. Im Fall des Islam legen wir unwillkürlich andere Maßstäbe an. Gewalt im Namen Gottes – Fanatismus und Radikalität, Intoleranz gegen Andersgläubige, Unterdrückung der Frauen – das scheint nach europäischem Urteil geradezu zum Wesenskern der islamischen Religion zu gehören.
(...)
Versuchen Sie sich einen Moment vorzustellen, was es z.B. für eine muslimische Studentin an unserer Universität bedeutet, wenn ihr mit großer Selbstverständlichkeit in Siegen gesagt wird: deine Religion ist die Erfindung eines Lügners und im Kern gewalttätig, sie ist verantwortlich für den Terrorismus und auch sonst für alles, was sich an Demokratiedefiziten, Frauenunterdrückung und Unterentwicklungen heute mit Recht in einigen arabischen Ländern namhaft machen lässt. Dieser Generalverdacht ist es, dem sich Muslime in Deutschland ausgesetzt sehen, dies ist es, was die Begegnung im Augenblick so schwierig macht.
(...)
2.3. Mit dem Koran und dem Schwert gegen die Ungläubigen
Wir kehren noch einmal zur islamischen Expansion des 7. Jh. zurück. Die
europäischen Zeitgenossen hatten überhaupt keine genaue Kenntnis der Vorgänge, und die europäische Geschichtsschreibung blieb bis ins 20. Jh. von den Stereotypen eines aggressiven Islam bestimmt, dem es einzig darum ging, unter dem religiösen Diktat des „Heiligen Krieges“ den neuen Glauben mit Schwert und Zwang zu verbreiten. Wer nach den Wurzeln dieses Geschichtsbildes fandet, landet alsbald bei dem außerordentlich einflußreichen englischen Historiker Edward Gibbon (1737 - 1794). Gibbon lehrte in Oxford und legte unter Benutzung einiger lateinischer Quellen eine bis heute berühmte Darstellung der Frühgeschichte des Islam vor.8 Gibbon beschreibt darin, wie „Mohammed ... mit dem Schwert in der einen Hand und dem Koran in der anderen auf den Trümmern des Christentums und Roms seinen Thron errichtete.“
Historisch gesehen ist an dieser Aussage eigentlich fast alles falsch, denn der Islam verbietet den Zwang in religiösen Dingen ausdrücklich, und sowohl Rom als auch das Christentum haben die islamische Expansion überlebt und leben in einer islamischen Mehrheitsgesellschaft bis heute. Aber Gibbons Formel ist ein Wort von elementarer Einprägsamkeit und mythischer Wucht, das die Angst nährt: Der Islam mit dem Schwert und dem Koran der Zertrümmerer des Christentums. Damit hat Edward Gibbon ein Bild entworfen, das immer wieder wiederholt und weitergeschrieben sich wie kein anderes ins europäische Unterbewusstsein gesenkt hat. So ist es kein Wunder, dass diese Vorstellung noch bis in die 80-er Jahre des 20. Jh.s die Darstellung der islamischen Expansion in den deutschen Schulbüchern bestimmt hat – islamische Expansion gleich Glaubenszwang.
Wie kommen die Historiker der frühen Neuzeit zu diesem Bild, kann man fragen?
Sie konnten sich die Ausbreitung des Islam vermutlich nur nach den Analogien der christlichen Expansion vorstellen. Das 17. Jh. hatte die äußerst gewaltsame christliche Rückeroberung des maurischen Spanien und die Christianisierung Lateinamerikas vor Augen. Es war die christliche Expansionspraxis, die den religiösen Minderheiten nicht selten nur die Wahl zwischen Zwangstaufe, Auswanderung oder Tod ließ.
Das historisch wahrscheinliche Bild der rasanten muslimischen Expansion im 7 Jh. sieht anders aus. Die Byzantiner hatten einen Teil der orientalischen Kirchen als Häretiker hart unterdrückt, und sie hatten die jüdische Minderheit mit Zwangsbekehrungen zum Christentum bedroht. Dadurch hatten sie unfreiwillig die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass ein nicht geringer Teil der Bevölkerung die muslimischen Heere als Befreiung vom byzantinischen Joch dankbar begrüßten, oder zumindest den neuen Machthabern aufgeschlossen gegenüberstanden.9 Die islamische Religion selbst ermöglicht trotz verschiedener Kritikpunkte ein positives Verhältnis zur christlichen und zur jüdischen Religion, denn Muhammad, der selbst sehr viel Umgang mit Christen und Juden hatte, verstand sich selbst in der Reihe der jüdischen und christliche Propheten und Offenbarungsträger von Abraham bis zu Jesus. Nach dem Koran gelten Juden und Christen nicht als Ungläubige, sondern als Besitzer von heiligen, geoffenbarten Schriften: der Tora und des Evangeliums. Dieser Status schließt besondere Schutzrechte mit ein, die Christen und Juden unter muslimischer Oberherrschaft gegen die Zahlung einer besonderen Steuer zwar nicht gleiche Rechte aber Rechtssicherheit und die freie Ausübung ihrer Religion ermöglichten. Christliche Kirchen und jüdische Gemeinden sind daher seit den frühesten Tagen des Islam selbstverständlicher Bestandteil der islamisch beherrschten Welt. Die islamische Expansion, so schreibt Albrecht Noth, Göttinger Orientalist und Spezialist für die islamische Frühgeschichte, in seiner einschlägigen Studie10, ging nach einigen entscheidenden Schlachten deshalb so schnell vonstatten, weil die Araber die Fähigkeit besaßen, mit der mehrheitliche christlichen und jüdischen Bevölkerung der eroberten Gebiete variable und flexible Verträge zu schließen, die jenen oft mehr Schutz und weniger Steuern brachten, als sie dies unter byzantinischer Oberherrschaft kannten, und darüber hinaus ihre religiöse Eigenständigkeit bewahrten. Denn die muslimischen Eroberer verzichteten auf die Zerstörung der in Besitz genommenen Länder und schonten, wenn die Machtfrage geklärt war, in der Regel die dort verwurzelten Kulturen. Auf diese Weise übte der Islam eine desto größere Anziehungskraft auf die besiegten Völker aus, unter denen es zu massenhaften Übertritten zum Islam kam. Gewaltsame Bekehrungen zum Islam wie die Zwangstaufen im Christentum kennt der Islam nicht, auch wenn es in späteren Jahrhunderten und in manchen Krisenzeiten islamischer Oberherrschaft auch zur Unterdrückung religiöser Minderheiten gekommen ist. (...)
Vollständige Quelle hier nachlesbar: Universität Siegen
(Bildquelle: Wikimedia Commons, Sansculotte)
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